Wenn etwas auf eine Unverjährbarkeit abzielt, könnte man meinen, diese gälte auch rückwirkend. Dass dem nicht so ist, hat nun zu einem Selbstmord geführt – unnötig, wie man in der Augenreiberei meint.
Es ist eine traurige Geschichte, welche die «24 Heures» als Schwerpunkt-Thema in ihrer Ausgabe vom 11. Mai 2009 brachte.
Die Vorgeschichte
Sie nahm ihren Anfang vor 27 Jahren. «Valérie», wie sie von der Redaktion besagter Zeitung anonymisiert genannt wird, wurde als 13-jähriges Mädchen allabendlich von ihrem Vater sexuell missbraucht.
Erst 2007 findet sie den Mut, ihren Peiniger vor Gericht zu ziehen. Doch zu diesem Zeitpunkt galt für diese Straftat noch eine Verjährungsfrist von 15 Jahren. Deshalb hatte ihre Klage vor Gericht keine Chance. Affaire classée.
Neue Hoffnung keimte in ihr auf, als am 30. November vergangenen Jahres die Volksinitiative zur «Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» vom Schweizer Volk knapp angenommen wurde.
Enttäuschte Hoffnung
Doch die Freude war nur von kurzer Dauer. An der Medienkonferenz am Abend des fraglichen Abstimmungssonntags lautete die erste von einer Journalistin gestellten Frage, ab wann denn die Initiative gelten würde. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf liess verlauten «ab heute». Sie präzisierte weiter, dass für bereits begangene Straftaten noch das alte Recht gelte. Dies sei im Strafrecht so üblich…
Um sicher zu gehen, ob Valérie die Antwort der Justizministerin richtig verstanden hatte, fragte sie per E-Mail beim Eidgenössischen Justizdepartement (EJPD) nochmals nach. Das EJPD offenbarte ihr in seiner Antwort, dass der fragliche Bundesverfassungsartikel 123 nicht rückwirkend angewandt werden könne.
Eine unerträgliche Antwort
Diese «endgültige» Antwort konnte sie nicht ertragen. Mittels eines Medikamenten-Cocktails nahm sie sich in ihrem Auto am 4. März dieses Jahres im Alter von 40 Jahren das Leben. Sie hinterlässt einen Ehemann mit zwei Kindern im Alter von 14 und 11 Jahren…
Nebst einem Abschiedsbrief an ihren Ehemann findet die Polizei auch noch die folgenden Wort auf einen Autositz gekritzelt: «Sag meinem Vater, dass er gewonnen hat»…
Interpretationsstreit
Im fraglichen Blatt hat nun der Streit über die Interpretation bezüglich rückwirkender Anwendung dieser Initiative begonnen. Einerseits wird der Initiantin, der Vereinigung «Marché blanche», vorgeworfen, sie hätte es unterlassen, den ohnehin schon relativ ungenau abgefassten Verfassungsartikel bezüglich rückwirkender Anwendung zu präzisieren.
Auf der anderen Seite meint das EJPD, man hätte schon vor der Abstimmung in den Medien davon gesprochen, dass dieser Artikel keine solche Anwendung fände, falls er angenommen würde. Dies wird auch in der Ausgabe vom 12. Mai 2009 der 24 Heures nochmals betont. In den Abstimmungsunterlagen findet sich dazu auf jeden Fall nichts.
So überrascht es auch nicht, dass kaum ein Stimmender davon ausgegangen ist, dass er nicht rückwirkend gälte, sollte die Initiative denn angenommen werden. Grund für dieses (Miss-)Verständnis dürfte wohl der Begriff «Unverjährbarkeit» sein. Dieser suggeriert bei vielen unbewusst eine rückwirkende Anwendung.
Anwendungsregeln
Oscar Freysinger stellt nun eine parlamentarische Initiative in Aussicht und hofft auf Erfolg, um diesen Missstand bezüglich der (noch) nicht rückwirkenden Anwendbarkeit zu ändern.
Unverjährbar nach heutigem Recht sind nebst dem fraglichen, seit dem 30. November 2008 gültigen Verfassungsartikel nur noch Völkermord sowie Terrorismus. Es mag richtig sein, dass für viele Straftaten eine Verjährungsfrist gilt. Körperlich oder psychisch erlittenes Leid sollte hingegen nie einer Verjährung unterworfen sein, denn auch diese können wie die beiden genannten Straftaten in gewisser Weise als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» verstanden werden.
Schliesslich gilt es nicht ausser acht zu lassen: Die Opfer derartiger Straftaten bleiben ein Leben lang Opfer. Es wäre daher wünschenswert, das Strafrecht in diesem Sinne einmal generell zu hinterfragen. Das sind wir den Opfern schuldig.
Ich glaube, der Artikel suggeriert etwas, was das Strafrecht überhaupt nicht erreichen kann. Die strafrechtliche Verurteilung der Täter kann in Einzelfällen den Opfern helfen – gerade weil sie nicht mehr hilflos sind – eine gute Therapie ersetzt sie aber nicht. Das gilt für alle Fälle des Missbrauchs genauso wie für sonstige Formen des häuslichen oder ausserfamiliärere Gewalt.
Man muss sich daher meiner Ansicht nach schon genau überlegen ob man ein sehr wichtiges Prinzip, nämlich das strafrechtliche Neuregelungen nur die Zukunft betretten, wirklich aufgeben möchte. Auf der einen Seite gilt der Opferschutz, der leider zu wenig ausgeprägt ist, auf der anderen Seite die Rechtssicherheit.
