Akzeptabel – oder?

«Akzeptiert doch endlich das Abstimmungsergebnis zum Minarettverbot». Diese Aussage hört und liest man derzeit in verschiedenen Medien, Foren und Blogs. Nun, dann thematisieren wir einmal, was akzeptabel ist – und vor allem was nicht…

Als Al Gore im Jahr 2000 beim US-Präsidentschaftswahlkampf gegen George W. Bush zwar mehr Volksstimmen, aber weniger Wahlmännerstimmen holte und deshalb schliesslich nicht der 43. Präsident wurde, liess er verlauten, dass er diesen Entscheid zwar respektiere, aber nicht akzeptiere.

Damals hatte ich den Unterschied nicht so richtig verstanden und wenn ich dieses Interview hier mit Charles Lewinsky lese, dann stelle ich fest, dass es ihm auch heute noch so ergeht: «Demokratie bedeutet, dass man Mehrheitsentscheide akzeptiert…».

Seit dem vergangenen Abstimmungssonntag kenne ich nun aber den Unterschied, den seitdem halte ich es wie Al Gore: Ich respektiere diesen Entscheid, aber ich akzeptiere ihn nicht.

Allerdings muss ich zugeben, dass es für mich sehr einfach ist, diesen Entscheid nicht zu akzeptieren und mich quasi in zivilem Ungehorsam zu üben. Schliesslich hatte ich ja auch nicht vor, ein Minarett zu bauen, ergo gibt es gar nichts nicht zu akzeptieren…

Unschweizerische Häme

Auch was seit dem Bekanntwerden des Abstimmungsresultats zur Minarettverbotsinitiative vor allem seitens einiger Initiativbefürworter ablief und noch immer abläuft, halte ich schlichtweg für nicht akzeptabel.

Da wäre zum Beispiel diese Welle an Häme, welche den «Verlierern» entgegenpeitscht und von Bruder Bernhard bereits thematisiert wurde. Schon die eingangs erwähnte Aussage «akzeptiert doch endlich…» enthält unterschwellig aufgrund des auffordernden und überlegenen Tonfalls diese Häme.

Auf Häme ist unser Land nicht aufgebaut, auf Häme sind wir nicht stolz. Und wenn es manchmal schwierig ist zu beschreiben, was typisch schweizerisch ist, so fällt es einem häufig einfacher zu sagen, was nicht typisch schweizerisch ist. Dazu gehört auch die Häme.

Dabei ist es nicht die Häme, welche mich beschäftigt, sondern deren Auftreten an sich. Schadenfreudiges Verhalten halte ich nämlich für ein Zeichen der Schwäche.

Eine in sich gefestigte, integre Persönlichkeit darf durchaus Freude (auch über ein Abstimmungsresultat) zeigen. Sie hat es aber nicht nötig, hämisch auf etwas und gegenüber anderen zu reagieren.

Wer Häme an den Tag legt, wird natürlich nie zugeben, eine an sich unsichere Persönlichkeit zu sein. Die Häme dient ja schliesslich dazu, diese Unsicherheit zu überdecken – sogar gegenüber dem eigenen Selbst. Das Nichteingestehen der eigenen Unsicherheit wird so zum Selbstbetrug.

Lassen Sie sich dabei nicht täuschen, wenn bekannte Persönlichkeiten aus der Politik mit Häme, Spott oder Hohn über andere herziehen und dabei den Eindruck einer selbstsicheren Persönlichkeit erwecken. Diese Ausdrucksweisen sind nur Mittel zum Zweck und sollen dazu verhelfen, Zuspruch oder Applaus seitens der Zuhörer zu erheischen, dank denen die fragliche Persönlichkeit selber an Sicherheit gewinnen will.

Jene, welche aus einer bestimmten Überzeugung heraus beharrlich einen Weg verfolgen oder für eine Sache einstehen, sind eher selten. Alle anderen sind nur das, was man bei Twitter «followers» nennt…

Zu einem «follower» wird man übrigens automatisch dann, wenn verallgemeinert wird und man selber Teil dieser Verallgemeinerung wird. Auch das hat seit dem vergangenen Sonntag nicht abgenommen und auch das ist nicht akzeptabel.

