Geht es nach den Auslagen in den Schaufenstern, scheint Weihnachten zu nahen. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes die süsseste Zeit im Jahr, denn nebst Ostern werden vor allem an Weihnachten Schokoladeprodukte verkauft. Die Hersteller locken dabei mit allerlei Versuchungen. Bedenklich, wenn darauf auch die Tagesschau-Redaktion des Schweizer Fernsehens hereinfällt…
Mit den nahenden Weihnachtstage trifft es sich gut, dass Lindt & Sprüngli einen neuen «globalen Botschafter» hat. «Rotscher National», Roger Federer heisst das jüngste Werbe-Zugpferd des Schweizer «Maître chocolatier» am Zürichsee.
Es ist zu vermuten, dass er uns in den kommenden Wochen etliche Male entgegenlächelt, um in der Wirtschaftskrise und im hart umkämpften Weihnachtsgeschäft für seine «Lieblingsschokolade» Werbung zu machen.
Der neue Sponsor ist…
Zu dieser neuen «Zusammenarbeit» der folgende Beitrag der Tagesschau-Hauptausgabe des Schweizer Fernsehens vom 29. Oktober 2009:
Ein ähnlicher Beitrag mit zum Teil den gleichen Bildern war übrigens gleichentags auch in der Tagesschau des Westschweizer Fernsehens TSR zu sehen.
Dieses «Ereignis» hätte man – wenn überhaupt – auch in drei Sätzen wesentlich sachgerechter und im Sportteil darstellen können. Zum Beispiel:
Roger Federer hat einen neuen Sponsoringvertrag mit einem Schweizer Schokoladehersteller abgeschlossen. Als Schweizer, stolz auf die Schweizer Schokolade, wolle er damit für etwas typisch Schweizerisches einstehen. Details zum Vertrag sind weiter nicht bekannt.
Auch wenn Franz Fischlin in der Anmoderation davon spricht, dass es nicht um Schleichwerbung gehe, ist man in der Augenreiberei genau der gegenteiligen Ansicht.
Im oben erwähnten Westscheizer Beitrag spricht man zwar auch nicht neutral von «einem Schokoladenhersteller». Doch immerhin ist in neutraler Weise die Rede davon, dass der Tennisstar unter anderem auch Werbung für «Uhren» (Rolex) oder für «Kaffeemaschinen» (Jura) mache. Zudem seien fünf der zehn Sponsoren aus der Schweiz. Also nur fünf. Nicht zehn. Soviel zum Thema «ich-bin-stolz-auf-Schweizer-Produkte»…
Ob all dem ist es völlig irrelevant zu erfahren, ob Roger Federer mit Lindt & Sprüngli, Reusser & Hopserli oder Limmadt & Hüpferli einen Sponsoringvertrag abgeschlossen hat. Das werden wir noch früh genug aus der Werbung selbst erfahren.
Unausgewogen und unkritisch
Die «Nebeneinkünfte» eines Roger Federers – nebst anderen Sportlern – mögen für eine Wirtschaftssendung wie «Eco» von Interesse sein. Sie sind aber nicht von so allgemeinem Interesse, dass man unter namentlicher Erwähnung des Sponsors einen über zweiminütigen Tagesschau-Beitrag darüber verfassen müsste. Es gäbe auch weitaus wichtigere Themen, über welche man berichten könnte…
Dieser Bericht ist auch dahingehend unausgewogen, als dass andere Schokoladenhersteller oder andere Schweizer Aushängeschilder unerwähnt bleiben. Es geht nicht um Sponsoringverträge an sich und es geht nicht um Schokolade- oder andere Hersteller, welche Aushängeschilder mittels Sponsoring für ihre Sache verpflichten.
Es geht auch nicht darum, dass Lindt & Sprüngli ein ausserordentlicher Coup gelungen sei, indem sie Roger Federer verpflichten konnten. Die Schokoladenhersteller am Zürichsee hatten bisher ja ohnehin eher mit fiktiven, gut aussehenden Maîtres chocolatiers in ständig weissen Schürzen geworben denn mit reellen Persönlichkeiten aus Sport, Gesellschaft oder Showbusiness.
Es geht ebenfalls nicht um «der Schweizer Tennisstar macht Werbung für Schweizer Schokolade». Es geht einzig und allein um «Roger Federer macht Werbung für Lindt und Sprüngli». Punkt.
Das wirft die Frage auf, ob beispielsweise Camille Bloch die gleiche Aufmerksamkeit zustehen würde, sollten sie den Radprofi Fabian Cancellara als «Botschafter» verpflichten können? Wohl kaum…
Es wird nicht einmal kritisch hinterfragt, ob und wie sich Schokolade mit Sport vereinbaren lässt und dies obwohl Übergewicht, auch dank übermässigem Schokoladengenuss, schon beinahe als «Volkskrankheit» gilt und ein häufig zitiertes Gegenmittel «Sport und Bewegung» lautet.
Dass man auch beim Schweizer Fernsehen weiss, dass viele Kalorien in Schokolade steckt, ist wiederum der Anmoderation eines gestrigen Tagesschau-Beitrags zu entnehmen – oder kann auch diesem «10vor10»-Beitrag vom 26. November 2007 über die genau gleiche ETH-Innovation für kalorienarmere Süsswaren entnommen werden.
Und dass «Sportler plus Marke» nicht immer ganz unproblematisch ist, zeigt auch dieser Artikel über die Swiss Indoors in Basel und dessen Hauptsponsor Davidoff als Tabakhersteller.
Nein, man lässt stattdessen Roger Federer Sätze herunterträllern, welche er vorher wohl gut einstudiert hatte. Für einen unbekannten, aber sicher stolzen Betrag ist das ja auch das Mindeste. Auch der Lindt & Sprüngli-CEO und Verwaltungsratspräsident Ernst Tanner zeigt sich von einer sentimentalen Seite, wie er da etwas über erhaltene Blumen, einer Kiste voller Schokolade und von gegenseitiger Sympathie erzählt.
