Vergangenen Samstag kündigte die SVP an ihrem Parteitag an, eine Volksinitiative zu lancieren mit dem Ziel, die Bundesräte in Zukunft vom Volk wählen zu lassen. Wer bereits vom Volk gewählt wird, sind unsere National- und Ständeräte. Obwohl sie als unsere «Volksvertreter» gelten, werden immer wieder Rufe laut, sie würden schon längst nicht mehr ihr Volk sondern vielmehr ihre Eigeninteressen vertreten.
Am 10. Juni 2009 verschickte moneyhouse, Betreiberin einer Datenbank mit Handelsregister- und Firmendaten, einen Newsletter zum Thema «Die Mandatensammler und Lobbiysten im Parlament».
Darin kommt moneyhouse unter anderem zum Schluss:
Aber es gibt sie noch; Parlamentarier, die keine Mandate haben und nur dem Bürger verpflichtet sind, der sie gewählt hat. Einer von ihnen ist der Zürcher SVP Nationalrat Christoph Mörgeli, eine andere seine Parteikollegin Jasmin Hutter, die ebenfalls im Nationalrat politisiert.
Es folgt anschliessend eine Auflistung aller mandatslosen Parlamentarier:
Baettig Dominique, SVP Nationalrat
Dunant Jean Henri, SVP Nationalrat
Estermann Yvette, SVP Nationalrat
Freysinger Oskar, SVP Nationalrat
Geissbühler Andrea Martina, SVP Nationalrat
Girod Bastien, Grüne Nationalrat
Lumengo Ricardo, SPS Nationalrat
Hutter-Hutter Jasmin, SVP Nationalrat
Landolt Martin, BD Nationalrat
Mörgeli Christoph, SVP Nationalrat
Moser Tiana Angelina, CVP Nationalrat
Perrinjaquet Sylvie, FDP Nationalrat
Zisyadis Josef, Grüne Nationalrat
Wyss Brigit, Grüne Nationalrat
Voruz Eric, SPS Nationalrat
Rossini Stéphane, SPS Nationalrat
Reymond André, SVP Nationalrat
(Gegenüber der Originalliste wurden in der Liste oben die französischen Parteibezeichnungen UDC und PSS zu SVP respektive SPS eingedeutscht.)
Anders dargestellt
Auf den ersten Blick fällt auf, dass vor allem Vertreter der SVP, gefolgt von einigen Grünen und der SP kein Mandat haben, wobei sich die Parteibezeichnung auf die Fraktion bezieht und nicht auf die tatsächliche Parteizugehörigkeit (Josef Zisyadis gehört der Grüne-Fraktion an, ist jedoch Mitglied der Partei der Arbeit PdA).
Da es sich ausschliesslich um Mitglieder des Nationalrats handelt, lassen sich diese Mandatslose auch relativ einfach anderweitig darstellen:
Total Nationalrat | ohne Mandat | in % | |
SVP | 59 | 8 | 13.6 |
FDP/Liberale | 35 | 1 | 2.9 |
CVP/EVP/GLP | 36 | 1 | 2.8 |
SPS | 42 | 3 | 7.1 |
Grüne/PdA | 22 | 3 | 13.6 |
BDP | 5 | 1 | 20.0 |
Fraktionslos | 1 | 0.0 | |
Total | 200 | 17 | 8.5 |
Schon alleine die Berücksichtigung der Anzahl Sitze im Nationalrat ergibt somit ein anderes Bild. Demnach schliessen die Grünen auf, haben doch prozentual gleich viele Grüne kein Mandat wie SVP-Vertreter (13.6 %). Das ist moneyhouse wohl entgangen…
Sinnvolle Interessenbindungen (?)
Doch ungeachtet dieser Rechenspielerei lohnt sich auch ein Blick in die Originallisten mit den Interessenbindungen von National- und Ständerat, wie sie via Internet öffentlich zugänglich ist.
Schon hier ist Vorsicht geboten, denn der von moneyhouse verwendete Begriff «Mandat» ist verfänglich. Er klingt etwas gar nach «Verwaltungsrat», obschon auch moneyhouse zum Beispiel die Stiftungsratsmandate auflistet.