Pauschalisierung vs. Minderheiten

Dazu gehört zum Beispiel die Aussage «die Schweiz lehnt Minarette ab». Ich will mich nicht abgrenzen, die Hände von mir Strecken und sagen: Ich habe ja anders gestimmt.

Nein, es geht darum, dass eine beachtliche Minderheit von 42.53 Prozent Minarette nicht verbieten wollte. 57.47 Prozent sind nicht einfach «die Schweiz», es sind nur 7.47 Prozent mehr gegen als für Minarette. Auch das darf und muss gesagt werden.

Wäre die Abstimmung genau umgekehrt herausgekommen, hätten also die Initiativbefürworter 42.53 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können, dann wäre ohne Zögern die Rede davon gewesen, dass man bei der Umsetzung verstärkt die Anliegen der Minderheit berücksichtigen würde.

Doch davon war diesmal überhaupt nicht die Rede. Es gibt kein Entgegenkommen und keinen typisch schweizerischen Kompromiss. Der so praktizierte Minderheitenschutz ist diesmal kein Thema.

Die Frage, wie ein solcher Kompromiss aussehen könnte, stellt zwar im Moment niemand. Damit das Minarettverbot jedoch dem Diskriminierungsverbot nicht widerspricht, müssten in aller Konsequenz eigentlich in Zukunft auch neue Kirchtürme verboten werden…

Diese haben heute ja ohnehin keine Bedeutung mehr, sind aufwändig zu unterhalten, enthalten meistens ein teures Glockenwerk, welches sich die Kirchen auch wegen der schwindenden Anzahl Gläubiger nicht mehr leisten könnten, verursachen viel Lärm und stören nicht nur meine Sonntagsruhe.

Zuerst vor der eigenen Haustüre kehren

Aber eben: Darüber spricht man erst gar nicht. Man beklagt die angebliche Rückständigkeit des Islams, ist jedoch nicht bereit, die eigenen alten Zöpfe Türme abzuschneiden – oder wenigstens zu hinterfragen.

Man spricht bei Minaretten von «Machtsymbolen» und vergisst dabei, dass heute noch viele Kirchen und Kathedralen zu den mächtigsten Bauten vieler Städte gehören. Oder sind die etwa so hoch, damit mehr Leute darin Platz finden? Eben.

Man lässt verlauten, dass es fürs Ausüben des Islams gar keine Minarette brauche – und vergisst dabei, dass es auch fürs Praktizieren des Christentums keinen Turm braucht. Auch keine Glocken. Und keine Uhr.

Dass man über den eigenen Garten nicht spricht, mit dem Finger aber auf die anderen zeigt, ist eben auch nicht akzeptabel.

Dazu gehört auch Ulrich Schlüers Aussage im letzten «Club» (18’30’’): «Dort, wo mit religiösem Hintergrund versucht wird, die Gesetzgebung zu verändern in diesem Land, müssen wir einfach sagen: Gesetzgebung wird bei uns politisch gemacht, wird bei uns in der Demokratie gemacht.»

Überzeugt davon, dass der Glaube eine private Angelegenheit ist und dass der Staat über der Kirche stehen muss, um überhaupt von Glaubens- und Gewissensfreiheit sprechen zu dürfen, kann ich seine Aussage durchaus unterschreiben.

Doch wer so argumentiert, müsste in aller Konsequenz auch den Rauswurf jener 48 Politikerinnen und Politiker aus dem Parlament verlangen, welche Anhänger der Christlichen Volkspartei CVP oder der Evangelischen Volkspartei EVP sind. Denn wer sich so nennt, dem ist dieser religiöse Hintergrund offensichtlich immer noch wichtig.

Jeder kann sich selber einmal ausmalen, was für ein Aufschrei vor allem durch die Reihen der politischen Rechten ginge, wenn es morgen eine Moslemische Volkspartei MVP gäbe…

Da offensichtlich selbst aus den Reihen der CVP die Forderung kommt, muslimische, aber auch jüdische Friedhöfe zu verbieten, dürften im Falle einer MVP somit auch einige CVP-Abgeordnete irgendetwas von «Islamisierung» mitschreien… Das wäre dann Sektiererei auf höchstem politischen Niveau, geht es dabei ja schliesslich darum, andere Glaubensrichtungen zu benachteiligen.

Es wäre auch ein Verrat an der eigenen Verfassung, da man die Glaubens- und Gewissensfreiheit eben nicht respektiert.

