Sommerkrimi: «Nebel über Seenried» (2)

Die missglückte Übergabe

Montag, 27. April 2009

Mühlemanns Telefon klingelt. Das Display seines Apparats zeigt keine Nummer an. Der Anrufende scheint die Rufnummer-Unterdrückung aktiviert zu haben.

Kaum hat er den Hörer abgenommen, hört er im Hintergrund auch schon bruchstückhaft die Lautsprecher-Durchsagen irgendeines Bahnhofs. Das lässt ihn nichts Gutes ahnen…

«5418 am Apparat», meldet er sich, auch wenn er hierarchisch immerhin auf Stufe 3 steht. Beim Nachrichtendienst des Bundes, kurz NDB genannt, melden sich ausser den offiziellen Vertretern alle nur mit den letzten vier Ziffern der Rufnummer. Man weiss ja schliesslich nie, wer am anderen Ende sitzt…

«Hier A-312!», schreit es vom anderen Ende. Auch die Personen im «Aussendienst» melden sich jeweils nur in pseudonymisierter Form.

«Wir haben ‚die Bank’ verloren», hört Mühlemann sein Gegenüber. Er weiss sofort, worum es geht, denn der Codename war seine Idee. Und es geht nicht bloss um eine Bank.

«Wasss?!», zischt er in den Hörer.

«Wir haben ‚die Bank’ verloren!», wiederholt sich A-312.

«Wie konnte das passieren?!», schreit Mühlemann sofort zurück und blickt zur schalldichten Tür um sicher zu gehen, dass sie auch ja geschlossen ist.

«Bei der Übergabe glitt ‚die Bank’ ab und rutschte in eine andere offene Tasche», erklärt sich der Aussenmann gegenüber «5418».

«Wissen Sie in wessen Tasche?»

«Ich glaube ja», kam die unsichere Antwort zurück.

«Na dann hinterher!», brüllt Mühlemann in die Telefonmuschel und fügt noch hinzu: «Und meldet Euch wieder, sobald Ihr Neuigkeiten habt». Dann knallt er den Hörer zurück auf die übliche Position.

Er schüttelt anfänglich noch den Kopf. Doch schon bald wird er bleich und es bilden sich Schweisstropfen auf seiner Stirn, denn es geht nun um mehr als ein Jahr harte Arbeit, verbunden mit unzähligen Überstunden.

Offiziell steht er vier Wochen vor dem Abschluss seiner Arbeit, welche «von ganz oben», vom Sicherheitsausschuss des Bundesrats, geordert wurde. Unterschrieben war der Auftrag nicht bloss von zwei, der Mehrheit, sondern gleich von allen drei Bundesräten des Ausschusses: Holzer, Bodmer-Schlup und Palmy-Gey. Man war sich also für einmal einig, dachte Mühlemann für sich, als ihm der Auftrag anvertraut wurde.

Nicht die Existenz seiner Arbeit lässt ihn nun erbleichen. Sie darf existieren, was auch nicht immer selbstverständlich ist. Auch nicht der Umstand, dass er inoffiziell seine Arbeit schon vor zwei Wochen abgeschlossen und seinen Vorgesetzten über dessen tatsächlichen Abschluss angelogen hatte, hat sein Gesicht erbleichen lassen.

Vielmehr handelte Mühlemann in Eigenregie. Zwei seiner Unterstellten, A-312 und A-313, hatte er die Operation «Schützenfest» vorgetäuscht, welche es offiziell gar nicht gibt, was die beiden aber nicht wissen. Sie sollten vielmehr einem alten Schulfreund Mühlemanns jene einjährige Arbeit zukommen lassen, welche theoretisch noch nicht abgeschlossen ist und über welche nur der Sicherheitsausschuss sowie einige wenige Personen des NDB etwas erfahren dürfen.

Ein Freundschaftsdienst hätte es sein sollen. An einem regnerischen Sonntagabend im März des vorigen Jahres sprach ihn Habermacher, sein alter Schulfreund, erstmals darauf an. Sie sassen im Keller von Habermachers grosszügigem Einfamilienhaus, welcher der Hausherr schon vor Jahren zu einer Bar umfunktioniert hatte.

In dieser privaten Bar wurden schon viele «Seilschaften» geknüpft, denn Habermacher ist – mit Ausnahme seiner gescheiterten Ehe – ein erfolgreicher Mann. Sein Bauunternehmen hat in der Region rund um Seenried quasi ein Monopol.

Ebenso ist er nicht nur Präsident des örtlichen Schützenvereins – nebst der Damen- und der Herrenriege der dritte vor Ort vorhandene Verein – sondern auch Präsident der Ortspartie der SKP, der Schweizerisch-Konservativen Partei.

Als Präsident der grössten Partei in Seenried führt fast kein Weg an ihm vorbei. So war auch er der OK-Präsident, als vor drei Jahren das fünfhundertjährige Bestehen von Seenried gefeiert wurde. Und natürlich präsidierte er auch die Baukommission, als vor fünf Jahren die Turnhalle erneuert werden musste.

Demgegenüber kann Mühlemann nichts vorweisen. Zwar spielt er beim NDB eine wichtige Rolle. Doch diese Rolle erlaubt es ihm nicht, sich privat so zu exponieren wie sein Jugendfreund.

Darum hätte er Habermacher nur zu gerne einmal einen bedeutenden Freundschaftsdienst erwiesen, um so zu verdeutlichen, dass auch er jemand ist. Den seinerzeit spasseshalber geäusserten «Wunsch» hätte Mühlemann nicht erfüllen können. Das wusste insgeheim auch Habermacher.

Doch der Zufall wollte es, dass ausgerechnet auf dem Tisch von Mühlemann der Auftrag des Sicherheitspolitischen Ausschusses landete, welcher genau in die gleiche Richtung zielte wie Habermachers Wunsch. So könnte er zwei Fliegen auf einen Streich erschlagen – und bei Habermacher auf seine Weise grossen Eindruck hinterlassen.

Er, Mühlemann, wollte das Resultat seiner einjährigen Arbeit nicht selber überbringen. Nur zu genau wusste er, dass jeder beim NDB sporadisch überwacht wurde. Da wollte er nichts riskieren. Und Habermacher hätte auch so gewusst, von wem diese Arbeit stammen würde, egal wer sie ihm überbringt.

Doch nun war dieser Freundschaftsdienst Mühlemanns geringste Sorge. Die Sache droht aus dem Ruder zu laufen. Er wischt sich den Schweiss von der Stirn ab und starrt gebannt aufs Telefon, immer in der Hoffnung, es möge bald ein befreiender Anruf folgen, wonach «die Bank» wieder in sicheren Händen sei.

Teil 3: «Der merkwürdige Auftrag».

Über diesen Beitrag

Währenddem in der Augenreiberei normalerweise Tatsachen dominieren, ist «Nebel über Seenried» für einmal eine erfundene Geschichte – ohne Anspruch auf einen literarischen Höhenflug, dafür aber mit einem kräftigen Augenzwinkern.

Die Geschichte stützt sich auf die hier via Kommentarfunktion mitgeteilten Ideen sowie auf gewisse wahre Begebenheiten ab. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind teilweise fliessend.

Alle Personen sowie die Ortschaft «Seenried» sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder mit «Seenried» können nicht ausgeschlossen werden… 😉

Einen Überblick über die verschiedenen Personen und Organisationen liefert diese Seite.

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