Die Schweiz ist nicht nur ein Bankenland, sondern auch ein Versicherungsland. Es gibt fast nichts, gegen das man sich nicht versichern könnte. Das hat aber nur vordergründig Vorteile.
Die Liste der in der Schweiz möglichen Versicherungen ist sehr lange. Einige davon sind private, andere staatliche Versicherungen. Einige sind obligatorisch, andere können frei ausgewählt werden. Und einige decken das volle Risiko ab, andere nur einen Teil davon, wobei einige wiederum dafür da sind, den nicht versicherten Teil auch noch zu versichern.
Gegen vieles ist eine Versicherung gewachsen
Hier eine unvollständige Auflistung möglicher oder notwendiger Versicherungen:
- Gebäudeversicherung
- Vandalismusversicherung
- Bauversicherung
- Hausratversicherung
- Wertsachenversicherung
- Umzugsversicherung
- Fahrzeughaftpflichtversicherung
- Kaskoversicherung
- Haustierversicherung
- Privathaftpflichtversicherung
- Management-Versicherung
- Rechtsschutzversicherung
- Reiseversicherung
- Lebensversicherung
- Arbeitslosenversicherung
- Erwerbsausfallversicherung
- Alters- und Hinterbliebenenversicherung
- Invaliditätsversicherung
- Nichtbetriebsunfallversicherung
- Betriebsunfallversicherung
- Krankenversicherung
- Hagelversicherung
- Schlechtwetterversicherung
- Ernteausfallversicherung
- …
Mit jeder Versicherung wird ein bestimmtes Risiko versichert, also einen «Schadensfall», von dem man zwar hofft, dass er nie eintritt und falls doch, dass der finanziell-materielle Schaden sich nach dem «Schadensereignis» in Grenzen hält.
Versicherungen geben einem ein Gefühl von Sicherheit. Und weil wir heute für alles und jedes versichert sind und zuweilen auch schon einmal den Überblick darüber verlieren, gehen viele – fälschlicherweise – davon aus, dass alles Unvorhergesehene versichert ist.
Erst im Schadensfall nehmen viele die Versicherungspolice hervor und lesen sie zusammen mit den allgemeinen Vertragsbedingungen aufmerksam durch. Ernüchterung tut sich dann breit, wenn man feststellt, dass ein Schadensfall eben nicht versichert ist, obschon man doch so sehr davon überzeugt war, man wäre «gegen alles» versichert…
Versicherungen sind nicht per se eine schlechte Sache. Aber sie verleiten zu einem Denken, wonach wir quasi unverwundbar sind, weil wir ja gegen alles und jedes versichert sind – oder es zumindest glauben.
Der Vulkanausbruch des isländischen Eyjafjallajökull und dessen Aschewolke machen deutlich, dass man sich eben nicht gegen alles vorbereiten und damit auch nicht gegen alles versichern kann. Erst die Grösse dieses Ereignisses macht uns dies deutlich, denn gegen die vielen kleinen, unvorhergesehenen Ereignisse im Alltag sind wir ja versichert – glauben wir zumindest.
Sich in (falscher) Sicherheit wiegen
Versicherungen können aber auch den einen oder anderen dazu verleiten, Risiken einzugehen, die nicht eingegangen würden, wüsste man sich nicht versichert.
Als Beispiel sei hier die «Management-Versicherung» erwähnt. Sie soll es erlauben, dass Managern «den Mut zu unternehmerischen Entscheiden» nicht genommen wird. Das hat etwas Fatales: Weil einem mit einer solchen Versicherung nichts droht, kann ein Manager quasi tun und lassen was er will.
So ähnlich handhaben haben das einige Nicht-Manager aber auch im Alltag: Weil unsere Gebäude versichert sind, weil unsere Fahrzeuge versichert sind, weil wir gegen Arbeitslosigkeit versichert sind, weil selbst sogar manches Leben versichert ist, kurz: weil doch alles in unserem Alltag «irgendwie» versichert ist (oder viele das zumindest glauben), kann man tun und lassen, was man will.
Wenn man Risiken eingeht, weil einem ja nichts droht, kann dies durchaus zu einem gewissen verantwortungslosen Handeln führen.
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob man denn gar keine Risiken eingehen und sich am besten zu Hause einbunkern soll, weil da einem vermutlich am wenigsten Risiken erwarten? So riskiert man schliesslich auch kein verantwortungsloses Handeln…
Die Frage ist falsch gestellt. Sie müsste vielmehr lauten: Sind wir noch bereit, Risiken ohne Versicherungsschutz einzugehen und falls ja, zu welchen Bedingungen?
Trotz Versicherung: Risiken nicht vergessen
Der erste Teil dieser Frage ist schwer zu beantworten. Da wir aber darauf konditioniert sind, für alles versichert zu sein, liegt die Vermutung nahe, dass in unseren Breitengraden allgemein nur sehr wenige Risiken eingegangen werden.