Falsche Etiketten

Doch die CVP hält es ja auch nicht mehr so genau mit dem Christlichen. Wie sonst lässt es sich erklären, dass zwar zahlreiche christliche Organisationen gegen Waffenexporte plädierten, die CVP-Bundesrätin Doris Leuthard jedoch an vorderster Front für solche Exporte gekämpft hatte?

Das ist eben auch nicht akzeptabel: Man nennen sich zwar «christlich», handelt aber nicht danach. Das ist nicht fair, vor allem gegenüber jenen nicht, welche mit lauteren Absichten das Christentum praktizieren. Genauso ist es unfair und damit nicht akzeptabel, dass einige Moslems im Namen des Islams auf radikale Weise für ihre Sache kämpfen.

Und nicht akzeptabel ist es auch, wenn man den Glauben mit der Tradition vermischt. Der Christbaum und der Osterhase haben ebenso wenig mit dem Christentum zu tun wie beispielsweise die Frauenbeschneidung mit dem Islam.

Natürlich haben einige Traditionen gravierendere Folgen als andere. Doch man kann auch andere «Traditionen» zum Vergleich heranziehen. So sind zwar die USA ein christlich geprägtes Land. Trotzdem gibt es dort in einigen Bundesstaaten noch immer «traditionellerweise» die Todesstrafe.

Islam = Frauenbeschneidung, Christentum = Todesstrafe? Eben, das Vermischen von Tradition und Religion ist nicht akzeptabel, eine differenzierte Betrachtungsweise tut dringend Not.

Reaktionen aus dem benachbarten Ausland bezüglich unserer direkten Demokratie und unserem Demokratieverständnis sind selbstverständlich auch nicht akzeptabel, zumal sie von Ländern wie Deutschland kommen, in welchen man gerade einmal alle vier Jahre mittels einer Wahl zum Ausdruck bringen kann, ob einem das Vergangene passte oder nicht. Gerade der EU-Förderer Deutschland sollte wissen, dass die EU eine Demokratie-Problem hat…

Die Reaktionen seitens der offiziellen Türkei, aber auch seitens anderer Länder, bei denen es mit den Menschenrechten weitaus schlechter steht, sind natürlich auch nicht akzeptabel. Ausgerechnet die Türkei, welche ansonsten so auf die Trennung von Kirche und Staat pocht, kritisiert das Verbot eines religiösen Symbols. Da muss wohl auch die Türkei nochmals über die Bücher…

Verfassungswidriges gehört nicht vors Volk

Letzteres gilt natürlich auch für uns: Es ist schlichtweg nicht akzeptabel, dass man uns eine Vorlage zur Abstimmung unterbreitet, welche auch ohne irgendein Gerichtsurteil offensichtlich gegen die eigene Verfassung verstösst.

Kaum jemand, der diesem Verfassungszusatz zustimmte, ist gegen eben diese Verfassung. Auch sind wohl die wenigsten gegen die Menschenrechte, welche ja noch einiges mehr enthalten als nur das Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit.

Darum sind auch Boykott-Aufrufe aus dem benachbarten Ausland nicht akzeptabel, denn die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sind rechtschaffene Menschen und wohl nicht rassistischer als die Franzosen, Deutschen, Italiener, Österreicher oder Liechtensteiner.

Und weil diese Vorlage gegen bestehendes Recht ist, ist es auch nicht akzeptabel, dass man die Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern, welche weder Juristen noch Völkerrechtler sind, potentiell überhaupt zu Missachtenden von Verfassung und Völkerrecht werden lässt. Damit so etwas eben nicht geschieht, hat man eine Regierung, ein Parlament und eine Bundesverwaltung, welche zusammen eine gewisse Führungsverantwortung tragen – und wahrzunehmen haben.

Das eigentliche Kernthema

Dass es überhaupt soweit gekommen ist, hat wohl damit zu tun, dass viele die folgende Abstimmungsfrage gelesen hatten: Sind Sie auch der Meinung, dass der Schweiz eine Überfremdung droht?

Damit sind wir beim eigentlichen Kern der Abstimmung von vergangenem Sonntag: Die Ausländer. Die bösen Ausländer. Die nicht integrierten Ausländer.

