Wir kommunizieren uns noch zu Tode

Am 20. und 21. Oktober fanden in Biel die Comdays statt. Da trifft sich die «crème de la crème» der Kommunikationsbranche um – wenn wundert’s – über Kommunikation zu referieren. Das Themenspektrum ist sehr breit. Auch die Positionen der Referenten gingen sehr weit auseinander…

Drei Attribute prägten diese beiden Tage: Mobil, schnell, vernetzt. Da der erste Tag im Zeichen der Telekommunikation stand, überraschte es auch nicht, dass diese Attribute das Schwerpunktthema waren. Es wurde ebenso gefachsimpelt über die Vergaberegelung von Frequenzen wie auch über die Aufteilung von Glasfaserkabelnetzen bis hin zu Sicherheitsaspekten bei der kabellosen Übermittlung.

Der zweite Tag stand zwar unter dem Motto «Medienkrise». Doch unterschwellig ging es schliesslich auch um all das, was «mobil, schnell, vernetzt» mit sich bringt – wenn auch nicht technologisch, so doch inhaltlich.

Komplett unterschiedliche Ansichten

«Wir sind gut, wir sind toll, wir sind die Besten!» Etwa so könnte man plakativ die Vorträge jener Referenten zusammenfassen, welche etwas aus dem eigenen Hause zu berichten wussten. Gegen eine derart positive Botschaft besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist nichts einzuwenden.

Doch die Positionen dieser Referenten standen diametral zu den Positionen der «neutralen Medienbeobachter», also jenen, welche fernab der Tageshektik die Entwicklung der Medien im In- und Ausland beobachten.

So zitiert Sabine Ingwersen im eigens eingerichteten Comdays-Blog den Geschäftsführer von Ringier Schweiz, Marc Walder, wie folgt:

Die radikalen Veränderungen im Medienmarkt kamen nicht schleichend, sie erreichten die Verlagshäuser rasch. Sehr rasch. Hinzu kam die konjunkturelle Krise. Beides zusammen mischte sich zu einem gefährlichen Cocktail. Für viele Printprodukte sogar zu einem tödlichen.

Eine Stunde zuvor sprach Prof. Dr. Otfried Jarren, Prorektor an der Universität Zürich, jedoch genau vom Gegenteil (Lese-Empfehlung):

Die «Krise» ist im Kern keine «Krise», denn es handelt sich hier nicht um ein überraschend eingetretenes Ereignis, sondern es haben sich bereits bekannte Bedingungen partiell verschärft, und die die Industrie tragende Gruppe sieht ökonomische Nachteile heraufziehen.

Er geht, in unaufgeregtem Ton, mit den Medienunternehmern ziemlich hart ins Gericht:

Es ist in dem Sinne tatsächlich eine «Krise» für die Tageszeitungsverleger, weil sie ihre bisherigen ökonomischen Strategiemuster nicht mehr nutzen können: Verzicht auf jegliche betrieblichen FuE-Tätigkeiten und somit auf publizistische Innovation intern, Übernahme erfolgreicher Innovationen bei Externen durch Aufkauf oder Marktbereinigung bzw. durch Imitation und Ausnutzung von vorhandener Marktmacht.

Es ist eine Strategiekrise der Verleger.

Die Strategiekrise offenbart, dass ein wesentlicher Teil der Branche eben nicht zu publizistischen Innovationen fähig war bzw. sein wollte. Dies lässt sich auch an der bislang unzureichenden publizistischen Integration der vormals «Neuen Medien» wie Radio und Fernsehen in den Häusern zeigen.

Auch bezüglich des Einflusses der noch vorzunehmenden Veränderungen auf die Demokratie hat er eine klare Position: 

Per se beinhalten diese Veränderungen sicher nicht das, was die Akteure vorgeben, und weshalb sie jetzt um Subventionen oder weitere Privilegien nachsuchen. Und sollte die Politik hier mitspielen, so hat das wesentlich mit den kantonalen, regionalen oder lokalen Eigeninteressen zu tun. 

Das alles dürften einige Vertreter von Medienunternehmen wohl nicht gerne gehört haben. Doch nicht nur der Prorektor am Zürcher Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung widerspricht den Managern vorwiegend aus der Zeitungsbranche.

