Kiffen und saufen aus Spass

Alkohol-, Tabak- und Cannabiskonsum bei Jugendlichen ist ein zu wichtiges Thema um es bei einigen statistischen Werten bewenden zu lassen und zur Tagesordnung zurückzukehren. Oder ist man etwa gar nicht an Problemlösungen interessiert?

Letzte Woche berichteten verschiedene Medien über die HBSC-Studie der Sucht Info Schweiz zum Suchtverhalten der Schweizer Jugendlichen. Und sie berichteten alle wortwörtlich fast das Gleiche.

Überall das Gleiche

Hier ein Auszug aus den verschiedenen Medien:

NZZ 20 Minuten Blick SF Tagesschau (online)
Nach wie vor konsumierten die befragten Jugendlichen viele Suchtmittel, teilte Sucht Info Schweiz am Dienstag anlässlich einer in Bern veröffentlichten Schülerstudie mit. Nach wie vor konsumierten die befragten Jugendlichen viele Suchtmittel, stellten die Vertreter von Sucht Info Schweiz am Dienstag anlässlich der in Bern präsentierten Schülerstudie fest. Nach wie vor konsumierten die befragten Jugendlichen viele Suchtmittel, stellten die Vertreter von Sucht Info Schweiz am Dienstag anlässlich der in Bern präsentierten Schülerstudie fest. Nach wie vor greifen Schweizer Jugendliche ausgiebig zu Flasche und Zigarette: Der Konsum von Alkohol, Tabak und Cannabis unter den 15-Jährigen ist im letzten Jahr nur unmerklich gesunken. (…) Das teilte «Sucht Info Schweiz» anlässlich einer in Bern präsentierten Schülerstudie mit.
Die Jugendlichen tranken im Jahr 2010 – wie schon bei der Befragung vor vier Jahren – etwas weniger Alkohol und rauchten weniger Cannabis als im Rekordjahr 2002. Seit einem Jahrzehnt rückläufig ist das Rauchen, heisst es in der Mitteilung. Die befragten 15-Jährigen tranken im Jahr 2010 – wie schon bei der Befragung vor vier Jahren – etwas weniger Alkohol und rauchten weniger Cannabis als im Rekordjahr 2002. Seit einem Jahrzehnt rückläufig ist das Rauchen. Die befragten 15-Jährigen tranken im Jahr 2010 – wie schon bei der Befragung vor vier Jahren – etwas weniger Alkohol und rauchten weniger Cannabis als im Rekordjahr 2002. Seit einem Jahrzehnt rückläufig ist das Rauchen. Die Jugendlichen tranken im Jahr 2010 – wie schon bei der Befragung vor vier Jahren – etwas weniger Alkohol und rauchten weniger Cannabis als im Rekordjahr 2002. Seit einem Jahrzehnt rückläufig ist das Rauchen, heisst es in der Mitteilung.

 

Masslos statt massvoll

Was dann weiter folgt, ist das Herunterleiern der ebenso immer gleichen Prozentzahlen, welche wohl alle der gleichen SDA-Nachrichtenagenturmeldung entnommen wurden.

Nebst dem Copy-Paste-Griff bestand die grösste Herausforderung für die jeweiligen Redaktionen im Setzen eines Titels. Doch auch das zeugte nicht gerade von einer Meisterleistung:

NZZ «Jugendliche trinken und rauchen nach wie vor viel»
20 Minuten «Saufen, kiffen, abstürzen»
Blick «Jugendliche trinken nach wie vor viel»
SF Tagesschau (online) «’Einer geht noch rein‘ – mehr jugendliche Rauschtrinker»
Original-Medienmitteilung «Neue Schülerbefragung: Alkohol-, Tabak- und Cannabiskonsum nach wie vor auf hohem Niveau»
Original-SDA-Meldung ???

 

Zum «20 Minuten»: Von «abstürzen» ist im 71-seitigen Studienbericht nirgendwo die Rede. Das wurde hinzugedichtet, weil es halt eben so schön zum Saufen und Kiffen passt, nicht wahr…?

Auch «SF Tagesschau (online)» hat ziemlich neben die Tasten gegriffen: Nirgendwo ist die Rede von mehr jugendlichen Rauschtrinkern. Hätte man sich nur schon die Mühe gemacht, wenigstens die Zusammenfassung zu lesen, hätte man lesen können:

Diese Werte in Bezug auf die mehrmalige Trunkenheit sind im Vergleich zu 2006 ungefähr stabil geblieben

Da die NZZ und der Blick einen fast gleich lautenden Titel verwendeten, haben sie sich höchstwahrscheinlich auf den Original-Titel der SDA-Meldung bezogen und letztere wiederum auf die Original-Medienmitteilung der Stiftung «Sucht Info Schweiz».

