Die westlichen Regierungen sind grösstenteils orientierungslos. Natürlich gibt das keine zu. Das liegt vielleicht auch daran, weil sie es selber noch gar nicht gemerkt haben…
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich eine Gesellschaftsordnung verfestigt, welche auf der Vermehrung des Kapitals beruht. Der Kampf gegen den «bösen» Kommunismus legitimierte jegliches Handeln, das zu einer Vermehrung des Kapitals führen sollte.
In der Politik hat man sich zunehmend darauf eingestellt, den «Nebenwirkungen» dieses Handelns entgegen zu wirken. So wurden beispielsweise Sozialwerke (weiter) auf- und ausgebaut.
Mit der aktuellen Wirtschafts-, Banken- oder Finanzkrise (sie hat viele Namen, diese Krise) hat sich jedoch gezeigt, dass das, woran man Jahrzehnte lang geglaubte hatte, im Kern einen Mangel hat. Es kann nicht uneingeschränkt immer mehr und noch mehr geben – ausser man nimmt den Zusammenbruch der aktuellen Gesellschaftsordnung in Kauf.
Das Pferd zügeln?
Letzteres hätte beispielsweise mit der Schweiz wegen der UBS geschehen können. Hätte man diese Bank untergehen lassen, hätte sie noch viele andere Unternehmen (nämlich deren Kunden) mit in den Abgrund gerissen. Das darf nicht sein. Darum galt die UBS als «too big to fail», als zu gross um fallengelassen zu werden – und wurde durch staatliche Mittel gestützt. Auch das darf nicht sein.
Nun muss man dem wilden Pferd «Kapitalismus», welches bisher so oft und so hoch hinaufspringen konnte, wie es wollte, Zügel anlegen, damit es sich und vor allem Andere nicht gefährdet.
Das verwirrt. Bisher hatte man sich an ihm orientiert. Es galt das Prinzip: Je höher und je öfter umso besser – und bitte immer noch etwas höher und noch etwas häufiger. Doch nun soll plötzlich nicht mehr gelten, was bisher galt. Das wilde Pferd soll «irgendwie» gezähmt werden, damit sich Fälle wie die UBS nicht wiederholen.
Wie oft und wie hoch darf oder soll es denn noch springen können und wer setzt den Massstab dafür?
Es herrscht Rat- und Orientierungslosigkeit, nicht zuletzt auch ob der Ernüchterung, dass das Pferd, auf das man Jahrzehnte lang gesetzt hatte, zu einem Problem geworden ist.
Veränderte Wirtschaftsstruktur
Die Orientierungslosigkeit hat aber noch ganz andere Gründe. So ist aufs Verhalten vieler Unternehmen kein Verlass mehr. Lange Zeit war das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Gesellschaft vom christlich geprägten Geben und Nehmen bestimmt. Dafür gab es auch noch «Patrons», welche dank ihrem sozialen Gewissen auch soziale Verantwortung wahrnahmen.
Heute erhält man zunehmend den Eindruck, dass es nur noch ein wirtschaftliches Nehmen von der Gesellschaft und ein gesellschaftliches Geben an die Wirtschaft gibt.
Die Eigentumsverhältnisse wie auch die Unternehmensführung sind insbesondere bei börsenkotierten Unternehmen nicht mehr so eindeutig wie früher. Entsprechende Veränderungen sind täglich möglich.
Worauf soll sich da die Gesellschaft und mit ihr vor allem die Politik einstellen, wenn das Gegenüber ständig wechselt und sich dieses Gegenüber aufgrund der hohen Fluktuationsrate kaum für etwas rechtfertigen muss?
Schliesslich gibt es auch noch einen weiteren Grund für die Orientierungslosigkeit. Es kommen heute nämlich zunehmend Fragen und Zweifel darüber auf, ob die alleinige Orientierung der Gesellschaft an der Wirtschaft und deren Werdegang überhaupt richtig ist.
Wirtschaft über alles?
In welche Richtung sollen denn Obama, Merkel, Sarkozy und Leuthard sonst das menschliche Streben lenken wenn nicht auf die Wirtschaft? Vielleicht auf eine Religion, welche irgendein Ziel wie Nächstenliebe oder «die Erleuchtung» anstrebt?
Gibt es vielleicht noch andere erstrebenswerte Dinge für eine Gesellschaft als nur die heutige Vermehrung der vorhandenen Mittel?
Wenn man die Entwicklung der letzten Jahrzehnte weiterdenkt (man könnte auch sagen «zu Ende denkt»), wird eine der nächsten Wirtschaftskrisen zu einem Zusammenfall unserer westlichen Gesellschaftsordnung führen. «Einzelfälle» wie Island und Griechenland könnten dann zu «Normalfällen» werden.
Es können noch so viele G-8-/G-15-/G-20-Gipfel stattfinden, um wieder einmal irgendeine Wirtschaftskrisenbewältigung zu betreiben. Was die Gesellschaft nicht braucht, ist das weiterhin fantasielose Setzen aufs bisherige, anfällig gewordene Pferd.
Was die Gesellschaft stattdessen mehr denn je braucht, sind andere, neue Perspektiven, welche nicht alleine aufs Vermehren fokussiert sind…
Was dafür zuallererst notwendig ist, sind gewichtige Politiker, die den Mut haben, öffentlich eine Diskussion über die heutige Wirtschaftsorientiertheit und mögliche Alternativen anzuregen. Denn eine der grössten Gefahren für unsere Gesellschaft sind Probleme, die weder aus- noch angesprochen werden.
Eine öffentliche, weltweite Debatte, die über Nebenschauplätze wie exzessive Managerlöhne, Boni und goldene Fallschirme hinausgeht, tut deshalb dringend Not!
Wow. Du schreibst mir aus der Seele. Ich habe viele deiner Gedanken auch schon einmal gemacht. Es ist aber schwierig diesen Dialog zu führen. Meiner Erfahrung nach sind viele Menschen in unserer Gesellschaft noch nicht bereit für diesen Dialog. Sie sind noch zu sehr im Wirtschaftsdenken drin und wollen oder können die Probleme nicht sehen. Ich hoffe, dass die Diskussion beginnt, bevor es zu spät ist.
Die «Globalisierung», welche auch als Synonym für diese Entwicklung steht, findet ja inzwischen nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern zum Beispiel auch auf informativer Ebene über anderen Kulturen statt.
Das scheint mir wichtig, denn dadurch werden Ansichten aus anderen Kulturen «salonfähig». Sie dürften so vielleicht dem einen odern anderen die Augen öffnen und vielleicht wenigstens teilweise zu einem Umdenken führen.
Mehr dazu im nächsten Beitrag (morgen Freitag).