Unerwartete Besuche
Donnerstag, 28. Mai 2009
Hürlimann hat es sich nach seinem «Ausflug» heute Nachmittag nach Seenried in seinem alten, zu einem Wohnzimmer umfunktionierten Wohn- und Schlafzimmer gemütlich gemacht und schaut seit langem wieder einmal fern. So richtig bekommt er nicht mit, was über die Mattscheibe flimmert. Er ist noch zu sehr in Gedanken über seine Befragung von Habermacher versunken.
Da holt ihn das Klingeln seines Telefons aus den Gedanken. Er blickt auf die Uhr: Neunzehn Uhr. «Wer könnte das noch sein?», fragt er sich.
Er eilt zum Telefon, doch zu spät: Bereits ist der Telefonbeantworter angesprungen, den er nicht unterbrechen kann – oder nicht weiss, wie er ihn unterbrechen könnte, um den Anruf trotzdem noch entgegennehmen zu können.
Augenblicklich erschreckt er ob der Nachricht, die ihm hinterlassen wird: «Sie waren wieder hier!», hört er eine männliche Stimme halbwegs weinend, halbwegs schreiend. «Was haben Sie bloss getan!?», hört er die gleiche Stimme nochmals vorwurfsvoll an seine Adresse gerichet, bevor ein Knacken ihm verrät, dass der Anrufende soeben aufgelegt hat.
Hürlimann weiss auch ohne Namen, dass es Benjamin Luginbühl ist. Er stellt den Fernseher ab und macht sich mit seinem alten Volvo sofort auf den Weg nach Lyss.
«Verdammt», denkt er auf dem Hinweg vorwurfsvoll. «Ich habe schlafende Löwen geweckt, aber was zum Teufel suchen ‚die’ erneut bei Luginbühl?»
Als er eintrifft, scheint sich die Lage etwas beruhigt zu haben. Ein Mann, vermutlich vom Schlüsselservice, dessen Wagen er vor dem Haus gesehen hatte, flickt die offensichtlich aufgebrochene Wohnungstüre von Luginbühl.
Luginbühl selber sitzt am Tisch, sein Kopf in die Arme vergraben. Hürlimann begrüsst den Handwerker, klingelt aber nicht, sondern setzt sich direkt zu Luginbühl.
«Was ist passiert?», fragt der beunruhigte Ermittler trotzdem mit ruhiger Stimme.
«‚Die’ haben die Türe aufgebrochen und wieder etwas gesucht. Einige Schubladen standen offen. Zwei, drei Dinge lagen auf dem Boden.»
Hürlimann runzelt die Stirn. «Nicht mehr?»
«Nein, nicht mehr. ‚Die’ kennen inzwischen ja meine Sache», scherzt der junge Mann trotz verweinten, roten Augen, was ihm prompt auch selber wieder ein Lächeln hervorzaubert.
«Und Ihre Visitenkarte ist weg. Auf jeden Fall habe ich sie nicht gefunden, als ich Sie anrufen wollte und musste daher bei der Auskunft nachfragen».
«Meine Visitenkarte?», wundert sich Hürlimann, bevor sein Gesicht erbleicht, als ob er einen Geist gesehen hätte.
«Was ist?», will nun Luginbühl wissen.
«Die suchen nach mir!», ruft Hürlimann, steht auf, wendet sich zur Tür, dreht sich nochmals und sagt schon fast in väterlichem Ton und per Du: «Benjamin, es tut mir Leid. Wenn das alles vorbei ist, werde ich Dir alles erklären».
Kaum gesagt, huscht Hürlimann die Treppe hinunter, steigt in sein Auto und fährt sofort los. Heute ist so ein Tag, denkt er für sich, da wünschte er sich ein schnelleres Auto. Jede Minute auf dem Weg in sein Büro kommt ihm doppelt so lange vor.
Doch schliesslich erreicht er sein Ziel. Noch währenddem er die letzte Treppe hochsteigt, sieht er die Türe zu seinem Büro weit offen stehen. Der Boden ist übersäht mit allerlei Gegenständen, welche er ansonsten fein säuberlich irgendwo versorgt hatte. Er kommt zu spät.
Kaum hat er sein Büro – oder das, was von ihm noch übrig ist – betreten, wird ihm schwarz vor Augen…
Teil 10: «Notruf beim NDB».
Über diesen Beitrag
Währenddem in der Augenreiberei normalerweise Tatsachen dominieren, ist «Nebel über Seenried» für einmal eine erfundene Geschichte – ohne Anspruch auf einen literarischen Höhenflug, dafür aber mit einem kräftigen Augenzwinkern. Die Geschichte stützt sich auf die hier via Kommentarfunktion mitgeteilten Ideen sowie auf gewisse wahre Begebenheiten ab. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind teilweise fliessend. Alle Personen sowie die Ortschaft «Seenried» sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder mit «Seenried» können nicht ausgeschlossen werden… 😉 Einen Überblick über die verschiedenen Personen und Organisationen liefert diese Seite. |