Überwachung ist ihr Hobby

Vergessen Sie «Mord ist ihr Hobby». Das waren getürkte Geschichten mit einer etwas schusseligen und herumwirbelnden Dame reiferen Alters. Heute gilt: Überwachung ist ihr (oder sein) Hobby…

Es war eine Meldung der Kategorie «Randnotizen», welche in der hiesigen Blogsphäre bis anhin kaum Beachtung fand. Trotzdem verdient sie höchste Aufmerksamkeit. Die Rede ist von der Videoüberwachung in Grossbritannien als Spiel für private Internet-Nutzer…

Makaberes Spiel

Internet Eyes kündigte vor drei Wochen an, die unzähligen Bilder von britischen Überwachungskameras auf privatem Grund registrierten Internet-Benutzern ab November 2009 – im Rahmen eines Pilot-Projekts vorerst nur von Stratford-upon-Avon – live zur Verfügung zu stellen, sodass diese «Auffälligkeiten» feststellen und melden können. Zu gewinnen gibt es 1000 englische Pfund…

Und so funktioniert’s (gemäss aktuellen Angaben):

  • Die Benutzer registrieren sich unter interneteyes.co.uk.
  • Diese können anschliessend Live-Bilder von vier zufällig zugeordneten Kameras sehen.
  • Diese Bilder wechseln alle 300 Sekunden.
  • Wer etwas «Auffälliges» beobachtet, löst einen Alarm aus.
  • Daraufhin soll innerhalb von fünf Sekunden der Internet Eyes-Kunde (Ladenbesitzer, Kino-Betreiber usw.) eine E-Mail erhalten. Er reagiert entsprechend der Situation…
  • …und gibt innerhalb von zwei Stunden ein Feedback, ob der Alarm berechtigt war, ob der Alarm nicht berechtigt aber gut gemeint war oder ob der Alarm völlig falsch war.
  • Für jeden berechtigten Alarm gibt es für jenen Benutzer drei Punkte, welcher am schnellsten war.
  • Die Benutzer können nur maximal drei Alarme pro Monat auslösen. Wenn sie mehr auslösen wollen, müssen sie dafür bezahlen…
  • Wer zu viele falsche Alarme auslöst, wird gesperrt.
  • Wer am meisten Punkte holt, kassiert die 1000 Pfund ein.

Es ist ein makaberes Spiel, welches hier gespielt wird und unzählige Fragen aufwirft.

Da wäre einmal die Frage, weshalb jemand eine Überwachungskamera aufstellen lässt, wenn er die Bilder ohnehin nicht verfolgt – offensichtlich auch nicht im Nachhinein. Überfordert mit der Flut an Bilder geht man nun über zu einer aktiven Überwachung, dies jedoch nicht durch eine Polizeigewalt oder einen anderen qualifizierten und ausgebildeten Sicherheitsdienst, sondern nur Private.

Dieses Vorgehen zeigt in jedem Fall, dass es mit dem Aufstellen einer Überwachungskamera alleine nicht getan ist. Die präventive Wirkung, von welcher hierzulande häufig die Rede ist, scheint demnach im ohnehin mit Überwachungskameras übersäten Grossbritannien keine Wirkung mehr zu zeigen…

Dann wäre da die Frage, ob denn beispielsweise ein Ladenbesitzer überhaupt Zeit findet, seine E-Mails ständig abzurufen, um im Falle eines Alarms davon Kenntnis zu nehmen.

Fraglicher Nutzen – wenig Begeisterung

Alarmiert werden soll im Falle von Diebstahl, Einbruch, unsozialem Verhalten oder Vandalismus. Gemäss aktuellen Benutzungsbedingungen (welche noch einige Klammern mit Platzhaltern enthalten…) enthält die fragliche E-Mail ein Standbild. Es erscheint am Plausibelsten, dass ein mutmasslicher Täter aufgrund dieses Standbildes zur Rede gestellt wird.

Allerdings: «Diebe arbeiten schnell», weiss der Volksmund. Ähnliches ist es mit Einbrüchen und Vandalismus. Ob zum Zeitpunkt, an welchem vom Alarm Kenntnis genommen wird, die Täter noch zugegen sind, ist doch mehr als fraglich. Wer Vandalismus und einen Einbruch verübt, tut dies sicher nicht dann, wenn die betroffenen Besitzer anwesend sind. Bis diese vor Ort sind, ist es wohl schon zu spät…

Pikant auch das «unsoziale Verhalten». Wo beginnt und wo endet unsoziales Verhalten? Dass missverständliche Situationen zu falschen Anschuldigungen führen, steht wohl ausser Frage, zumal auch Internet Eyes keine Garantie bezüglich Bildqualität übernimmt. Ein zu langsamer Live Stream oder ein Schatten könnte noch schnell dazu führen.

Das Mitmachen ist ohnehin wenig lohnenswert. Selbst wenn es jemandem gelingt, eine auffällige Situation zu sichten, muss dieser Benutzer erst noch am meisten Punkte haben, um die Prämie von 1000 Pfund abholen zu können. Der betroffene Internet Eye-Kunde allerdings profitiert in jedem Fall vom gemeldeten, berechtigten Alarm. Dass wenig Interesse darin besteht, zeigt sich auch in der entsprechenden Internet Eye-Facebook-Gruppe, welche im Moment lediglich 160 Fans aufweist…

Rückfall

Noch vor 20 Jahren war man in der ehemaligen DDR über den Fall der Mauer glücklich. Gefallen ist damit auch die gegenseitige Bespitzelung und die Denunzierung bei der Stasi bei «auffälligem Verhalten». Es scheint, dass wir, insbesondere die Briten, hier einen gewaltigen Schritt zurück machen. Immerhin sind sich die Lords des britischen Oberhauses bewusst, dass sie insgesamt ein Datenschutzproblem haben…

Damit erübrigt sich dann vielleicht auch die Frage, was wohl als nächstes kommt. Ansonsten könnte es bald sein, dass Italien eines Tages sämtliche Steuerangaben freigegeben wird, damit jeder den Nachbarn als möglichen Steuersünder anzeigen kann…

Siehe dazu auch:
golem.de: «Spielend überwachen»

3 Antworten auf „Überwachung ist ihr Hobby“

  1. Frei nach einem kleinen Gallier: Die spinnen, die Briten.
    Während hierzulande den Protagonisten für solche Denunzierungsaufrufe der Big-Brother Award verliehen wird, „erfindet“ man bei den wettverrückten Briten ein mehr als fragwürdiges Spiel dazu. Endemol steht sicher bereits in den Startlöchern.

    Wie lange es wohl dauert, bis sich Verrückte zu Spielgemeinschaften zusammenschliessen, um Vandalenakte und „Überfälle“ zu inszenieren?
    Obwohl, die nur um 1 auf 161 angewachsene „Fangruppe“ im Fratzenbuch lässt auf ein gewisses Desinteresse an dieser dekadenten Spieleidee hoffen.

  2. Der Gedanke ging mir auch schon durch den Kopf, dem ganzen Treiben einen Strich durch die Rechnung zu machen, indem eben falsche Tatsachen vorgespielt werden. Ich gehe davon aus, dass es das bestimmt geben wird (Katz-und-Maus-Spiel)…

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