Ein dritter Aspekt sollte auch nicht ganz ausgelassen werden. Täter im Fälle von häuslichen Missbrauchs sind in allermeisten Fällen auch mal Opfer gewesen. Die Strafrechtskette würde also bis zum letzten lebendigen Grossvater(allermeistens sind es Männer) gehen.
Danke, Mara.
Ich denke auch nicht, dass ein Verfahren alleine eine psychotherapeutische Behandlung ersetzt. Nicht zu vergessen die Frage, ob das Opfer überhaupt die Kraft dazu hat, sich (nochmals) mit den Ereignissen während Jahren auseinanderzusetzen…
Bezüglich Rechtssicherheit: „Mein Wunsch“ nach Unverjährbarkeit versteht sich nicht auf „neue“ Straftaten, sondern auf solche, die heute schon strafbar sind. Als Beispiel: Ein Mord ist auch heute strafbar, wieso besteht dafür eine Verjährung?
Die Unverjährbarkeit wird in ARt. 101 des Strafgesetzbuches geregelt. Mord ist somit nach 30 Jahren verjährt.
Und auch wir wird die Systematik streng eingehalten. – nur Straftaten die zur Einführung der Unverjährbarkeit noch nicht! verjährt sind werden für unverjährbar erklärt.
Diesselbe Regelung hat Deutschland für alle Nazimorde angewand. Kurz bevor die Verbrechen während des Dritten Reiches verjährt worden wären ist Mord für unverjährbar erklärt worden.
Rechtssicherheit bezieht sich ganz stark auch auf die Frage der Verfolgbarkeit und Justizibilität. Wenn ein Täter bereits strafrechtlich die Sicherheit erlangt hat, dass seine Tat nicht mehr gerichtlich verurteilt werden kann soll sich darauf verlassen können. Genausowenig wie man rückwirkend neue Straftaten einführen kann, ist es usus, dass man rückwirkend auch keine strafverfolgungshindernisse beseitigen kann. Das Ganze wird abgeleitet u.a. aus der EMRK. Fraglich ist somit, ob eine rückwirkende Unverjährbarkeit überhaupt vereinbar ist mit internationalem humanitärem Völkerrecht.
Und irgendwann krieg ich das auch noch lesbar hin… wie wäre es mit einem Tool, bei dem man anschliessend noch seine Rechtschreibfehler beheben kann?..:-)..nur so als Wunsch.
Titus: Was wäre geschehen, wenn der Prozess hätte stattfinden können, der Vater aber mangels Beweisen hätte freigesprochen werden müssen?
Ob man mit der Unverjährbarkeit die Suizidrate verkleinern kann, wie das hier suggeriert wird, ist äusserst fraglich.
Um den Opfern zu helfen, bräuchte es andere Mittel. Vor allem verhindert die Unverjährbarkeit keine einzige Tat. Wir sollten den Kampf dort führen: bei der Verhinderung von Taten, die ja meist im Familienkreis stattfinden.
Gibt es denn einen „nötigen“ Suizid (im Gegenzug zum unnötigen Suizid)?
Hätte der Frau nicht anders geholfen werden können?
Wie verzweifelt muss man sein, um seine Kinder zurückzulassen?
Gerechtigkeit ist fundamental wichtig für ein Opfer. Zweifellos. Einem Suizid gehen in 90% aller Fälle jedoch jahrelange Depressionen voraus, und diese verschwinden nicht aufgrund eines Gerichtsurteils, auch wenn dies der Abschiedsbrief Glauben macht und den Angehörigen eine gewisse Erklärung bietet.
Aber das seelische Erleben eines Missbrauchsopfers ist zu komplex, als dass man den Suizid monokausal auf die „Rückwirkung“ zurückführen konnte.
Es ist mir dennoch wichtig hier auf die Rechtsstaatlichkeit sprechen zu kommen. Dass die SVP die Rechtsstaatlichkeit ohne mit der Wimper zu zucken opfert, hat sie mehr als ein Mal bewiesen. Erschreckend finde ich hingegen, wieviele Bürger bereit sind, die elementarsten Errungenschaften des Rechtsstaates hinzugeben. Wofür?
Es gehört zu den wichtigsten Errungenschaften des Rechtsstaates, keine rückwirkenden Strafgesetze zu erlassen. Wenn dies geschehen würde, dann wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet. Wer die einfachsten Rechtsgrundsätze nicht versteht, soll auch keine Initiativtexte, die den Menschenrechten widersprechen, verfassen.
„Wer die einfachsten Rechtsgrundsätze nicht versteht, soll auch keine Initiativtexte, die den Menschenrechten widersprechen, verfassen.“
Ihr Wort in Gottes (oder SVPs) Ohr, Frau Müller.
Vorab allen vielen Dank für die engagierte Diskussion zu einem doch relativ heiklen Thema.
@ Mara
„Wenn ein Täter bereits strafrechtlich die Sicherheit erlangt hat, dass seine Tat nicht mehr gerichtlich verurteilt werden kann soll sich darauf verlassen können.“
Wenn ich das richtig verstanden haben, wird dadurch der noch nicht verurteilte Täter geschützt (?).
@ David:
Du sprichst einen zentralen Punkt an: Viele Opfer wagen es deshalb nicht, ihren Täter anzuklagen, weil es an Beweisen fehlt. Es steht allenfalls Aussage gegen Aussage. Im Vorfeld dieses Artikels hatte ich mir auch die Frage gestellt, wie um Himmels willen man denn sowas beweisen will. Mir kamen zwei Gedanken:
a) Das Opfer ist in der Lage, den Intimbereich des Täters so detailliert zu beschreiben, dass keine Zweifel darüber bestehen, dass ein Intimkontakt stattfand.
b) Es gibt „Zeugen“. Ich denke, in vielen Fällen weiss oder ahnt jemand in der Familie, dass da etwas läuft, aber man wagt nicht darüber zu sprechen. Häufig besteht ja auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Peiniger.
