Am kommenden 11. März stimmt das Schweizer Stimmvolk unter anderem auch über die Volksinitiative «6 Wochen Ferien für alle» ab. Diese Initiative wird wohl kaum angenommen. Dennoch hat sie schon etwas erreicht.
Für einmal beginne ich mit einer Selbstdeklaration: Ich geniesse das Privileg, 28 Tage Ferien pro Jahr beziehen zu können. Damit habe ich, ein U-40, schon beinahe das erreicht, was die Initiative will: Sechs Wochen (oder 30 Tage) Ferien für alle.
Mehr Erholung – aber erst ab zwei Wochen
Dennoch lege ich Wert darauf, von 28 Tagen «Ferien beziehen» zu sprechen und nicht von 28 Tagen «Ferien geniessen». Wirklich erholsam und damit ein Genuss sind für mich Ferien erst dann, wenn ich mindestens drei Wochen an einem Stück beziehen kann.
Die Befürworter der Initiative bestätigen das selber, obschon sie im Abstimmungsbüchlein nicht von drei, sondern nur von zwei Wochen sprechen:
Arbeitsmedizinisch ist belegt, dass nur mehrere längere Arbeitsunterbrüche von mindestens zwei Wochen eine vollständige Erholung ermöglichen.
Meiner Erfahrung nach – und ich denke, es geht vielen ähnlich – sind Ferien umso stressiger, je kürzer sie ausfallen. Natürlich meine ich nicht die Ferien selbst, sondern das Davor und das Danach.
Beim Davor geht es darum, noch «schnell» all das aufzugleisen, was andere vom Ferienbezüger benötigen um bei ihrer Arbeit nicht blockiert zu sein. Beim Danach geht es vor allem ums Abarbeiten der zwischenzeitlich aufgestauten Arbeit.
Je kürzer nun Ferien ausfallen, desto grösser ist der Druck durch das berufliche Umfeld. Das hat damit zu tun, dass dieses Umfeld aufgrund der kurzen Feriendauer keine Kenntnis davon hat, dass man soeben einen Tag oder eine Woche Ferien bezogen hat. Dennoch erwartet dieses Umfeld eine Antwort auf ein Anliegen innerhalb der sonst gängigen Fristen.
Das soll kein Argument sein um gegen mehr Ferien zu sprechen. Es geht hier nur um die Feststellung, dass Ferien per se schon Stress vor und nach deren Bezug mit sich bringen.
Nicht nur «arbeitsmedizinisch», sondern auch von diesem Standpunkt her müssten Ferien somit eher in grossen Stücken bezogen werden. Ob das bei sechs Wochen Ferien der Fall sein wird, bezweifle ich eher. Wahrscheinlicher scheint mir, dass einfach häufiger häppchenweise Ferientage bezogen werden würden.
Die Initiative schreibt nichts bezüglich Feriendauer vor – trotz obiger Argumentation bezüglich zwei Wochen. Dabei wäre das nichts Neues. So schreibt OR Artikel 329c, Absatz 1 vor, dass «wenigstens zwei Ferienwochen zusammenhängen müssen».
Bei einer Erhöhung des rechtlichen Ferienanspruchs um einen Drittel (von 20 auf 30 Tage) und bei der Argumentation oben wäre es also nichts als logisch, diesen Passus beispielsweise auf «zweimal wenigstens zwei Ferienwochen» anzupassen. Andernfalls wirkt dieses Argument «mindestens zwei Wochen für eine vollständige Erholung» wenig glaubwürdig…
Wie die «Schadensminderung» aussehen könnte
Die Gegner der Initiative sprechen davon, dass sich die Arbeit fehlender Mitarbeiter einfach auf die anderen Mitarbeiter verteilen würde, womit von diesen mehr Leistung verlangt wäre und sich für sie der Druck erhöhte.
Dass das geschieht, daran habe ich keine Zweifel: Kein Arbeitgeber, ob gross oder klein, wird mehr Leute einstellen, damit Arbeiten nicht herumliegen werde. Sie werden stattdessen ganz einfach auf andere verteilt.
