Gesellschaftliches Vertrauen

Es ist es etwas Wichtiges, ja gar etwas Staatstragendes: Anderen Menschen zu vertrauen. Doch es geht mehr und mehr verloren und eine Lobby scheint es dafür leider keine zu geben…

Einer Person, von welcher Sie höchstens den Vor- und Familiennamen kennen, würden Sie Ihre Geldbörse mit tausend Franken ganz bestimmt nicht anvertrauen. Diese zwei Angaben sind Ihnen zu wenig, um dieser Person so viel Vertrauen entgegen zu bringen.

Interessanterweise werden Sie aber wahrscheinlich von Ihrem Bank-Kundenberater nicht viel mehr wissen als dessen Vor- und Familienname. Nicht einmal sein Alter kennen Sie, geschweige denn wo er zu Hause ist. Aber Sie vertrauen ihm einen grossen Teil Ihres Vermögens an.

Vertrauen schaffen…

Gewiss werden Sie jetzt sagen, dass Sie Ihr Vermögen ja nicht dieser Person persönlich anvertrauten, sondern dem fraglichen Geldinstitut an sich. Da haben Sie recht.

Aber wer steckt denn hinter diesem Geldinstitut? Ein grosser Tresor im fünften Untergeschoss, ausgestattet mit einem Gewissen, dank welchem sich die Tresortür nur demjenigen öffnet, der dazu berechtigt ist?

Nein, hinter einer Bank stecken wie bei jeder anderen Organisation auch nur Personen. Von Ihrer Bank kennen Sie wahrscheinlich weder die Anzahl Mitarbeiter noch den erzielten Gewinn des letzten Geschäftsjahres. Und trotzdem vertrauen Sie ihr Ihr Vermögen an.

Grundlage für Ihr Verhalten ist das Vertrauen, welches Sie in eine Bank haben. Vertrauen ist eine abstrakte, nicht fassbare Sache, die im Laufe der Zeit geschaffen und verfestigt werden muss.

…mit anfänglichen Risiken

Im Falle einer Bank geschieht das damit, indem Ihr Vermögen auch nach einem Jahr noch vorhanden ist (ausser Sie hätten natürlich Geld zurückgezogen) und indem Ihnen Ihre Bank eine korrekte Ertragsabrechnung liefert.

Oder andersrum: Wäre Ihr Vermögen plötzlich weg oder würde die Ertragsabrechnung nicht stimmen, hätten Sie wohl kein Vertrauen mehr in diese Bank.

Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Oder auf eine Bank gemünzt: Hat man zuerst der Bank blind zu vertrauen bevor diese Gelegenheit erhält, ihre Rechtschaffenheit unter Beweis zu stellen oder soll man ihr von Anfang an misstrauen? Sollten Sie Letzteres in Erwägung ziehen, werden Sie wohl nie ein Konto bei einer Bank eröffnen…

Das heisst: Vertrauen erfordert eine anfängliche Risikobereitschaft.

Hohes Vertrauen in viele Dinge

Der oben genannte Fall war nur ein Beispiel um aufzuzeigen, wie sehr wir heute auf den Faktor «anderen vertrauen» setzen. Unsere Gesellschaft ist heute voll von solchen «Beispielen».

Eltern geben ihre Kinder in die Schule und vertrauen darauf, dass sie dort etwas Gescheites lernen. Wir kaufen täglich Lebensmittel ein und vertrauen darauf, dass diese in einwandfreier Qualität sind.

Sie steigen in Ihr Auto ein und vertrauen darauf, dass Bremsen und Steuerrad funktionieren. Oder Sie nehmen den Zug und – obwohl Sie nicht einmal sehen, wann die nächste Kurve kommt – vertrauen Sie darauf, dass sie unbeschadet und fahrplanmässig am Ziel ankommen.

Ihre Wohnung oder Ihr Haus wird mit Heizöl oder Gas geheizt und Sie vertrauen darauf, dass keiner dieser Brennstoffe an Orten austritt und verbrannt wird, an denen er nicht austreten oder verbrannt werden sollte. Sie schreiben einen Text auf Ihrem PC oder Mac und vertrauen darauf, dass der Strom nicht ausfällt, solange sie den Text nicht abgespeichert haben. Und sie tippen eine Nummer in Ihr Handy ein und vertrauen darauf, dass es beim richtigen Anschluss klingelt.

Diese Liste lässt sich natürlich beliebig erweitern.

Die «Delegierungsgesellschaft»

Bei all diesen Punkten geben wir etwas Herrschaft über uns und unsere Umwelt ab. Wenn Sie beispielsweise Ihre Kinder in die Schule schicken, dann haben Sie keine Herrschaft mehr darüber, was sie lernen.

Wenn Sie Lebensmittel nicht selber herstellen, sondern einkaufen gehen, geben Sie die Herrschaft über die Qualität und Verarbeitungsweise dieser Lebensmittel ab. Und wenn Sie Ihren PC oder Mac nicht mit einem Tretpedal mit Strom versorgen, geben Sie die Garantie für einen kontinuierlichen Betrieb Ihres Rechners Ihrem lokalen Elektrizitätswerk ab.

