Reformideen zum politischen System der Schweiz

Das politische System der Schweiz basiert mehrheitlich immer noch auf dem, was anlässlich der Gründung des Bundesstaates 1848 festgelegt wurde. Doch die Schweiz von heute steht vor anderen Herausforderungen als die Schweiz von damals. Eine Reform des politischen Systems Schweiz drängt sich mehr denn je auf.

Ende August 2009 kündigte der Bundesrat an, er wolle einen neuen Anlauf betreffend «Staatsleitungsreform» nehmen. Dazu soll das eidgenössische Polizei- und Justizdepartement zusammen mit der Bundeskanzlei bis nächsten Frühling Vorschläge ausarbeiten. Seit vergangenem Freitag ist auch die Rede davon, sich auch Gedanken zur Neugliederung der Departemente machen zu wollen.

Zur Erinnerung: Es ist nicht der erste Versuch, auf Ebene unserer Landesregierung eine Anpassung an die jüngeren Umstände zu erreichen. Letztmals refüsierte aber der Bundesrat selber eine entsprechende Reform. Man erhielt dabei den Eindruck, er wolle lieber nichts verändern als dass sich die Machtverhältnisse im Bundesrat verschieben sollten.

Derweil pocht jedoch das Parlament weiterhin auf eine entsprechende Reform, weshalb der Bundesrat nun in Zugzwang ist. Allerdings:

Die Zusatzbotschaft wird im Wesentlichen Reformvorschläge enthalten, die grösstenteils keine grundlegenden institutionellen Änderungen erfordern und sich deshalb im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung umsetzen lassen.

Insbesondere will der Bundesrat Massnahmen näher prüfen, welche die Regierungstätigkeit stärken. Zur Diskussion stehen häufigere Grundsatzdebatten und Aussprachen zu wichtigen Themen, eine flexiblere Gestaltung der Bundesratssitzungen und eine Verwesentlichung der Bundesratssitzungen durch vermehrte schriftliche Beschlüsse bei Geschäften ohne Diskussionsbedarf.

Das klingt leider jetzt schon danach, dass aus der Reform nur ein Reförmchen wird (keine institutionellen Reformen), welches selber wiederum nur Punkte enthält, die ohnehin schon seit Jahren selbstverständlich sein sollten (Bundesratssitzungen, Grundsatzdebatten etc.).

Gewisse Parlamentarier haben bereits Kritik zu den weiteren, ansatzweise geäusserten Ideen verlauten lassen, so zum Beispiel was das Vertretenlassen im parlamentarischen Geschäftsverkehr betrifft. Dies lässt erahnen, dass das Parlament die entsprechenden Vorschläge – wenn sie denn endgültig vorliegen – wohl noch zerpflücken wird und aus dem Reförmchen ein Reförmli wird…

Ungeachtet dieser «Vorboten» stellt die Augenreiberei nachfolgend ziemlich frech, aber ohne Anzeichen von Grössenwahn («für wen hält der sich eigentlich?») einige Reformvorschläge zur Diskussion.

Sie beinhalten nicht nur unsere Landesregierung, sondern auch das Parlament und sie dürften insgesamt illusorisch, utopisch und unbedarft erscheinen. Dahinter steckt durchwegs Absicht, denn diese Vorschläge zielen darauf ab, den Horizont zu öffnen. Dafür steht aber manchmal unser Realitätssinn im Wege, weshalb man sich bewusst des Mittels der Utopie bedient…

1) Das Parlament

Heutige Situation Das Parlament besteht aus den beiden Kammern National- und Ständerat.
Vorschlag Die beiden bisherigen Kammern werden beibehalten.

Sie werden jedoch mit einer dritten Kammer, dem so genannten «Bürgerrat», ergänzt.

Ummittelbar nachdem beide Kammern ihren Entscheid zu einem Geschäft gefällt haben, wird der Bürgerrat diesen als Gesamtes prüfen. Dabei liefern die National- und Ständeratspräsidenten dem Bürgerrat Rechenschaft über die getroffenen Entscheide ab.

