Wallendes Blut

Bequem im Wohnzimmer sitzend lassen wir uns von den Medienberichten über die Unglücke der letzten Tage berieseln. Menschen werden dabei zu Nummern und das wirklich Wichtige, der Gedanke an die Betroffenen, geht vergessen.

Die Medienberichterstattung über die jüngsten Unglücke in Deutschland und der Schweiz hat in diesen Tagen einen Grad erreicht, welcher bei mir einfach nur Ekel auslöst. Das ist dann der Fall, wenn Unglücke zu eigentlichen Medienevents hochstilisiert werden.

Unsorgfältig und spekulativ

Möglichst schnell werden Nachrichten über das Unglück, dessen Entstehung und über die Anzahl Opfer veröffentlicht. Auf die Verlässlichkeit der Quellen wird nicht geachtet, Hauptsache es wird schnell etwas «abgedrückt».

Über die Anzahl Opfer wird «Bilanz» gezogen, schön aufgeteilt in die Kategorien «Tote» und «Verletzte», wobei es zu Letzterem auch noch die Unterkategorien «Schwerverletzte» und «Leichtverletzte» und die Sonderkategorie «noch immer in Lebensgefahr» gibt. Oftmals gehört zu dieser «Bilanz» auch noch die Nationalität.

Nachdem man anfänglich zahlreiche Informationen bequem vom Bürostuhl aus von diversen Websites abgekupfert hatte, wurden inzwischen die eigenen Leute losgeschickt und berichtet nun «live vor Ort», mit dem Ort des Geschehens im Hintergrund. Dort holt man noch ein paar Stimmen von Betroffenen ein, je emotionaler umso besser.

Und noch bevor alle geborgen und verarztet sind – so mein Eindruck – stellt man schon die Frage nach der Ursache, die Frage nach dem Warum und dem «Wie konnte es überhaupt soweit kommen?».

Die Ursachen-Frage wird ungeduldig gestellt und die Fragenden sind schon fast erbost, wenn keine Ursache genannt wird. Darum versuchen sie, von so genannten «Experten» irgendwelche Thesen zu entlocken, auch indem die unkundigen schnellen Reporter eigene abstruse Thesen einbringen.

«Wer ist schuld?!»

Man erhält den Eindruck, dass nicht die Untersuchungsbehörden, sondern die Medien die Ursachen aufzuklären hätten. Und den Namen der Untersuchungsbehörde – das sind übrigens die echten Experten, von denen es nur sehr wenige gibt – den muss man vom Blatt ablesen…

Immerhin wird bei diesem Fragen-Antworten-Spiel der Stoff geliefert, um in den folgenden Tagen weiter spekulativ an möglichen Ursachen herumzuwerkeln – zumindest so lange, wie das Thema auch das Hauptthema bleibt. Die tatsächlichen Ursachen erfahren wir dann in ein, zwei Sätzen einige Wochen oder Monate später…

Schliesslich haben sich einige Medien auch auf die Stirn geschrieben, einen Schuldigen zu finden und – wenn ein solcher ausgemacht wurde – ihn dann auf ihre Weise anzuklagen. Einen Schuldigen muss es einfach immer geben, alles andere kann und darf es medial nicht geben. Die Öffentlichkeit (das sind übrigens wir) verlangt schliesslich danach (meinen nicht wir, sondern die Medienschaffenden).

Kaum sind alle Toten identifiziert und kaum wurden den Verletzten zum ersten Mal die Verbände gewechselt – und weil man bis anhin selber auch noch keine überzeugende Ursache und einen Schuldigen gefunden hat – bekommt man schon fast vorwurfsvoll zu hören, dass die Ursache noch immer nicht gefunden worden sei.

Etwa zur gleichen Zeit berichtet man darüber, wie andere Medien, vor allem ausländische, über das Unglück berichteten. Ist doch gut zu wissen, wo «wir» in den Schlagzeilen sind, nicht wahr?

Voll daneben

Je nach Situation stellt man gleichzeitig mit der Ursachen-Frage auch noch die Frage der wirtschaftlichen Folgen. Da beklagen einige Familien eine verstorbene Person oder bangen um den Gesundheitszustand eines verletzten Angehörigen – und der Medienmeute vor Ort fällt nichts Dümmeres ein – pardon für die Ausdrucksweise – als diese Frage zu stellen.

Darum hätte ich der SF-Korrespondentin Silvia Graber durch den Bildschirm am liebsten eine Ohrfeige erteilt, als sie noch am Abend des Glacier Express-Unglücks den Walliser Tourismus-Direktor nach den wirtschaftlichen Folgen in der «touristischen Hochsaison» befragte:

So etwas nenne ich pietätlos.

Wer war übrigens die verstorbene Japanerin? War sie verheiratet? Hinterlässt sie Ehemann und Kinder? Und wie steht es mit den über 40 Verletzten? Oder interessiert das nicht, weil es ja «nur Japaner» sind?

Dieses Ereignis hatte immerhin dazu geführt, dass das Schweizerische Rote Kreuz dringend um Blutspenden bittet, da ansonsten die Bestände an Blutkonserven knapp werden könnten.

Darüber hatte wenigstens die «Tagesschau» einmalig darüber berichtet – das Thema ist aber bereits nicht mehr aktuell. Bei anderen Medien ist die Botschaft offensichtlich überhaupt nicht angekommen.

Darum an dieser Stelle nochmals: Gehen Sie Blut spenden, denn der nächste Unfall kommt bestimmt. Dieser könnte auch Sie betreffen und dann werden Sie froh sein, wenn ausreichend Blut vorhanden ist… Und im gegenteiligen Fall, das hoffe ich natürlich für Sie, leisten Sie damit einen wichtigen Beitrag für zukünftig Betroffene.

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2 Antworten auf „Wallendes Blut“

  1. …wobei ja schon pietätlos ist, dass man so ein Video überhaupt auf YouTube hochlädt. Was Würde vor den Opfern und Respekt vor den Angehörigen ist, scheinen viele gar nicht (mehr) zu kennen… 🙁

    Ich komme zu den Ereignissen in Duisburg noch in zwei separaten Beiträgen zurück (allerdings nicht bezüglich Medienberichterstattung auch nicht bezüglich der Schuld-Frage).

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