Du sprichst von der „Senkung der Suizidrate“. Ich denke, der hier geschilderte Fall, welcher in einem Suizid endete, ist sicher ein «Extremfall». Doch vergessen wir nicht alle anderen, welche sich nicht das Leben nehmen können/wollen und heute noch leiden. Für sie kann eine Verurteilung, wenn auch spät, eine gewisse Genugtuung bedeuten. Keine Verurteilung gibt ja dem Täter recht…
Ich pflichte Dir bei, dass Vorbeugen besser als Heilen ist. Das könnte z. B. in der Schule beginnen, wo man den Kindern einmal jährlich erklärt, wann sie sich wie z. B. an ein Sorgentelefon wenden können. Ich nehme an, die Betroffenen sind höchst verunsichert, ob das, was man ihnen antut rechtens ist und wissen schon gar nicht, an wen sie sich wenden können…
@ Frau Müller
Was heute als rechtlich korrekt gilt, soll morgen auch nicht plötzlich rückwirkend als strafbar gelten. Hier geht es aber um eine Tat, welche heute schon strafbar ist.
Dieser Fall zeigt auch noch zwei Punkte gut auf:
a) die Verjährungsfrist nach alten Recht (15 Jahre) ist zu kurz.
b) Es gibt Opfer, die auch nach 27 Jahren es wagen wollen, wenigstens rechtlich Genugtuung einzufordern.
Denkbar wäre ja gewesen, dass man die Initiative auf 30 Jahre zurück hätte anwenden könnten.
Dass die bisherigen 15 Jahre zu kurz waren, waren sich ja alle Parteien einig. Der Vorschlag, der im Parlament eine grosse Mehrheit fand, lautete: 15 Jahre ab Volljährigkeit des Opfers. Vielleicht hätten die auch im vorliegenden Fall genügt. Später ist einfach die Chance sehr klein, genügend Beweise zu haben.
Das Strafgesetz regelt nicht nur, welches Verhalten bestraft wird, sondern auch, in welcher Frist etwas angezeigt werden kann und zu welchen Strafen ein Täter verurteilt werden kann.
Nach dem Grundsatz der Nichtrückwirkung von Rechtsnormen kann der Souverän Strafgesetze nicht rückwirkend ändern und somit kann eine einmal eingetretene Verjährung nicht rückwirkend zum Nachteil des Betroffenen aufgehoben werden.
@ David schreibt: «Später ist einfach die Chance sehr klein, genügend Beweise zu haben.»
Auch die Entlastungsbeweise sind kaum mehr beizubringen. Damit steigt aber die Gefahr von Fehlurteilen massiv. Denn die Entlarvung der nicht seltenen Fehlanzeigen (zwei von drei Verfahren werden eingestellt) wird umso unwahrscheinlicher, je weiter die Dinge zurückliegen.
Bereits die Ausgestaltung der Unverjährbarkeitsinitiative war komplett falsch, weil sie untaugliche und unverhältnismässige Mittel anwendet und die bisherige strafgesetzliche Ausgestaltung in Frage stellt. Dass das Töten eines Kindes nach 30 Jahren verjährt, nicht aber der Kindsmissbrauch, ist unerträglich.
Wie Marcel Niggli in der NZZ kommentierte: «Das Volk versteht offensichtlich nicht, welche Funktion das Strafrecht hat und wie es funktioniert. Problematisch ist, dass der unzufriedene Bürger in unserer Demokratie nicht nur eine allgemeine Richtung vorgeben, sondern konkret im Strafgesetz herumfuhrwerken kann. Diese Änderungen stehen völlig quer zur bestehenden Struktur des Strafrechts und bringen es aus dem Gleichgewicht.»
Der indirekte Gegenvorschlag (15-jährige Verjährungsfrist ab der Volljährigkeit des Opfers) fand damals leider kein Gehör.
@ titus
Verjährung setzt immer zum Zeitpunkt der Tat an und regelt, ob eine Tat noch verurteilt werden kann – und wenn er bereits verurteil ist, spielt Verjährung keine Rolle mehr. Es geht als per Definition bei der Frage der Verjährung nur um unverurteilte Taten.
@david titus,
Genauso wie die meisten Vergewaltigungsprozesse basieren Missbrauchsprozesse praktisch ausschliesslich auf der Glaubwürdigkeit der Zeugen. Fragen der Detailgenauigkeit, Plausibilität – Erklärungen der Umstände. Wie will man das nach 30 Jahren noch zustandekriegen. Wenn man so traumatisiert ist, ohne therapeutische Hilfe, eine Anklage strickt wenn der Täter ca 70 und das Opfer 40..nicht nur die StaatsanwältIn wird sich alle Haare raufen. Das ist ein absolutes Ding der Unmöglichkeit.
@Frau Müller /Titus
Verfahrensrecht ist wichtiger Bestandteil unseres Strafrechts. Es sichert ein faires und sinnvolles Urteil (soweit das überhaupt möglich ist). Mir scheint jetzt, dass nicht wirklich verstanden wurde, wass eigentlich Verjährung heisst, was es heisst einen Prozess im Bereich der häuslichen Gewalt/sexuellen Gewalt zu führen. Strafrecht sollte ja nicht nur die Empörung ausdrücken (Generalprävention), sondern auch machbar und praktikabel sein. Die Rolle der Therapeutin kann sie niemals übernehmen.
@ Mara: Ich stimme Ihnen in jedem Punkt absolut bei. Nicht nur bezüglich des fachlichen Wissens, klar, sondern auch bezüglich Ihrer Interpretation des Sachverhalts.
