Von Kultur schaffen und von Kulturschaffenden…

Sind Kultur zu (er)schaffen und die Aktivitäten Kulturschaffender das Gleiche? Und falls nicht, was machen dann eigentlich Kulturschaffende?

Zugegeben, in der Augenreiberei ist man das, was man landläufig als «Kulturbanause» bezeichnet. Man hat keine Ahnung von Kultur, denn nur «Kennern» oder «Experten» ist es vorbehalten, eine Ahnung von Kultur zu haben – meinen zumindest diese Kenner und Experten.

Wenn man keine Ahnung über die Kulturszene hat, ist es daher anmassend, überhaupt von Kultur zu reden beziehungsweise zu schreiben.

Kultur sind wir

Trotzdem glaubt man in der Augenreiberei, dass es einen immensen Unterschied gibt zwischen Kultur zu (er)schaffen und Kulturschaffenden. Ja man geht sogar soweit, dass man es als anmassend empfindet, dass sich einige Kultur-Schaffende als «Kulturschaffende» bezeichnen. Dieser Begriff ist falsch und wird selbst von vielen so genannter Kulturschaffenden falsch verstanden.

Denn: Kultur sind – und vor allem – leben wir alle. Ohne uns, ohne «alle», findet Kultur nicht statt. Selbst die Verweigerung gegenüber dem Schaffen der so genannten Kulturschaffenden ist Kultur. Die Verweigerung oder der Protest gegenüber einer Sache drückt auch Kultur aus.

Das ist dann eher eine negative Form von Kultur. Doch niemand kann oder darf behaupten, dass Kultur immer nur positiv ist oder sein muss. Eine Kultur der Intoleranz, des Vergessens oder der Ignoranz wird beispielsweise von den meisten eher als negative Kultur aufgefasst.

Kultur schaffen wir

Die, die sich Kulturschaffende nennen, sind Lebenskünstler, Freidenker, Provokateure, Essayisten, Denkanstösser, Mahner, Experimentierfreudige usw. Sie schaffen keine Kultur, sondern sie regen zu einem kulturellen Wandel an. Sie weisen uns auf etwas hin, das heute nicht gängig ist. Sie schaffen Neues, ohne Garantie darauf, dass dieses Neue Bestand oder Erfolg haben wird.

Erst wir alle, die grosse Masse oder der «Mainstream», schaffen und leben wirklich Kultur und erst wir alle bestimmen, ob es zu einer kulturellen Veränderung kommt oder nicht und zwar indem wir das annehmen, wozu uns andere anregen.

Nicht immer sind es aber die Kulturschaffenden im klassischen Sinne, die zu einer Kultur beziehungsweise zu einem Kulturwandel anregen. Es wäre deshalb auch anmassend, wenn Kulturschaffende von einem Führungsanspruch im kulturellen Bereich sprechen, wie dies auch kürzlich wieder geschehen ist.

Kultur des Ignorierens

Ein gutes Beispiel dafür, dass eine bestimmte Kultur oder Kulturform nicht immer aus den Reihen der Kulturschaffenden kommt, liefert der Fall Polanski. Denn: Die Empörung, die sich heute nicht nur wegen seiner Verhaftung, sondern auch wegen seiner strafbaren Handlungen vor über 30 Jahren auftut, ist – zugegebenermassen – eine späte Empörung.

Hier wurde – ungeachtet der zwischenstaatlichen Rechtssituation – insbesondere, aber nicht nur, durch das offizielle Frankreich eine Kultur der Ignoranz und des Vergessens zelebriert und dies ausgerechnet bei Roman Polanski.

Die Person spielt hierbei sehr wohl eine Rolle, denn als Holocaust-Überlebender wäre Roman Polanski der erste, der aufmucken würde, wenn sich über Schandtaten der Vergangenheit eine Kultur der Ignoranz und des Vergessens breit macht. Um dem entgegen zu wirken hat insbesondere auch er seine Vergangenheit filmisch aufgearbeitet.

Dagegen ankämpfen

Gewiss, die Schwere der Schandtaten kann und darf nicht miteinander verglichen werden. Aber gegen eine Kultur der Ignoranz und des Vergessens ist bei einem Verbrechen ungeachtet der Schwere vorzugehen und zwar nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftlich. Und dabei spielen die Kulturschaffenden als Freidenker, Provokateure, Denkanstösser, Mahner usw. in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle.

Darum hat man in der Augenreiberei wenig Verständnis dafür, dass nun ausgerechnet gewisse (aber nicht alle!) Kulturschaffende sich für eine Freilassung Roman Polanskis einsetzen und damit die bisherige Kultur der Ignoranz und des Vergessens weiter zelebrieren wollen.

Wie sagte doch kürzlich in einem anderen Zusammenhang «ein Journalist, mittlerweile pensionierter, der in Berlin lebt» auch für diese Situation so treffend: Dem faulen Zauber ist rasch ein Ende zu bereiten. Basta!

Alternativen?

Um dem so weit wie möglich nachzuleben, verweigert man sich in der Augenreiberei bis auf Weiteres gegenüber Denkanstösse von Kulturschaffenden, welche diese bis anhin gelebte Kultur der Ignoranz und des Vergessens aufrecht erhalten wollen.

Fragt sich nur noch, wo Alternativen zu finden sind. Jodler mit rassistisch anmutenden Schnupfsprüchen können es ja auch nicht sein…

4 Antworten auf „Von Kultur schaffen und von Kulturschaffenden…“

  1. Ich schliesse mich BodeständiX an und füge hinzu:

    Lieber Titus, da musst du dich aber ganz vielem Verschliessen. Die Liste ist ja gfürchtig voller Jemande. Trotzdem: Auch ich weiss nicht, wie man eine solche Petition unterzeichnen kann.

    Ich frage mich, ob da unter den „Kulturschaffenden“ (ich nehme sie nach deiner Definition, die mir sehr gefällt in Anführungs- und Schlusszeichen) nicht irgendeine Massenhysterie ausgebrochen ist, deren Sog sich Einzelne nicht entziehen können. Ich bin mir fast sicher, dass der eine oder die andere dieser Unterschreibenden nach einigem Nachdenken fragt, was sie denn da genau unterschrieben haben. Erst einmal aber muss dieser ganze Hype abklingen, diese Aufgeregtheit, die ein grässliches Zeichen unserer Zeit ist.

  2. Besten Dank Euch beiden.

    Nicht umsonst schliesse ich ja mit er Frage, was denn die Alternativen sind und hatte mir erhofft, jemand könnte hier einige aufzeigen. Denn: Es wäre ja schon Verhältniswahnsinn, die Liste aller Beteiligten nach möglichen Mitunterzeichnern zu scannen…

    Allerdings, es gibt auch andere «Kulturschaffende», die diese (Re)Aktion(en) auch nicht verstehen. Hier nachzulesen («Die Stimmung kippt»).

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