Die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag stehen an. Wie jedes Jahr werden unzählige Reden gehalten, an denen zum Nachdenken über die Schweiz und über die «idée suisse» aufgerufen wird.
Und wie in jedem Jahr kann man auch in diesem eine gemeinsame 1. August-Sendung von SF1, TSR1 und RSI LA 1 sehen. «Helden» ist dieses Jahr das Thema, in Anlehnung an den Mythos des Willhelm Tell.
Helden braucht das Land, davon ist man auch in der Augenreiberei überzeugt, weshalb auch schon ein Aufruf nach Vorbildern erfolgte – bis anhin mit mässigem Erfolg. Aber man wünscht sich vor allem Helden, die im Hier und Jetzt leben und Vorbild für Andere sein können statt einen uralten Mythos zum wiederholten Mal noch weiter «aufzuwärmen»…
Ebenso wünscht man sich mehr «idée suisse» mit mehr Vielfalt in der Einheit, wie es in der Präambel der Bundesverfassung so schön heisst. Dabei könnten die elektronischen Medien eine bedeutende Rolle spielen und mit ihnen die Programme der «SRG SSR idée suisse».
Doch nebst dieser urchig anmutenden 1. August-Feier trägt die SRG wenig bei zur «idée suisse». Der Name ist bei ihr eben NICHT Programm und dies entgegen ihrem Programmauftrag:
«1 Die SRG erfüllt den verfassungsrechtlichen Auftrag im Bereich von Radio und Fernsehen (Programmauftrag). Insbesondere:
(…)
b. fördert sie das Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch unter den Landesteilen, Sprachgemeinschaften, Kulturen und gesellschaftlichen Gruppierungen und berücksichtigt sie die Eigenheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone;
(…)»
In Artikel 2, Absatz 2 der Konzession für die SRG klingt es ähnlich:
«In ihren Programmen fördert sie das Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch unter den Landesteilen, Sprachgemeinschaften, Kulturen, Religionen und den gesellschaftlichen Gruppierungen.»
Mit dieser einen Sendung zum Nationalfeiertag trägt die SRG jedoch wenig bei zum Verständnis, Zusammenhalt und Austausch unter den Landesteilen. Auch die Sendungen zur Wahl von Miss und Mister Schweiz oder die Kür zum Schweizer oder zur Schweizerin des Jahres, welche ebenfalls in allen Landesteilen verfolgt werden können, haben nichts mit diesem Programmauftrag zu tun.
Der Hund liegt wohl in Artikel 2, Absatz 6 der vom Bundesrat im November 2007 verabschiedeten SRG-Konzession begraben:
«Die SRG erbringt ihre Leistungen insbesondere durch:
- a) einen hohen Anteil an vielfältigen und innovativen Eigenproduktionen, die einen Beitrag zur schweizerischen Identität leisten;
- b) eine enge Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Filmschaffen;
- c) die Vergabe eines angemessenen Anteils von Aufträgen an die veranstalterunabhängige schweizerische audiovisuelle Industrie;
- d) die Ausstrahlung von schweizerischen und europäischen Werken, die von veranstalterunabhängigen Produzentinnen oder Produzenten hergestellt worden sind;
- e) eine enge Zusammenarbeit mit der schweizerischen Musikbranche;
- f) die angemessene Berücksichtigung der schweizerischen Literatur und literarischer Ereignisse;
- g) einen angemessenen Anteil an Sendungen für hör- und sehbehinderte Menschen.»
Haben Sie hier irgendetwas gelesen bezüglich einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Landesteilen?
La Romandie et le Tessin n’existe pas
So erfahren Sie in einer Sendung wie «Schweiz aktuell» zwar sehr viel darüber, was es aus Rorschach, Zuchwil oder Meiringen zu berichten gibt, aber nichts darüber, was in Gland, Epalinges oder Biasca so abläuft. «Deutschschweiz aktuell» wäre wohl der treffendere Name für diese Sendung.