Der Bürgerrat kann inhaltlich keinen Einfluss nehmen, sondern nur die Entscheide der beiden anderen Kammern akzeptieren – oder zur nochmaligen Beratung durch die beiden Räte einschliesslich deren Kommissionen zurückweisen. Diese haben dann in der nächsten Session nochmals darüber zu befinden.

Kommt es anschliessend erneut zu einer Rückweisung durch den Bürgerrat, gelangt eine Gesetzesvorlage im Sinne eines Referendums vors Volk.

Vorstösse, welche von National- und Ständerat erneut bachab geschickt wurden (also noch gar nicht in Gesetzesform vorliegen), gelangen im Sinne einer allgemeinen Volksinitiative vors Volk. 

Geschäfte, welche von einem Rat verzögert werden, können vom Bürgerrat für die nächste Session angesetzt werden.

Der Bürgerrat besteht aus je zwei Mitgliedern pro Kanton (analog Ständerat). Diese je zwei Mitglieder werden seitens der Kantonsparlamente geheim gewählt. Sie dürfen keiner politischen Tätigkeit nachgehen und keiner politischen Partei angehören (nicht umsonst nennt sich diese dritte Kammer «Bürgerrat»).

  

Begründung Die beiden heutigen Kammern unterstehen keiner institutionellen Kontrolle. Es kann tun und lassen, was es will. Zwar kann gegen verabschiedete Gesetzesvorlagen das Referendum ergriffen werden. Doch dafür ist viel Zeit, Fronarbeit und Geld notwendig. Es ist nicht besonders demokratisch, wenn die Ergreifung des Referendums abhängig ist von den verfügbaren Ressourcen…

Auf der anderen Seite werden manchmal Vorstösse deshalb bachab geschickt, weil sich kein Konsens finden lässt und dies obwohl sich alle Parteien über das Bedürfnis nach einer Veränderung einig sind. Damit wird dann ein Thema auf die lange Bank geschoben. Zwar kann auch hier das Volk mittels einer Volksinitiative aktiv werden, doch gilt besonders hier: Ohne viel Zeit, Fronarbeit und Geld läuft nichts.

Wenn eine Selektion von einfachen, politisch nicht aktiven Bürgern die Meinung vertritt, dass etwas auf die lange Bank geschoben wird oder dass ein Entscheid nicht im Sinne der Allgemeinheit ist, können diese entsprechend reagieren.

  

2) Der schweizerische Bundesrat

Heutige Situation Er besteht aus sieben Mitgliedern, welche vom Parlament gewählt werden.

Das Parlament wählt aus diesen sieben alljährlich einen Bundespräsidenten für die Dauer von einem Jahr.  

Vorschlag Er besteht aus zehn Mitgliedern.Neun davon werden vom Parlament gewählt werden und sind gleichzeitig Departementsvorsteher.Das Volk wählt das zehnte Bundesratsmitglied, den Bundespräsidenten, für die Dauer von drei Jahren. Er kann nicht zu einer neuen Amtszeit antreten.Für die Wahl durchs Volk schlagen National- und Ständerat jeweils drei Kandidaten vor, welche nicht aktiv in der Politik sein müssen.

Der Bundespräsident hat primär repräsentative Aufgaben. Er führt kein eigenes Departement, ihm sind jedoch unabhängige oder allgemeine Amtstellen wie der Preisüberwacher, der eidgenössische Öffentlichkeits- und Datenschutzbeauftragte, die eidgenössische Kommission gegen Rassismus, das eidgenössische Büro für Gleichstellung von Mann und Frau, das eidgenössische Büro für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, das Bundesamt für Statistik usw. administrativ unterstellt.

Er beteiligt sich an den Bundesratssitzungen wie allen anderen neun Mitgliedern und hat allenfalls den Stichentscheid inne. Er vertritt den Bundesrat und die Schweiz bei wichtigen Auftritten nach aussen und ist, aufgrund der Volkswahl, quasi das Bindeglied zwischen Volk und Landesregierung. Zudem stammt er jedes Mal aus einem anderen Landesteil.

