Irgendwo in Paris befindet sich noch heute das erste, in Messing gegossene Urmeter, welches allerdings nicht ganz einem Meter entsprach. Und obwohl seither weiter präzisiert wurde, wie lange ein Meter zu sein habe, wird heute mit mehr unterschiedlichen Massstäben denn je gemessen. Denn: Nicht alle Massstäbe lassen sich so einfach in Messing giessen…
Einer dieser unterschiedlichen Massstäbe kommt bei der Frage zur Anwendung, was Recht und was gerecht ist. Jüngstes Beispiel dafür: Der Fall Polanski. Doch halt, nein, um den geht es diesmal nicht. Er macht nur deutlich, wie beim Rechtssinn, bewusst oder unbewusst, unterschiedliche Massstäbe angewandt werden (können).
Kulturelle und charakterliche Unterschiede sind häufig auch ein Auslöser dafür, dass unterschiedliche Massstäbe vorliegen. Darum müssen Bundespräsident Merz’ Knie mittels eines weiteren Kniefalls wohl erst bluten, bis dass das libysche Mass nicht gleich, sondern bewusst grösser ist und dies obwohl das Mass ja eigentlich voll ist…
Diplomatische Immunität…
Obschon uns diese unterschiedlichen Massstäbe ziemlich in Rage versetzen können, gibt es auch solche, welche noch mehr Anlass dafür geben sollten. Zum Beispiel bei Kriegsverbrechen. Was ein Kriegsverbrechen und was ein Kriegsverbrecher ist, ja dafür gibt’s eben leider auch ganz unterschiedliche Massstäbe.
So blitzten zwei palästinensische Menschenrechtsorganisationen kürzlich mit ihrer Klage vor einem britischen Gericht ab, den israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak wegen Kriegsverbrechen in Grossbritannien festnehmen zu lassen, wie einer Notiz eher am Rande entnommen werden kann. Die Begründung:
Die britische Justiz wies die Eingabe am Dienstagabend unter Verweis auf die Immunität Baraks zurück, wie ein Anwalt der palästinensischen Gruppen mitteilte.
Wenn das ein Argument sein soll, dann dürfte der internationale Strafgerichtshof in Den Haag, einschliesslich jenem für das ehemaligen Jugoslawien, bald nichts mehr zu tun haben, denn da werden Prozesse gegen jene geführt, welche als Staatschefs auch einmal Immunität genossen…
Der kürzlich veröffentlichte, von der UNO in Auftrag gegebene Goldstone-Bericht lässt keine Zweifel offen über die Rolle Israels und der Hamas-Kämpfer anlässlich der letzten Offensive Israels anfangs dieses Jahres. Im Extremfall, welcher jedoch als wenig wahrscheinlich eingestuft wird, könnte es dann vielleicht doch zu einer entsprechenden Verhaftung kommen – je nachdem mit was für Massstäben die Staatengemeinschaft messen wird.
Die Herren mit der weissen (?) Weste
Ein anderes Beispiel für unterschiedliche Massstäbe sind die gestern geführten und als erfolgreich bezeichneten Gespräche mit Iran bezüglich dessen Atomprogramm.
Das Bild der am Verhandlungstisch sitzenden Vertreter nimmt dabei schon etwas groteske Formen an. Da sitzen auf der einen Seite nebst der EU und Deutschland die fünf UNO-Vetomächte, welche allesamt auch Atommächte sind. Das sind die Guten.
Und auf der anderen Seite sitzt Iran. Das sind die Bösen.
Natürlich macht es nach unseren Massstäben Angst, wenn ein Staat, dessen Regierung erst kürzlich nur unter zweifelhaften demokratischen Umständen wieder gewählt wurde, sich in Sachen Atomprogramm «verselbstständigt».
