Expertentum und Expertenirrtum

Es gibt heute kaum mehr ein grosses Thema in den Medien, zu dem man nicht die Meinung eines Experten zu hören bekommt. Ganz unproblematisch ist das nicht – und wirklich nützlich ist es für den Medienkonsument häufig auch nicht…

«War da mal was…?» fragte Bugsierer mehrfach in diesem Beitrag und sprach damit das wochenlange «Mediengetönse» unter anderem zu den Libyen-Geiseln und der Schweinegrippe an.

Ja, da war mal was. Und was da auch ständig war, waren «Experten». Zwischen der eigentlichen Berichterstattung von Fakten, einem Kommentar des (Chef-)Redaktors, eingeholten Meinungen «vom Mann oder der Frau von der Strasse» (gelegentlich auch Leser genannt) und einer Bilderstrecke ist eine Expertenmeinung in den Medien heute kaum mehr wegzudenken.

Umstritten – aber zum medialen Experten-Papst erhoben

Am 27. April 2009 sagte der Berner Immunologe Beda Stadler auf seine eindringliche Art, dass die Behörden nun die Bevölkerung so schnell wie möglich darüber informieren müssten, wie diese an welche Medikamente (sprich: Tamiflu) gelangen könnten.

Am 13. August 2009 konnte man in der Anmoderation eines 10vor10-Beitrags hören, dass «der Virologe Beda Stadler nun plötzlich Entwarnung gebe».

Hierbei zeigen sich vor allem zwei Probleme. Zum einen wird damit eine Person zu jemandem hochstilisiert, dessen Wort zum Gesetz wird. Nicht das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt Entwarnung, sondern der Experte Beda Stadler.

Ob jedem Zuschauer oder Leser bekannt ist, wer diese Person ist, was sie wirklich zu sagen hat und wer eigentlich das Sagen hätte, darf bezweifelt werden. «Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern» dürfte für viele wohl Legitimation genug sein um zu glauben, was der streitbare Professor sagt.

Eher am Rande wird im angesprochenen Beitrag erwähnt, dass sowohl das BAG wie auch «andere Experten» keine Entwarnung geben. Diese «anderen Experten» kommen aber gar nicht zu Wort – vielleicht weil sie nicht gefragt wurden oder vielleicht weil sie sich gar nicht so in Szene setzen mögen, wie das ein Beda Stadler offensichtlich gerne tut. Oder aber es werden Äpfel mit Birnen vermischt, indem der auf Immunologie Geschulte gegen den auf Pandemievorbereitung Geschulte ausgespielt werden.

Nur einen Experten zu zitieren, von dem bekannt ist, dass nur er diese Meinung vertritt, welche dann auch noch vollumfänglich bekannt gegeben wird, ist – mit Verlaub – eine unausgewogenen Berichterstattung.

Persönliche Meinung zu fremdem Fachgebiet

Zum anderen kommt hier eine Person zu einem Thema zu Wort, zu dem sie schlichtweg nicht kompetent ist. Sie haben schon richtig gelesen: Beda Stadler mag vielleicht ein guter Immunologe oder Virologe sein (die Bezeichnungen in den Medien trieften da auseinander), aber er ist kein Pandemie-Bekämpfungsexperte.

Wenn er sich zu Massnahmen bezüglich Pandemie-Bekämpfung äussert, welche Fragen der Organisation, der Logistik, der Kommunikation, der Psychologie und vielen anderen Bereichen betreffen, dann ist das etwa so wie wenn sich Nicht-Immunologen zu Viren und dem Immunsystem äusserten. 

Das alte Sprichwort «Schuster bleib’ bei Deinen Leisten» scheint offensichtlich nicht mehr zu gelten. Und für die Medien ist es ein gefundenes Fressen, wenn einer, der eine Ahnung von etwas hat – aber eigentlich von etwas anderem als die Pandemie-Bekämpfung – so klare Worte von sich gibt. Das ist Balsam auf die ohnehin schon wirtschaftlich verunsicherte Volksseele.

Dabei ist es völlig irrelevant, was ein Immunologe zu diesen Massnahmen meint, zumindest solange, wie es nicht um das Virus an sich geht. Doch das scheint noch keine Redaktion gemerkt zu haben…

Seitens Medien ging es unterschwellig vielmehr darum, der Bundesverwaltung das schon beinahe übliche Misstrauen entgegen zu bringen, indem man eben Meinungen ausserhalb dieser Organisation einholt. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber ein Immunologe ist bezüglich Pandemie-Bekämpfungsmassnahmen der falsche Experte.

