Eile in Libyen, Weile in Palästina

Die so genannte internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, senden in Sachen Libyen und Palästina widersprüchliche Signale aus. Das hat wohl milliardenschwere Gründe…

Gaddafi ist weg. Zumindest auf dem internationalen Parkett, namentlich in der UNO, hat er nun definitiv nichts mehr zu sagen. Das ging schnell. Verdammt schnell. Rund vierzig Jahre Knechtschaft, dann «nur» sechs Monate Kampf gegen den libyschen Tyrannen und – noch haben die Aufständischen nicht die Hoheit über sämtliche Gebiete in Libyen – schon vertritt Libyen in der UNO ein nicht demokratisch legitimierter Übergangsrat.

Mut und Wille – von Fall zu Fall

Der US-Präsident Barack Obama lieferte am vergangenen Dienstag die folgende Erklärung:

Tagesschau vom 20.09.2011

Halten wir fest, was er (sinngemäss übersetzt) sagte:

Es gab Zeiten, in denen die Welt hätte handeln können und müssen um die Tötung Unschuldiger in so grossem Ausmass zu verhindern. Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal haben wir durch die Vereinten Nationen den Mut und den Willen zu handeln.

Nur vierundzwanzig Stunden später war dann von Friedensnobelpreisträger Obama zur Frage einer vollen UNO-Mitgliedschaft für Palästina Folgendes zu hören:

Tagesschau vom 21.09.2011

Halten wir auch hierzu sinngemäss fest, was er sagte:

  • Palästinenser und Israeli müssten sich zu erst einigen werden und alle Gräben überwinden.
  • Viele, auch er, seien frustriert über den fehlenden Fortschritt.
  • Es gäbe keine Abkürzung um den Jahrzehnte alten Konflikt zu beenden. Frieden sei harte Arbeit.
  • Frieden gäbe es nicht durch UNO-Resolutionen, sondern nur durch Kompromisse was Sicherheit, Grenzen oder Flüchtlinge betreffe.
  • Die USA würden das Veto gegen einen Antrag seitens der Palästinenser für eine UNO-Vollmitgliedschaft einlegen.

Von «Frieden sei harte Arbeit» oder «es gäbe keine Abkürzung» zu sprechen, dürfte in den Augen und Ohren der Palästinenser als pure Verhöhnung angekommen sein. Vor allem aber: Wo ist denn hier der Mut und Wille zu handeln, wie er bei Libyen vorhanden war?

Unterstützung von aussen

Auch wenn sich die Situationen in Libyen und Palästina nicht vergleichen lassen, ist es doch frappant, wie unterschiedlich die so genannte «internationale Gemeinschaft» bei der Frage der Anerkennung eines Staates und deren Repräsentanten reagiert. Diese internationale Gemeinschaft ist keine anonyme Masse. Zu ihr gehören auch die USA, welche sich in vielen anderen Fällen auch nicht zieren, klar Position zu allerlei internationalen Angelegenheiten zu beziehen.

Die Palästinenser kämpfen nun schon seit mindestens 60 Jahren mit unterschiedlichen Mitteln für ihre Unabhängigkeit und sind dabei bis heute auf keinen grünen Zweig gelangt. Sie bitten nun um internationale Anerkennung und erhalten – ganz im Gegensatz zu den libyschen Aufständische – die Antwort: Sorgt erst mit Eurem Konfliktpartner für Einigkeit, dann schauen wir weiter.

Das ist ein Widerspruch in sich, denn wenn zwischen Israelis und Palästinensern Einigkeit bestünde, würde die internationale Gemeinschaft nicht von einer der beiden Konfliktpartei angerufen. Zudem sind auch diese Worte eine Verhöhnung pur, denn in den vergangenen 60 Jahren wurde ja nicht nichts unternommen, um sich einig zu werden.

Genauso zu verstehen sind auch jene Stimmen, welche meinen, die Palästinenser wären noch nicht bereit für einen eigenen Staat. Wann sind sie es dann? Wie lange soll noch zugewartet werden, bis die schon vor bald zwanzig Jahren beschlossene Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt werden soll?