Charles Lewinsky vergleicht in diesem Artikel die heutige Situation mit jener von 1893, als aus populistischen Gründen das Schächtverbot für Juden vors Volk kam und mit über 60 Prozent angenommen wurde (er nennt dabei die Populisten «Eidenbenze»).

Gewiss – nicht über den Populismus der vergangenen Jahre zu diskutieren, so wie das bisher der Fall war, ist auch nicht akzeptabel. Es muss auch möglich sein, darüber zu diskutieren, ohne gleich mit dem Stempel «SVP-Bashing» gebrandmarkt zu werden. Dabei sind selbstverständlich auch nicht alle Vertreter einer Partei in den gleichen Populisten-Topf zu werfen.

Doch nur über den Populismus zu diskutieren, ist genauso eine Stellvertreter-Diskussion wie jene über das Verbot von Minaretten.

Die Kernfrage ist doch, was die Grundlage dieses Populismus ist. Und da greift Lewinskys Essay eben zu kurz, da wir heute in völlig anderen Zeiten als anno 1893 leben und diese anderen Zeiten bei ihm unberücksichtigt bleiben.

Hinkender Vergleich

Die Schweiz von heute ist zwar noch immer christlich geprägt, doch spielen die christlichen Kirchen sicher eine weniger starke Rolle als noch 1893. Die Schweiz von heute hat Sozialwerke, welche sich davor schützen müssen, nicht missbraucht zu werden – auch vor den eigenen Landsleuten.

Die Schweiz von heute hat eine starke Exportwirtschaft, ist aber selber ohne Importe gar nicht mehr überlebensfähig. Die Schweiz von heute hat im Gegensatz zu 1893 einen Ausländeranteil von um die zwanzig Prozent.

Ein Grossteil unserer heutigen Infrastruktur wurde durch diese Ausländer gebaut. Ohne sie, ohne solche, welche auch heute zum Teil noch immer die «Drecksarbeit» machen, wäre die Schweiz wohl auch nicht mehr überlebensfähig.

Doch die Schweiz hat gerade bei Fragen rund um Ausländer immer Rosinenpickerei betrieben. Mit offenen Armen wurden sie empfangen, wenn wir sie brauchten. Zum Teufel schickten wir sie, wenn es nichts mehr zu tun gab.

Auch das darf und muss einmal gesagt werden.

Und das ist auch heute noch so. «Fachkräfte» aus dem Ausland sind herzlich willkommen, doch jetzt, wo die Arbeitslosigkeit wieder zugenommen hat, sollen diese doch bitte wieder zurückkehren. Zudem sollen inländische Arbeitskräfte bevorzugt berücksichtigt werden, hat selbst die SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey verlauten lassen. Es wurde zwar nicht gesagt, aber de facto gilt wohl nun wieder wie im zweiten Weltkrieg bezüglich der Einwandunger von Juden: «Das Boot ist voll»…

Worum es doch eigentlich geht

Haben wir eigentlich einmal darüber diskutiert, warum wir sie wieder zurückschicken wollen, warum sie doch bitte schön wieder zurückkehren sollen? Haben wir es je einmal ausgesprochen? Natürlich nicht! Auch das ist nicht akzeptabel.

Sagen wir doch, wie es ist: Es geht um den Stutz.

Den teilen wir nicht gerne mit anderen. Zwar gab es und gibt es verschiedene Solidaritätsbekundungen, vor allem auch monetärer Art. Doch im Zeitalter der Individualisierung möchten wir – wenn wir schon unser angeblich hart verdientes Geld an Dritte abgeben – schon gerne wissen, wer davon profitiert.

Karitative Organisationen gehen wohl auch deswegen dazu über, zunehmend Patenschaften anzubieten. Da kann man dann schon beinahe «à la carte» auswählen, wem, welchem ausgemergelten Kind man sein Geld zukommen lassen möchte… Grotesk, einfach nur grotesk.

Doch die unvoreingenommene, pauschale Solidarisierung, das unvoreingenommene pauschale Teilen ungeachtet der Frage, wer genau profitiert oder Unterstützung erhält, das liegt nicht mehr drin.

Genauso wie es heute ein Tabu ist, über den Populismus zu sprechen, genauso darf man sich heute nicht mehr pauschal solidarisch mit einer Sache erklären, denn ansonsten wird man gleich als «Gutmensch» abgestempelt.