Die Initiantinnen der Unverjährbarkeitsinitiative haben mit ihrer völlig unausgegorenen Abfassung des Initiativtextes falsche Hoffnungen bei Valérie und anderen Missbrauchsopfern geweckt und sind nun entscheidend mitschuld daran, dass diese massiv enttäuscht sind.
Die Nichtrückwirkung ist ein eiserner Rechtsgrundsatz, den sie wie in einem Unrechtsregime einfach aus den Angeln hebeln wollten.
Dieser Fall wird in seiner Art nicht der letzte sein. Auch diejenigen Opfer, die von der Unverjährbarkeit werden „profitieren können“, werden viele Enttäuschungen erleben, weil sie nach 30 Jahren die Vergehen teils gar nicht mehr beweisen können. Und damit werden sie ein zweites Mal zum Opfer. Dieses Mal zum Opfer ihrer falschen Hoffnungen, die solche Populisten wie Freysinger in ihnen pflanzen.
Ich stelle Verjährungsfristen nicht grundsätzlich in Frage und – wie bereits schon erwähnt – erwarte auch nicht eine «therapeutische Wirkung» aufgrund eines Urteils. Dieses ist allenfalls Teil der Verarbeitung dieser Taten.
Wir sprechen hier aber nicht über einen banalen Diebstahl, der, wenn er nicht angezeigt wird, nach x Jahren verjährt. Wir sprechen hier über ein traumatisches Erlebnis zu einem Zeitpunkt, wo das Opfer unsicher ist und noch nicht immer weiss, was «Recht» und was «Unrecht» ist (das geht uns Erwachsenen ja auch häufig so).
Ich denke daher, dass unser Strafrecht mit allen dazugehörigen Verfahrensregeln hier schon einen Unterschied machen sollte und nicht alle Straftaten mittels einer Verjährungsfrist ziemlich abstrakt gleichsetzt…
@ Frau Müller
Hat Marcel Niggli auch darüber geschrieben, weshalb denn das Volk das Bedürfnis hat, im Strafrecht «herumzufuhrwerken»?
@ Titus: Das Strafrecht setzt mitnichten alle Straftaten mittels einer Verjährungsfrist gleich, sondern stuft sie nach Schwere des Delikts ab. Die Strafverfolgung eines Diebstahl ist nach 7 Jahren verjährt, ein Mord nach 30 Jahren. Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind, verjähren nach 15 Jahren.
Es wäre zweckmässig gewesen, wenn man Kindsmissbrauch 15 Jahre nach Volljährigkeit hätte verjähren lassen, statt dafür Unverjährbarkeit zu verlangen.
Das Strafrecht sieht zu Recht die Unverjährbarkeit nur für Völkermord, Kriegsverbrechen und Terroranschläge vor. Es sind Taten, die sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben haben und deren Spuren in irgendeiner Form weiter bestehen. Sie sollen deshalb jederzeit bestraft werden können. Sexueller Missbrauch von Kindern ist eine verabscheuungswürdige Straftat, lässt sich aber nicht mit den Ereignissen in Ruanda oder Srebrenica vergleichen.
Völlig abstrus ist die Initiative, weil nun sogar Personen lebenslang strafrechtlich verfolgt werden können, die auf ihrem Computer harte Pornographie (also illegale Pornographie wie Kinderpornographie) heruntergeladen haben. Offenbar hat das Volk die Relationen verloren.
Marcel Niggli erklärt auch, weshalb das Volk das “Bedürfnis“ hat, im Strafrecht herumzufuhrwerken.
«Viele haben die Vorstellung, man könne über das Strafrecht Sicherheit produzieren. Das funktioniert aber nicht. Heute wird jede gesellschaftliche Problemsituation über Strafe definiert – dabei bringen härtere Strafen gar nichts. Hinzu kommt, dass viele Leute das Gefühl haben, im Strafprozess gehe es um Rache, die der Staat für sie ausübe. Dem ist aber nicht so. Ein Strafverfahren wird nicht geführt, um dem Opfer Genugtuung zu verschaffen, sondern weil der Täter Gesetze verletzt hat.»
Im besagten Artikel kommen überdies folgende Thesen zur Sprache:
– Kommt es kurz vor dem Abstimmungstermin zu einer aufwühlenden Straftat, werden Volksinitiativen, die Verbote oder härterer Strafen verlangen, eher angenommen.
– Das Volk glaubt, Verbote oder härtere Strafen wirkten abschreckend und verschwenden keinen Gedanken an alternative Problemlösungen.
– Das Volk ist für rationale Argumente kaum empfänglich. Jeder Bürger ist der Meinung, er sei Fachmann, bloss weil er etwas als moralisch „richtig oder falsch“ beurteilt.
– Das Volk denkt repressiver als noch vor 20 Jahren. Sein Rezept lautet: Vergeltung.
– Das Volk hat eine extrem verzerrte Wahrnehmung der Strafrechtsrealität. Gleichzeitig besteht ein Informationsdefizit.
Verschiedene Juristen sind überzeugt, dass die Stimmberechtigten anders abstimmen würden, wenn sie über das Strafrecht, die Strafverfolgung und Gerichtsprozesse besser informiert wären.
@ Frau Müller
Da haben Sie mich missverstanden, weil meinerseits zu ungenau erklärt: Mir ist schon klar, dass es je nach Schwere unterschiedliche Verjährungsfristen gibt.
GRUNDSÄTZLICH gibt es aber im Strafrecht immer eine Verjährungsfrist, so habe ich die Kommentare oben zumindest verstanden, also AUCH für die hier zur Diskussion gestellte Tat. Das meinte ich mit „gleichgestellt“ (es gibt grundsätzlich nicht Straftaten mit oder ohne Verjährungsfrist, ausgenommen die von Ihnen zitierten Verbrechen) und stelle ich nun in Frage.