Die Bedingungen, welche bei Risiken ohne Versicherungsschutz in Kauf zu nehmen sind, dürften hingegen klar sein: Man kann alle Mittel verlieren, welche eingesetzt wurden und man kann Dritten gegenüber Schaden zufügen.
Das geht manchmal vergessen oder wird (un)bewusst ausgeblendet. Darum handeln auch viele nicht danach. Um nicht missverstanden zu werden: Man kann und soll Risiken eingehen, aber bitte immer mit dem Gedanken, dass die eingesetzten Mittel verloren gehen oder gegenüber Dritten Schaden anrichten könnten.
Man kann für diese Risiken auch eine Versicherung abschliessen. Trotzdem sollte der oben erwähnte Gedanke nicht vergessen gehen und zwar nicht, damit die Versicherungsgesellschaft gegebenenfalls für weniger Schäden aufkommen muss, sondern weil es darum geht, Schäden gar nicht erst in Kauf nehmen zu müssen.
Das abgebrannte Haus kann zwar wieder aufgebaut, der Blechschaden am Auto beseitigt und der Beinbruch geheilt werden. Und wer arbeitslos wird, weil das Unternehmen seines Arbeitgebers wegen Managementfehlern an die Wand gefahren wurde, der kann sich auf die Arbeitslosenversicherung berufen.
Doch mit all diesen «Schadensfällen» sind immer auch unzählige Unannehmlichkeiten verbunden, welche besonders dann bitter sind, wenn jemand einen Schaden auch deshalb verursacht hatte, weil er sich auf der sicheren Seite glaubte, weil ihm ja nichts drohte.
Moderne Propheten
Versicherungen sind aber nur ein Mittel, welche Sicherheit für unvorhersehbare Situationen liefern sollen. Es ist kein Zufall, dass im Kästchen «Häufig gelesen» am rechten Rand dieses Blogs der nicht ganz ernst gemeinte Beitrag «Das Jahreshoroskop 2010» zu den meistgelesenen Beiträgen gehört.
Auch kein Zufall dürfte sein, dass die Wettervorhersagen am aufmerksamsten und am häufigsten gelesen, angehört oder angeschaut werden. Man will wissen, was einen «in absehbarer Zukunft» erwartet.
Finanzanalysten sind quasi die Meteorologen des Finanzwesens. Deren Aufgabe ist es, die weitere Entwicklung von Aktienkursen abzuschätzen, damit die Spekulanten Investoren wissen, was sie «in absehbarer Zukunft» erwartet. Damit können diese ihre Schäfchen rechtzeitig ins Trockene bringen.
Die so genannte Konjunkturforschung wiederum soll der Wirtschaft und der Politik Auskunft darüber geben, ob es «in absehbarer Zukunft» mit der Wirtschaft auf- oder abwärts geht. Auch das soll letzten Endes Sicherheit für anstehende (Investitions-)Entscheide liefern.
Diese Auflistung prophetischer Erzeugnisse, welche Sicherheit liefern sollen, liesse sich noch beliebig erweitern.
Risiko ist Teil des Lebens
Hier setzt nun das Postskriptum des letzten Beitrags über den Entwurf des Sicherheitspolitischen Berichts an, welches Hausfrau Hanna verwirrte und wie folgt lautete:
«Sich im Umgang mit Unvorbereitetem zu üben wäre vielleicht sinnvoller statt sich immer alle möglichen Sicherheitsszenarien auszudenken, die dann eh nicht eintreten…»
Das Unvorbereitete, das Unerwartete, das Unvorhergesehene ist das Risiko, welches genauso zum Leben gehört wie das Amen in der Kirche.
Mit Versicherungen, Astrologie, Wettervorhersagen, Finanzanalysen, Konjunkturforschung und unzähligen weiteren Methoden glauben viele, Risiken minimieren zu können.
Wie schon weiter oben bei den Versicherungen aufgezeigt, sind es jedoch diese Methoden, welche viele erst recht handeln lassen. Sie versichern uns alle etwas, das «in absehbarer Zukunft» eintreten könnte.
So würde sich wohl niemand in einen geliehenen Ferrari setzen, hätte er nicht einen entsprechenden Versicherungsschutz. Niemand ginge morgens nur mit einem T-Shirt zur Arbeit, wüsste er nicht, dass es mittags kälter wird. Niemand kauft Aktien eines Unternehmens, wüsste er nicht, wie es mit diesem Unternehmen steht, usw…
Nicht abgedeckt: Emotionen
Gerade weil es inzwischen unzählige Methoden gibt, mit welchen «das Risiko ausgeschaltet werden soll», bekunden viele Mühe, sollte dann doch etwas Unerwartetes, Unvorhersehbares, Unvorbereitetes eintreten.