Vielmehr hätte man sich ja einmal im Ausland umschauen und sich fragen können, was dort gegenüber der Schweiz wie und warum anders gemacht wird. Doch einen Blick über den eigenen Gartenzaun hinaus gab es nur bezüglich Opferzahlen, nicht bezüglich Massnahmen.

Wann «Experten» verstummen

Auch im Rahmen der noch immer andauernden «Libyen-Krise» taten sich einige «Experten» hervor. Unvergesslich bleibt hierbei, wie alt-Nationalrat und «Libyen-Versteher» Jean Ziegler die Welt wissen liess, dass der von Libyen zu stellende Richter fürs Schiedsgericht zwischen der Schweiz und Libyen ein Rechtsprofessor aus Sudans Hauptstadt sein werde.

Nur Stunden später konnte man vernehmen, dass es der britische Anwalt mit algerischen Wurzeln Saad Tschabbar sei (welcher inzwischen allerdings auch bereits wieder durch den indischen Juristen Sreenivasa Pemmaraju Rao ausgewechselt wurde). Seither wurde es ziemlich still um Jean Ziegler. Da hatte sich ein «Experte» wohl etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt…

Ein anderer, oft gelesener «Experte» im Libyen-Konflikt ist Hasni Abidi vom Genfer Centre d’études et de recherche sur le monde arabe et méditerranéen (CERMAM), dem er als Direktor vorsteht. Das klingt zwar auf den ersten Moment sehr eindrücklich. Doch was das CERMAM im Allgemeinen und Hasni Abidi im Speziellen dafür qualifiziert, sich als Experte in Sachen Libyen hervorzutun, ist nicht nachvollziehbar.

Fehlender fachlicher Ausweis

Auf der Homepage des CERMAM gibt’s zwar Einiges zu lesen, vor allem von Ereignissen der letzten Monate (Libyen, Iran). Darunter ist jedoch kaum wirklich Neues zu finden. Es sind Informationen, welche man auch andernorts hätte finden können und hier einfach nur zusammengefasst in einen arabischen Kontext gestellt wurden.

Zudem erwecken die Webseiten den Eindruck, dass beim CERMAM lange Zeit nichts mehr lief. Das letzte Editorial datiert vom September 2008. Und unter «Recherches en cours» (aktuelle Forschungsprojekte) findet sich zwar etwas vom Juli 2009, doch die letzte Publikation davor datiert vom Dezember 2007. Eineinhalb Jahre Schweigen bis zu einer neuen Publikation für ein Zentrum, welches den Dialog in den Mittelpunkt stellen will, erweckt nicht ein sehr glaubwürdiges und kompetentes Bild.

Was, welche und wie viele Personen hinter dem CERMAM stecken und was diese Personen fachlich auszeichnet, erfährt man auf der angesprochenen Homepage nicht. Dabei wäre es für die Glaubwürdigkeit wichtig zu erfahren, wer wo welche Studienfächer abgelegt (zum Beispiel Völkerrecht) und wer wie lange wo im arabischen Raum gelebt hatte. Algerische Wurzeln alleine mit angeblichen «Kontakten nach Libyen» (das kennen wir ja auch von Jean Ziegler) wie im Falle des genannten «Experten» reichen da nicht aus.

Alles in allem bleibt der Eindruck, dass das CERMAM mit der Ambition um einen verstärkten Dialog zwischen den Kulturen zwar ein edles Ziel vor Augen hat, dass es sich dabei jedoch um ein eher hobbymässig geführtes Zentrum für diesen weit reichenden und kulturell sehr reichen Raum handelt, der wohl ebenso unterschiedlich ist wie Europa.

Vielleicht wären die Medien besser beraten gewesen, sich einen in der Schweiz lebenden libyschen Intellektuellen zu suchen statt einer Person aus dem besagten Zentrum…

Untermauern – einer Mutmassung

So oder so, der Leser, Zuschauer oder Zuhörer ist nicht in der Lage zu beurteilen, ob dieser oder jene «Experte» wirklich eine Ahnung von einer Sache hat. Er hat darauf zu vertrauen, das man in den Redaktionen die «richtigen» Experten auswählt. Doch sind die Redaktionen selber in der Lage zu beurteilen, ob sie da einen kompetenten und allseits anerkannten Experten an der Leine haben?

Um noch ein jüngeres Beispiel zu nennen: Vom «Kindersitz-Drama» in Schwamendingen haben Sie ja bestimmt auch gehört. Sofort wird der «Kindersicherheits-Experte des TCS» bemüht, ein Statement zur Sicherheit von Kindersitzen abzugeben. «All zu oft befreien sich die Kinder während der Fahrt selbst», lässt sich dieser entlocken.