So titelte mit stolzer Brust Marcel Kohler, Geschäftsführer von 20 Minuten, einen Slide seiner Präsentation mit:

Gratis ist nicht gleich billig – publizistisch wird 20 Minuten seitens der Fachpresse schon mal als Vorbild für NZZ und Blick gesehen.

Er bezieht sich dabei auf einen Artikel in der Werbewoche vom 9. Oktober 2009, in welchem deren Chefredaktor zum Schluss kommt, dass die Berichterstattung über einen Farbanschlag gleich neben der Werbewoche-Redaktion auf 20 Minuten-Online gegenüber blick.ch und nzz.ch die ausführlichste war. Toll, wie ein Chefredaktor aufgrund eines einzigen Ereignisses ein Urteil fällt, welches – weil es ja gerade nebenan geschah – auch von einer gewissen Betroffenheit gefärbt ist.

Toll auch, wie dieses eine Urteil dann als allgemeine Meinung «der Fachpresse» interpretiert wird. Andere nennen das Manipulation (via): «Pars pro toto».

«Fehlentscheidungen und Innovationsschwäche»

Einer möglichen Manipulation scheinen sich die Amerikaner bewusster zu sein. So spricht Stephan Russ-Mohl, Professor an der Universität der italienischen Schweiz in Lugano, in seinem Vortrag über die Situation des Journalismus in den USA von einer «tiefen Skepsis gegenüber den Mainstream-Medien».

Im Comdays-Blog fasst Sabine Ingwersen treffend seine Botschaft (2. Lese-Empfung) zusammen:

«Wie sein Kollege von der Universität Zürich heute Morgen erkennt Russ-Mohl grosse verlegerische Fehlentscheidungen und Innovationsschwäche sowie qualitative publizistische Einbussen und Selbst-Kannibalisierung mit Gratis-Publika.»

Das sind markige Worte. Dass diese Meinung sicher nicht völlig falsch ist, zeigt sich vorzüglich an den Medienmitteilungen von Comdays selber. Man findet nämlich sowohl jene vom Dienstag als auch vom Mittwoch eins-zu-eins auf dem Online-Portal des Gratisblatts «News» – «zufälligerweise» aus dem gleichen Hause wie 20 Minuten…

Dahinter steckt null (in Zahlen: 0) journalistische Arbeit. Das ist einfaches Copy-Paste. Das ist gratis und das ist billig. Und dass dafür niemand bereit ist zu zahlen, dürfte wohl jedem klar sein.

Solche «Berichte» sind übrigens auch der Grund dafür, weshalb Verleger aufhören sollten, Bloggern pauschal vorzuwerfen, sie würden massenweise «redaktionelle Inhalte» gratis ins Internet stellen (Zitatrecht ausgenommen). Unveränderte Medienmitteilung als redaktionelle Leistung online oder in gedruckter Form anzubieten ist wohl schlimmer einzustufen, da dabei der Lesende nicht erkennen kann, ob dahinter eine unabhängige, redaktionelle Leistung steckt oder ob ein Blatt einfach nur zum verlängerten Arm einer PR-Abteilung geworden ist…

Weniger statt mehr – dafür besser

Doch zurück zu: Mobil, schnell, vernetzt. Das sind wir heute schon mehr denn je. Und obwohl uns heute mehr Kommunikationsmöglichkeiten als früher zur Verfügung stehen, ist deswegen die Kommunikation nicht besser.

Noch immer ist es möglich, in unserer «aufgeklärten» (?), mediatisierten Gesellschaft viele Leute für dumm zu verkaufen, indem man sie glauben lässt, dass man mit einem Minarett-Bauverbot die hinter verschlossenen Türen stattfindende «Islamisierung» aufhalten könne.

Noch immer ist es möglich, dass mehr über das Minarett-Verbot berichtet wird als über die «Islamisierung» im vereinnahmenden Sinne an sich und dass niemand über «echte» und wirksame Massnahmen spricht beziehungsweise schreibt.

Noch immer ist es möglich, dass eine politische Partei in den Medien verbreiten kann, ihr demokratisches Recht der Meinungsfreiheit würde beschnitten, ohne dass jemand kritisch nachhakt, ob denn die anderen 194 Artikel der Bundesverfassung nicht mehr gelten würden.

