Wenn Sie aufs Blaue hinaus auf die Frage antworten müssten, ob es einen Unterschied gibt zwischen einer wirtschaftsorientierten Zeitung wie der «NZZ» und einer «People»-orientierten Zeitung wie den «Blick», dann würden Sie spontan mit «ja» antworten. Damit liegen Sie mindestens teilweise falsch…
In Zürich und Bern gingen gestern (26. Mai 2009) zahlreiche Medienschaffende auf die Strasse, um gegen den geplanten Stellenabbau bei Tamedia zu protestieren. Demonstrativ riss man in Zürich einen Viertel des Tagi heraus, um damit zu verdeutlichen, dass auch ein Viertel der Tagi-Redaktion von diesem Personalabbau betroffen sei.
Die Demonstrierenden mögen recht haben, falls die fraglichen Stellen nur aus reinem Profit-Denken gestrichen werden. In einer Zeit, wo die Leserinnen und Leser sämtlicher Zeitungen den Kopf über Lohnexzesse und Profit-Gier schütteln, wäre etwas mehr soziale Verantwortung auch im Medienbereich sicher angebracht.
Doch – und das mag für Medienschaffende hart klingen – wenn es sich beim herausgerissenen Viertel um jenen Teil handelt, welchen man auch in jedem anderen Blatt findet, so trägt dies weder für die in einer Demokratie so wichtigen Meinungsvielfalt bei noch wird diesem Viertel irgendeine Leserin oder irgendein Leser nachtrauern.
Um es noch klarer zu sagen und um auf die Eingangsbemerkung bezüglich der Unterschiede von ansonsten völlig unterschiedlichen Zeitungen zurückzukommen:
Wo ist hier der Unterschied?
Ausschnitt der Website von Le Matin (26.05.2009)
Ausschnitt der Website von Le Temps (26.05.2009)
Aufmerksam geworden auf dieses Malheur ist man übrigens, weil der Autor dieses Artikels selber in einem Zug sitzend gegen 16.35 h an den hohen Flammen vorbeifuhr.
Der fragliche Brand befand sich in unmittelbarer Nähe von einer der beiden Schweizer Raffinerien. Nach firmeneigenen Angaben wird dort ein Viertel des Schweizer Bedarfs an Raffinerie-Produkten abgedeckt. Die Folgen eines Übergreifens der Flammen auf die Raffinerie wären gravierend gewesen.
Flammen bedrohen nicht nur die Bahnlinie (vorne), sondern auch ein Treibstoff- und Gaslager der nahe gelegenen Raffinerie (rechts im Bild).(Zum Vergrössern anklicken) | (c) Arcinfo.ch / David Marchon |
Doch bis dato findet sich auf keiner Website einer Deutschschweizer Zeitung irgendein Hinweis auf diese gefährliche Situation. Auch die Redaktion des Schweizer Fernsehens hat auf eine um 16.39 h verschickte E-Mail an augenzeuge@sf.tv bis dato nicht reagiert. Die privaten Eskapaden von Silvio Berlusconi haben die Schweizerinnen und Schweizer offensichtlich mehr zu bewegen…
Investieren statt reduzieren
So fragt es sich denn: Würde man einen Viertel der Redaktionen nicht besser für fundiertere und bedeutendere Themen einspannen als sie ohne eigene journalistische Leistung mit Copy-Paste-Tätigkeiten von Agentur-Meldungen oder mit boulevardesken Themen zu beschäftigen? Vielleicht bekämen Informationen dadurch wieder zu (noch) mehr Wert, für welchen man gerne auch etwas bezahlt…
Übrigens: Dass es auch anders geht, zeigen die lokalen Medien:
«Arcinfo.ch» (L’Express/L’Impartial/Canal Alpha) berichtet unabhängig und mit eigenen Bildern.
Das Lokalradio «RTN» informiert ebenfalls unabhänig.