Im letzten Beitrag hatten wir es bereits davon, wie es die Kirche nicht so genau nimmt mit der Wahrheitsfindung. Der Papst schweigt zu den sexuellen Missbrauchsfällen weiterhin. Derweil diskutieren andere darüber.
Es ist in diesen Tagen nicht einfach, wie man die sexuellen Übergriffe im kirchlichen Umfeld einordnen soll. Auf der einen Seite ist da die Berichterstattung, welche zeitweise schon fast im Tagesrhythmus manchmal durchaus schreierisch von Fällen mit sexuellen Übergriffen im Seelsorge-Bereich berichtete.
Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, dass vor allem boulevardeske Medien solche Fälle wieder und wieder «durchkauen», was schliesslich dazu führt, dass bei uns ein intensiverer Eindruck von sexuellen Übergriffen innerhalb von kirchlichen Institutionen zurückbleibt.
Echte Wahrheitsfindung
Wir wissen aber auch, dass eine Anschuldigung erst eine Anschuldigung und noch keine Verurteilung ist. Allzu oft tendieren viele zu einer Vorverurteilung und dies obwohl die genauen Details und Umstände gar nicht bekannt sind.
Vielen von uns ist ja nicht einmal klar, was genau unter einem «sexuellen Übergriff» zu verstehen ist. Vermutlich fällt das sogar unter die richterliche Ermessensabwägung, weil auch der vermeintliche Täter und das Opfer eine unterschiedliche Auffassung über gewisse Gesten und/oder Handlungen haben. Relevant dürfte sein, mit welcher Absicht diese stattfanden.
Ebenso können wir uns wohl alle ausmalen, dass es für die Opfer nicht einfach ist, über einen Missbrauchsfall zu reden. Für eine Anschuldigung oder gar eine Klage braucht es entweder ein Geständnis des Täters oder hieb- und stichfeste Beweise, Beweise welche im Falle von sexuellen Übergriffen nur schwer aufzubringen sind.
Und schliesslich wissen wir auch, dass die zurzeit publik gewordenen Fälle nicht die ersten Anschuldigungen sind. Es gab bereits in den vergangenen Jahren solche Fälle in allen Herren Länder – auch in der Schweiz. Sie gelten inzwischen nicht mehr nur als Anschuldigung, sondern sind erwiesen (sofern es überhaupt zu einer neutralen Untersuchung der Vorfälle kam).
Alles in allem ist es somit schwierig zu beurteilen, was medial aufgebauschte Einzelfälle sind, was tatsächlich Sache ist und wie schlimm es insgesamt steht mit sexuellen Übergriffen seitens Seelsorger. Wenn die Wahrheitsfindung im Vordergrund stehen soll, dann dürfen weder «echte» Täter geschützt noch vermeintliche Täter zu Unrecht (vor)verurteilt werden. In der öffentlichen Diskussion ist das eine Gratwanderung…
Lehrreiche Diskussion
Die nachfolgende «Sternstunde Religion» vom 2. April 2010 gibt darüber auch keine Antworten. Aber es werden in unaufgeregtem Ton zahlreiche Fragen zum Umfeld der Missbrauchsfälle, zu den Tätern, zu den Opfern, zum Zölibat und nicht zuletzt zum «System Kirche» aufgeworfen und diskutiert.
Manche Aussagen insbesondere seitens des Psychologen Frank Urbaniok sind ernüchternd. Die Sachlichkeit und Offenheit, mit welcher hier auch seitens des Regionaloberen der Kapuziner, Willi Anderau, diskutiert wird, ist wiederum ermutigend.
Wenn doch nur die Verantwortlichen in Rom und anderswo auch zuschauen würden…
_______________________________________________________________________
Weitere Beiträge zum Thema
- Thinkabout:
«Wir sind nicht alle katholisch, aber wir sind alle gefordert» - web.quantensprung:
«Oster 2010 – Trauerspiel des Papstes» - kreidebleich:
«Die katholische Kirche zu Ostern»
Zeit-Online veröffentlicht ein Geheimdokument und berichtet ausführlich über die Versuche der kath. Kirche die Missbrauchsfälle zu vertuschen.
Federführend in diesen kleralen Bemühungen „unangemessene Publicity zu vermeiden“ ist Ratzingers Stellvertreter Tarcisio Bertone.
Bertone bekleidet heute unter Papst Benedikt XVI. das wichtigste administrative Amt im Vatikan, die Leitung des sogenannten Kardinalstaatssekretariats, das in seiner Funktion der Rolle eines Ministerpräsidenten des Kirchenstaates entspricht.
Der Link zum Artikel in der Zeit: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-04/missbrauch-vatikan-bertone