Hört man den Worten von Marco Cortesi, Mediensprecher der Stadtzürcher Polizei, im Beitrag oben genau zu, steht nur fest, dass ein Kindersitz vorhanden war. Alles Weitere ist reine Mutmassung.

Doch da es sich der Autor dieses Beitrags, Matthias Aebischer, offensichtlich in den Kopf gesetzt hatte, dass das Kind nicht richtig angeschnallt war, wird durch die Aussage eines «Experten» ein Unfallhergang zementiert, welcher zwar plausibel erscheint, jedoch noch nicht erwiesen ist. Als Co-Moderator des Kassensturzes sollte er wissen, dass es mit der Sicherheit von Kindersitzen nicht immer zum Besten steht…

Dies sind nur drei Beispiele für Auftritte von Experten in den Medien, welche gelegentlich übrigens auch nur als «Kenner» einer Materie bezeichnet werden (diese verbale  Unterscheidung erfolgt vermutlich aufgrund des Bildungsstands und der aktuellen Funktion). Die Liste mit Aussagen seitens Experten zu irgendeinem Thema könnte hier beliebig erweitert werden…

Mediale Auftritte von «Experten» allseits überdenkenswert

Dass Experten in einer immer komplexer erscheinenden Welt nicht mehr nur Entscheidungsträgern vorbehalten bleiben, dagegen ist nichts einzuwenden. Doch Zweifel ob der Auswahl der Experten sind wohl gerade auch aufgrund der inflationären Einbindung einer Expertenmeinung und aufgrund des Zeitdrucks angebracht. Eine etwas grössere Sorgfalt bei der Auswahl wäre wünschenswert.

Expertenaussagen, bei denen es an Differenzierung zwischen persönlicher Meinung des Experten und Aussagen zum eigenen Fachgebiet mangelt, gehören in kein Medium. Hier nutzen Experten ihren Status und das jeweilige Medium dahingehend aus, um die eigene Meinung in der Öffentlichkeit durchzudrücken.

Und die Experten selbst müssen sich wohl zunehmend die Frage stellen, ob sie a) sich nicht für eine Sache instrumentalisieren lassen und ob sie b) durch einen Medienauftritt der Glaubwürdigkeit ihrer Person und ihrem Fachgebiet nicht mehr schaden als nützen.

Expertenstreitigkeiten in aller Öffentlichkeit und via Medien auszutragen ist zwar ganz unterhaltend («gib’s ihm, gib’s ihm!»). Gewinner gibt es dabei allerdings nicht. Unter wissenschaftlichen Experten könnte man auch erwarten, unterschiedliche Auffassungen zu einer Sache Fachgebiet-intern zu bereinigen – ausser es stünde die eigene Eitelkeit im Weg…

Ihr Experte für allerlei Themen
(und wer’s nicht glaubt, ist selber schuld)

12 Antworten auf „Expertentum und Expertenirrtum“

  1. …und anzufügen wäre noch, dass die meisten „Experten“ – bzw. deren „Meinung“ – ja sowieso gekauft sind. Also in „Brot und Unehren“ irgendeines Multis o.ä. stehen – auch der Beda.

  2. Moment mal, die Medien haben wohl oft auch schlicht keine Zeit, einen perfekt geeigneten Experten für das Thema zu finden. Sie sind froh, wenn sie so schnell wie möglich einen Zitatelieferanten finden können, damit sie den Artikel mit Exprtenmeinung füllen können.

  3. Exzellent, lieber Titus!
    Die Mainstream Medien sollten sich darauf besinnen, die Menschen objektiv zu informieren und nicht nur zu manipulieren.
    Oder ist etwa die journalistische Ausbildung derart schlecht geworden? Doch dazu müssten wir einen Experten hören. Fragen könnte man ja einen wie z.B. Frank A. Meier, oder Chris volles Rohr.

    Doch zum Glück gibts ja noch die Blogs, welche versuchen Gebogenes zurückzubiegen…
    😉

    Und „10 vor 10“ gehört verboten.

  4. Vielen Dank Euch allen.

    @ Frau Zappadong
    Das ist mir auch schon aufgefallen. Spontan fällt mir nur Beatrice Tschanz für Unternehmenskommunikation ein.