Brauche ich noch zu sagen, dass auch das nicht akzeptabel ist?

Selbstverschuldet

Dass wir ein so genanntes «Ausländerproblem» haben, daran sind nicht die Ausländer, sondern wir selber schuld. Doch nein, das hat nichts mit der Bewilligungspraxis zu tun, das würde zu kurz greifen.

Wir sind ein rohstoffarmes Land und haben darum unseren heutigen materiellen Reichtum und Wohlstand nicht der Natur zu verdanken. Auch dass wir ein arbeitsames Volk wären, greift zu kurz, denn was gibt uns so viel Arbeit, wo wir doch keine eigenen natürlichen Ressourcen haben ausser ein paar Kühen und etwas Wasserkraft?

Genau: Wir kaufen Rohstoffe wie zum Beispiel Kakao aus Afrika und Zucker aus Südamerika ein, rühren das Ganze ein paar Mal um und verkaufen das dann als Schokolade im In- und vor allem auch im Ausland. Mit der metallverarbeitenden Industrie, von den Uhren bis hin zum Kriegsmaterial, ist das genau gleich, da wir hierzulande bekanntlich keine Minen haben, in denen sich diese Rohstoffe abbauen liesse.

Darauf sind wir dann natürlich auch noch stolz.

Das ist natürlich sehr plakativ, doch stehen die Beispiele oben symbolisch für unser vergangenes und auch noch heutiges wirtschaftliche Handeln. Daran wäre nichts Verwerfliches, würden wir denn für die Rohstoff auch einen korrekten Preis bezahlen. Sehr empfehlenswert zu diesen plakativen Beispielen ist der nachfolgende «Kassensturz»-Beitrag vom 1. Dezember 2009:

Wie Sie diesem Beitrag entnehmen konnte, haben die kaum etwas zum Überleben. Die Folge davon ist dann der Wegzug aus einer wirtschaftlich nicht überlebenssichernden Region in eine Region mit besseren wirtschaftlichen Aussichten – wie eben zum Beispiel die Schweiz.

Wenn wir diesen Arbeitern keinen korrekten Preis zahlen, was wundern wir uns dann, wenn diese an unserer Tür anklopfen? Und was wundern wir uns darüber, dass diese – geprägt von einer anderen Kultur, ja sogar von einem Überlebenskampf und manchmal auch von Bürgerkriegen – sich hierzulande halt nicht so schweizerisch benehmen, wie das die Eidenbenze und Bünzlis tun?

Gesamtgesellschaftliche Abzockerei

Wir sind zu einem sehr grossen Teil selber schuld am Ausländerproblem, weil wir zu unfairen Preisen Rohstoffe und für gewisse Arbeiten auch ausländische Arbeitskräfte «einkaufen» und dann das Ganze als veredeltes Produkt teuer ins Ausland verkaufen.

Und wenn wir die Wahl haben zwischen einem teuren Schweizer Produkt und einem billigen ausländischen Produkt, na was kauft wohl die Mehrheit der hiesigen Konsumenten, um nicht zuviel an Schweizer Franken ausgeben zu müssen?

Den ausländischen Produzenten sind wir natürlich auch nicht bereit, den gleichen Preis fürs genau gleiche Produkt zu zahlen. Stünden wir vor einer solchen Wahl, würden wir nicht sachlich Vor- und Nachteile zwischen dem aus- und dem inländischen Produkt abwägen, sondern wählen relativ unreflektiert das inländische Produkt.

Auch das ist alles nicht akzeptabel.

Wir täten gut daran, einerseits verstärkt (wirtschaftliche) Hilfe zur Selbsthilfe ins Ausland zu exportieren und andererseits ohne Übervorteilung ausländische Ressourcen ins Land zu holen.

Dann würde sich die Frage bezüglich Minarette gar nicht erst stellen. Und dann hätten internationale Organisationen und andere Staaten auch gar keinen Grund, oftmals berechtigt auf die Schweiz einzudreschen.

Akzeptieren müssen wir alle diese Dinge nicht. Aber wir müssen sie respektieren, denn nur was man respektiert, kann man auch verändern…

P.S. Schon noch erstaunlich, dass «Minarettverbot» zum Wort und «Ventilklausel» zum Unwort des Jahres gekürt wurden…

P.P.S. Wie wär’s, wenn Sie beim Einkaufen der Schokolade für Weihnachten und des Zuckers für die Guätzli einige Rappen mehr investieren und dafür solche mit einem «Fairtrade»-Label kauften?

