Das schöne Wetter an diesem Pfingstwochenende hat wohl alle an ein ruhiges, idyllisches Fleckchen Natur gelockt. Vieles, das heute idyllisch erscheint, war jedoch nicht immer so – und kann sich auch jederzeit wieder ändern.
Paradiesisch
Das Bild oben zeigt ein Naturparadies und ist für die heutige Zeit wohl auch ein Inbegriff von Biodiversität. Was es nicht zu zeigen vermag, sind die unzähligen Geräusche der Vögel, Insekten, Bäume und Sträucher.
Das Bild oben, obschon am vergangenen Samstag in der Schweiz aufgenommen, hat aber – indirekt – auch mit den überschwemmten Gebieten in Polen zu tun.
Ähnlich wie in Polen wurden auch hierzulande unzählige Wasserverläufe korrigiert. Dabei blieben manchmal alte Flussverläufe «übrig». Das Bild oben zeigt ein solches Überbleibsel, es handelt sich nämlich um den so genannten Häftlilauf, einen alten Aare-Verlauf nahe Büren an der Aare unterhalb des Bielersees.
Solche Gewässerkorrekturen waren aus menschlicher Sicht immer sehr erfolgreich, führten sie doch zu mehr fruchtbarem Kulturland und steigerten sie doch die Gesundheit der lokalen Bevölkerung dank des Ausbleibens von Seuchen.
Trotzdem: Sie waren auch ein grosser Eingriff in die Natur. Niemand spricht heute davon, welche Auswirkungen diese gewaltigen Kanal-Bauwerke und die Drainierung des Bodens auf Flora und Fauna hatten.
Stärkere Natur
Wenn wir heute solche alten Flussverläufe als «Inbegriff von Biodiversität» bezeichnen, dann hat das auch etwas Trauriges. Es ist dem Menschen gelungen, die «freie» Natur auf einige wenige Stellen zurückzudrängen (im Fachjargon heisst das dann Naturschutzgebiete) und zwar soweit, dass die UNO dieses Jahr zum Jahr der Biodiversität erklären «musste».
Und doch: Es sind wiederum die Natur und ihre Kräfte, welche an diesen Bauwerken nagen und – wie in diesen Tagen in Polen – Dämme brechen lässt. Die Natur lässt sich letzten Endes eben doch nicht zum Untertan des Menschen machen.
Wie die Unwetter im 2005 und 2007 zeigten, bleiben auch die hiesigen Bauwerke nicht von solchen Naturkräften verschont. Der Aare-Hageneck-Kanal von Aarberg in den Bielersee beispielsweise, dank welchem unter anderem aus dem Seeland die «Gemüsekammer der Schweiz» wurde, muss in den nächsten Jahren dringend saniert werden.
Ein weiteres Hochwasser könnte er nicht überstehen. Dabei liegt der Wasserpegel des unteren Kanalverlaufs über dem Bodenniveau des Umlandes. Ein Brechen der Dämme könnte zu ähnlichen Bildern führen wie wir sie zurzeit von Polen zu sehen bekommen. Ein ähnlicher Sanierungsbedarf liegt unter anderem auch in der Walliser Rhoneebene und in der Linthebene vor.
Ob es vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten richtig war, derart massiv in die Natur einzugreifen, darüber brauchen wir heute nicht mehr zu diskutieren. Eine Rückkehr quasi zur alten «Natur-Ordnung» ist kaum mehr denkbar.
Naturkräfte lenken
Doch immerhin hat man gelernt: Bei den als Folge der letzten Hochwasser 2005 und 2007 angelaufenen Sanierungsprojekten stehen Nachhaltigkeit und Ökologie mehr im Vordergrund. Und – man spricht offen davon, Hochwasser nicht verhindern zu können.
Das klingt zwar auf den ersten Moment dramatisch. Es widerspiegelt aber auch die Einsicht, dass man die Natur und ihre Kräfte nie ganz bändigen kann. Man kann höchstens versuchen, diese Kräfte in bestimmte «Bahnen» zu lenken.
Die Schleuse von Port bei Biel ist eine dieser «Lenkungsmassnahmen». Sie ist vielen wahrscheinlich unbekannt. Über sie regelt sich der Wasserstand des Bielersees.