Mehr Ferien würde nur funktionieren, wenn alle gleichzeitig nicht arbeiteten. Dann treffen auch keine neuen Aufträge oder Arbeiten ein, die herumliegen könnten. Das funktioniert heute bereits teilweise in der Sommerzeit sowie während den Weihnachtstagen. In diesen Zeiten werden manchmal ganze Betriebe geschlossen. Andere, darunter auch öffentliche Ämter, verkürzen die Öffnungszeiten. Selbst städtische Busse und Trame fahren seltener.
Sollte die Initiative angenommen werden, dürfte es genau darauf hinauslaufen: Zur «Schadensminderung» werden die Arbeitgeber die Arbeitnehmenden dazu zwingen, eine gewisse Anzahl Ferienwochen während jenen Zeiten zu beziehen, während welchen der «Schaden» am geringsten wäre, also beispielsweise während den Sommer-Schulferien oder während den Weihnachtstagen.
Zu diesem Zwang sind die Arbeitgeber legitimiert. Der zweite Absatz des oben bereits erwähnten Artikels lautet nämlich wie folgt:
Der Arbeitgeber bestimmt den Zeitpunkt der Ferien und nimmt dabei auf die Wünsche des Arbeitnehmers soweit Rücksicht, als dies mit den Interessen des Betriebes oder Haushaltes vereinbar ist.
Bei sechs Wochen Ferien dürften «die Wünsche des Arbeitnehmers» bestimmt weniger zählen. Was dann vor allem zählt, ist die Statistik über das saisonale Arbeitsvolumen. Je nach Branche und Arbeitgeber kann das unterschiedlich ausfallen, in einigen Fällen sicher auch auf Zeiten, zu welchen Arbeitnehmende gerne Ferien beziehen würden, aber im Rahmen der «Schadensminderung» dann nicht dürfen – und umgekehrt.
Die Initianten haben aber in einem Punkt ohne Zweifel Recht: Der gesetzliche Mindestanspruch für Ferien hat sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Mit einer Erhöhung dieses Anspruchs gleich um einen Drittel machen sie es den Gegnern der Initiative aber besonders leicht.
Im Sinne einer «Politik der kleinen Schritte» wäre eine Forderung nach «nur» fünf Wochen vernünftiger gewesen. Es hätte den Gegnern massiv den Wind aus den Segeln genommen. In sehr vielen Fällen hätten die Arbeitgeber nur zwei oder drei Tage mehr Ferien «schenken» müssen, weil viele ihren Arbeitnehmenden ohnehin schon mehr Tage zugestehen.
Zudem werden sechs Wochen Ferien dazu führen, dass die bisher gängige (und freiwillige) Abstufung des Ferienanspruchs nach Alter verschwindet. Sollte es Arbeitnehmende geben, die heute schon mehr als sechs Wochen Ferien haben, werden ihnen in Zukunft quasi als Kompensationsmassnahme seitens Arbeitgeber jene Tage gestrichen, die über sechs Wochen hinausgehen. Ein gesetzlicher Anspruch für mehr als sechs Wochen besteht ja nicht. Bestraft würden dabei vor allem ältere Mitarbeitende.
Ein Wink von der Arbeiter-Basis
Apropos ältere Mitarbeitende: Mit 63 Jahren sei nur noch die Hälfte der Menschen erwerbstätig, meinen die Befürworter der Initiative. Ein Fünftel aller Männer würde vor der Pensionierung eine IV-Rente beziehen und rund 40 Prozent der vorzeitigen Pensionierungen erfolgten aus gesundheitlichen Gründen.
Weil hier massiv Zahlen, Altersgruppen und Geschlechter vermischt werden, weiss ich nun nicht, ob ich über diese Angaben beängstigt sein soll oder nicht (und beim Bundesamt für Statistik mag ich jetzt auch nicht nach «der Wahrheit» suchen). In einem Punkt bin ich mir aber sicher: Über 50-Jährige haben heute schon vielfach fünf Wochen Ferien (oder mehr), sodass eine Woche mehr Ferien an diesen Zahlen kaum etwas ändern dürfte.
