Ohhh Du blinde Justitia!

Welch’ Glück, dass die Augen der Justitia mit einer Augenbinde verdeckt sind. So bleiben ihre Tränen verborgen ob dem, was da die gesetzgebenden Vertreter der G8-Staaten in Rom erreicht haben – oder eben nicht erreicht haben…

Es ist ja durchaus lobenswert, dass die selbsternannten acht grössten Industrienationen neuerdings gemeinsam gegen die Mafia vorgehen wollen. Wie sie das tun wollen, erfährt man aus den gegenwärtigen Medienberichten allerdings nicht. Indem das so genannte «italienische Modell» angewandt wird, wonach Güter und Kapitalien von kriminellen Organisationen beschlagnahmt werden dürfen, bringt man auf jeden Fall noch niemanden hinter Gitter…

Denn im Kampf gegen die Mafia sind immer noch Polizeikräfte notwendig. Beten hilft da nicht – auch nicht in Rom. Doch von einer Verstärkung der Polizeikräfte ist nichts zu lesen. So macht diese «Kampfansage» den Anschein, nicht viel mehr als heisse Luft zu sein.

Warum erst jetzt?

Und doch ist sie hintergründig mehr, wagt man in der Augenreiberei zu behaupten: Die G8-Staaten brauchen Geld. Wie sonst lässt sich erklären, dass man erst jetzt der Mafia den Kampf ansagt?

Dabei zieren sich diese Staaten auch nicht, Sand in die Augen der Weltgemeinschaft zu streuen. So heisst es etwa, dass Italien heute die Erlöse wieder zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität einsetze. Das klingt durchaus vernünftig, nur bezieht sich das auf Italien und auf heute. In den Medienberichten ist ein Versprechen seitens teilnehmender Innen- und Justizminister, es den Italienern in Zukunft gleich zu tun, ebenfalls nicht enthalten.

Selbst wenn sie es täten, beinhaltet das Ganze doch eine gewisse buchhalterische List: Anstelle der finanziellen Mittel, welche bis anhin für den Kampf gegen kriminelle Organisationen vorgesehen waren, sollen nun (u. a.?) die konfiszierten Vermögen verwendet werden. Bisher für diesen Kampf benötigte Mittel werden somit frei. Davon spricht natürlich niemand. Oder hat jemand irgendwo vernommen, dass die konfiszierten Vermögen zusätzlich zu den ohnehin vorgesehenen Mittel hinzu kommen? Dies wäre ja ein Punkt, den die Innen- und Justizminister sicher nicht zu verstecken bräuchten – ausser sie hätten eben eine andere Verwendung im Hinterkopf…

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Selbstverständlich sollen diese Vermögen konfisziert und durch die Staaten zweckgebunden und sinnvoll eingesetzt werden können. Störend ist bei dieser Angelegenheit, dass man erst jetzt, wo sich auch die Staaten finanziell zur Decke strecken müssen, gegen die Mafia vorgeht («da lässt sich noch was holen») und dass die oben vermuteten, aber wohl wahren Motive dieses «Kampfes» verschwiegen werden. Zu anrüchig ist es wohl, zur Entlastung der Staatsrechnungen öffentlich auf Geld abzuzielen, an dem Blut klebt. Zu peinlich ist es wohl auch, dass man ein Jahrzehnte altes «Problem» sich selbst überliess, ergo lässt man offen, weshalb nun plötzlich das Thema aktuell ist…

Nichts Neues – oder doch?

Wie es sich gehört, haben sich die Justizminister in Rom auch für ein gemeinsames Vorgehen gegen den Terrorismus ausgesprochen. Das ist nichts Neues.

Aufhorchen lässt hingegen, dass gemäss Medienberichten in der Abschlusserklärung die Rede davon ist, bei diesem gemeinsamen Vorgehen «die Menschenrechte, das Asylrecht wie auch das Europarecht zu respektieren». Ob sich die Nicht-europäischen G8-Teilnehmer wirklich dem Europarecht unterordnen wollen?