Und noch immer wird über das Kopftuch von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey diskutiert, ohne das jemand überhaupt weiss, was eigentlich der Grund ihres damaligen Besuches im Iran war, wie sie selber an den Comdays sagte (und womit sie wohl auch recht hat). Hat übrigens ein Massenmedium einmal nachgefragt, ob und inwiefern wir heute von diesem Besuch profitieren?

«Es gibt – um es oberflächlich und salopp zu sagen – zu viele Medien, zu viele allgemeine Medienangebote, ausserdem zu viele unspezifische und unprofilierte Angebote und zudem zu viele Medienangebote in nicht hinreichender Qualität. Und es gibt zudem «Gratisangebote». So kann keine Zahlungsbereitschaft begründet und ausgelöst werden.»

Diese vorangehende Aussage hat Prof. Dr. Otfried Jarren wohl auf die etablierten Medien bezogen. Doch das Überangebot an Medien kann auch technologisch verstanden werden.

Es überrascht nicht, dass Frau Zappadong sich zurzeit überlegt, ob sie Twitter in die ewigen Jagdgründe schicken soll. Grund dafür sind nicht bloss die oftmals belanglosen Tweets, sondern auch deren Menge. Diese Menge erhöht sich bei vielen noch dadurch, dass auch einige Websites, RSS-Feeds, Blogs, E-Mails, SMS, MMS usw. abzuklappern und/oder zu beantworten sind.

Mit «mobil, schnell, vernetzt» wird es wohl noch mehr Belangloses geben, sowohl seitens privater wie auch seitens professioneller Autoren. Wir kommunizieren uns damit noch beinahe zu Tode. Gefragt wäre allerdings genau das Gegenteil.

Nur hat darüber an den Comdays niemand gesprochen…

8 Antworten auf „Wir kommunizieren uns noch zu Tode“

  1. Danke für diese Berichterstattung. Ich wette, die Verleger werden aus Jarren uns ständig um die Ohren hauen, was er zum Schluss schreibt: Die Rezipienten werden lernen müssen, dass publizistische Leistungen Geld kosten – und das Urteil, dass die Verleger eben nicht zu publizistischen Innovationen fähig waren bzw. sein wollten, unterschlagen.

    Das Fazit ‚wir kommunizieren uns zu Tode‘ ist mir jetzt zu pessimistisch, denn diese neuen Tools segeln nur unter dem Banner der Kommunikation, sind das aber nur begrenzt. Wie die verblichenen Acapickels in jedem Programm als Running Gag immer wieder propagierten, stimmt schon: 50% der Kommunikation ist zuhören – und daran scheint es ja nicht nur laut Zappadong zu fehlen

  2. Das Fazit geht noch etwas weiter. Ich lass‘ Dich nochmals lesen 😉 Der Titel des Beitrags ist übrigens nur eine Anlehnung an Neil Postmans Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“.

  3. Was mich im ganzen Stream des Kommunikations- und „Info“-Wusts je länger je ratloser macht: Gibt es irgend eine Garantie, Gesetzmässigkeit oder auch nur eine Hoffnung, dass am Ende ein Informations- und Debattiergefäss im Stil einer sehr guten Tageszeitung überleben wird, sei es virtuell oder holzig?

    Alle machen Masse, Billig, klagen darüber, dass kein Geld verdient werden kann und werfen sich dennoch Klickschleudern an den Hals. Und alles drängt in ein Medium, in dem wir noch immer weit davon entfernt sind, so was verbindliches wie Auflagezahlen festlegen zu können. Fünf verschiedene Statistik-Tools liefern fünf verschiedene Resultate über „Besucher“-Zahlen. Und Google wird verteufelt. Dabei haben die gecheckt, WIE Internet-Werbung wirklich zu entgelten wäre: Mit der Zahl der Clicks auf diese Werbung nämlich… Wenn schon…

  4. @ Thinkabout
    Hierzu empfehle ich noch diesen Link.

    Ich glaube daran, dass es mehrere qualitative Informations- und Debattiergefässe geben wird. In Bezug auf den Link oben ist vielmehr die Frage, durch wen diese Gefässe bereitgestellt werden: Die bisherigen Verleger oder „Branchenfremde“.

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