Hätte diese internationale Gemeinschaft bei Libyen ähnlich reagiert wie nun jüngst Obama in Sachen UNO-Vollmitgliedschaft von Palästina, dann wären Gaddafi und die Aufständischen wohl heute noch am Verhandeln, weil sie sich nicht einig werden können. Dass es in Libyen überhaupt zu einem Machtwechsel kam, ist auch der Unterstützung von aussen auf militärischer und diplomatischer Ebene zu verdanken.

Nach 60 Jahren fruchtlosen Bemühungen im Nahost-Konflikt sollte sich diese internationale Gemeinschaft langsam bewusst sein, dass es offensichtlich keine Lösung gibt, solange nicht ebenfalls von aussen nachgeholfen wird, schliesslich ist die internationale Gemeinschaft an diesem Konflikt nicht ganz unschuldig.

Zudem geht gelegentlich vergessen, dass heute schon (einseitig) von aussen nachgeholfen wird, damit Israel – umgeben von arabischen Ländern – sich überhaupt halten kann. Für einen dauerhaften Frieden ist eine militärische Dominanz eine schlechte Basis, weil es eben auch einer Drohgebärde gleichkommt. Man kann nicht mit der rechte Hand eine neue Freundschaft mit den arabischen Ländern besiegeln, währenddem die linke Hand eine (amerikanische) Waffe hinter dem Rücken hält…

Fehlendes Schmiermittel

Dass die internationale Gemeinschaft im einen Fall so klar und schnell Position bezog, im anderen aber über Jahrzehnte kaum etwas vorwärts geht, hat wohl stark mit Gaddafis Charakter und den libyschen Rohstoffen zu tun.

Zur Erinnerung: Im Zuge der Affäre um die Verhaftung Hannibal Gaddafis liess dessen Vater die Erdöllieferungen über die Pipeline von Genua zur Raffinerie im Walliser Collombey einstellen. Damit manifestierte sich für die westliche Welt einmal mehr, wie unberechenbar Gaddafi ist. Dabei ist Libyen einer der wichtigsten Erdöllieferanten für Europa.

Der Aufstand in Libyen ab Mitte Februar diesen Jahres kam in doppeltem Sinne gerade rechtzeitig. Erstens konnte so ein Unsicherheitsfaktor eliminiert werden, was zuverlässige Erdöl- und Ergas-Lieferungen anbelangt.

Und zweitens neigte sich der Winter in Europa dem Ende zu. Würden wegen Kampfhandlungen Teile der Infrastruktur für Erdöl- und Erdgas-Lieferungen beschädigt werden, wäre das nicht sofort ins Gewicht gefallen.

Dennoch eilte es, denn der nächste Winter kommt bestimmt. Darum musste relativ schnell klar sein, ob Libyen für den kommenden Winter weiterhin ein Energie-Lieferant sein wird oder ob allenfalls andernorts mehr gefördert und geliefert werden müsste. Zieht man noch die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit hinzu, Euro-Krise eingeschlossen, wären die Folgen einer Energiekrise fürs verwöhnte Europa wohl unberechenbar geworden.

Vor knapp einem Monat war zu lesen – wen überrascht es – dass die grösste Ölraffinerie Libyens ihren Betrieb bald wieder aufnehme und dass die Gas-Pipeline zwischen Libyen und Italien, welche wegen den Kampfhandlungen beschädigt wurde, nun repariert sei. Für andere Teile der Infrastruktur, welche in den letzten Monaten zerstört wurden, wird es wohl noch Jahre dauern, bis sie wieder repariert sind…

In Bezug auf die Palästinenser heisst das: Ihr grösster Fehler liegt darin, nicht auf Gebiet zu wohnen, unter welchem es wichtige Rohstoffe gibt, von denen ein westliches Land abhängig ist um als Schmiermittel für die internationale Anerkennung zu dienen. Eile in Libyen, Weile in Palästina: Es ist ein makaberes Spiel, bei dem die Spielregeln offensichtlich je nach Rohstoffvorkommen anders festgelegt werden…

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