Mit Ihrer Antwort zu Marcel Niggli bestätigen Sie meine Vermutung, dass es oftmals an der Kommunikation liegt. Viele Urteile, wie sie über die Medien bekannt werden, sind auch für mich nicht nachvollziehbar. Zugleich bin ich mir aber auch bewusst, dass ich nicht alle Umstände zu einem Fall kenne, sodass ich nur schlussfolgern kann, dass für mein Rechtsempfinden entweder die bestehenden Strafmasse zu milde sind oder die Berichterstattung zu verzerrt (oder vielleicht auch beides).
@ Titus
Die meisten Länder kennen eine Unverjährbarkeit nur bei extrem Taten, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Massenmorden etc.. also dann wenn eine Straftat nicht nur gegen eine Privatperson geht, sondern einen Staat in den Grundfesten erschüttern soll – quasi Terrorakte.
Im privaten Rahmen gibt es soweit ich weiss bis jetzt immer Verjährungsregelungen – bis jetzt eben.
Abgesehen davon überschätzt man auch ein wenig die Wirkung eines öffentlich Urteils. Das was wirklcih auf die meisten Verdächtigen/Täter Wirkung ausübt, ist das Verfahren an sich. 1-2 Jahre in der Unsicherheit leben – was draus wird, inwieweit weiter im Privatleben rumgeschnüffelt wird – dagegen wirken die meisten Strafen wie eine Erlösung aus dem Alptraum. Die die in diesem Prozess uneinsichtig bleiben, die juckt auch das Urteil nicht weiter und verbleiben in ihrer Trotzhaltung.
@ Titus: Entschuldigen Sie bitte das Missverständnis. Ich hoffe, dass ich Sie jetzt richtig verstehe.
Es ist unbestritten, dass Kindsmissbrauch verjährungstechnisch gesehen einer besonderen Behandlung bedarf, weil die Opfer über das Vorgefallene lange Zeit nicht sprechen können. Dennoch wurde es bis anhin nicht mit Diebstahl (7 Jahre) gleichgesetzt, sondern mit schweren Sexual- und Gewaltverbrechen (15 Jahren nach der letzten Tat). Der Gegenvorschlag hatte 15 Jahre nach Mündigkeit vorgesehen. Jetzt aber ist Kindsmissbrauch verjährungstechnisch gesehen auf einer Stufe mit Völkermord. Das bringt das Strafgesetz aus dem Gleichgewicht und lässt es unglaubwürdig erscheinen.
Und wir kommen immer wieder auf denselben Punkt zurück:
1. Rückwirkende Strafgesetze, inkl. neuer Verjährungsfristen, verstossen massiv gegen die Rechtsstaatlichkeit;
2. ein Strafverfahren ist keine Psychotherapie;
3. weder längere Verjährungsfristen noch höhere Strafen wirken präventiv;
4. sie verhindern erst recht keine Serientäter, weil die Verjährung sowieso nach der letzten Tat ansetzt.
5. Beweise und Entlastungsbeweise sind nach 30 Jahren kaum mehr zu erbringen. Fehlurteile – nach beiden Seiten – sind so geradezu programmiert.
Kurzum: Empörung ist ein schlechter Ratgeber.
Grundsätzliches zu Suizid
Aus psychoanalytischer Sicht hat Suizid mit unbewußten aggressiven Impulsen zu tun: Der Tötungswunsch gegenüber einem zugleich geliebten und gehaßten Menschen wird gegen sich selbst gerichtet (Todestrieb). b) Aus soziologischer Sicht (E. Durkheim) hängt Suizid von gesellschaftlichen Faktoren ab. Die Suizidrate variiert umgekehrt proportional zum Verhältnis der Integration in die soziale Bezugsgruppe (Familie, Konfession, Staat). Ohne ausreichende Bindung in eine soziale Gruppe kommt es zum egoistischen Suizid; der altruistische Suizid ist eine Opferhandlung für das (vermeintliche) Wohl der Gesellschaft (z.B. Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche und Nonnen in Vietnam, Suizidterrorismus). Anomische Suizide sind Selbstötungen in krisenhaften Phasen, wenn sich die Lebensumstände dramatisch ändern, z.B. durch persönliche und/oder gesellschaftlich bedingte Verlusterlebnisse. c) Nach den Erfahrungen aus der Psychiatrie bei der Behandlung von Suizidalen hängen zwar Suizid und Psychosen nicht unmittelbar miteinander zusammen. Unbestritten aber ist, daß bestimmte Symptome – Trauer, Niedergeschlagenheit, depressive Simmungen – häufig eine wichtige Ursache für einen Suizid sind. Demnach ist Suizid ein Versuch der Problemlösung, wobei durch eine eingeschränkte Sichtweise andere Alternativen nicht in Betracht gezogen werden.
Ich bin auch ein Opfer von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch, von 9-17j um genau zu sein… Ich habe im Jahre 2008 alles angezeigt und ich erwarte das die Täter auch bestraft werden und ich eine angemessene Genugtuung bekomme! In meinem Fall ist zudem noch der Kanton selber quasi Mittäter, weil dieser damals obwohl man davon wusste nichts getan hat um mir zu helfen! Auch ich denke immer wieder über Suizid nach, doch bei mir handelt es sich nicht einfach nur um Suizid über den ich nachdenke, ich denke über erweiterten Suizid nach, denn mein Gerechtigkeitssinn verbietet es mir, mich einfach umzubringen und die Täter einfach davonkommen zu lassen. Es gibt also schon Alternativen zu Suizid, man könnte es auch Selbstjustiz nennen… Und meiner Meinung nach, kommt es dann zu Selbstjustiz, wenn die Justiz eben versagt!
