Die Presse ist einhellig der Meinung, es wäre höchste Zeit gewesen, dass Moritz Leuenberger «endlich» seinen Bundesratssitz räume. 15 Jahre wären eine lange, für sehr viele sogar eine zu lange Amtsdauer. Aber ist dem wirklich so im Vergleich zu früheren Bundesräten?
Für Bundesräte gibt es keine Amtszeitbeschränkung. Sie bestimmen selbst, wann sie zurücktreten – oder aber sie werden anlässlich der alle vier Jahre durchgeführten Gesamterneuerungswahlen abgewählt, wie dies jüngst bei Ruth Metzler im 2003 oder bei Christoph Blocher im 2007 der Fall war.
Die Wahl-Bilanz als Gradmesser
Leuenbergers Bestätigungswahl war allerdings nie ernsthaft in Frage gestellt, auch wenn die Resultate zum Teil stark variierten:
Datum | Wahl | Wahl- gang | Stimmen max. | Gültig | un- gültig | leer | Abs. Mehr | Er- halten | in % zu max. |
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27.09.1995 | BR | 5. | 244 | 210 | 1 | 33 | 106 | 124 | 50,8 |
15.12.1999 | Ern. | 1. | 243 | 235 | 2 | 6 | 118 | 154 | 63,4 |
10.12.2003 | Ern. | 1. | 246 | 234 | 1 | 11 | 118 | 211 | 85,8 |
12.12.2007 | Ern. | 1. | 246 | 178 | 4 | 64 | 90 | 157 | 63,8 |
Wenn in diesen Tagen die Rede davon ist, Moritz Leuenberger hätte bei seiner Wahl in den Bundesrat im Herbst 1995 von einem Bonus profitiert, weil er zuvor Präsident der Fichen-PUK Ende der 1980er Jahre war, dann muss man das stark relativieren.
So wurde er erst im fünften Wahlgang gewählt und dies auch «nur» mit 124 Stimmen. Das entspricht in etwa der üblichen Anzahl Stimmen, mit welcher ein Bundesratskandidat gewählt wird. Zudem legten damals 33 Wahlberechtigte einen leeren Stimmenzettel ein. Wo ist da der angebliche PUK-Bonus?
Zum Vergleich: Der zuletzt neu gewählte Bundesrat, Didier Burkhalter, wurde im vierten Wahlgang mit 129 Stimmen gewählt und dies ohne vorgängig mittels einer PUK (Parlamentarische Untersuchungskommission) schweizweit bekannt geworden zu sein.
Gezielte Attacken
Moritz Leuenberger hatte das Heu bekanntlich nicht auf der gleichen Bühne wie die SVP. Das zeigte sich auch bei den Wahlen. Diese laufen zwar geheim ab. Auffällig ist jedoch, wie die Zahl der Mitglieder der SVP zum Zeitpunkt der jeweiligen Wahlen immer in etwa mit der Anzahl leerer, ungültiger oder für einen anderen Kandidaten abgegebenen Stimmen übereinstimmt:
Datum | Wahl | SVP NR | SVP SR | SVP Total | un- gültig | leer | NR Blocher | Andere |
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27.09.1995 | BR | 29 | 5 | 34 | 1 | 33 | – | 86 (Otto Piller) |
15.12.1999 | Ern. | 44 | 7 | 51 | 2 | 6 | 58 | 23 |
10.12.2003 | Ern. | 56 | 8 | 64 | 1 | 11 | – | 23 |
12.12.2007 | Ern. | 64 | 7 | 71 | 4 | 64 | – | 21 |
Trotzdem: Selbst bei den letzten Erneuerungswahlen im 2007, als Moritz Leuenberger bereits 12 Jahre im Bundesrat sass, erhielt er noch immer eine komfortable Mehrheit von 63,8 Prozent aller möglichen Stimmen.
Mit 213 Stimmen erhielt übrigens Hans-Rudolf Merz, damals erst vier Jahre im Amt, am meisten Stimmen. Heute wünschen sich viele seinen Rücktritt… Das zeigt, dass solche Wahlen auch immer nur eine Momentaufnahme sind.
Und Christoph Blocher wurde am gleichen Tag im zweiten Wahlgang mit 115 Stimmen gegenüber 125 Stimmen für Evelyn Widmer-Schlupf abgewählt…
Für die Abwahl von Ruth Metzler vier Jahre zuvor brauchte die bürgerliche Rechte immerhin drei Wahlgänge. Blocher erhielt damals 121 von 246 möglichen Stimmen. Nach Abzug der leeren oder ungültigen Wahlzettel lag das Absolute Mehr nur bei 119. Obschon er zwei Stimmen mehr erhielt als notwendig, entsprechen diese 121 Stimmen nur rund 49 % aller möglichen Stimmen.