Doch seien Sie unbesorgt; das zur gleichen Zeit ausgestrahlte Pendant in der Romandie bringt umgekehrt auch keine Beiträge darüber, was in Rorschach, Zuchwil, Meiringen oder Biasca geschehen ist.
Natürlich kann man sich nun fragen, wen es denn interessiert, was in den anderen Landesteilen vor sich geht. Genauso gut müsste man sich aber auch fragen, wenn es denn interessiert, was in Rorschach, Zuchwil oder Meiringen geschieht.
Ist es denn nicht gerade der Blick über den eigenen Gartenzaun, auch auf der Suche nach neuen Impulsen aus anderen Regionen, der allabendlich die Zuschauer ein «Schweiz aktuell» sehen lässt?
Falls ja, warum schauen wir uns gelegentlich auch ein «heute journal» vom ZDF, die «tagesthemen» von ARD oder die Nachrichten von einem der dritten Programme oder einem deutschen Privatsender an und warum geht dieser Blick nicht über die innerschweizerischen Sprachgrenzen hinaus?
Warum wird unser kultureller Reichtum nicht stärker genutzt?
Auswahl der Nachrichten nach Region beim Online-Auftritt von SF:
Die Romandie und das Tessin bleiben dunkelgraue Flächen.
Ausgezeichnete Beiträge – unerkannt in Leutschenbach
Daneben liefern aber auch die Redaktionen der TSR Beiträge ab, welche höchst interessant sind – auch für Deutschschweizer. «Temps Présent» ist ein Format, welches bereits seit 40 Jahren erfolgreich über das Zeitgeschehen berichtet. Gestern Abend lief zum Beispiel (weil Sommerpause) die Wiederholung eines Beitrags über Kinder, welche aufgrund eines Gerichtsentscheids zu einer Pflegefamilie gelangten.
Und – gab’s über diese am 22. Mai 2008 erstmals ausgestrahlte Sendung einen «Dok»-Film? Fehlanzeige! Viel eher kauft man (teure?) Dok-Sendungen ein und vertont diese auf deutsch als dass man einmal bei den Kollegen in Genf oder Lugano nach interessantem Material Ausschau hält.
Wissen Sie zum Beispiel, was «Locavores» sind? Die Romands wissen es, mindestens seit der Sendung «Mise au point» vom 25. Januar 2009. Oder wussten Sie, dass der Kopf auf Plakaten von Wahlkandidaten eine entscheidende Rolle spielt? In der Romandie weiss man das, zumindest seit der Erstausstrahlung am 5. April 2009 in der gleichen Sendung.
Solche Sendungen liefern oftmals den Gesprächsstoff am nächsten Mittagstisch – nur dass man eben in der Romandie über etwas Anderes diskutiert als in der Deutschschweiz. Von wegen Verständnis, Zusammenhalt und Austausch unter den Landesteilen…
Tägliche Annäherung statt tägliche Abgrenzung
Es muss ja nicht unbedingt eine Informationssendung sein für eine Annäherung der Landesteile. Die «Spiele ohne Grenzen» waren in den Anfängen des Fernsehens ein erfolgreiches Unterhaltungsformat, bei dem Equipen aus verschiedenen Ländern auf spielerische Weise um den Sieg kämpften – ganz ohne irgendwelche sprachlichen Hürden.
Eine regelmässig veranstaltete Unterhaltungssendung – die jährlich durchgeführten, oben genannten ausgenommen – hat es jedoch bis anhin bei der SRG nie gegeben. So bastelt jeder weiter vor sich hin oder kauft bei Bedarf lieber irgendwelche Unterhaltungsformate à la «Deal or no deal» oder «1 gegen 100» im Ausland ein…
Vielleicht sollten die zahlreichen Politikerinnen und Politiker von Bundesbern am 1. August weniger eine Rede über die Schweiz halten, an die sich am Folgetag ohnehin niemand mehr erinnern kann als vielmehr darüber nachdenken, wie eine SRG dank Blick über die Sprachgrenzen die Landesteile täglich näher zueinander bringen kann – und zwar ohne einen redaktionellen Einheitsbrei zu produzieren. Denn davon gibt’s hierzulande schon genug…