    @ BodeständiX
    Dazu sag ich jetzt niX 😉

    @ Ced
    Damit verleiht man einer Noch-Bagatelle mehr Bedeutung und hofft, daraus möge sich eine Staatsaffäre entwicklen…

    @ dan
    Pauschal würde ich das zwar nicht sagen. Es gibt auch gute Berichte, selbst in einem 10vor10 – manchmal 😉

    Aber es scheint mir schon auch so, dass es häufig an einer gewissen Objektivität mangelt. Zu sehr lässt man sich davon leiten, was das Publikum lesen, sehen oder hören will statt vorbehaltslos auch Fragen nachzugehen, deren Antwort nicht so populär ausfallen könnte…

  5. Was macht den einen Experten zu einem Experten? Gerade in den Medien scheint es mir so zu sein, dass es genügt unten „Experte“ ein zu blenden und schon scheint die Glaubwürdigkeit zu steigen. Ach wie einfach ist es doch Leute zu manipulieren. Allgemein sind diese Einblendungen teilweise wie Stempel, da steht dann Dinge wie „Arbeitsloser“, „Hausfrau“, „Invalider“ oder dann eben „Experte“, und manchmal ändern sich diese Einblendungen auch noch zwischendurch… Ich finde gerade im Fernsehen beeinflussen diese Einblendungen in krasser weise die Meinung die man sich darüber bildet, über was die betreffende Person erzählt… Man müsste mal ein Experiment machen, die selbe Aussage einmal mit der Einblendung „Arbeitsloser“ und dann nochmal mit „Experte“ unten dran, bei welcher Einblendung wird man dem gesagten wohl mehr Gewicht geben?

  6. Das fragliche Experiment braucht es wohl kaum, da wir uns jetzt schon vorstellen können, was insgesamt rauskommt. Interessant wäre es aber trotzdem um zu erfahren, ob 60, 70 oder mehr Prozent eine Aussage ohne Einblendung als unglaubwürdig einstufen, vor allem dann wenn es sich um ein «frisches», bis anhin unbekanntes Gesicht handelt.

    Interessant ist hierbei wohl auch die Frage, weshalb wir trotzdem dem «Experten» (in seltenen Fällen der «Expertin») zuhören und nicht einfach wegzappen? Der Mensch, das Herdentier, welches ständig nach Orientierung sucht?

  7. Im Jahr 2009, in dem „Experten“ gutgläubigen Anlegern Lehmannpapiere verkaufen, während der Damm bereits gebrochen ist, in dem „Experten“ den Aufschwung verkünden,
    während das private Umfeld zunehmend auf der Strasse steht,
    in dem „Experten“ den Friedens-Nobelpreis einem Staatsoberhaupt verleihen, dessen bisheriger Leistungsausweis nur aus Absichten besteht, oder „Experten“ die Heimkehr der Libyengeiseln schon fast mantramässig täglich verkündeten, sollten die Experten für Unwörter das Wort „Experte“ zum Unwort des Jahres 2009 erklären!

  8. Experten meinen dazu, dass das nicht möglich ist. Sie begründen dies damit, dass dann aus den «Experten» einfach nur «Kenner», wie bereits schon oben erwähnt, oder «Fachkundige» oder «Professor für Irgendwas, der sich gut auskennt mit irgendwas» werden… 😉

  9. Also zumindest ich glaube garantiert nicht blind das die sogenannten Experten so erzählen, im Gegenteil macht es mich sogar noch misstrauischer wenn da solche Einblendungen gemacht werden… Da denke ich dann immer, aha der erzählt also Schrott und diesen Schrott will man nun mit der Einblendung glaubwürdiger machen… Wenn jemand die Wahrheit erzählt, dann erkennt man dies und dann braucht es auch keine solchen Einblendungen, nur wer Schrott und Lügen verbreitet muss man mit solchen Einblendungen glaubwürdiger erscheinen lassen!

    Und vor allem in Sendungen wie Arena und Club scheinen mir diese „Expertitis-Einblendungen“ gross in Mode zu sein, da hockt dann irgendein „Niemand“ der als „Experte“ tituliert wird und meist die eine oder andere Meinung bestätigt oder dementiert… Denken die etwa wirklich, dass die Leute nur weil da Experte drunter steht, es dann auch glauben? Mag ja sein, dass das bei vielen eben dem Mainstream so funktioniert, bei mir jedenfalls hat das eine paradoxe Wirkung…

    Naja, wenn ich mal in einer solchen Sendung bin könnte man bei mir dann „Zeitbombe“ unten einblenden… 😉

  10. Hmmm… ich seh’s eher so: Die Einblendung führt dazu, dass man überhaupt hinhört. Was dann gesagt wird und wie ernsthaft ich das dieser Person abnehme, hängt stark davon ab, wie verständlich, sachlich, authentisch, gelassen und zugleich ernsthaft es rüberkommt. Das ist eine hohe Hürde für jemanden, der fachlich top ist, aber kommunikativ eher schwach ankommt…

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