Dabei geht es weniger um dessen Wasserstand an sich, sondern vielmehr um das, was danach folgt. Wird die Schleuse nämlich zu weit geöffnet, könnten vor allem die Aargauer nasse Füsse bekommen…
Wird hingegen viel Wasser zurückbehalten, könnte sogar über den Zihlkanal wieder Wasser vom Bielersee zurück in den Neuenburger- und Murtensee fliessen. Da der Neuenburgersee wesentlich grösser ist, bietet er auch ein grösseres Fassungsvermögen.
Darum gibt es auch Überlegungen, diesen noch stärker in den Hochwasserschutz einzubinden. Ganz ohne weitere Eingriffe in die Natur ginge das allerdings wohl auch nicht…
Über diese Schleuse wird der Wasserpegel der drei Juraseen und die Wasserabflussmenge
in den vor 140 Jahren künstlich angelegten Nidau-Büren-Kanal reguliert.
Heute mehr Hochwasser als früher?
Natürlich stellt sich auch die Frage, warum Hochwasser in den letzten Jahren so zu einem Thema wurden. Die Antwort, es gäbe einfach mehr Unwetter und in der Folge mehr Hochwasser, ist vermutlich zu simpel.
Gemäss Bundesamt für Umwelt (BAFU) wurden Daten zur Abflussmenge erstmal per 1984 systematisch ausgewertet. Es bestehen somit kaum Messreihen über einen längeren Zeitraum, welche schweizweit und auf einen Blick Auskunft über die Häufigkeit von Hochwassern geben könnten.
Diese wären ohnehin mit Vorsicht zu geniessen, denn die Einwirkungen des Menschen auf die Natur sind schwer abzuschätzen. Dazu gehört beispielsweise die zweite Juragewässerkorrektur, welche erst 1973 abgeschlossen wurde. Was bis dahin an Wasserständen gemessen wurde, hat heute keine Relevanz mehr.
Schwer einschätzbar sind auch die Auswirkungen der Versiegelung des Bodens, also des «Zubetonierens». Wie viel Wasser heute direkt in die Oberflächengewässer gelangt statt in den Boden versickert, kann kaum abschliessend beantwortet werden.
Auch nicht zu unterschätzen ist unsere «Begradigungstendenz», also das Führen von Wasser auf dem direktesten Weg von A nach B. Das funktioniert nur solange gut, wie das nachfolgende «Rohrstück» die gleiche Wassermenge im gleichen Tempo zu schlucken vermag.
Falls dem nicht so ist, kommt es entweder zu Überflutungen oder es muss soweit wie möglich Wasser zurückbehalten werden, so wie das heute mit den Juraseen gemacht wird, damit die Aargauer eben keine nassen Füsse bekommen.
Die erste Juragewässerkorrektur führte zu einer Absenkung des Bodens
(die lockere Torfstruktur trocknete aus), weshalb es zu weiteren Überflutungen
wie hier 1944 und später zur zweiten Juragewässerkorrektur kam.
(Quelle: Kanton Bern)
Früher «normal», heute störend
Ein weiterer Grund, weshalb Hochwasser heute ein Thema sind, dürfte in unserer Wahrnehmung liegen. Gehörten Überflutungen in gewissen Gebieten noch vor Jahrzehnten zum leidigen «courant normal» und baute man entsprechend an erhöhten Lagen, gelten sie heute als unerwünschte Ausnahmeerscheinung.
Und man erachtet heute ein Haus am See als besonders chic. Die Menschen vor 150 Jahren hätten dafür wohl nur ein Kopfschütteln übrig gehabt…
Natürlich spielen auch die Medien und die heutige Vernetzung eine Rolle bezüglich Wahrnehmung. Wir bekommen vermehrt und schneller so genannte «Naturkatastrophen» mit als zu früheren Zeiten.
Und wenn in Hintertupfigen der in ein enges Bachbett gequetschte Dorfbach über die Ufer tritt, dann gibt es bestimmt eine Live-Schaltung dahin. Was bisher höchstens regional wahrgenommen wurde, wird heute vermehrt zu einem nationalen (Medien-)Ereignis.
Die wärmeren Temperaturen, welche in den höheren Lagen Gletscher schmelzen lassen, führen schliesslich auch dazu, dass Niederschläge, welche bisher als Schnee für einige Zeit gebunden waren, zunehmend als Regen niedergehen und sogleich abfliessen.