Diese Menschen haben deshalb Mühe damit, weil sie nicht gelernt (oder verlernt) haben, damit umzugehen und weil sie dem Irrglauben erliegen, dass mit diesen Methoden eben alles Unerwartete ausgeschaltet, eliminiert, oder minimiert wird.
Vergessen gehen dabei unsere Emotionen:
- Ein geerbtes Schmuckstück kann zwar gegen Diebstahl versichert werden. Doch die Erinnerungen an dieses Schmuckstück kann keine Versicherung kompensieren.
- Die Cervelats kann man natürlich auch in der Bratpfanne braten, wenn die Gewitterzone wieder einmal «schneller vorangekommen» ist als vorhergesagt. Aber es vermag nicht den Spass des «Brätelns» im Wald ersetzen, auf den man sich den ganzen Tag über gefreut hatte.
- Das hart erarbeitete Vermögen des reichen Onkels in Amerika, von dem jemand einen Anteil erbte, kann zwar «gut angelegt» werden. Doch wie sehr tut es einem Leid, wenn dieses dann doch flöten geht.
- usw…
Emotional loslassen (können)
Darum würden wir uns wohl besser im Umgang mit dem Unerwarteten, Unvorbereiteten oder Unvorhergesehenen üben statt sich allerlei Szenarien auszudenken, einzuschätzen oder vorhersagen zu lassen, die dann doch nicht so eintreffen.
Sich darin zu üben heisst nicht unbedingt, sich noch mehr Szenarien auszudenken, darunter auch allerlei Schreckensszenarien.
Sich darin zu üben heisst beispielsweise, sich zu verinnerlichen, dass nichts ewig Bestand hat. Es heisst auch, loszulassen oder loslassen zu können, materiell wie emotional.
Natürlich ist das besonders in einem materiell orientierten Land nicht einfach. Doch es gibt nichts, das uns eine «Rundum-Schutzgarantie» gibt, damit alles immer so bleibt, wie es ist oder damit alles so eintrifft, wie man es sich erhofft…
Wem dieses Loslassen gelingt, der wird auch einfacher mit den täglichen und den nicht alltäglichen, den grösseren und den kleineren «Unglücken» die jedem widerfahren (können), umzugehen wissen.
Denn dieser emotionale Teil deckt keine Versicherung ab.
„Sich darin zu üben heisst beispielsweise, sich zu verinnerlichen, dass nichts* ewig Bestand hat. Es heisst auch, loszulassen oder loslassen zu können, materiell wie emotional.
@Titus
*und niemand ewig Bestand hat!
Und ‚Loslassen‘ ist eine lebenslange Aufgabe oder Übung. Schwierig, schmerzlich, und wenn es hin und wieder gelingt, befreiend.
Danke für diesen klärenden Beitrag und einen schönen Sonntag
Hausfrau Hanna
Dass die Management-Versicherung schon so weit entwickelt ist, ist mir neu. Auf den ersten Blick ist das eine recht perverse Sache. Bedenkt man aber das perverse, überregulierte Umfeld, ist sie dennoch sinnvoll. Heute steckt man als Unternehmer angesichts der Flut von zu berücksichtigenden Vorschriften bereits mit einem Bein im Knast, wenn man nicht der Gilde der überbezahlten Grossabzocker in Grosskonzernen angehört. In Deutschland ist man bereits ein Steuerbetrüger, wenn man ein paar Cent Mehrwertsteuer irrtümlich falsch abgerechnet hat. Und so ein kleiner Fehler, der nun mal auch ohne böse Absicht schnell passieren kann, macht aus einem unbescholtenen Unternehmer plötzlich einen Straftäter.
Wir leben in einer Welt der vollkaskoversicherten Beckenrandschwimmer und Trittbrettfahrer und wähnen uns in unserem Allmachbarkeitswahn unverwundbar. Wer Familie hat, aber keine Lebensversicherung abgeschlossen hat, gilt vielfach als verantwortungslos. Doch welcher normalverdienende Familienvater (oder -mutter) kann sich diese Versicherungsmanie noch leisten? Gerade kinderreiche Grossfamilien sind mangels Alternative gezwungen, ihre Risiken selber zu tragen, weil für Versicherungen kein Geld da ist. Und wenn ein Risiko zuschlägt, hat man eben Pech gehabt. Doch das Leben geht immer irgendwie weiter. Meine Oma pflegte zu sagen: „Ist war noch nie, dass es nicht irgendwie gewesen wäre“.
Früher war es Jahrtausende lang ganz normal, mit Risiken zu leben. Heute versuchen wir, die Naturgesetze auszuschalten. Dabei vergessen wir, dass das Leben lebensgefährlich ist und im Normalfall mit dem Tod endet.