Wir leben also quasi in einer «Delegierungsgesellschaft», indem wir andere für uns Dinge machen lassen. Ohne diesen Anderen zu vertrauen ginge das alles gar nicht.

Soweit, so gut. Bis jetzt haben Sie eigentlich nichts Neues gelesen – nur haben Sie das bisher vielleicht noch nicht so gesehen.

Etwas wirklich Neues werden Sie auch nachfolgend nicht lesen, weil das Neue nicht überraschend, sondern schleichend auftritt:

  • Eine zunehmende Abhängigkeit von den Anderen sowie
  • Vorfälle, welche Misstrauen wecken und bisheriges Vertrauen erschüttern.

Tendenz steigend fürs Machen-lassen

Zur zunehmenden Abhängigkeit: Wir leben heute auch in einer Gesellschaft «out of the box». Es hat natürlich etwas Praktisches, wenn man die nächste Mahlzeit einfach aus der Verpackung nehmen kann und nur noch aufwärmen/kochen/backen muss, wobei der hier genannte Nahrungsmittelbereich wiederum nur ein Beispiel ist.

Im Bekleidungsbereich, um ein weiteres Beispiel zu nennen, ist es inzwischen selbstverständlich, dass alles fixfertig ist. Niemand näht heute noch selber etwas und wenn doch, dann höchstens einzelne Stücke und sicher keine ganze Garderobe. Und selbst das Machen einzelner Stücke gilt als aussergewöhnlich.

So praktisch dies auch alles ist, führt es letzten Endes dazu, uns davon zu entwöhnen, Dinge selber zu machen. Die Tendenz hierfür ist weiter steigend.

Das heisst: Wir werden in Zukunft noch mehr als bisher auf andere vertrauen müssen.

Wem kann man noch vertrauen?

Seit einiger Zeit hören wir allerdings immer wieder von Vorfällen, welche nicht förderlich sind, anderen zu vertrauen, sondern Anlass geben, ihnen zu misstrauen.

Das Problem hierbei ist, dass häufig gleich pauschalisiert wird. Es wird nicht einer Sache oder einer Person misstraut, sondern gleich einem ganzen Bereich oder einer ganzen Gruppe.

Oder anders gesagt: Nicht jeder Banker ist ein Abzocker, nicht jeder Priester ist ein Pädophiler, nicht jeder Deutsche ist ein Steuerflüchtling, nicht jeder Ausländer ist schlecht integriert und kriminell, nicht jeder Moslem ist ein Islamist, nicht jeder Jugendliche ist gleich gewalttätig, nicht jeder Streit mündet in einer Messerstecherei, nicht jeder IV-Empfänger missbraucht die IV usw…

Auch diese Liste liesse sich noch beliebig erweitern.

Fehlende Verhältnismässigkeit

Was bei all diesen Vorfällen fehlt, ist ein Bezug zu einer Gesamtzahl, um diese Ereignisse ins richtige Verhältnis stellen zu können.

Wie viele Banker gibt es überhaupt in der Schweiz und wie hoch sind deren Boni insgesamt? Wie viele Streitereien gibt es jeden Tag und wie viele enden tragisch? Wie viele IV-Missbräuche treten auf in Bezug auf sämtliche IV-Empfänger? usw…

Solche Vorfälle sollen nicht verharmlost werden. Sie sollen umgekehrt aber auch nicht zum «courant normale» erklärt werden. Dies schürt nur weiter Misstrauen und Angst.

Wir nehmen heute aber vermehrt die Grundhaltung «Misstrauen» ein. Typisch hierfür ist beispielsweise, dass im öffentlichen Raum kaum mehr jemand auf den anderen achtet. Man ist für sich – mitten in der Öffentlichkeit.

Das hat schon soweit geführt, dass man innerhalb einer Menschenmenge niemanden mehr ansprechen darf, ohne nicht gleich als «Spinner» oder sonst wie «psychisch beschränkt» zu gelten.

Oder ein Mann, der einer Frau ein Kompliment macht, untersteht sogleich dem Verdacht der sexuellen Belästigung. Auch ein Vater, der seine fünfjährige Tochter umarmt, scheint verdächtig…

Eine Mutter, die ihren fünfjährigen Sohn umarmt ist hingegen nicht verdächtig – zumindest solange nicht, wie wir noch nie von einem Fall von pädophilen Neigungen bei Frauen gehört haben…

Einander mehr vertrauen

Statt uns verrückt machen zu lassen durch Vorfälle, welche wir mengenmässig nicht einzureihen vermögen und statt dadurch allem und jedem zu misstrauen, sollten wir einander (wieder) mehr vertrauen. Denn gegenseitiges Vertrauen schafft Sicherheit.