Ohnehin habe ich Mühe, wie ein um zwei Wochen höherer gesetzlicher Ferienanspruch zu mehr «Timeout statt Burnout» führen soll. Von Bedeutung ist, was während den anderen 48 oder 46 Wochen des Jahres «abgeht».
Die wöchentliche Höchstarbeitszeit zu reduzieren (was schwierig sein dürfte) oder die Arbeitgeber zu Massnahmen zu bewegen, welche für die Arbeitnehmenden während 48 Wochen zu mehr «Timeout» bewegen (der Kreativität seien hier keine Grenzen gesetzt), scheint mir sinnvoller zu sein als zwei Wochen mehr arbeitsfrei.
Und: Unsere heutige Belastung kennt viele Quellen. Eine davon ist das Arbeitsumfeld. Darum ist es sinnvoll, über diese Quelle ebenso nachzudenken wie über die Frage, was die häufig Angst schürende Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten den Arbeitnehmenden (zurück-) gegeben hat. Gerade im rohstoffarmen Land Schweiz sind sie nämlich die wertvollste Ressource. Lässt die Wirtschaft dies die Arbeitnehmenden auch spüren?
Über diese Fragen nachzudenken ist der grösste Verdienst dieser Initiative. Es spielt nicht so sehr eine Rolle, dass sie kaum Chancen hat. Wichtig scheint mir, dass sie seit langem wieder einmal ein Zeichen gegenüber den Arbeitgebern setzt und diesen signalisiert: Hey, was ist eigentlich mit uns Arbeitnehmenden? In diesem Sinne werde ich ein Ja in die Urne legen, obschon ich – siehe oben – nicht sonderlich von dieser Initiative überzeugt bin…
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Weitere Beiträge zum Thema
- Wilde Worte (22.02.2012): «Loslassen statt Timeout»
Zitat: „In diesem Sinne werde ich ein Ja in die Urne legen, obschon ich – siehe oben – nicht sonderlich von dieser Initiative überzeugt bin…“
Dito. Zettel ist ausgefüllt. Mit einem Ja zu den Ferien 🙂 Auf gleicher Entscheidungsbasis. Kommt dazu: Vier Wochen sind einfach wirklich zu wenig. Fünf wären ideal. Aber darüber kann man ja nicht abstimmen.
Es wäre sogar eine Erhöhung um die Hälfte…
Zum eigentlichen Thema: Nicht erwähnt werden im Beitrag die Unterschiede zwischen den verschiedenen Branchen. Je nach Wirtschaftszweig sind die Bedürftnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern unterschiedlich. Nicht ohne Grund beziehen manche Arbeitnehmer ja schon heute sechs Wochen Ferien. Die heutige, einigermassen flexible Lösung durch eine von oben verordnete Untergrenze zu ersetzen, ist unnötig und falsch.
@ Alice
Du kannst ja statt einem Ja oder Nein die Anzahl Ferienwochen auf den Stimmzettel eintragen. 😉
Wer nur „4“ einträgt, meinte damit „Nein“ (weil identisch mit heute).
@ Lukas Leuzinger
Wie kommt das mit der Hälfte?
Und: Ja, ich hatte ursprünglich noch zwischen geistiger und körperlicher Arbeit unterschieden (Wie kompensiert man 2 Wochen geistiger Arbeit? Indem man schneller denkt? 🙂 ). Schliesslich habe ich darauf verzichtet.
Es wäre aber schon korrekt, noch weiter zu unterscheiden. Die Branche allein scheint mir hingegen nicht auszureichen: Der Gleisarbeiter bei den SBB kann man nicht mit dem Fahrplaner der SBB gleichsetzen, obschon beide in der gleichen Branche tätig sind. Zudem sehe ich eine Verbandelung mit der Frage des Pensionsalters und der Löhne. Kurz: Eine gesamtheitliche Diskussion wäre sinnvoll und wünschenswert.
