Geheimniskrämereien

Das oberste Organ der Schweiz ist der Souverän, also die Schweizer Bevölkerung. Diesem Souverän haben in der Theorie alle, welche das Etikett «Bund» tragen, Rechenschaft abzulegen. Geheimniskrämerei auf Bundesebene läuft dem jedoch genau zuwider.

In den letzten Tagen scheinen viele ein Geheimnis um irgendetwas zu machen. Als ganz normaler Bürger kann man sich daher des Eindrucks nicht erwehren, man würde nicht als mündig betrachtet.

Selbst bei «überwiegend öffentlichen Interessen» sollte die Bevölkerung erfahren dürfen, was Sache ist. Vielleicht rüttelt uns dann zwar «die volle Wahrheit» aus dem genügsamen Dornröschenschlaf. Andererseits ist der leise und gewiss begründete Verdacht, dass man uns Dinge verschweigt, auch nicht besonders beruhigend.

Fall 1: Der alte/neue Post-VR-Präsident

Am Dienstag traf die Meldung ein, dass Claude Béglé als Verwaltungsratspräsident der Post mit sofortiger Wirkung zurücktrete. Das kam etwas überraschend – eigentlich zu überraschend.

Das passte so gar nicht zu diesem «Machtmenschen», der sich in den letzten Tagen mit Händen und Füssen gegen Angriffe auf seine Person zu wehren versuchte. Doch Wunder können passieren, sodass ihn vielleicht doch wegen seines gegenüber dem Bundesrat verschwiegenen «Nebenjobs» das Einsehen packte – dachte man wenigstens am Tag seines Rücktritts.

Dies wurde noch verstärkt durch Béglés Aussage in der SF Tagesschau von vergangenem Dienstag, wonach er selber zurückgetreten sei – im Interesse der Post versteht sich…

Wie wir heute, nach seinem Rücktritt, von ihm selbst wissen, war es kein Einsehen. Alle anderen waren schuld, nur nicht er und seine offensichtlich aneckende Persönlichkeit.

Besonders seine Reaktionen nach diesem Rücktritt zeigen, dass er – ja, es klingt hart – eine Fehlbesetzung war. Denn: Auf diesem Niveau spielt vorwiegend die Persönlichkeit eine Rolle und weniger das Können oder das fachliche Wissen. Er mochte noch so gute Ideen haben (oder auch nicht); wenn er wie eine Dampfwalze auftritt, dann verweigern ihm die Anderen die Gefolgschaft.

Das sollte er wissen. Ebenso sollte er wissen, dass er beim Anecken bei anderen vor allem sich selber zu hinterfragen hätte – sofern er überhaupt merkt, dass er aneckt…

Interessant, ja sogar amüsant ist, was die NZZ am 19. Januar 2010 über die Reaktionen seitens Parteien schrieb:

SVP-Präsident Toni Brunner forderte, dass sich der Gesamtbundesrat der Nachfolgeregelung bei der Post annimmt. Das Dossier könne nicht Leuenberger überlassen werden, denn er sei verantwortlich für das Desaster. Leuenberger habe Béglé ernannt und sei auch in den letzten Wochen untätig geblieben.

Schon fast nach dem Titel seines Buches «Lüge, List und Leidenschaft» überraschte dieser angeblich untätige Moritz Leuenberger alle, als er nur tags darauf die Ernennung von Peter Hasler als VR-Präsident durch den Bundesrat bekannt gab.

«Regieren heisst vorausschauen» propagiert der Bundesrat – und genau diesem Prinzip ist Bundesrat Leuenberger gefolgt (ob der Gesamtbundesrat allerdings weit vorausgeschaut hat, wenn er einen bald 64-Jährigen zum obersten Pöstler ernennt, ist eine andere interessante Frage).

Selbst gegenüber der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen, welcher Leuenberger erst kürzlich Red’ und Antwort stand, verschwieg er, was im Hintergrund ablief. Dementsprechend düpiert zeigte sich This Jenny, SVP-Ständerat und Mitglied eben dieser Kommission.

Doch Hand aufs Herz: Hätte Leuenberger in der fraglichen Kommissionssitzung davon gesprochen, sich bereits nach einem möglichen Nachfolger Béglés umzuschauen, weil er selber ja auch nicht blind ist, glauben Sie wirklich, dass diese Information trotz möglicherweise vereinbartem Stillschweigen nicht an die Öffentlichkeit gelangt wäre?

Wohl kaum. Zu oft gelangten in den vergangenen Monaten Indiskretionen aus Kommissionssitzungen trotz Kommissionsgeheimnis an die Öffentlichkeit. Es wäre daher nur allzu verständlich, wenn genau deswegen Moritz Leuenberger die Ersatz-Suche vor der fraglichen Kommission, welcher er ja eigentlich Rechenschaft ablegen wollte, noch geheim hielt.

Wenn dem so ist, dann hat das aber auch etwas Bedenkliches. Es führt letzten Endes dazu, dass selbst da, wo man sich auf die Geheimhaltung sollte verlassen können, genau dies eben nicht mehr kann.

Dies leistet Vorschub für noch mehr Geheimniskrämereien. Jeder misstraut jedem – bis man schliesslich gar nicht mehr weiss, weshalb man sich gegenseitig Dinge vorenthält… Passend dazu auch der nächste Fall:

Fall 2: Die UBS-Steueraffäre

Soll eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) die Ereignisse rund um die UBS-Steueraffäre in den USA untersuchen oder doch nicht?