Spätestens jetzt wollte man es in der Augenreiberei etwas genauer wissen und hatte gehofft, die fragliche Abschlusserklärung irgendwo im Internet zu finden. Doch so unmittelbar vor Pfingsten braucht die italienische Präsidentschaft wohl noch etwas länger… Immerhin: Für einige Sätze reichte es noch vor Pfingsten.

Darin heisst es im Wortlaut: «However, security requirements must be balanced against greater compliance with human rights».

Nanu? Wo liegt der Fehler, dass auf der offiziellen G8-Website Italiens die Rede vom relativierenden Wort «greater» ist, in sämtlichen deutschsprachigen Medienberichten (welche alle so ziemlich gleich lauten) jedoch davon ausgegangen wird, DASS diese Rechte in Zukunft eingehalten werden (müssen)?

Dieses eine Wort hat es nämlich in sich. An ihm hängt die Frage, ob der Staat ohne Verdachtsmoment in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger eindringen darf, so wie dies auf dem europäischen Festland vor allem seitens deutscher Regierung beabsichtigt wird.

Justitia, hier auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Bern, ist wohl zum Heulen zumute wenn sie mitbekommt, wie fragwürdig geltendes Recht zum Teil ignoriert wird.

(Quelle: Wikipedia)

Justitia - Gerechtigkeitsbrunnen in Bern (CH)

 

Am Rande dieses Gipfeltreffens kamen – wiederum gemäss Medienberichten – auch die Guantánamo-Häftlinge zur Sprache. Auch hier ist leider eine gewisse Ungenauigkeit bei den Aussagen festzustellen.

Die NZZ schreibt:

«Die italienische Regierung lehnt eine Aufnahme von Guantánamo- Häftlingen in Europa trotz einer entsprechenden Bitte der US-Regierung ab. Innenminister Roberto Maroni sagte beim Abschluss des G-8-Treffens in Rom, die US-Regierung habe Italien ersucht, zwei bis drei Häftlingen aus dem Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba aufzunehmen.

Er habe jedoch im Gespräch mit US-Justizminister Eric Holder erklärt, dass er die Aufnahme von Terrorverdächtigen nicht befürworte.»

Die Berliner Zeitung schreibt:

«Maroni erklärte, dass Italien «höchstens» drei ehemalige Insassen des US-Gefangenenlagers Guantánamo aufnehmen werde. Er persönlich sei insgesamt gegen eine Aufnahme, soweit nicht garantiert werden könne, dass die Ex-Guantánamo-Häftlingen nicht weiter im Gefängnis festgehalten werden könnten.»

Ja was nun? Hat die italienische Regierung für Italien nun schon entschieden oder nicht?

Unglaubwürdiges Palaver

Trotz dieser Ungenauigkeit sticht ein Begriff ins Auge: Terrorverdächtige. Roberto Maroni ist Innenminister und als solcher sollte er wissen, dass auch in Italien die Unschuldsvermutung gilt. Hätte er argumentiert, dass die USA sich selber ein Problem geschaffen haben, welches sie nun auch selber zu lösen hätten, dann liesse sich eine kategorische Ablehnung von Guantánamo-Häftlingen noch nachvollziehen.

Und Roberto Maroni weiss auch, dass das, was in Guantánamo vor sich geht, fernab der Menschenrechte liegt und eigentlich eine Verurteilung der USA seitens aller Staaten verlangen würde, welche sich zu den Menschenrechten bekennen. Doch wenn man es schon im eigenen Land bis hin zum Regierungschef nicht so genau nimmt mit der Einhaltung von nationalen und internationalen Regeln (oder sie nach eigenen Bedürfnissen umbiegen lässt), kann man wohl kaum andere kritisieren…

Um die frommen Wort seitens G8-Innen- und Justiziminster ernst nehmen zu können, sollte vielleicht zuerst mit dem Kampf gegen die «staatlich organisierten Verbrechen» begonnen werden – wie böse Zungen die Handlungen Italiens im Zusammenhang mit ihrer Migrationspolitik und die Handlungen der USA gegenüber den angesprochenen Häftlinge auch nennen…

Könnte einmal jemand die Augenbinde der Justitia auswringen?

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.