Zwischen der Affäre Tinner und dem Verhalten der UBS im Steuerstreit mit den USA gibt es frappante Ähnlichkeiten. In beiden Fällen mischte der Bundesrat eifrig mit. Nur erhielt dieser von der Oberaufsicht einmal Lob und einmal Tadel.
Sie erinnern sich bestimmt an die Affäre Tinner: Vater Tinner und seine beiden Söhne sollten Libyen zu einer Atombombe verhelfen. Alle drei Personen wurden zugleich aber auch vom CIA rekrutiert. Die genauen Umstände über das, was an wen wann wie und womit geliefert wurde, blieb bisher verborgen – und bleibt es wohl auch weiterhin.
Zu schnell geschreddert
Das hat mitunter damit zu tun, dass der Bundesrat – wohl auf Druck der USA – im November 2007 jene Akten vernichten liess, welche eine weitreichende(re) Anklage sowie eine Aufarbeitung der ganzen Angelegenheit wahrscheinlich ermöglicht hätten. So kam es vor knapp einem Monat schliesslich nur zu einer Verurteilung der Tinners wegen eines Verstosses gegen das Kriegsmaterialgesetz.
Die damalige libysche Regierung ist inzwischen bekanntlich von der Bildfläche verschwunden. Geblieben ist hingegen die CIA und ihr Hunger nach Informationen – auf welche Weise diese auch immer beschafft werden.
Darum wäre eine Aufarbeitung dieser «Rekrutierungsumstände» höchst interessant gewesen, denn: In der Schweiz ist es verboten, Handlungen für einen anderen Staat vorzunehmen oder – umgangssprachlich ausgedrückt – auf Schweizer Boden Spionage für andere zu betreiben. Angesprochen ist hier Artikel 271 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB):
Verbotene Handlungen für einen fremden Staat
1. Wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen, wer solche Handlungen für eine ausländische Partei oder eine andere Organisation des Auslandes vornimmt, wer solchen Handlungen Vorschub leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, in schweren Fällen mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
Dass es nun nicht zu dieser (juristischen) Aufarbeitung kommt, ist wie erwähnt dem Bundesrat zu verdanken. Er stützte seinen Aktenvernichtungsentscheid damals auf das Notrecht ab, welches ihm die Bundesverfassung zugesteht (BV Art. 184, 185).
Im Auftrag der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) beider Räte, also der Oberaufsicht über den Bundesrat, untersuchte die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) damals die Notwendigkeit des auf dieses Notrecht abgestützten Schredderentscheids.
Sie beleuchtete bei ihrer Arbeit verschiedene Aspekte, kam jedoch immer zum selben Schluss: Es gab keine Notwendigkeit, diese Akten quasi in einer Nacht- und Nebelaktion schreddern zu lassen. Der Bundesrat wurde scharf kritisiert, und es gab lange und breite Diskussion darüber, wann der Bundesrat insbesondere diese «Notbremse» ziehen darf.
Zusammenfassend kann in Bezug auf die Tinners gesagt werden: Der Bundesrat verhinderte, dass es zu einer Anklage im Sinne des oben erwähnten Artikels kam. Er wurde dafür von der Oberaufsicht getadelt.
Dem Druck nachgegeben
Machen wir einen Sprung zum Steuerstreit mit den USA. Im Frühjahr machten die Schweizer Banken Druck auf den Bundesrat, damit sie den USA bankinterne und Bankmitarbeiterdaten herausgeben dürfen.
Da Bankkundendaten nicht zur Diskussion standen, ging es somit nicht ums Bankkundengeheimnis. Daher könnte man vordergründig meinen, dass die Banken doch mit allen anderen Informationen tun und lassen können, was sie wollten.
Nebst datenschutzrechtlichen Aspekten – welcher Mitarbeiter möchte schon, dass ohne sein Wissen sein Arbeitergeber Informationen ins Ausland schickt? – stand aber noch ein anderer Aspekt im Weg: Artikel 271 des Schweizerischen Strafgesetzbuches.
Die Banken hätte sich quasi dieses Anti-Spionage-Artikels schuldig gemacht, hätten sie diese Strafbestimmung ignoriert. Doch zum Glück für die nun plötzlich USA-hörigen Banken enthält dieser Gesetzesartikel beim genauen Lesen eine Hintertür: Nur «ohne Bewilligung» hätten die Banken die gewünschten internen Daten nicht übermitteln dürfen. «Holen wir uns diese Bewilligung», dürften sich demnach die betroffenen Banken gesagt haben.
Und sie bekamen sie am 4. April dieses Jahres vom Bundesrat – sogar ohne bundesrätliches Notrecht, dafür aufgrund des ersten Absatzes von Artikel 31 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV):
Die Departemente und die Bundeskanzlei entscheiden in ihrem Bereich über Bewilligungen nach Artikel 271 Ziffer 1 des Strafgesetzbuches zur Vornahme von Handlungen für einen fremden Staat.