Und ja stimmt, das seelische Erleben von Missbrauchsopfer ist wohl sehr komplex und vor allem sehr individuell…
Und stimmt auch für mich ist Gerechtigkeit äusserst wichtig…
Doch was für das jeweilige Opfer Gerechtigkeit ist und was nicht, ist eben auch sehr komplex und sehr individuell…
Für mich wäre der Gerechtigkeit genüge getan, wenn ich eine angemessene finanzielle Genugtuung und endlich auch die Psychotherapien bezahlt bekäme, doch leider ist das bis heute nicht soweit, stattdessen landete ich beim Sozialamt und bekomme Pfändungen und Betreibungen…. Nicht gerade das, was sich als Gerechtigkeit empfinde und zudem schürt es meine Wut und meinen Hass immer weiter…
Ja auch ich habe Depressionen und bei mir wurde eine chronische PTBS sowie eine komplexe PTBS diagnostiziert, doch wenn es so weitergeht, werde ich nicht mich umbringen, sondern ganz alternativ dazu, zuerst ein paar hundert andere umbringen, aus Wut, aus Hass, aus Verzweiflung auf die Gesellschaft die es zugelassen hat, das mir so was passiert und mir nicht hilft und mich nur weiter in die Ohnmacht treibt!
Ja, auch das kann passieren, wenn das Recht versagt und man den Tätern schneller und besser hilft als den Opfern!
Meiner Meinung nach geht es hier ohnehin nicht ob das Strafrecht, sondern um die Opferhilfe die versagt hat, die nur auf dem Papier existiert aber sonst praktisch nicht existent ist!
Anstatt das Strafrecht zu verschärfen sollte man endlich mal die Opferhilfe ernst nehmen und den Opfern schnell und gut helfen und nicht den Tätern!
Doch aktuell ist es ja so, dass die Täter schneller und bessere Hilfe bekommen als die Opfer, wenn man nur schon bedenkt das die Unterbringung eines Täters in einem Gefängnis 100’000.- im Jahr kostet!? Hallo?? Davon können die Opfer meist nur träumen…
Da fängt bei mir eben die Ungerechtigkeit an und nicht beim Strafrecht!
Und falls ich dann mal Amok laufe dann nur deshalb, weil ich von der Opferhilfe nicht mal die Therapien finanziert bekommen habe, die sind dann also selber schuld!
Im übrigen sind es genau solche Artikel, wo sich Opfer aus lauter Verzweiflung und Ungerechtigkeit umbringen, die in mir die ganze Wut und den Hass wieder raufkommen lassen!
Zudem zeigt es auch wieder mal schön, das es immer zuerst Tote geben muss, bevor sich was verändert, vorher interessiert man sich nicht…
Und dann ist es ja aktuell auch so, dass man sich ja mehr um Täter kümmert als um die Opfer… Das wiederum könnte zum gefährlichen Gedanken führen, dass man als Opfer womöglich erst Täter werden muss, bevor man sich um einem kümmert!
Für mich ist die Justiz, das Rechtssystem, die Gesellschaft und die ganze Welt krank!
Ich persönlich würde den baldigen Weltuntergang wirklich begrüssen!
Es wäre schön wenn schon morgen ein riesiger Komet die ganze verdammte Welt zermalmen würde!
Ja, meiner Meinung nach sollte die ganze Menschheit ausgerottet werden!
Ich denke, dass sollte reichen, um klar darüber zu sein, wie gross meine Wut und der Hass momentan ist!
Und hätte ich Zugriff auf eine Atombombe oder irgendeine andere Massenvernichtungswaffe, ich würde keine Sekunde zögern diese in der Stadt eigenhändig zu zünden, völlig ungeachtet dessen ob ich dabei mit hochgehe oder nicht!
Ja, die Vergewaltigungen und der sexueller Missbrauch doch vor allem das Nicht-Handeln der Behörden und das wegschauen und ignorieren, die fehlende Opferhilfe und die bis jetzt erlebte Ungerechtigkeit die ich erlebt habe, hat mich verändert und nun hasse ich eben die ganze Menschheit!
@Chris
Es wäre gelogen von mir, wenn ich sagen würde, dass ich Deine Situation absolut nachempfinden könnte. Was, wenn man es nicht selber erlebt hat, ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber ich verstehe, dass Du wütend bist und dass Du ein Versagen von einzelnen Menschen auf die Mehrheit projektierst.
Ich nehme aber an, dass Du im Grunde weisst, dass Ungerechtigkeit durch weitere Ungerechtigkeit nicht gerecht wird.
Deinem Text entnehme ich, dass Du wahrscheinlich schon viele Bemühungen unternommen hast. Hast Du Dich auch schon an die Opferhilfe Schweiz gewendet?
(Sofern Du aus der Schweiz bist)
Lieber Chris
Dein Erlebtes und das, was Du immer noch durchmachst, geht mir sehr nah, auch ist Dein Hass mehr als verständlich, aber die Gedanken die Du momentan in Dir trägts, sind nicht der richtige Weg und das weisst Du.
Du bist das Opfer und nicht der Täter. Du suchst Genugtuung und die bekommst Du nur, wenn Du weiterkämpfst. Mit Deinem Suizid würdest Du Deinen Peinigern nur einen Gefallen tun. Und bringst Du sie um, bekommst Du nie die Genugtuung, die Dir zusteht und die Du auch brauchst.