Zu unkritische Haltung

Von einer Stiftung, die vor allem «Probleme verhüten (will), die aus dem Konsum von Alkohol und anderen psychoaktiven Substanzen hervorgehen», ist es nicht erstaunlich zu hören, dass der Konsum der fraglichen drei Genussmittel «auf hohem Niveau» sei.

Sie würde sich ja selber um ihre Seinsberechtigung bringen, würde sie diesen Konsum nicht als «hoch» einstufen – egal wie hoch er von unabhängigen Dritten eingestuft wird. Darum wäre es angebracht gewesen, die Aussage «auf hohem Niveau» zu hinterfragen.

Ebenso hätte hinterfragt werden dürfen, wie sinnvoll es ist, zu allen Genussmitteln nach dem Konsum der letzten 30 Tage vor der Befragung zu fragen. Denn: Es blieb der Lehrerschaft überlassen, wann sie zwischen Januar und April 2010 die Fragebogen während einer Schullektion verteilte.

Sollte dies beispielsweise im Januar 2010 stattgefunden haben, dann fielen diese 30 Tage vor der Befragung auf die Weihnachtstage – und auf Silvester. Landauf landab werden wohl nie so viele Genussmittel konsumiert wie während den Festtagen.

Nicht zuletzt weil keine Schule stattfindet und des Familienfriedens wegen dürften wohl auch viele Eltern es an diesen Tagen etwas legerer sehen, wenn ihr Nachwuchs auch ein oder zwei Gläschen Wein konsumiert oder frühmorgens «etwas angeheitert» von der Silvester-Party zurückkommt – sofern es die selber angeheiterten Eltern überhaupt mitbekommen…

Die Studie sagt nichts darüber aus, wann die Mehrheit der Befragungen stattgefunden hatte. Sie jedoch im Januar zuzulassen ist – mit Verlaub – aus den genannten Gründen einer der dümmsten Momente.

Genauso fragwürdig wäre es gewesen, nach dem Alkohol-, Tabak- oder Cannabiskonsum der letzten 30 Tage vor der Befragung unmittelbar nach den grossen Sommerferien zu fragen. Selten sind die Jugendlichen so flügge und selten wissen die Eltern in diesen Wochen gar nicht, wo sich ihre Kinder aufhalten und was sie gerade machen.

Oder auf den Punkt gebracht: Wenn die Frage nach dem Konsumverhalten der letzten 30 Tage repräsentativ sein soll, dann ist sie aufs ganze Jahr verteilt zu stellen. Alles andere führt nur zu einer Verzerrung aufgrund von saisonalen «Ereignissen».

Nur noch Spass dank Alkohol und Joints (?)

So etwas wie eben den Befragungszeitraum stellt aber niemand in Frage. Einige Medien schafften es ja nicht einmal, einen Titel zu setzen, welcher der Sache gerecht wurde.

Nein, hier geht es eigentlich nicht darum, unsere ach so tolle Medienvielfalt mit den angeblich selten so gut ausgebildeten Journalisten an den Pranger zu stellen. Hier geht es darum, dass sämtliche Belange betreffend Kleinkinder einen sehr hohen Stellenwert haben und medial «ausgeschlachtet» werden, währenddem bei den schon etwas älteren Jugendlichen niemand nach den Gründen des angeblich hohen Genussmittel-Konsums fragt.

Diese Gründe gibt es nämlich und sie können auch aus der fraglichen Studie entnommen werden:

(Quelle: Sucht Info Schweiz)

 

Auch bezüglich Cannabis-Konsum gibt die Studie Antwort zu den Beweggründen:

(Quelle: Sucht Info Schweiz)

 

Erstaunlich – oder auch nicht – ist bei beiden, dass es vielen um den reinen Spass-Faktor geht. Oder anders ausgedrückt: Es liegt die Vermutung nahe, dass die befragten Jugendlichen keinen Spass mehr haben können, wenn nicht Alkohol fliesst oder Joints herumgereicht werden.

Und was tun wir dagegen?

Altbackene Rezepte

Sucht Info Schweiz fordert «ein Verbot der Lifestyle-Werbung für Alkohol». Weiter soll die Abgabe von Alkohol und Tabak noch besser überwacht werden. Zudem soll für Tabakwaren eine schweizweit und nicht mehr bloss eine kantonal geregelte Altersgrenze gelten.