Doch wenn man an einen George W. Bush denkt (dessen Wiederwahl auch äusserst bedenklich war), oder an die Volksrepublik China, welche gestern ohne Volk seinen 60 Geburtstag feierte, oder an Grossbritannien und Frankreich, die – so scheint es manchmal – wohl beide kurz vor der nächsten Revolution und der Wiedereinführung der Guillotine stehen, oder ans von Korruption stark betroffene Russland, ja dann müssen wir unsere Massstäbe über «die Guten» vielleicht revidieren, ohne dabei die Unberechenbarkeit «der Bösen» aus den Augen zu verlieren.
Atommacht Israel
Sicher ist, dass nach unseren Massstäben wohl niemand Atomwaffen in den Händen von Menschen sehen will, welche in der Vergangenheit kaum mit guten, überzeugenden Taten glänzten. Doch genau das könnte gemäss dem nachfolgenden Bericht bei Israel der Fall sein (via):
Da bleibt einem zuerst die Spucke weg – und dann bleibt einem die Frage im Halse stecken, ob uns eigentlich mit den Gesprächen rund ums iranische Atomprogramm nicht auch Sand in die Augen gestreut werden soll.
Es scheint auf jeden Fall so, dass die Weltöffentlichkeit inzwischen mehr übers iranische Atomprogramm weiss als übers offiziell nicht existierende israelische.
Und die Massstäbe, die für die Beurteilung einer möglichen atomaren Bedrohung angelegt werden, sind entweder unterschiedlich lang oder zumindest ziemlich krumm…
Ich bin sehr beunruhigt, dass sich Atomwaffen in den Händen instabiler Staaten befinden. Zu den instabilen Staaten zähle ich leider auch Israel, wo Rechtsradikale, Orthodoxe, Nationalisten, aggressive Annektierer regelmässig auf hohe Stimmenzahlen kommen, wo einem grossen arabischen Bevölkerungsteil nicht die vollen demokratischen Rechte zugestanden werden. Statistisch gesehen ist es einfach eine Frage der hohen Zahl, wann zum ersten Mal wieder A-Waffen eingesetzt werden: Genug Waffen in den Händen von genug Risikopolitikern zusammen mit genug Konflikten ergeben irgend wann mal einen grossen Knall – und wer jetzt sagt, auch ein grosser Knall lässt sich eingrenzen und beherrschen, der gönnt sich süsse Träume.
Wie sagte doch Einstein so schön: „Ich habe keine Ahnung mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, doch der vierte wird dann wieder mit Steinen und Keulen ausgetragen“
Und ich finde es immer blöder, dass die Schweiz keine A-Waffen hat, obwohl, gehört die Schweiz nun eigentlich zu den guten oder zu den bösen? 😉
@ Bruder Bernhard
Es ging bis anhin auf staatlicher Ebene ja immer um einen Machtpoker. Doch wie wir wissen, lässt sich heute «der Feind» nicht mehr auf eine Landsgrenzen beschränken. Es sind häufig Gruppierungen innerhalb der ganz normalen Gesellschaft, welche nicht mit einem Land, sondern einer ganzen Gesellschaft an sich nicht einverstanden sind.
Es sind diese eher unauffälligen Gruppierungen, die mir Sorgen bereiten. Statt dass sie sich auf gewaltlose Art und Weise in unserer Gesellschaft einbringen, tendieren sie zum brachialen Weg. Ans «Danach», nämlich dass dieser Weg über kurz oder lang keinen Erfolg haben kann und wird, denken diese heute kaum.
Und aufgrund der zunehmend sozialen Unterschiede und der zunehmenden Bedeutung von Geld werden jene anfällig, welche solche Waffen und das dafür benötigte Material unter Verschluss halten sollten. Ich frage mich häufig, wie das z. B. in Russland läuft…
@ Chris
Die Schweiz gehört weder zu den Guten noch zu den Bösen. Sie gehört zu den Wir-nehmen-Sie-fest-aber-es-tut-uns-leid-dass-wir-ein-Rechtsstaat-sind-und-folgen-nur-international-gängigen-Regeln-obschon-wir-daran-interessiert-sind-dass-der-Stutz-weiter-fliesst-und-diese-Regeln-dem-manchmal-im-Weg-stehen-Länder. Alles andere ist Beilage 😉