Bei der Opferhilfe kamst Du nicht weiter, ich kann Dir leider auch nicht helfen, aber wie wäre es, wenn Du Deine Geschichte dem Beobachter schreibst? (redaktion@beobachter.ch) Ich würde Dir von Herzen wünschen, dass Du dort ein offenes Ohr und vor allem durch eine Veröffentlichung Deines Erlebten Deine Genugtuung finden würdest.
P.S. Wie alt bist Du, Chris?
@fahnenfluechtling
Ja ich habe mich auch an die kantonale Opferhilfestelle gewendet, vorher mühsam alles zusammengetragen und zwei Gesuche geschrieben wo ich alles zusammengefasst hatte.
Ausser einem billigen Schreiben, in dem stand „Opfer von Straftaten vor 1993 würden nicht unter das OHG fallen“ also somit gar keine Rechte haben, kam da aber leider nichts….
Ich weiss noch, wie ich das Telefon packte, die kantonalen Opferhilfestelle angerufen habe und einfach nur noch ins Telefon geschrien habe vor Wut, vor Verzweiflung und weil ich mich wieder so ohnmächtig fühlte…
Etwas später, als ich mich wieder ein wenig beruhigt habe, zog ich alles ans Sozialversicherungsgericht weiter…. Doch dieses bestätigte einfach nur blind, was die kantonale Opferhilfestelle geschrieben hatte…
Da wendete ich ich mich mit dem ganzen endlich an einen Anwalt… Der meinte dann diese Behörde hätte eindeutig das rechtliche Gehör nicht eingehalten, alles sei willkürlich abgelehnt worden und zudem habe man da gleich dreifach gegen die Bundesverfassung und Bundesrecht verstossen!
Nun liegt der Fall schon seit Oktober 2008 beim Bundesgericht!
Und deshalb kenne ich auch die Schreiben dieses EJPD sehr gut, vor allem die Stellungnahmen und Repliken von denen, und kann gut nachvollziehen, wie ein Opfer fühlt wenn es ein solches Schreiben von denen bekommt, obwohl in diesem Fall war es ja noch nicht einmal ein Schreiben, sondern nur eine Email, was für mich jedoch wiederum den mangelnden Respekt dokumentiert.
Nun ich kämpfe schon seit Mitte 2006 doch so richtig erst seit Anfang 2008…
Immer wieder kommen Phasen in denen ich mich und diese Drecksbehörden alle am liebsten umbringen würde… Doch ich bin ein Kämpfer und werde niemals aufgeben, bis ich Gerechtigkeit erfahren habe…
Ja, da hast Du Recht, Amok zu laufen und viele „unschuldige“ umzubringen, würde auch nur wieder noch mehr Ungerechtigkeit erzeugen… Doch in Zeiten wo bei mir die Ohnmacht und die Verzweiflung so stark ist, hilft mir bereits die Option, der Gedanke daran, dass ich die alle umbringen könnte wenn ich wollte darüber hinweg… Das selbe gibt es ja auch bei Suizidgedanken, alleine die Option zu haben hilft einem bereits!
Und klar ist es wohl nicht besonders rational, wegen dem Versagen von einzelnen gleich die ganze Mehrheit dafür zu verfluchen, doch wenn eben die Ohnmacht und Verzweiflung gross ist und die ganze Wut und der Hass hoch kommt, dann geht es nur noch um Rache und Vergeltung, da ist dann eben wohl kein Platz mehr für Rationalität!
Aber es sind ja „noch“ bloss Gedanken und in meinen Gedanken und Träumen sind ja schon viele gestorben…
Und auch schreiben hilft mir sehr Dampf abzulassen, denn es muss ja irgendwie raus…
Doch es macht einem eben auch noch wütender wenn dann einfach keine Antwort von den Behörden kommt oder solche billigen Schreiben wo man den Eindruck bekommt, man habe es gar nicht gelesen, gar nicht damit befasst, meint man sei ja gar nicht zuständig und einfach das Ping-Pong Spielchen weitertreibt…
Ich habe nun mal ein schwieriges Verhältnis mit Behörden und Autoritäten allgemein, denn ich weiss heute, die haben zumindest teilweise von den Übergriffen erfahren als ich 9j war, haben aber damals nichts unternommen um mir zu helfen und nur weggeschaut, mich nicht von den Tätern getrennt und mir keine psychologische Hilfe zukommen lassen, mich einfach alleine gelassen.
Also kein Wunder nehme ich solche Ungerechtigkeiten rund um Behörden sehr persönlich, jeder Konflikt mit Behörden führt bei mir sofort zu diesem sehr emotionalen Thema und so kann es schon sein, dass ich wohl manchmal überreagiere, doch andererseits sage ich mir eben, die sind ja selbst schuld…
Nun, momentan hoffe ich nur, dass mir die Therapien irgendwie finanziert werden und ich mich auch sonst wieder einigermassen stabilisiere… Doch dies wird eben leider nicht ohne die Hilfe der Behörden gehen… Es ist also eine Art Hass-Liebe, denn einerseits bin ich ja auf die Hilfe von Behörden angewiesen, anderseits hasse ich sie dafür, dass sie mir damals nicht geholfen haben und natürlich schürt es diesen Hass und die Wut nur noch weiter, wenn ich auch heute erleben muss, dass sie mir nicht helfen!
Ist also in der Tat leider alles sehr komplex!
@Ate
Vielen Dank für deine Worte.
Und ich werde weiterkämpfen, frage mich zwischendurch allerdings immer wieder, wie lange ich es wohl noch durchhalten werde… Und wegen meinem Alter, werde Mitte nächsten Monat 36j….