Dennoch rief die Anwendung dieses Artikels wiederum die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK) auf den Plan. Sie wollte vom Bundesrat im Rahmen eines Berichts genauer wissen, womit er seinen Daten-Freigabe-Entscheid rechtfertigte.
Die nationalrätliche GPK behandelte den Bundesratsbericht vom 10. Oktober 2012 am vergangenen Dienstag – nur gerade sechs Tage später – und kam dabei zum Schluss:
Der GPK-N liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Bundesrat mit seinen Entscheiden Recht verletzt hätte. Insbesondere erteilte der Bundesrat mit seinem Entscheid den Banken keinen Freibrief, mit der Übermittlung von Mitarbeiterdaten deren Arbeits- oder Datenschutzrechte zu verletzen.
Die GPK des Nationalrats wolle das Geschäft aber nochmals «im Hinblick auf einen weiteren Handlungsbedarf vertiefen», wie der Medienmitteilung weiter entnommen werden kann. Viel mehr Substanz ist aber nicht zu lesen – und ob es tatsächlich noch eine Fortsetzung gibt, darf ebenfalls bezweifelt werden.
Auch der eidgenössische Datenschutzbeauftragte, Hanspeter Thür, zeigte «Verständnis» für die Übergabe dieser Mitarbeiter-Daten, bemängelt zugleich aber die Verletzung einiger datenschutzrechtlicher Grundprinzipien. Er tat dies übrigens am Morgen des gleichen Tages, an dem die GPK zu ihrem oben erwähnten Urteil kam. Was für ein Zufall…
Zusammenfassend kann zu diesen Bankdaten-Lieferungen gesagt werden: Der Bundesrat verhinderte erneut zugunsten der USA die Anwendung von Artikel 217 des Schweizerischen Strafgesetzbuches – und wurde dafür nicht getadelt, sondern durch eine Bestätigung der vermeintlichen Rechtmässigkeit seitens Oberaufsicht eher gelobt.
Zu unkritische Oberaufsicht
Die GPK liegt rein formell natürlich richtig: Der Bundesrat bewegte sich dank Artikel 31 RVOV innerhalb eines gesetzten Rahmens, es wurde kein Recht verletzt.
Dennoch erstaunt die unkritische Haltung dieses Oberaufsichtsorgans: Im Fall Tinner, bei dem es Druck aus den USA gab, wünschten sich einige Parlamentarier, dem Bundesrat engere Zügel bei der Anwendung des bundesrätlichen Notrechts anlegen zu können.
In diesem Fall, bei welchen ebenfalls durch den Bundesrat die Anwendung von Artikel 217 StGB verhindert wurde – wiederum auf Druck der USA – scheint niemand die Notwendigkeit zu sehen, den Rahmen etwas enger abzustecken.
Betrachtet man Artikel 31 RVOV noch etwas genauer, könnte einem sogar die Spucke wegbleiben: Sowohl die Bundeskanzlei (!) als auch jedes einzelne Departement können selbständig (!) darüber entscheiden, wer Handlungen für fremde Staaten vornehmen darf.
Es braucht keinen Entscheid des Gesamtbundesrats. Es findet keine Diskussion statt, wer quasi die «Lizenz zum Spionieren» bekommen soll. Es hat wohl auch niemand eine Gesamtsicht darüber, welches Bundesratsmitglied wem, wann und wie lange bereits eine solche Bewilligung erteilte.
Schon alleine das müsste einige Parlamentarier auf den Plan rufen. Dass die sonst immer kritische Oberaufsicht wie auch der ebenso kritische Datenschützer Thür sich diesmal so sanftmütig zeigen, riecht verdächtig nach «um jeden Preis unter dem Deckel halten» – aus was für Gründen auch immer.
Nach diesem Motto fiel auch die Antwort des Sekretariats der GPK aus, als ich nach dem entsprechenden Bericht des Bundesrats vom 10. Oktober 2012 fragte: «Der Bericht des Bundesrates wurde von ihm selber als vertraulich klassifiziert, weshalb er ihn auch nicht veröffentlicht hat.»
Es geht also die Öffentlichkeit nichts an, welche Überlegungen den Bundesrat zu seinem Daten-Freigabe-Entscheid an die USA bewogen haben. Wir haben uns keine eigene Meinung zu bilden. Uns bleibt nur, das zu schlucken, was die unkritische GPK verbreitet.
Was bei dieser Sache von A wie Aufsicht bis Z wie Zensur auch immer stinkt: Man sollte es schreddern, damit endlich Licht in diese bevormundende Geheimniskrämerei fällt.
Oder wird etwa befürchtet, dass noch mehr der Eindruck entsteht, der Bundesrat stünde selber im Dienste fremder Staaten, sodass er sich dafür quasi noch selbst eine Bewilligung ausstellen müsste…?