12 Antworten auf „Akzeptabel – oder?“

  1. Eine andere Auslegung als Massnahme gegen die Selbstverschuldung wäre nicht ein Exportieren von materieller und wirtschaftlicher Hilfe, sondern die schlichte Unterlassung konjunkturbremsender Massnahmen in den Entwicklungsländern (ist der Begriff noch politisch korrekt oder schon wieder überholt?).
    Ich bin kein Wirtschafter, aber ich möchte behaupten, dass die entwickelten Staaten die schlechter entwickelten gezielt „unten halten“. So bleiben Löhne und Produktionskosten tief.
    Die USA subventionieren zum Beispiel ihren eigenen Baumwollmarkt so stark, dass die Baumwolle aus anderen Ländern nur zu einem Spottpreis importiert werden kann.
    Das Unterstützen karitativer Organisationen ist meiner Meinung nach ein Phänomen, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Denn eigentlich geniessen wir unseren Wohlstand gerne auf Kosten anderer.

  2. Starker Tobak, lieber Titus, den du uns da vorsetzt.

    Müssen wir, die wir nicht akzepieren, nicht alle froh sein dass endlich eine Diskussion über die wirklichen Werte in Gang zu kommen scheint.

    Hoffen wir dass etwas fruchtbares und nachhaltiges dabei herauskommt. Denn eigentlich müsste das politische System grundlegend verändert werden und die träge politische Kaste zum Teufel gejagt werden…

  3. Habe es wieder einmal geschafft, deinen Blog zu besuchen, Titus. Kommentieren möchte ich im Moment nichts, weil die Wut und die Trauer noch zu gross sind und beide eher wachsen. Ich muss dieser Tage so viel Idiotisches lesen und hören, dass es mir für den Moment schlicht die Sprache verschlagen hat. Die Eidenbenze und Bünzlis leben fast ungehindert ihre hohe Zeit. – Umso besser tut einem ein Beitrag wie deiner. Mercie und mach weiter so!

  4. @ Dan
    Die (weltweite) Geschichte zeigt, dass manchmal von unerwarteter Seite her etwas ebenso Unerwartetes losgetreten wird. Diese Initiative und deren Resultat gehören auch dazu. Die Grundlage dazu schuf die politische Rechte. Doch damit es soweit kommen konnte, brauchte es vor allem auch die klassischen Linkswähler.

    Was in Gang gesetzt wurde, ist eine gewisse – ich nenne es mal «neue Ehrlichkeit und Offenheit». Mir kommt es so vor, als ob hier eine immer grösser gewordene Blase des Selbstbetrugs was gewisse gesellschaftliche Probleme betrifft, nun zerplatzt ist.

    Das soll nicht heissen, dass nun ein radikaler Rechtskurs gefahren werden soll. Das Ignorieren und Wegschauen an Problemen durch die politische Linke, da pflichte ich Frau Zappadong bei, trieb viele nach rechts, wobei die «Lösungen» der politischen Rechten keine sind.

    Die kleine Schweiz hat mit diesem Resultat auch eine Diskussion im Ausland in Gang gesetzt. Die ORF-Korrespondentin, welche an der Arena gestern teilnahm, formulierte das in etwa so: Dank dem Schweizer Entscheid würde nun auf europäischer Ebene die Integrationspraxis diskutiert, ohne dass es auf dieser Ebene zu ähnlichen Entscheiden käme. Insofern haben «wir» da eine Lanze gebrochen.

    Die Gefahr am Ganzen liegt darin, dass man dieses Resultat nicht als Auftrag an die Linken versteht, endlich die brennenden Themen nicht mehr zu ignorieren, sondern als Bestätigung des Kurses seitens der Konservativen…

    Zum politischen System: Der Beitrag oben zeigt ja auch, dass wir (schon längst) in einer «globalisierten Welt» leben. Die politischen Strukturen tragen dem aber nicht Rechnung. Als Beispiel sei hier das weltweite Problem der Boni erwähnt. Trotz tollen Bekundungen von Obama, Merkel & Co, eine Obergrenze gibt es nun trotzdem nicht…

    @ Eisvogel
    Schön, Dich hier wieder einmal zu lesen und vielen Dank für die Blumen.