Ob diesen Tatsachen kann man sich schon fragen, ob die Amtsdauer von Leuenberger wirklich ein Problem war oder ob man einfach mit parteipolitischen Wahlspielchen viel zu beschäftigt war, um diesen Punkt ins Zentrum der Erneuerungswahlen zu rücken…
10,27 Jahre
Grund gehabt hätte nämlich die SVP. Denn einerseits kennen viele in den Kantonen und Gemeinden eine Amtszeitbeschränkung von zwei, höchstens drei Legislaturperioden à vier Jahre, also von 12 Jahre.
Andererseits ist ein Bundesrat im Durchschnitt 10,27 Jahre im Amt. Diese Zahl ergibt sich, wenn die gesamte Amtsdauer aller bisheriger Bundesräte zusammengezählt und durch deren Anzahl (106) geteilt wird. Darin eingeschlossen ist auch Leuenberger selbst, da seine Amtsdauer nun bekannt ist, nicht aber die anderen sechs, noch immer amtierenden Bundesräte.
Die Hitparade der «ausdauerndsten» Bundesräte führt der Berner FDP-Mann Karl Schenk an. Er blieb ganze 31,5 Jahre, also über drei Jahrzehnte lang im Amt. Platz zwei nimmt der Thurgauer FDP-Vertreter Adolf Deucher mit rund 29 Jahren ein. Der Tessiner CVP-Mann Guiseppe Motta brachte es noch auf etwas über 28 Jahre.
Ihnen gemeinsam ist, dass sie wohl mindestens sechs oder mehr Erneuerungswahlen hinter sich bringen mussten (je nachdem, wann sie gewählt wurden). Und: Sie reichten nie ihren Rücktritt ein, weil sie alle noch immer im Amt waren, als ihr Tod eintrat…
Von «oben» vom Stuhl geholt
Davon gab es noch einige. Insgesamt verstarben 17 Bundesräte «in Ausübung ihres Amtes». Auffällig ist, dass vier dieser 17 im Amt verstorbenen Bundesräte zu den ersten, im November 1848 gewählten FDP-Bundesräten gehörten: Martin J. Munziger (SO), Stefano Frascini (TI), Jonas Furrer (ZH), Daniel-Henri Druey (VD).
13 im Amt verstorbene Bundesräte wurden im 19. Jahrhundert, aber nur vier dieser insgesamt 17 wurde im 20. Jahrhundert gewählt. Es war damals, als der Bundesstaat noch relativ jung war, offensichtlich üblich, quasi bis ans Lebensende dem Staat zu dienen.
Dass sich das vor allem im 20. Jahrhundert definitiv geändert hat, zeigt sich auch daran, dass der letzte Fall über fünfzig Jahre zurückliegt: Am 3. November 1958 verstarb mit dem Berner SVP-Bundesrat Markus Feldmann der letzte Bundesrat in Ausübung seiner magistralen Pflicht.
Wenn, wie in diesen Tagen üblich, immer häufiger nach einer Amtszeitbeschränkung gerufen wird, dann wohl bestimmt nicht deshalb, weil die heutigen Bundesräte erst mit ihrem Ableben ihren Sitz räumen…
Übrigens, 43 der 106 oder rund 40 Prozent aller ehemaligen Bundesräte (inklusive Leuenberger) blieben länger im Amt als der Durchschnitt. Nimmt man 12 Jahre oder eben drei Legislaturperioden als Massstab, dann war ziemlich genau ein Drittel (36) der bisherigen Bundesräte jeweils länger im Amt.
Die heutigen Bundesratsmitglieder, Leuenberger nicht miteinbezogen, bringen es zusammen auf durchschnittlich 3,9 Jahre. Amtsälteste nach Leuenberger ist Micheline Calmy-Rey mit zurzeit 7,6 Jahren, gefolgt von Hans-Rudolf Merz mit 6,6 Jahren.
So betrachtet müssten somit zuerst Rücktrittsforderung an die Aussenministerin und erst dann an den Finanzminister gerichtet werden – oder aber die Amtsdauer wird nur als Vorwand für eine Rücktrittsforderung genommen. Die durchschnittliche Amtsdauer von rund 10 Jahren haben auf jeden Fall beide noch nicht erreicht.
Ist denn nun Moritz Leuenberger mit 15,3 Jahren ein «Sesselkleber»?
Es gab «nur» 13 andere Bundesräte (von 106), welche länger im Amt blieben. Allerdings: Kurt Furgler (15,1 Jahre), Kaspar Villiger (14,9) oder Jean-Pascal Delamuraz (14,3), um nur einige jüngere Beispiele zu nennen, waren nur unwesentlich länger im Amt. Das Feld ist somit eng.
Das Alter spielt eine Rolle
Es gibt es aber noch eine andere interessante Feststellung, welche mit dem Alter zum Zeitpunkt der Wahl in den Bundesrat zusammenhängt. Die «U40», also jene zehn Bundesräte, welche unter 40 waren, als sie in den Bundesrat gewählt wurden, blieben im Durchschnitt genau neun Jahre lang Bundesrat.