Eine PUK kann Personen vorladen und hat uneingeschränkten Zugang zu allen Dokumenten, die mit der zu untersuchenden Sache im Zusammenhang stehen. Es geht also auch darum, bisher Verschwiegenes oder geheim Gehaltenes ans Tageslicht zu bringen. Doch eine PUK ist ein relativ extremes Mittel, das nur sehr selten eingesetzt wird und auch nur sehr selten eingesetzt werden sollte.

Darum bemüht man sich nun darum, die Sache im Rahmen der ordentlichen Geschäftsprüfungskommission (GPK) abwickeln zu können. Der Bundesrat hat denn auch zugestimmt, den Zugang zu geheimen Dokumenten zu gewähren.

Diese Zustimmung erfolgte jedoch nur unter der Voraussetzung, dass lediglich der Kommissionspräsident und –vizepräsident sowie zwei Kommissionssekretäre Zugang zu den Originalen haben dürften, welche ansonsten in einem Tresor zu lagern hätten. Die anderen Kommissionsmitglieder müssten sich mit Zusammenfassungen begnügen.

Auch das macht deutlich, dass der Bundesrat (nach dem Fall oben erneut) offensichtlich nicht mehr allen Kommissionsmitgliedern traut. Denn dieser restriktive Umgang mit Dokumenten zielt darauf ab, den Kreis derer, die Indiskretionen nach aussen tragen könnten, äusserst klein zu halten.

Und natürlich kann – oder muss man sich auch fragen, was denn so brisant an dieser Sache ist, dass daraus eine solche Geheimniskrämerei veranstaltet wird beziehungsweise weshalb in dieser Angelegenheit der Bundesrat Dokumente als «geheim» klassiert…

Fall 3: Unser «Geheimdienst»

Der Dienst für Analyse und Prävention (DAP) behindert (wieder einmal) die Untersuchungsbehörden (hier nachzulesen). Bei Letzteren handelt es sich nicht um irgend einen daher gelaufenen Hund, sondern ums eidgenössische Untersuchungsrichteramt.

Dieses möchte einen Zeugen zu jenen Sprengsätzen anhören, welche am 1. August 2007 auf dem Rütli und später in drei weiteren Briefkästen hochgingen (Sie erinnern sich bestimmt noch daran). Ähnlich den Tinner-Akten streitet man sich schliesslich auch hier darum, wer wofür verantwortlich ist beziehungsweise zu welchen Dokumenten Zugang haben darf.

Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass ähnlich den Tinner-Akten der Bundesrat mittels Notrecht die Aussage-Protokoll der fraglichen Person schreddern lässt…

Unverhältnismässige Geheimhaltung?

Es gibt gute Gründe für eine Geheimhaltung. Als Beispiel sei hier die Libyen-Krise angeführt, bei welcher es ungeschickt wäre, wenn Libyen über die Medien alles mitbekommen würde, was hinter verschlossenen Türen entschieden wird.

Manchmal stellt sich allerdings schon die Frage, ob die Verhältnismässigkeit bezüglich Geheimhaltung gegeben ist, ob man sich da nicht in etwas verrannt hat und ob man nicht zu sehr von der bisherigen «Geheimhaltungskultur» geprägt ist.

Es gibt in der Schweiz zwar das Öffentlichkeitsprinzip, ganz nach dem Motto «die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, ob/wer/was/…». Doch dieses gilt «nur» für die Bundesverwaltung und die Parlamentsdienste, und Ausnahmen sind auch da möglich.

Obschon man von den Beratungen in den beiden Räten heute Wort für Wort im Internet nachlesen kann, bleibt der genaue Inhalt von Kommissionssitzungen weiterhin geheim – selbst wenn es nur ums relativ banale Landwirtschaftsgesetz geht. Ob das noch sinnvoll und zeitgemäss ist?

Die Öffentlichkeit mit der Wahrheit konfrontieren

Warum glauben unsere Volksvertreter und staatliche Institutionen wie der DAP immer, sie müssten uns – de facto ihren Arbeitgebern – etwas vorenthalten? Ist es die Sorge um die Volksseele, von welcher man glaubt, sie würde harte Fakten nicht vertragen und sofort hysterisch reagieren?

Führt indes nicht genau das Verschweigen von Umständen dazu, dass unsere Volksseele so zart besaitet ist (das Leben in einer schönen, heilen Welt), welche im Falle einer «echten» Bedrohung oder Krise dann erst gar nichts verträgt?

Wäre mehr Transparenz und Offenheit nicht die bessere Antwort auf Indiskretionen und Verschwörungstheorien als weitere Geheimniskrämereien, ja wäre Transparenz und Offenheit nicht generell die bessere Antwort auf die real existierenden, aber bis anhin verschwiegenen Probleme?

Immerhin: Die GPK des National- und des Ständerats haben sich heute gemeinsam mit ihrer Öffentlichkeitskommunikation beschäftigt. Das ist ein Anfang.

Wenn sie gleichzeitig noch mitgeteilt hätte, was dabei Konkretes herausgekommen ist, wäre sogar schon ein zweiter Schritt getan…

3 Antworten auf „Geheimniskrämereien“

  1. Ja, es braucht eindeutig eine PUK, aber nicht nur eine die das UBS-Thema durchleuchtet!

  2. Eben auch alles drum-herum, von mir aus können dir gerne auch den DAP und den Bundesrat auseinandernehmen… 😉 Wenn man da bisschen gräbt kommt sicher noch viel mehr krummes und unsauberes hervor… Ich finde wenn schon PUK dann richtig, ist ja schliesslich schon selten genug… *lol*

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