Es war einmal… eine Schweiz, in welcher ein Bundesratskandidat zur richtigen Partei gehören und im richtigen Kanton wohnen musste, um wählbar zu sein. Doch die Zeiten ändern sich…
Die (etwas andere) Geschichte zum Sonntag
«Hu-hu!» höre ich da hinter mir jemand mit schrillender Stimme rufen, währenddem ich dem Trottoir* entlang nach Hause in Richtung Augenreiberei laufe.
Ähnlich dem Pfeifen nach einem Hund reagiere ich auf solche unpersönlichen Rufe eigentlich nicht. Eigentlich. Ausser eben man hört ein zweites Mal diesen Ruf, was diesmal auch tatsächlich der Fall ist: «Hu-hu!».
So drehe ich meinen Kopf nach dem Ruf hinter mir und erblicke sie, Frau Habermacher, Hausfrau, Mutter und Nachbarin zur Augenreiberei. Sie winkt mir zu, wohl erfreut darüber, dass ich sie nun entdeckt habe.
Die Freude ist einseitig, doch ich winke trotzdem zurück und bleibe stehen, damit sie mich einholen kann und wir das letzte Stück nach Hause gemeinsam gehen können. Jetzt einfach weiterzulaufen wäre unfreundlich – obschon es mich danach drängt…
Etwas ausser Atem bei mir angekommen begrüsst sie mich mit einem «Bonjour!» und lächelt mich dabei bis über beide Ohren an. Einmal mehr staune ich über mich selbst, wie ich mich von ihr immer wieder überraschen lassen kann. So auch diesmal bezüglich ihrer neuartigen Begrüssungsform.
Meine anfänglich Verdutztheit habe ich aber schnell abgelegt und grüsse zurück: «Bonjour Madame!»
«Ich werde bald einen Französisch-Kurs belegen», erklärt sie mir unaufgefordert und in wichtigem Ton ihre französischsprachige Begrüssung. Es sei wichtig, andere Sprachen zu beherrschen, fährt sie mit bestimmter Stimme weiter fort.
Natürlich drängt sich mir dabei die Frage auf, woher denn dieses plötzliche Ansinnen komme, weshalb ich sie auch danach frage. «Wissen Sie…», fängt sie an, nachdem sie nun stehen geblieben ist und ich es ihr gleich tue, «…dieser Broulis, Sie wissen schon, dieser Waadtländer Finanzminister und nun inoffizieller Bundesratskandidat ist ja ein ganz Netter».
Der Lüscher sei zwar auch ein ganz flotter Mann. Demgegenüber wirke der Burkhalter doch schon etwas älter, erfahre ich weiter die Präferenzen der Bundesratskandidaten von Frau Habermacher. Aber dieser Broulis gefalle ihr doch am Besten, insbesondere wegen seinen dicklichen, spitzbübischen Backen.
«Aber wissen Sie», gibt sie weiter etwas nachdenklich von sich, nachdem sie nun wieder zu marschieren begonnen hat, «die in Bern wollen einfach einen haben, der auch deutsch kann.»
«Ja und warum wollen denn Sie nun französisch lernen», muss ich nachfragen, den Zusammenhang zur kommenden Bundesratswahl noch nicht sehend.
«Schauen Sie: Einige Vorstandsmitglieder unseres zweisprachigen Bieler Kissennähvereins, dem ich übrigens nun schon seit bald 20 Jahren angehöre, werden wohl bald ihren Rücktritt einreichen.»
Aha, jetzt wird’s langsam klarer. «Und da könnten Sie bald in den Vorstand nachrücken?», spreche ich aus, was sie bis anhin nur andeute.
«Genau! Es wäre doch schade, wenn ich nicht in den Vorstand gewählt werden würde nur weil ich die französische Sprache nicht beherrsche. Auch mein Mann meint, man solle immer allzeit für alles bereit sein, gälled si.**» Da ist es wieder, ihr typisch gekünsteltes und überlegen wirkendes Gälled si-Lächeln auf ihrem gleichzeitig leicht schief gehaltenen Kopf.