Zumindest im Frühjahr kann somit auch der Klimawandel auf den Wasserhaushalt einen Einfluss haben. Ob er auch für mancherlei weiterer «Wetterkapriolen» verantwortlich gemacht werden kann, ist wohl auch nicht so einfach zu beantworten.
Umweltbewusstsein verfeinern
Weder ein Hedge Fond-Manager noch ein Schlosser oder ein Metzger können unsere Mägen füllen. Es ist die Natur, welche die Grundlagen dafür liefert. Darum haben wir ihr Sorge zu tragen.
Dieses Bewusstsein ist in groben Zügen heute praktisch überall vorhanden. Es muss aber noch weiter wachsen und zwar vor allem im Alltag. Nehmen wir dazu ein aktuelles Beispiel:
Wenn US-Präsident Barack Obama davon spricht, dass der Ölkonzern BP für die Folgen des auslaufenden Rohöls im Golf von Mexiko aufzukommen habe, dann klingt das irgendwie so, wie wenn BP für jeden verendeten Fisch einen Preis zu zahlen hätte und die Sache wäre geregelt.
So einfach ist das leider nicht, Mr. President. Die Auswirkungen dieser enormen Verschmutzung auf das gesamte ökologische System des Golfs von Mexiko (oder sogar noch weiter) sind noch nicht einmal ansatzweise absehbar.
Und so einfach ist es auch nicht mit der Verantwortung – und hier kommt nun unser Alltag und das Bewusstsein für die Natur ins Spiel. Wir alle, die wir von Erdölprodukten abhängig sind und damit eine entsprechende Industrie fördern, sind an dieser Katastrophe mitverantwortlich, ob wir es wollen oder nicht.
Währenddem wir entgeistert und hilflos die TV-Bilder mit den ölverschmierten Tieren und Uferzonen anschauen, merken wir gar nicht, dass der Bildschirm, durch welchen wir diese Bilder anschauen, ohne Erdölprodukte gar nicht hätte gebaut werden können.
Was können wir da schon unternehmen? Holzgeschnitzte Bildschirme gibt es ja ohnehin noch keine… 😉
Die Natur ins Zentrum stellen
Wir können zumindest im Alltag kleine Zeichen an die Hersteller setzen. Viele kleine Zeichen geben schliesslich auch eine grosse Wirkung.
Statt eines Plastiksacks täte es ja auch ein Papiersack und statt einer Plastikkelle täte es auch eine aus Holz – um nur zwei Beispiele von Erdöl-basierten Produkten und möglichen Alternativen zu nennen.
Wenn wir Menschen die Natur nicht weiter so beuteln wollen, wie wir das zurzeit tun, dann muss das Bewusstsein für diese Zusammenhänge weiter wachsen. Dabei sind Erdöl-basierte Produkte nur ein Beispiel für diese Zusammenhänge.
Ein Weiteres unter vielen anderen können Handy-Antennen sein. Wir wissen noch nicht einmal mit Sicherheit, ob diese langfristig keine schädlichen Wirkungen auf uns Menschen haben. Und wie ist es mit den Insekten oder mit den umliegenden Pflanzen?
Die heutige Haltung, einfach einmal eine Antenne in die Welt zu setzen, ohne an die Umwelt zu denken, widerspiegelt einmal mehr die Meinung, alles sei uns untertan. Die Quittung dieser Haltung könnte in einigen Jahren folgen…
Wir, die menschliche Gesellschaft, haben vielfach die Achtung vor der Natur verloren. Wir sollten darum (wieder) lernen, sie zu respektieren und sie quasi um Erlaubnis fragen, bevor wir Kanäle bauen, Böden versiegeln, Erdöl aus dem Meeresboden pumpen, Antennen aufstellen und noch vieles mehr machen.
Sie, die Natur, kommt nämlich ganz gut ohne uns Menschen aus und wird sich auf die eine oder andere Weise den veränderten Bedingungen anzupassen wissen. Aber wir Menschen kommen ohne sie nicht aus und mit unserem Anpassungswillen und unserer Anpassungsfähigkeit ist es manchmal nicht weit her…
Eine Antwort auf „Untertan Natur“