Die neun Departement der «normalen» Bundesräte gliedern sich wie folgt:

a) Departement für Raum, Verkehr & Mobilität
Bestehend aus: BA Verkehr (BAV), BA Zivilluftfahrt (BAZL), BA Strassen (ASTRA), BA Raumentwicklung (ARE), BA Wohnungswesen (BWO)

b) Departement Gesundheit & Sport
Bestehend aus: BA Sport (BASPO), BA Gesundheit (BAG), BA Sozialversicherungen (BSV), Swissmedic

c) Departement Kommunikation, Energie & Umwelt
Bestehend aus: BA Kommunikation (BAKOM), BA Energie (BFE), BA Umwelt (BAFU), BA Meteorologie & Klimatologie (MeteoSchweiz)

d) Departement für Sicherheit
Bestehend aus: Bevölkerungsschutz (BABS), Verteidigung/Armee (VTG), BA Polizei (fedpol)

e) Departement für Wirtschaft
Bestehend aus: SECO, BA Landwirtschaft + Veterinärwesen (BLW+BVET), BA Konsum & Sicherheit (BFK+BWL), BA Metrologie (METAS), Vereinswesen (neu) & Zivildienst (ZIVI),

f) Departement für Kultur, Bildung & Forschung
Bestehend aus: Berufsbildung und Technologie (BBT), Staatssekretariat Bildung & Forschung (SBF), (Eidg. Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB), BA Kultur, Schweiz. Bundesarchiv, Schweiz. Nationalbibliothek

g) Departement für Recht & Justiz
Bestehend aus: BA Justiz (BJ), BA Migration & Integration (BFM+)

h) Departement für Internationale Beziehungen
Bestehend aus: Auslandschweizer & Auslandvertretungen, Präsenz Schweiz , Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), Internationale Organisationen, Völkerrecht, Politische Abteilungen

i) Departement für Finanzen & Ressourcen
Bestehend aus: Eidg. Finanzenverwaltung (EFV), Eidg. Steuerverwaltung (ESV), (Finanzmarktaufsicht FINMA), Zölle & Abgaben (EZV+EAV), Bauten & Logistik (BBL), Personal (EPA), Informatik (BIT)

  

Begründung Die Schweiz hatte schon im Jahre 1900 nur sieben Bundesräte, als die Bevölkerungszahl bei 3.3 Millionen lag. Die Welt ist seither komplexer und vernetzter geworden, weshalb auch zu mehr Themen eine politische Antwort notwendig ist. Darin begründet sich primär die Erhöhung der Anzahl Bundesratssitze.

Die Erhöhung auf neun «klassischen» Sitzen erlaubt zudem auch eine höhere Flexibilität bei der Berücksichtigung nach Landesteilen und Parteien. So dürfte immer ein Sitz dem Tessin, zwei Sitze der Romandie und sechs Sitze der Deutschschweiz zugesprochen werden.

Bei den Departementen geht es vor allem auch um eine neue Gewichtung der Sachbereiche. So ist Bildung und Forschung zwar der wichtigste «Rohstoff» der Schweiz. Dies wurde bis anhin jedoch kaum entsprechend gewürdigt. Auch die Kultur, wichtiger Grundstein für Bildung und Forschung, wird im Vorschlag oben in unserem kulturreichen Land höher gewichtet.

Das heutige UVEK soll aufgespalten werden, um auch so den immer wichtiger werdenden Themen Raumnutzung, Mobilität, Energie und Kommunikation mehr Gewicht zu verleihen.

Weitere, nicht so einschneidende Veränderungen können oben der Zuordnung der Bundesämter (BA) entnommen werden.

Die Wahl eines Bundespräsidenten durchs Volk ist die Antwort einerseits auf den Wunsch nach mehr Volksbeteiligung bei Bundesratswahlen (man könnte diesen Vorschlag auch als gut schweizerischen Kompromiss verstehen) und andererseits den Wunsch nach einem länger amtierenden Staatsoberhaupt als dies heute der Fall ist.

  

3) Wahlrhythmus und Amtsdauer

Heutige Situation Bundesrat und Parlament werden jeweils alle vier Jahre gewählt. Eine Amtszeitbeschränkung besteht nicht.  
Vorschlag Bundesrat und Parlament werden jeweils alle drei Jahre gewählt.Sie können höchsten während fünf volle Amtsperioden agieren (maximal 15 Jahre).Ausgenommen davon ist der Bundespräsident (maximal 3 Jahre), siehe oben. Eingeschlossen ist darin jedoch auch der Bürgerrat.