Und dem Beobachter habe ich auch schon geschrieben, wenn auch wegen einem anderen Thema, nämlich dem Thema das es männliche Opfer noch schwerer haben und das Tabu da noch grösser ist als es bei weiblichen Opfern schon ist…. Doch der Beobachter meinte, er hätte nicht die Kapazitäten und Resourcen um mein Thema zu recherchieren, es sei jedoch bereits ein Artikel in Vorbereitung bei dem es auch darum ginge…
@ Chris
Seit ich heute Morgen Deinen Kommentar las, habe ich mehrere Anläufe unternommen, die «richtige» Antwort zu finden. Wie reagiert man am besten darauf, zumal ich keinerlei psychologischen Hintergrund habe und ich mich somit auf seeehr dünnem Eis bewege?
Da ich selber auch zwei Personen kenne, denen Ähnliches widerfahren ist, ist es mir ein herzgrundtiefes Anliegen, DASS über sexuellen Missbrauch gesprochen und eben nicht weggeschaut wird – auch und besonders bei Jungen.
Ich habe diesen Zeitungsartikel zum Anlass genommen, dieses Thema aufzurollen, wohlwissend, dass es ein heikles Thema ist und wohlwissend, dass in den Zeilen oben nur ein Aspekt, nämlich jener der rechtlichen Aufarbeitung, angesprochen wird.
Nur über diesen einen Aspekt zu reden wird diesem komplexen und schwierigen Thema sicher nicht gerecht. Mara hat schon im ersten Kommentar den heute mangelnden Opferschutz angesprochen. Gewiss gibt es aber noch weitere Themen wie zum Beispiel den Aspekt der Aufklärung von Kindern und Jugendlichen darüber, was sexueller Missbrauch ist (um unterscheiden zu können was sein darf und was nicht) und an welche Vertrauensperson sie sich allenfalls wenden können.
Wie weiter?
Meine Einstellung zum Thema ist unverändert: Wir müssen hinschauen und sollen darüber reden, einerseits um zu versuchen zu verstehen, was eine solche Tat für Betroffene wie Dich bedeutet, andererseits um Mängel unseres oberflächlichen Systems aufzuzeigen und zu verändern.
Das erfordert viel Mut und Kraft. Ich finde es mutig, dass Du Dich hier in die Diskussion eingeschaltet hast!
Ich möchte Dir gerne einen «Deal» unterbreiten, will dies aber nicht hier in aller Öffentlichkeit tun. Da Deine bisher angegebene E-Mail-Adresse vermutlich nicht richtig ist, bitte ich Dich, mit mir direkt Kontakt aufzunehmen – natürlich nur wenn Du magst (Du findest meine E-Mail-Adresse auf dieser Seite ganz unten). Eröffne doch unter Hotmail, Yahoo usw. einen E-Mail-Account mit fiktivem Namen, so bleibt Deine Anonymität gewahrt.
Damit ich weiss, dass Du der richtige «Chris» bist, der sich da meldet, erwähne doch im E-Mail die bisher angegebene (vermutlich falsche) E-Mail-Adresse.
@Titus
Danke auch Dir für das was du geschrieben hast..
Ich habe diese Seite letzter Zeit viele male besucht und immer wieder alles durchgelesen und auch all die Links dazu besucht…
Mir gehen immer wieder viele Gedanken durch den Kopf dabei, aber ich schaffe es nicht alles nieder zu schreiben, ist mir momentan alles zu viel, wechselt alles zu schnell, auch meine inneren Zustände wechseln ja praktisch von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde… Mitunter wechseln sich bei mir ja auch Persönlichkeitanteile und sogar das gefühlte Geschlecht und Alter, ist also ein ziemliches Chaos manchmal…
Ich denke dieser Artikel hat mich sehr getriggert in den letzten Tagen, hat schon angefangen als ich beim vorbeigehen die Schlagzeile vom Blick gelesen habe, danach habe ich dann nach mehr Infos gesucht und so kam ich überhaupt hier hin und beim lesen hier und auf den französischen Seiten die verlinkt waren, wurde ich eben gleich nochmals getriggert, finde ohnehin das es in französisch viel besser geschrieben ist als in Deutsch, es ist gar nicht möglich alles genau so zu übersetzen, wie es in französisch rüberkommt, grad auch der Text bei „Marche Blanche“….
Naja, grad jetzt bin ich wieder einigermassen ruhiger, mag auch daran liegen, dass ich endlich ein Bescheid bekommen habe, das eine OP von jemanden den ich eben sehr liebe, gut verlaufen ist, so muss ich mir da wenigstens keine Sorgen mehr machen….
Und wegen dem «Deal» also ich werde Dich dann noch kontaktieren, brauche aber zunächst bisschen Zeit… Und also wegen der E-Mail-Adresse, denke ich bin da manchmal einfach zu ehrlich… Zudem habe ich ja letztes Jahr schon so viele Schreiben rumgeschickt, wissen doch ohnehin schon so viele Bescheid, auch wenn ich es im Nachhinein manchmal bereue so ehrlich gewesen zu sein – scheint wohl auch irgendwie ein Problem von mir zu sein, dass ich einfach zu ehrlich bin und das eben auch von anderen erwarte, doch leider beruht das ja nicht immer auf Gegenseitigkeit, jaja muss wohl noch viel lernen… 🙁
Hallo Chris
Schön, von Dir zu lesen.
Lass‘ Dir einfach die Zeit, die Du brauchst.
@Chris: Schon Mal darüber nachgedacht ein Blog zu diesem Thema zu eröffnen? Schreiben soll ja ebenfalls ne therapeutische Wirkung haben. Deshalb haben wir ja alle nen Blog 😉
Obwohl das Ziel von meinem Blog ja ist, möglichst viel Traffic zu erhalten. Sodass ich irgendwan GoogleAds schalten kann und ganz viel Geld mache. Das alles im Schlaf 🙂