    Wie oben gegenüber Dan schon erwähnte, schaue ich das Abstimmungsergebnis teilweise auch positiv an. Schade ist selbstverständlich, dass eine Minderheit den Preis dafür bezahlen muss.

    Allerdings: Ich hatte mir gestern die vollständige Medienkonferenz mit BR Merz online angeguckt. Seine Aussage war, dass es keine weitere Ausführungsbestimmungen zu dieser Initiative benötige. Auf die Frage eines Journalisten, was denn nun genau ein Minarett sei (ich hatte diese Frage auch hier aufgeworfen), gab’s keine konkrete Antwort. Damit lässt der Bundesrat (bewusst?) einen gewissen Spielraum offen…

  5. Ignoranz führt meist zu Intoleranz. In diesem Fall genügt im Nachgang zur Abstimmung ein Blick auf die doch sehr bemerkenswerten Blog-Kommentare und Leserbriefe, um zu sehen, dass es um das Wissen des Islam, “der Muslime” nicht unbedingt zum besten steht. Munteres Vermischen von Aengsten, Ausdrücken, wirtschaftlicher Sorge, Staats- und Völkerrecht, plötzlichem Interesse an „Frauenrechten“ etc. Und wer den Kopf wirklich schütteln will – und zwar in einer Mischung aus ungläubigem Lach- und Peinlichkeits- Anfall – der lese die heutigen „Kommentare“ im SonntagsBlick.

    Wer Globalisation als neues Modell akzeptiert, kann nicht erstaunt sein, dass sich die daraus entstehenden Looser, jene die meinten, sie kämen zu kurz, krampfhaft hinter die Flötler der populistischen Saga vom Westen als Hort gegen das Böse, als Ort der liberalen Demokratie und Menschenrechte scharen. Die Medienmeute reit sich dabei schier nahtlos in die Reihe der Populisten ein – shame on us!

    Drum beelendet die “Debatte” nach der Abstimmung schier noch mehr als das Abstimmungs-Ergebnis.

    Drum sind gleichzeitig Posts wie „Akzeptabl – oder?“ erst jetzt möglich, resp. werden zur Kenntnis genommen.

  6. Vor zwei Wochen wäre ich gar nicht erst auf die Idee gekommen, einen Artikel übers uns und unser Verhältnis zum Ausland sowie zu Ausländern in dieser Form zu schreiben…

  7. Und genau da liegt das Problem (Zitat Titus):

    „Vor zwei Wochen wäre ich gar nicht erst auf die Idee gekommen, einen Artikel übers uns und unser Verhältnis zum Ausland sowie zu Ausländern in dieser Form zu schreiben…“

    Wir hätten VOR der Abstimmung diskutieren müssen. Aber VOR der Abstimmung war ja scheint’s klar, dass es ein NEIN gibt – wozu also auch diskutieren …

    Zu den Bünzlis: Ich wage zu behaupten, dass es mittlerweile auch eine ganze Menge „nicht integrierter Schweizer“ gibt – auf die hört kein Mensch, denen trägt niemand Sorge, für die gibts keine Programme. Sondern den Satz: So ist die Welt nun mal. Und ich wäre froh, wenn auch das einmal zum Thema würde.

    Ich habe heute Morgen einmal mehr an einer Realschule gelesen (das sind jene Jugendlichen, deren Chancen auf Lehrstellen nicht gerade zum Besten stehen). Es tut weh, diese wirklich klasse Jugendlichen zu sehen und zu wissen, wie schwer sie es zum Teil haben werden. Beide. Schweizer und Ausländer. Wer kann da Eltern von solchen Kindern oder den Jugendlichen selber verübeln, dass sie Angst haben?

    Und seien wir ehrlich: Was haben wir (abgesehen von der SVP, die nur Schlagworte hat) für diese Menschen bis jetzt getan? Welche konkreten Massnahmen getroffen? Wie haben wir sie aufgefangen? Wie fangen wir sie auf? Wie motivieren wir sie?

    Es sind unter anderem diese Menschen, die mit der Faust im Sack, die ein JA in die Urne gelegt haben. Und denen nützt es einen Teufel und nichts, wenn wir, die es gut oder gar viel besser haben, mahnend den Zeigefinger heben und ihnen sagen, sie sollen gefälligst tolerant sein. So einfach ist das nicht.