Etwas weniger lang, nämlich 8,8 Jahre blieben jene im Bundesrat, welche zur «U60» gehörten, als sie gewählt wurden. Mit 54 Bundesräten machen diese den Löwenanteil aller Bundesräte aus.
Wer noch älter war als 60 (Ü60+), als er in den Bundesrat gewählt wurde – davon gab es doch immerhin neun – blieb 5,6 Jahre lang Bundesrat. Der Genfer Gustave Ador war mit 72 Jahren der älteste, hielt aber nur zweieinhalb Jahre durch.
Die «U50» hebt sich jedoch von den anderen markant ab. Wer zum Zeitpunkt der Bundesratswahl nämlich unter 50 war, bleibt mit durchschnittlich 14,3 Jahren am längsten auf seinem Stuhl sitzen. Moritz Leuenberger war 49, als er in den Bundesrat gewählt wurde – genauso wie der jüngst gewählte Didier Burkhalter.
Übrigens, im Durchschnitt waren die bisherigen 106 Bundesräte knapp über 50, als sie in den Bundesrat gewählt wurden.
Weil unterschiedliche Ambitionen?
Eine mögliche Erklärung des oben aufgezeigten Altersgruppen-Phänomens könnte sein, dass wer unter 40 ist, noch zu jung ist, um bis zum Ruhestand Bundesrat sein zu wollen und zu können. Er müsste 25 Jahre oder länger im Amt bleiben. Dann, wenn die ersten «Abnützungserscheinungen» auftreten, werden sie wohl eher das Handtuch werfen und nochmals etwas Neues beginnen.
Derweil ist die Optik für jemanden über 40 eine andere. Sie stehen in der Mitte ihres Lebens und möchten noch etwas erreichen. Und sie haben auch noch die Kraft und Ausdauer dazu. Mit nur 10 Jahren Bundesrat werden sie wohl nicht zufrieden sein.
Die Über-50-Jährigen mögen ihrerseits wohl keine allzu grossen Bäume mehr ausreisen. Sie treten ein Amt vermutlich eher aus der Optik an, jetzt noch eine letzte Herausforderung anzupacken, bevor sie etwas langsamer treten wollen. Und die über 60-Jährigen wissen insgeheim auch, dass sie kaum über zwei Legislaturperioden machen wollen und mögen.
Stützt man sich auf die Durchschnittszahlen nach Alter anlässlich der Wahl zum Bundesrat, so liegt Moritz Leuenberger nur ein Jahr über dem Durchschnitt seiner «Altersgruppe» (U50).
Hans-Rudolf Merz war 61, als er im Dezember 2003 in die Landesregierung gewählt wurde. Aufs Alter bezogen und rein statistisch betrachtet ist sein Rücktritt überfällig, hätte er doch nach 5,6 Jahren, also im 2008 zurücktreten sollen. Das wäre mitten in der Finanzkrise gewesen…
Micheline Calmy-Rey, 57 Jahre alt bei der Wahl zur Bundesrätin im Dezember 2002, müsste noch dieses Jahr ihren Rücktritt einreichen, sollte sie vom Durchschnitt ihrer «Altergruppe» (U60) nicht abweichen wollen (8,8 Jahre).
Spielt die Amtsdauer eine Rolle?
Die Frage, ob denn nun ein Bundesrat ein Sesselkleber ist, lässt sich nicht so einfach beantworten. Sie steht nachweislich im Zusammenhang mit dem Alter, in welchem eine Person zum Bundesrat gewählt wird.
Wenn Stimmen aus dem Parlament nach einer Amtszeitbeschränkung lauter werden, so muss man sich auch in Erinnerung rufen, dass ein Drittel aller bisherigen Bundesräte – das ist nicht wenig – über 12 Jahre lang in der obersten Exekutive politisierte.
Auf der anderen Seite sind bisher 44 Bundesräte oder etwas über 41 Prozent zurückgetreten, bevor sie volle acht Jahre lang im Amt waren. Auch das sind nicht wenige.
Wenn der Anspruch nach Stabilität und Kontinuität in der Landesregierung besteht – und davon ist auszugehen – dann sollte nicht nur über die maximale Dauer diskutiert werden, sondern eben auch über ein «anzustrebendes Mindestziel». Das schliesst Fragen über das Alter und den Gesundheitszustand der Bundesratskandidaten für diese anspruchsvolle Tätigkeit mit ein.
Letzten Endes spielt die Frage nach der Amtsdauer aber auch nur eine Nebenrolle. Relevant ist, was ein Bundesrat im Laufe seiner magistralen Karriere erreicht. Und um das zu messen, reicht eine Anzahl von Jahren nicht aus.
Aufgrund der langsamen und schwerfälligen Vorgänge in Bundesbern und nicht zuletzt auch wegen gewissen «Verzögerungsmanövern» seitens Parlament dürfte es aber heutzutage nicht einfach sein, in wenigen Jahren etwas zu erreichen…
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