«Klar doch», gebe ich zurück und schiebe nach: «Aber Schwaller kann deutsch». Jetzt bleibt sie wieder stehen, schaut mich verwundert an, bevor sie entrüstet meint: «Aber wir haben niemanden im Vorstand, ja nicht mal im ganzen Kissennähverein, der so heisst».
«Ich meine den Bundesratskandidaten», erkläre ich zu ihrer Beruhigung den genannten Namen. «Ach den Schwaller meinen Sie! Aber der ist doch von der falschen Partei», erwidert sie mit fragendem Blick.
«Sind Sie denn in der Richtigen?», spiele ich den Ball zurück. Es dauert einige Sekunden, während denen sich ihre Stirn in Falten legt und sich ihre Augen doppelt so weit öffnen wie ansonsten üblich, bis ich von Ihr höre: «Wie meinen?»
«Sind Sie in der richtigen Partei?», präzisiere ich meine vorgängige Frage. «Ach so meinten Sie das», höre ich sie nun wieder gehend sagen. «Aber wir haben doch gar keine Parteien in unserem Kissennähverein», winkt sie die Frage ab.
Mit dieser Antwort rechnend bleibe ich schlagartig verwundert stehen und gebe gespielt von mir: «Was?! Sie haben in Ihrem Verein keine Parteien?!» Ja wie sie denn die Zusammensetzung des Vorstands bestimmen könnten, so ganz ohne Parteien, will ich von ihr wissen.
Vor mir stehend blickt sie zum Himmel hoch um einen Moment über diese Frage nachzudenken. Wieder mich anblickend meint sie: «Ich denke, wir wählen jeweils die für dieses Amt am besten geeignete Person»
Ich ziehe meine rechte Augenbraue hoch, um so meine Überraschung weiterhin gespielt zum Ausdruck zu bringen: «Die für dieses Amt am besten geeignete Person??? Und das ganz ohne Parteizugehörigkeit???» Sie bestätigt meine zweifelnd geäusserte Nachfrage mit einem Kopfnicken.
«Aber das würde ja bedeuten, dass es auch bei den Bundesratswahlen nicht auf die Partei ankommt», schlussfolgere ich das bisherige Gespräch.
«Vielleicht», höre ich kleinlaut die Frau Habermacher sagen. «Aber ein echter Romand sollte er sein», vernehme ich ihre Stimme wieder etwas sicherer.
«Naja… Lüscher, Burkhalter, Broulis oder auch Brunschwig-Graf – das klingt mir alles so ganz und gar nicht nach Romand… Sind Sie sicher, dass das ‚richtige’ Romands sind?», versetze ich sie weiter in Zweifel.
Bevor sie die Gelegenheit hat, darauf eine Antwort zu finden, befreie ich sie aus ihrer Argumentationsnot indem ich ihr wiederhole, dass ihr Favorit mit den spitzbübischen Backen, Pascal Broulis, ja gar nicht deutsch könne.
Entrüstet bleibt sie erneut stehen und stemmt ihre Hände in die Hüften, um in dieser eher bedrohlichen Pose zu fragen: «Seit wann spielt eigentlich die Sprache der Bundesratskandidaten eine Rolle?!»
Jetzt hat sie schon zum zweiten Mal verstanden, worauf ich hinaus will. «Das, Frau Habermacher, ist eine sehr gute Frage, zumal es Bundesräte gibt, die trotz vierzigjähriger Politikerkarriere immer noch schlecht deutsch sprechen…»
Ihre Miene erhellt sich wieder. «Sie meinen, Herr Broulis hätte doch noch Chancen?»
«Diesmal wohl kaum», inzwischen vor dem Haus zur Augenreiberei angekommen.
«Aber er sollte weiter deutsch lernen, denn vielleicht braucht die Schweiz bald einen neuen Finanzminister und FDP-Bundesrat. Und falls nicht, dann wäre es vielleicht trotzdem gut, wenn er deutsch kann, denn man weiss ja nie, ob der Herr Gaddafi schliesslich nicht auch die Romandie an Deutschland zuteilen will…»