    Es ist auch sonst nicht einfach: Ich kenne wunderbare Menschen, die ebenfalls ein Ja in die Urne gelegt haben. Sie hatten ihre Beweggründe. Sie alle in die Kategorie „intolerante Bünzlis“ abzuschieben, wird dem Problem nicht gerecht.

  8. Zitat Zappadong: «Wir hätten VOR der Abstimmung diskutieren müssen.»

    Ähm, Einspruch hoch drei! 🙂

    Einspruch 1: Wir hatten vor der Abstimmung ziemlich lang und breit diskutiert. Dabei ging es aber aus meiner Sicht um die Abgrenzung zwischen einer baurechtlichen und zugleich diskriminierenden Frage und dem «hineindichten» unzähliger anderer, gesellschaftlicher Problemen, die nichts mit dem ach so bösen Islam und schon gar nichts mit Machtsymbolen zu tun haben.

    Diese Abgrenzung haben 57 % der Stimmenden nicht gemacht, weil diese Vorlage Gelegenheit dafür bot, der so genannten «classe politique» eins auszuwischen für die unzähligen anderen gesellschaftlichen Problemen, welche bis anhin kaum jemand thematisierte und wenn, dann ohne konkrete oder praktikable Lösungen.

    Ich habe das aus meiner Sicht dringendste Problem, nämlich Ausländer/Zuzüger und unser Verhältnis zu ihnen oben thematisiert und zwar im allgemeinen Sinne, also ohne immer nur auf die Jugendlichen zu zielen. Oder haben wir etwa kein allgemeines Ausländer-/Überfremdungsproblem, sondern nur eines mit gewissen Jugendlichen? Wie steht’s denn mit den Integrationsbemühungen gegenüber den Eltern? Das bisherige «mehr Bildung» habe ich immer nur unter dem Kontext der Jugendlichen gehört… Nehmen wir Ausländer bei uns immer nur darum auf, weil wir hoffen, sie mögen irgendwann wieder zurückkehren und sollen sich sonst einbürgern lassen? Und was erwarten wir für einen Effort seitens Zuzüger?

    Einspruch 2: Ich habe oben den Begriff «Bünzli» als den Archetyp von Schweizer verstanden, den 08/15-Schweizer oder des «Füdlibürgers» und zwar als Kontrast zu einer ausländischen, uns fremden Kultur. Es gibt diesen Typen aber nicht. Wir sind alle verschieden und deshalb zielt dieser Begriff nicht auf die 57 % ab.

    Einspruch 3: «nicht integrierte Schweizer» – ich weiss zwar, was Du meinst, kann und will darauf aber keine pauschale Antwort geben. Du, die Zugang zu diesen Jugendlichen hast, kannst uns vielleicht die Hintergründe nennen, weshalb diese Jugendlichen «durch die Maschen unseres Leistungssystems» zu fallen drohen?

  9. Macht doch bitte nicht so ein Theater um die Minarette. Vor der Abstimmung war ich der Ansicht, ein Minarett sei eine Bereicherung der Landschaft (das Minarett in Konstanz gefällt mir jedes Mal, wenn ich vorbeifahre) und somit: Nein zur Initiative. A b e r: das Minarett von Konstanz und auch die von Zürich und Genf haben keine ausrufenden Muezzins. Und ich erinnerte mich an meinen längeren Aufenthalt in Alexandria, die krächzenden Laute aus miserablen Lautsprecheren morgens um 05.00 Uhr – meine entsprechenden Verwünschungen und dem Gedanken – das könne Gott sicherlich nicht gefallen, wenn er denn auch nur im entferntesten mit einem dem Menschen ähnlichen Musikvgehör ausgestattet wäre und stimmte – na ja – was stimmte ich denn: Ja zur Initiative

  10. Habe ich das richtig Verstand: Das war ein Ja zum Minarettverbot wegen der Gefahr krächzender Laute aus den Lautsprechern – oder habe ich das nun missverstanden?

    Falls ich das richtig verstanden habe, so ist das ein für mich bis anhin noch nie gehörter Grund. Die meisten Ja-Stimmenden dürften vermutlich auch kaum an die lausige Qualität der Lautsprecher gedacht haben…

  11. Pingback: Färbt sie röter!

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