Ich bin zwar nicht Lukas, aber das mit der Hälfte kommt so:
Heutiger Ferienanspruch: 4 Wochen; die Hälfte davon (2 Wochen) kämen bei Annahme der Ferieninitiative dazu – das ergibt dann die 6 Wochen! 😉
Auch wenn 2 Wochen ein Drittel von 6 Wochen sind, ergibt sich auf der Basis der heutigen Regelung eine Erhöhung des Ferienanspruchs um 50%
Übrigens werde ich aus denselben Überlegungen ebenfalls ein „ja“ in die Urne legen….
@ Katarina
Ach herrje: Ich brauche Ferien! Danke für die Nachhilfe…
Seht her, trotz 28 Tagen schaffe ich nicht einmal mehr die einfachsten Berechnungen! 😆
Es wäre aber schon korrekt, noch weiter zu unterscheiden.
Stimmt. Das würde aber eine starre Regelung von oben nicht besser machen – im Gegenteil.
Jeder möchte mehr Ferien. Ist er/sie auch bereit einen Teil von seinem/ihrem Lohn abzugeben?
Wahrscheinlich nein!!!
Denn Ferien brauchen Geld… (zumindest ich Brauche dies) Wenn man kein Geld hat, was bringen dann Ferien? Aus meiner Sicht nichts.
Noch am Rande: „Der grösste Scheidungswunsch kommt nach den neusten Statistiken, in den Ferien auf“.
@ Lukas Leuzinger
Wer spricht denn „von oben“? Die Initative selber kommt eher von unten. Zudem müssten sich vor allem Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkreise einig werden. Ob das je gelingt…?
@ Michi
Wenn dem so ist, dürfte sich die katholische Kirche gegen diese Initiative aussprechen 😉
Ich gehe mit dir völlig einig, Titus. Es braucht eine gesamtheitliche Diskussion.
Und die kann durch diese Initiative zwar angeregt, bei Annahme aber auch torpediert werden.
Dann fängt nämlich das Unken bei den Arbeitgebern an, sie müssten die Zeiten ja irgendwie wieder reinholen, um überhaupt noch wettbewerbsfähig zu bleiben.
Ich bin mir bewusst, dass gerade bei festgelegter Schichtarbeit ein flexibles Arbeitszeitmodell diametral in der Landschaft steht, trotzdem empfinde ich die starre Regelung mit den 6 Wochen Ferien „für alle Branchen und Anstellungsbedingungen“ übers Ziel hinausgeschossen.
Kommt hinzu, dass Verbesserungen am Arbeitsplatz und bei den Arbeitsanforderungen den Stress unter den Beschäftigten abbauen und das „Herunterfahren“ anfangs der Ferienzeit beschleunigen würde. Das heisst eben auch, die Arbeitskraft nicht bis Freitag 17:00 einzuplanen. Das ginge heute schon, ohne Erhöhung des Ferienanspruchs.
Somit sehe ich eine Verbesserung der Erholung für Arbeitnehmer auch nicht in der Quantität, sondern eher in der Qualität von Freitagen. So kann sich ein verlängertes Wochenende bereits wie eine Woche Ferien anfühlen.
@ Bobsmile
Das, was Du „Verbesserungen am Arbeitsplatz“ nennst, nennt der Arbeitgeber wohl „Optimierungspotential“. Dieses wird er bestimmt ausschöpfen, allerdings wohl eher um seine Rendite zu erhöhen und weniger um die Mitarbeitenden vom Leistungsdruck zu befreien…
Immer eine Frage der Sichtweise. Im Kontext meinte ich schon Verbesserung für die Beschäftigten und nicht für die nimmersatten Shareholder.
Aber du hast schon Recht, bei neu 6 Wochen Ferien für alle will der Arbeitsprozess wohl noch besser optimiert sein, damit die Rendite weiterhin alle Prognosen übertrifft. 🙁