Just zur Eröffnung des G20-Gipfels in Pittsburgh präsentierte gestern Ethos, die schweizerische Stiftung für nachhaltige Entwicklung, zum vierten Mal eine Studie über die Vergütungen der Führungsinstanzen von börsenkotierten Schweizer Unternehmen. Am G20-Gipfel wird zwar nicht über diese Unternehmen diskutiert, doch aber über Managerlöhne und –boni.
Diese Studie ist einfach zum Heulen. Nicht etwa, weil die durchschnittlichen Vergütungen für Verwaltungsräte und Geschäftsleitungsmitglieder im 2008 um 22 % zurückgingen. Nein, es sind zahlreiche andere Zahlen, die einem zum Heulen treiben könnten.
VR mehr, GL weniger
So haben zum Beispiel die Gesamtvergütungen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung von Nestlé um ein Prozent abgenommen. Bei der Geschäftsleitung liegt die Abnahme gar bei 27 %. Im Gegenzug – und darum liegt die Abnahme insgesamt nur bei einem Prozent – nahmen die Vergütungen beim Verwaltungsrat um satte 274 % gegenüber dem Vorjahr zu!
Ein ähnliches Bild zeigt sich zum Beispiel auch beim Chemie-Unternehmen Roche: Insgesamt haben die Vergütungen um vier Prozent abgenommen. In der Geschäftsleitung zeigt sich ein Minus von 33 %, währenddem der Verwaltungsrat ein Plus von sage und schreibe 369 % verzeichnet! (Ausrufezeichen werden in der Augenreiberei in der Regel äusserst sparsam verwendet, doch hier scheinen sie angebracht zu sein.)
Ein wesentlich stabileres Verhältnis zeigt sich hingegen bei Nobel Biocare: Minus 38 % für die Verwaltungsräte und Minus 39% für die Geschäftsleitung, was insgesamt zu einem Minus von 39 % führt.
Interessant hierbei ist auch die Entwicklung bezüglich Anzahl Mitarbeiter. Nestlé hat gegenüber 2007 3 % mehr Mitarbeiter, bei Roche sind es 2 %. Noble Biocare hat hingegen 13 % mehr Mitarbeiter. Beachtet man dazu die Zahlen oben, scheint es fast so, als ob Nestlé und Roche in Verwaltungsräte und Noble Biocare in Mitarbeiter investiert hätten…
Ethos Studie «Vergütungen 2008 der Führungsinstanzen», Seite 9:
«Dennoch bleiben die ausgezahlten Boni trotz der beispiellosen Finanzkrise hoch und übersteigen in den meisten Fällen das Grundgehalt.»
Nur offene Fragen
Ungeachtet der bereits genannten Zahlen fällt vor allem auch noch eines auf: Viele dieser positiven oder negativen Zahlen über die Vergütungen an die oberste Führungsriege befinden sich im zwei- oder gar dreistelligen Bereich. Das heisst, wenn so grosse Variationen möglich sind, ohne dass die Betroffenen gleich protestierend auf die Strasse gehen müssen, dann stimmt doch irgendwie etwas nicht… (was wir insgeheim ja eigentlich schon lange wissen, aber nie zu beweisen war).
Ist denn weniger Verantwortung da, dass man plötzlich die Vergütungen für Geschäftsleitung und Verwaltungsräte zum Beispiel um 39 % herunterfahren kann? Und wenn die Verantwortung das ausschlaggebende Kriterium ist, wie erklären sich dann die Unterschieden zwischen den einzelnen Unternehmen? Wie misst man Verantwortung?
Oder gibt’s in Krisenzeiten ausgerechnet auf der obersten Führungsetage auch weniger zu tun? Apropos Zeitaufwand: Was aus der Studie leider nicht ersichtlich ist, ist die Anzahl Verwaltungsratssitzungen, deren Dauer und die für die Vorbereitung notwendige Zeit. Allerdings – irgendwie wissen wir ja auch ohne diese Angaben, dass eine Stunde Grundsatzdiskussion mit vielleicht einer Grundsatzeinscheidung ziemlich teuer und dem einfachen Bützer im gleichen Unternehmen ziemlich schwer erklärbar ist…
P.S. Für diesen Artikel war nicht Neid die Triebfeder, sondern der gesunde Menschenverstand und die Frage nach dem sozialen Gewissen.