Vertrauen schafft auch Offenheit. Offenheit, die Klarheit mit sich bringt über das, was wirklich ist. Und Offenheit, die manche Untaten verunmöglicht.

Denn: Wir werden in Zukunft noch mehr als bisher auf andere vertrauen müssen. Aber Vertrauen erfordert eine anfängliche Risikobereitschaft.

Sind Sie dafür bereit?

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3 Antworten auf „Gesellschaftliches Vertrauen“

  1. …und Vertrauen kann eben auch wieder verloren gehen oder es wurde schon sehr früh so arg strapaziert das es nie wieder gänzlich da sein wird, so wie im meinem Fall!

    Zudem hat es auch mit Wissen, Können und Vorbereitet sein zu tun aber auch mit Kontrolle, wie zbs. bei der Technik, ich jedenfalls vertraue der Technik mehr als Menschen, denn Computer haben mich noch nie reingelegt oder hintergangen und sie vergessen oder Lügen auch nie!

    Hat wohl damit zu tun, das Computer eben keine Gefühle haben und deswegen auch nicht eifersüchtig werden oder einem etwas nachtragen. So interessiert es einen Computer kaum ob ich ihn lösche, auf die Tastatur haue, ihn anschreie oder ihn aus den Fenster werfe… Andererseits scheinen bei mir technische Dinge einfach immer sehr zuverlässig zu funktionieren, auch das schafft Vertrauen, ich lasse sie deshalb einfach machen … dafür sind sie meiner Einsicht nach auch da um sie eben machen zu lassen!

    Wenn es Probleme mit Computern und technischen Geräten gibt, dann nur wenn Menschen im Spiel sind die sie falsch bedienen oder sie eben missbrauchen.

    Und Menschen vertraue ich, bis auf sehr sehr wenige Ausnahmen, nie wirklich 100% … das selbe gilt sogar noch mehr für Behörden aller Art, denen werde ich wohl nie mehr vertrauen…

    Allgemein sitzt das Gesellschaftliche Vertrauen bei mir auf Messers schneide, es hängt momentan von Entscheidungen der Gerichte ab ob dieses jemals wieder aufgebaut oder endgültig und für alle Ewigkeit sterben wird!

    Du sagst, gegenseitiges Vertrauen schafft Sicherheit.

    Ich sage, gegenseitiges Vertrauen schafft Verletzlichkeit.

    Für mich ist Vertrauen etwas sehr empfindliches das praktisch keine Toleranzen verträgt, wenn es da ist, dann ist es ein Zustand von empfindlicher Balance, der sobald nach unten oder oben abdriftet zerstört und nur noch sehr schwer wieder herzustellen ist.

    Und bei mir hat dieses empfindliche System eben in der Kindheit mal ein paar Hammerschläge kassiert und seit dem genügen kleinste Erschütterungen um es komplett austicken zu lassen!

    Tja, und die Reparatur dieses Systems, wenn überhaupt möglich, wird eben sehr viel kosten!

  2. Ich kann Dir versichern, dass mir beim Schreiben Dein Fall sehr wohl präsent war.

    Gerade deshalb bin ich davon überzeugt, dass es umso wichtiger ist, anderen zu vertrauen, anderen sich anvertrauen zu können. Gerade deshalb ist es wichtig, dass andere einem auch vertrauen und dass sie einem glauben und für wahr halten, was man ihnen erzählt.

    Vertrauen entsteht aber nicht durch Geheimniskrämereien. Es kann nur durch die angesprochene Offenheit entstehen. Wenn wir offen schildern können, was uns widerfährt oder widerfahren ist, dann schafft das auch Sicherheit. Wir erfahren so nämlich von anderen, was ist und sein darf.

    Versteh‘ das bitte nicht als Vorwurf an Dich, sondern an unsere Gesellschaft, welche lange Zeit nach dem Motto lebte: Was nicht sein darf kann nicht sein. Man schaute zu oft einfach weg…

    Die heutige Reaktion auf Vertrauensmissbräuche jeglicher Art ist Misstrauen auf der einen und ein Kontrollwahn auf der anderen Seite. Ich kann das zwar verstehen, halte es aber dennoch für die falsche Reaktion.

    Besser fände ich, dieses gegenseitige Vertrauen immer wieder unter Beweis zu stellen, denn ich halte Vertrauen auch nicht für eine Sache, die – wenn sie einmal da ist – automatisch für ewig gegeben ist.

    Wenn man das Vertrauen immer wieder unter Beweis stellen muss, sollte es auch nicht – oder zumindest weniger – zu den von Dir angesprochenen Enttäuschungen bzw. Vertrauensmissbräuchen kommen (ganz verhindern kann man das wohl nicht). Es ist eben eine Sache, an der wir ständig arbeiten müssen und das macht es nicht einfacher.

    Allerdings: In einer Welt des gegenseitigen Misstrauens ständig seine Rechtschaffenheit, seine «Unschuld» und seine lauteren Absichten darlegen zu müssen, erachte ich auch als ziemlich anstrengend…

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