  

Begründung Bereits heute wartet man von links bis rechts nur so auf die Wahlen von 2011. Unser Umfeld kann sich manchmal so schnell verändern, dass eine Anpassung oder eine Bestätigung der politischen Kräfteverhältnisse im Parlament früher wünschenswert ist. Die heutige vier-Jahres-Periode stammt noch aus einer Zeit, als die Welt weitaus beschaulicher war.

Wahlen alle drei Jahre dürften auch weniger zu Verzögerungen bei den Geschäften führen, welche manchmal schon auch deshalb verzögert werden, weil sich die Parteien andere Kräfteverhältnisse zu einem späteren Zeitpunkt erhoffen. Natürlich sagt das keine Partei so direkt…

Mit einer Amtszeitbeschränkung soll eine gewisse Erneuerung bei der Besetzung der jeweiligen Sitze und damit die Integration frischer Kräfte mit neuen Ideen sichergestellt werden.

  

Voilà, soweit einige Gedanken zu möglichen Reformen unseres nationalen Polit-Systems. Über Sitzungsrhythmen im Bundesrat können wir ja ein andermal diskutieren… 🙂

Jetzt sind Sie dran mit mitdenken, kommentieren und vorschlagen.

3 Antworten auf „Reformideen zum politischen System der Schweiz“

  1. Lieber Titus,

    da hast Du Dich aber reformmächtig ans Schreibwerk gemacht, obwohl Deine Vorschläge utopischen Charakter inne haben sollen.

    Trotzdem Gratulation zu den seriösen Departementsaufteilungen und möglichen Wahlprozeduren.

    Allein derartige Ueberlegungen wurden vor x Jahren bereits im Parlament diskutiert: die 7 Bundesräte mit „Minister“ zu ergänzen, um ihre Bundesämterlasten zugunsten der Regierungstätigkeit zu optimieren.

    Veränderungen in unserem Bundeshaus sind bekanntlich nicht nur von, aber vor allem der Wirtschaft abhängig und den Interessengruppen, die bei einem Vernehmlassungsverfahren ihre Vorstellungen einbringen können.

    Sollte Dein Ideenkatalog während einer parlamentarischen Horizonterweiterung ein „Reförmli“ hervorbringen, wirst Du dies bestimmt im stadtwanderer-blog politologisch versiert kommentiert erhalten.

    Bis dann oder auf ein baldiges andermal grüsst herzlich

    Walko

  2. Vielen Dank, Walko.

    Etwas fundiert müssen die Ideen ja schon sein, damit auch ernsthaft darüber nachgedacht wird. Stell‘ Dir vor, ich hätte ein «Departement für Humor, Satire und sonstige Spässe» oder ein «Departement zur Verteidigung des Bankgeheimnisses der Schweiz VBS» vorgeschlagen – das ginge ja nur beim einen Ort rein und beim anderen wieder raus.

    Der Bürgerrat hat auch mit den von Dir angesprochenen Interessengruppen zu tun. Die grundsätzliche Idee ist, dass dessen Mitglieder möglichst unabhängig von Partikularinteressen Dritter sind. Es sollen einfach ganz normale Schweizerinnen und Schweizer mit einem «gesunden Menschenverstand» sein, welche ohne Profilierungsdruck und ohne parteipolitschen Hintergrund einen Entscheid für ihr direktes, aber auch das gesamtschweizerische Umfeld hinterfragen sollen.

    Ich erinnere mich vage an die Diskussion mit den «Sub-Bundesräten» (wurden sie nicht einfach nur Staatssekretäre genannt?). Doch im Unterschied zu früheren Reformbemühungen haben wir heute die Möglichkeit, uns öffentlich an der Diskussion zu beteiligen. Ob dabei auch jemand zuhört und sich vielleicht inspirieren lässt, ist nochmals eine andere Frage… 🙂 Wichtig erscheint mir, dass wir uns eben auch Gedanken machen und diese nicht für uns behalten müssen.

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