Das sind klassische Massnahmen, die wenig bringen werden. Das Gleiche zu konsumieren, das auch andere Gleichaltrige konsumieren, hat die grössere Wirkung als etwas zu konsumieren, das einem die Lifestyle-Werbung verspricht.

Zudem wird die Altersgrenze für Alkohol und Tabak heute schon relativ gut durchgesetzt. Es wäre falsch zu glauben, dass ein absolut durchgesetztes Verkaufsverbot hier wesentlich zu einer Veränderung des Konsumverhaltens führen würde. Die Jugendlichen wissen ganz genau, wie sie zu Alkohol oder Tabak gelangen – trotz heute bereits bestehendem Verbot.

Das zeigt sich besonders deutlich auch beim Cannabis, welches heute kategorisch für alle verboten ist, für welches es keine Werbung gibt und welches man nicht beim Kiosk um die Ecke kaufen kann. Trotzdem haben nahezu 30 Prozent der 15-Jährigen schon einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. Das sind erstaunlich viele für etwas, das es gar nicht geben dürfte…

Verbote sind auch deshalb ein schlechter Ratgeber, weil sie immer den Reiz des Verbotenen wecken. Sinnvoller wäre wohl eher, sich mit diesen Genussmitteln auseinanderzusetzen. Das beginnt bei sich zu Hause in der Familie.

Hierzu liefert die gleiche Studie, allerdings von 2006, interessante Antworten:

(Quelle: Sucht Info Schweiz)

Wie das Beispiel oben zeigt, sinkt der Alkohol-, Tabak- oder Cannabiskonsum bei den 15-Jährigen massiv, wenn die Eltern über das Freizeitverhalten des eigenen Nachwuchses Bescheid wissen.

Nicht ganz so stark verändert sich das Verhalten der 15-Jährigen je nach «Stressfaktor», wie ein weiteres Beispiel aus den 2006-Resultaten zeigt:

(Quelle: Sucht Info Schweiz)

Weniger Schlagzeilen, dafür mehr Hintergründe

Es gäbe also durchwegs Ansätze, fernab irgendwelcher Verbote den Konsum von Genussmitteln bei den Jugendlichen zu reduzieren – wenn man am richtigen Ort ansetzen würde. Dazu gehört auch die Frage, wie die Jugendlichen (wieder) Spass haben können ohne gleich besoffen oder bekifft sein zu müssen.

Vielleicht wäre schon viel damit getan, nicht nur bloss über Zahlen saufender, kiffender und vermeintlich abstürzender Jugendliche zu berichten, sondern auch über die Hintergründe dieses frühzeitigen Genussmittel-Konsums.

2 Antworten auf „Kiffen und saufen aus Spass“

  1. Die 53% Mädchen, die «zur Aufmunterung» bzw. 42% «um Probleme zu vergessen» Cannabis konsumieren, finde ich ganz schön erschreckend.
    Eigentlich finde ich fast alle Gründe erschreckend – es wäre wirklich mal angebacht, die Hintergründe etwas näher zu beleuchten.
    Beispielsweise welche «Probleme» vergessen werden wollen…

  2. @ Mia
    Naja, früher trank man, um die zurückliegenden Probleme zu vergessen, heute trinkt man, um die vor einem liegenden Probleme zu vergessen… 😉

    Im Ernst: Man muss bei den Gründen natürlich auch die Häufigkeit berücksichtigen. Wenn die einmal im Jahr auf eine „Riesen-Party“ gehen und dabei halt noch in einer dunklen Ecke einen Joint mit-rauchen, ist das etwas anderes als wenn sie es wöchtenlich machen.

    Das ist eben das Gefährliche an solchen Statistiken: Man muss genau hinschauen. Darum hätte ich beispielsweise auch gerne die gestellten Fragen nachgelesen, sie stehen allerdings nicht zur Verfügung.

    Wenn beispielsweise bei einer Statistik über Gewalt unter Jugendlichen nach Nasenbluten gefragt wird (den Fall hatten wir hier schon einmal) und das dann statistisch unter „Körperverletzung“ auftaucht, mag das zwar seine Richtigkeit haben. Aber unter „Körperverletzung“ versteht der Volksmund normalerweise Gravierenderes als „bloss“ ein Nasenbluten.

    Bei den Zahlen oben geht es mir ähnlich: Ich bin mir nicht so sicher, wie „dramatisch“ die Situation tatsächlich ist. Nicht dass ich hier etwas verniedlichen wollte. Aber es tut der Sache nicht gut, wenn man bei der Bekämpfung dieser Verhaltensweisen in Extreme verfällt nur weil man glaubt, das Ganze wäre dramatisch.

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