So zeigt sich zum Beispiel, dass die Berner SP-Ständerätin Simonetta Sommaruga deshalb nicht zu den «Mandatslosen» gehört, weil sie Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz als auch der Stiftung EQUAM ist.
Da wir alle Konsumenten sind, kann man sich fragen, ob die Umkehrung der Meinung von moneyhouse (wer ein Mandat hat kann nicht mehr dem Bürger verpflichtet sein) richtig ist.
Da wir aber auch alle der Wirtschaft angehören, stellt sich natürlich die gleiche Frage auch bezüglich den Volksvertretern, welche eine führende Rolle beim Wirtschaftsdachverband economiesuisse inne haben.
Hierbei tut sich jedoch eine neue Frage auf: Wie viele Vertreter soll oder darf der jeweilige Interessenverband im Parlament haben? Vom Ständerat sitzen Rolf Schweiger (FDP, ZG) und Bruno Frick (CVP, SZ) im Vorstand von economiesuisse. Im Nationalrat kommen noch Werner Messmer (FDP, TG) und Johann Schneider-Ammann (FDP, BE) als weitere Vorstände hinzu, derweil Ruedi Noser (FDP, ZH) «nur» in der Bildungskommission des gleichen Verbandes sitzt.
Demgegenüber sitzt neben der bereits erwähnten Simonetta Sommaruga einzig noch die Nationalrätin Hildegard Fässler (SP, SG) im Stiftungsrat der Stiftung für Konsumentenschutz.
Natürlich kann man nun argumentieren, dass die beiden Organisationen miteinander nicht vergleichbar sind. Darum geht es auch nicht. Vielmehr stellt sich die Frage: Wie viel Vertretung im Parlament ist für welche Interessen «gesund»?
Wo liegt das gesunde Mass?
Man kann jedoch die Sache auch umdrehen und sich fragen: Wie «volksnah» und wie verankert ist ein Parlamentarier, der in keinem Vorstand, keinem Verwaltungsrat oder keinem Stiftungsrat sitzt?
Kann oder sollte ein Parlamentarier nicht wenigstens eine Interessenverbindung zu einem lokalen, regionalen, kantonalen Verband oder Unternehmen aufweisen, um gerade in dieser Funktion quasi «legitimiert» zu sein, nach Bern geschickt zu werden (er oder sie weiss dann Bescheid, wie es zu Hause läuft)?
- Wann ist für Sie ein Volksvertreter noch ein Volksvertreter?
- Ab wann beginnt Lobbying für Sie und ist das per Definition eine «schlechte» Sache?
- Wie viele Interessen können oder sollen unsere Volksvertreter vertreten dürfen oder müssen?
- Und ab wann sprechen Sie gar von «Filz»?
- Gibt es für Sie verschiedene Formen von «Vetternwirtschaft» (z. B. direkt oder indirekt über «Umwege»)?
Was meinen Sie dazu als direkte Vorgesetzte unserer (?) Vertreter in Bern?
Beispiel Managed Care und angeblich linke PolitikerInnen: Eine besondere Form der Vetternwirtschaft (Korruption?) zeigt sich bei vielen Konsumentenschützern und Patientenschützern, die in der jetzigen Managed Care-Abstimmung die Position der Versicherungen vertreten und sich für das umstrittene Managed Care-Modell starkmachen. Alles angeblich im Interesse ihrer Verbände. In Wirklichkeit sitzen sie im Stiftungsrat der Stiftung EQUAM, derauch die frühere „Konsumentenschützerin“ und Managed Care-Befürworterin Simonetta Sommaruga angehörte. Im EQUAM Stiftungsrat sind selbstverständlich auch – Seite an Seite mit dem Kassenlobbyisten Ignazio Cassis, Frau Erika Ziltener (Konsumentenschutz) und Margrit Kessler (Patientenschutz). EQUAM profitiert direkt vom unseriösen Managed Care-Business, indem es medizinisch gesehen wertlose „Qualitätszertifikate“ verkauft. Die Firmenform einer Stiftung dient zum Steuersparen. Würde die Managed Care-Vorlage am 17.6. Gesetz, dann müssten sich praktisch alle Ärzte „zertifizieren “ lassen. EQUAM würde ein Bombengeschäft machen und das erklärt vielleicht die Begeisterung unserer treusorgenden PatientenschützerInnen aus der SP für Managed Care.