Der merkwürdige Auftrag
Montag, 25. Mai 2009
Hürlimann sitzt in seinem renovationsbedürftigen Büro im zweiten Stock eines Hauses in der Bieler Altstadt. Das zu seiner Anfangszeit modische Braun dominiert das Interieur, welches seine besten Zeiten natürlich schon lange hinter sich hat: Braune Möbel, braune Regale, braune Wände, hellbrauner Spannteppich, ja sogar seine Hosen sind in der Regel braun. Er hat sich in seinem ledernen, abgewetzten Bürostuhl zurückgelehnt, die Füsse auf den Tisch gelegt und liest die Zeitung.
Sein jetziges Büro war früher – als das Geschäft noch gut lief – nur das Vorzimmer. Inzwischen kann er sich eine Sekretärin nicht mehr leisten. Und sein ursprüngliches Büro, welches hinter ihm liegt, hat er zu einer Art Wohn- und Schlafzimmer umfunktioniert. Damit kann er sich die Miete für eine separate Wohnung sparen. Über all die Jahre unverändert geblieben ist einzig die Beschriftung am Eingang seines Büros: «Hans Hürlimann: Private Ermittlungen» steht da in grossen Lettern.
Dass das Geschäft schlecht läuft, liegt auch an ihm selbst. Währenddem andere, vor allem jüngere Berufskollegen schon längst mit digitalen Kameras – teilweise sogar ferngesteuert – ihre Ermittlungen durchführen, ist sein modernstes technisches Hilfsmittel immer noch das Festnetz-Telefon aus dem Jahre 1987, kombiniert mit einem separaten Telefonbeantworter, dessen Ansagetext noch von seiner letzten Sekretärin stammt und heute kaum mehr verständlich ist.
Sein einträglichstes Geschäft war in den 1990er Jahren die Beschattung von möglichen Ehebrechern. Da reichte es noch aus, den Auftraggebern Fotoabzügen und die Negative zu überreichen. Heute erwartet die Kundeschaft digitale Fotos, welche sie dann ihren «Liebsten» auch gleich brühwarm per Handy übermitteln können…
Damit kann Hürlimann nicht dienen. Er fühlt sich zu alt für dieses «technische Zeugs». Und sonstige Aufträge fernab möglicher Liebestragödien sind selten. Schliesslich nimmt er auch nicht jeden Auftrag einfach so an – zumindest vordergründig nicht.
So ist es auch heute. Bereits zweimal klingelte nämlich sein Telefon und bereits zweimal sprang sein Anrufbeantworter an, weil er es bewusst nicht sofort abnahm. Zweimal hinterliess der oder die Anrufende auch keine Nachricht.
Nun klingelt es bereits zum dritten Mal an diesem Morgen und – als ob er es dem Klingeln anhören könnte – wusste er insgeheim, dass es wieder die gleiche Person ist und dass endlich wieder ein interessanter und heisser Fall auf ihn wartet. Wer bei ihm keine Nachricht hinterlässt, der sucht nach Diskretion, will keine Spuren hinterlassen. Darum nimmt er diesmal ab.
«Hürlimann, private Ermittlungen» meldet er in gelangweiltem Ton, währenddem er nebenbei noch einen Dreizeiler in seiner Zeitung liest.
«Sind Sie Hürlimann, der Privatdetektiv?», fragt eine weibliche, tiefe und verraucht klingende Stimme am anderen Ende. Der 55-Jährige mag den Begriff «Privatdetektiv» nicht sonderlich, da er ihm anrüchig erscheint. «Privater Ermittler» klinge seriöser, rechtfertigt er sich immer wieder.
«Genau, Hürlimann, privater Ermittler», wiederholt er sich und legt nun seine Zeitung auf die Seite.
«Ich habe einen Auftrag für Sie», hört er die Dame sagen, welche sich noch immer nicht mit ihrem Namen vorstellte.
Hürlimann ist sich solche Situationen gewohnt. Ebenso lässt er es sein, jetzt die rhetorische Frage nach dem «Was für einen Auftrag?» zu stellen. Sie wird es ihm nach einigem Schweigen ohnehin gleich sagen.
«Ich suche nach einem bestimmten Objekt. Sie sollen ausfindig machen, wer es hat, aber nicht an sich nehmen.»
Wieder dominiert Schweigen, so als ob die Auftraggeberin bereits alles gesagt hätte, was es zu sagen gibt.
«Um was für ein Objekt handelt es sich denn?» fragt Hürlimann verärgert über die ungenaue Beschreibung nach und doppelt sarkastisch nach: «Ein Elefant ohne Rüssel? Oder eine Ameise mit zwölf Beinen?»
«Das kann ich Ihnen nicht sagen», hört er ihre Antwort. «Je weniger Sie wissen, umso besser für Sie.»
Auch das ist sich Hürlimann inzwischen gewohnt: Sich bloss nicht um den Inhalt der gesuchten Sachen kümmern und bloss nicht zu viele Fragen stellen. Er würde sich damit nur zu viele Probleme aufhalsen, denn Wissen kann gefährlich sein.
Trotzdem stellt sich ihm die Frage: «Wonach soll ich denn suchen, wenn ich nicht weiss, wie diese Sache aussieht?»
Er hört sie tief Luft holen: «Erinnern Sie sich noch an den Zwischenfall im Intercity zwischen Bern und Fribourg, als angeblich ein Behälter mit Schweingrippe-Viren im Zug explodierte?»
«Ja natürlich», antwortet Hürlimann.
«Beginnen Sie da. Es ging gar nicht um Schweinegrippe-Viren.» Noch bevor Hürlimann etwas erwidern konnte, hört er sie noch sagen: «Sie erhalten morgen eine erste Anzahlung über zehntausend Franken. Ich melde mich dann wieder.»
Dann ein Knacken. Die Stimme ist verstummt.
Hürlimann blickt verwundert seinen Telefonhörer an, so als ob dieser ihm diesen merkwürdigen Auftrag erteilt hatte.
Die Frage, ob er ihn überhaupt annehmen wolle, stellt sie ihm gar nicht – er hatte gar keine Wahl. Ob sie wohl wusste, dass er das Geld dringend benötigt? Und was bekommt er nebst dieser Anzahlung für seine Aufwändungen?
Teil 4: «Die mysteriöse Auftraggeberin».
Über diesen Beitrag
Währenddem in der Augenreiberei normalerweise Tatsachen dominieren, ist «Nebel über Seenried» für einmal eine erfundene Geschichte – ohne Anspruch auf einen literarischen Höhenflug, dafür aber mit einem kräftigen Augenzwinkern. Die Geschichte stützt sich auf die hier via Kommentarfunktion mitgeteilten Ideen sowie auf gewisse wahre Begebenheiten ab. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind teilweise fliessend. Alle Personen sowie die Ortschaft «Seenried» sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder mit «Seenried» können nicht ausgeschlossen werden… 😉 Einen Überblick über die verschiedenen Personen und Organisationen liefert diese Seite. |
Das habe ich irgendwo schonmal gelesen. Es gibt sogar eine TV-Werbung von Fielmann, die zu diesem Text passen würde. Siehe hier:
http://www.clipland.com/Live/video/8231
So wie in diesem TV-Spot kann man sich Hürlimanns Büro durchaus vorstellen. Hingegen tritt die Auftraggeberin nicht persönlich auf (mehr dazu im nächsten Teil) und es geht auch nicht bloss um einen günstigen Optiker… 🙂