Es ist eine perfekte, mediale Inszenierung. Zwei Schweizer Grössen, allseits bekannt und beliebt, laden zur Medienkonferenz, zeigen sich von der schönen Seite und erzählen Geschichten, die mindestens so süss sind wie die Schokolade selbst. Um beim Hinausgehen gab es für die anwesenden Medienleute bestimmt noch mindestens eine Schoggi zum Mitnehmen…
Ein Fall für die Ombudsstelle?
In der Augenreiberei erwägt man deshalb, diesen Beitrag wegen Schleichwerbung nach Art. 10 Abs. 3 des Radio- und TV-Gesetzes (RTVG) beziehungsweise Verletzung des Sachgerechtigkeits- und eventuell Vielfaltsprinzips nach Art. 4 Abs 2 und 4 des RTVG bei der Ombudsstelle DRS zu beanstanden.
Eine derartige Instrumentalisierung der Tagesschau zu Werbezwecken für ein solch banales Ereignis ohne irgendeine kritische Frage ist einfach zu viel der süssen Versuchung.
Oder findet hier jemand Argumente, diesen Tagesschau-Beitrag inhaltlich als nicht stossend zu betrachten nur weil andere Medien, wenn auch nicht gleich ausgeprägt, genauso in diese PR- und Marketingfalle getreten sind?
Anhänger von Lindt-Schokolade sind von der Diskussion ausgeschlossen… 🙂
Ob’s etwas hilft, lieber Titus, wenn du den Ombudsmann anrufst, wage ich zu bezweifeln.
Zu denken gibt allenfalls, dass wir mit unseren Gebühren die Mittelmässigkeit fördern.
Und ich bleibe dabei: 10 vor 10 gehört verboten.
Rom wurde ja auch nicht nur an einem Tag erbaut… 😉
Schweigen ist auch der falsche Ansatz. In dem Falle wird fälschlicherweise angenommen, dass alles wunderbar ist…
Beim Durchlesen des Jahresberichts der Ombudsstelle wie auch der nachfolgenden Unabhängigen Beschwerdeinstanz UBI war ich überrascht, wie wenig Fälle überhaupt gemeldet werden – verglichen mit den Klagen, welche man immer wieder hört – rein subjektiv empfunden.
Wenn uns solche Instrumente schon in die Hände gelegt werden – die UBI mit den vorgelagerten Obmudsstellen sind übrigens einzigartig in der Welt – dann sollten wir sie auch nutzen…
Diese Geschichte wurde auch in meiner Tageszeitung und dann in der Sonntagspresse breitgetreten. Und ja, ganz klar: Melde den Fall.
Das ist halt unsere g’scheite Welt, die von diplomierten und anderen Deppen gemänätscht wird. Da wird halt schnell ein Rotscher zum Helden emporgehätschelt und ein alternder Mänätscher leistet sich auf Firmenkosten den Rotscher-Glanz-und-Gloria. Das ist so sensationell: Darüber müssen doch unser Gebühren-TV und all‘ die Holzmedien brichten.
Meldung machen? Nicht nötig, in ein paar Monaten erübrigt sich das sowieso, weil fürs Sponsoring die wenigsten Firmen noch Batzeli übrig haben werden.
Gerade weil es Schleichwerbung ist musste Franz Fischlin sagen, dass das jetzt keine Schleichwerbung ist. Das knüpft eigentlich prima an deinen Beitrag vom Juni an, und zwar der Bericht über Erfindungen und den Autor eines Buches darüber, dessen Erscheinungsdatum mehrfach erwähnt wurde.
Ich habe grundsätzlich nichts gegen Publireportagen, aber bitte dann eindeutig als solche Kennzeichnen, und ausserhalb der Hauptausgabe der Tagesschau. Ansonsten der arg strapazierte Begriff des Qualitätsjournalismus noch mehr Schaden nimmt.
Ein Beispiel aus dem Radio: Letzten Samstag erzählte uns ein „Reiseexperte“ auf DRS3 in der Sendung Uf und dervo vom stockdunklen Heimweg nach Sils-Maria und meinte unverblümt: „Zum Glück hatte ich mir die Taschenlampen Software aus dem @AppStore auf mein @iPhone geladen.“
Moderatorin: „Toll, aber wie war das denn mit der Akkuleistung? Die ist doch beim @iPhone nicht so …“
Er:“Doch, es hat genau bis vor das Dorf gereicht, und dann haben mich die hell erleuchteten Fenster nach Hause…“ bla, bla. Wohl gemerkt, es ging eigentlich um Sils-Maria und das Fextal und wir befanden uns nicht in der Sendung „DRS3 Digital“.
Also auch hier Productplacement mit Werbecharakter, allerdings aus Versehen und ohne gross nachzudenken! Oder etwa doch mit Absicht?
@ BodeständiX
Es soll ja wieder aufwärts gehen, irgendwo in den USA… und bessere Zeiten kommen ja bestimmt wieder – irgendwann…
@ Bobsmile
Es ist eben leider wieder so ein Thema, das sich schleichend und klammheimlich breit macht und nirgendwo wird dabei ein Pfahl eingeschlagen um zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Allerdings reicht ein Pfahl schon längst nicht mehr. Aber einer ist immer noch besser als keiner 🙂
Es wird als normal betrachtet, über so alltägliche Produkte zu sprechen. Die Werbewirkung dahinter unterschätzen viele… Und dass sie sich damit selber ins eigene (Einnahmen-)Fleisch schneiden, daran hat wohl noch niemand gedacht.