Das Stimmvolk in Biel hat am kommenden 26. September eine Frage zu beantworten, welche sich auch andernorts immer wieder stellt: Sollen Politiker mehrere politische Mandate gleichzeitig ausüben dürfen?
Ämterkumulation ist ein weit verbreitetes Phänomen und kann sich in ganz unterschiedlicher Weise ausdrücken. Kaum eine Gemeinde bleibt davon verschont, so auch Biel/Bienne nicht.
Wenn mehrere kumulieren…
Die aktuelle Bieler Stadtordnung erlaubt eine Ämterkumulation, wenn auch nur beschränkt. So ist es heute den vollamtlichen Stadtregierungsmitgliedern erlaubt, gleichzeitig auch einem – aber nur einem – Parlament auf kantonaler oder nationaler Ebene anzugehören (vollamtliche = 100 %).
Es ist heute somit nicht möglich, als Stadtregierungsmitglied gleichzeitig auch noch dem Kantonsparlament und dem National- oder Ständerat anzugehören. Hingegen ist es möglich, dass ein Stadtregierungsmitglied auch noch dem Kantonsparlament oder dem National- oder Ständerat angehört.
Zudem haben die vollamtlichen Mandatsträger den weitaus grössten Teil der Entschädigungen, welche sie als Mitglied eines Parlaments erhalten, der Stadt abzuliefern. Sie dürfen lediglich den Freibetrag von 4’400 Franken pro Jahr für sich behalten.
Soweit, so gut. Nun hat eine von der SP abgesplitterte Kleinstpartei mit nur lokaler Bedeutung eine Volksinitiative lanciert. Diese sieht vor, dass die Stadtregierungsmitglieder überhaupt keinem «höheren» Parlament mehr angehören dürfen. Diese können sich zwar zur Wahl in ein anderes Gremium stellen, müsste sich im Falle einer Wahl aber für eines der beiden Mandate entscheiden.
Auslöser dieser Initiative war nicht, dass die heutige, durchaus vernünftig klingende Regelung an sich in Frage gestellt wird. Vielmehr trat ein, woran bis anhin niemand gedacht hatte: Mehrere Stadtregierungsmitglied nahmen gleichzeitig in einem anderen Parlament Einsitz. Auch heute sitzen von den vier vollamtlichen Exekutivmitgliedern noch immer einer im Kantonsparlament und einer im Nationalrat.
Dabei stellen sich über kurz oder lang Terminkonflikte ein, was dazu führt, dass dann und wann da oder dort einer der Mandatsträger fehlt, im unglücklichsten Fall gleich mehrere zur gleichen Zeit. Man kann bekanntlich nicht gleichzeitig auf allen Hochzeiten tanzen.
Die «offiziellen» Argumente
Die Gegner der Initiative, welche die heutige Situation beibehalten wollen, argumentieren, dass es wichtig sei in den höheren Gremien vertreten zu sein, um so die Anliegen der Stadt direkt einbringen zu können.
Die Befürworter entgegnen, dass die Stadt ihre Interessen auch über bestehende Verbände oder Gremien wie beispielsweise dem Verband Bernischer Gemeinden einbringen könne. Die vollamtlichen Stadtregierungsmitglieder sollen deshalb ausschliesslich «im Dienste der Stadt» stehen.
Zugleich wird der Nutzen der Vertretung eines Stadtregierungsmitglieds in einem «höheren» Parlament in Frage gestellt. Was haben der Bieler Stadtpräsident Hans Stöckli im Nationalrat und der Bieler Sozial-, Kultur- und Bildungsdirektor Pierre-Yves Moeschler im Kantonsparlament für die Stadt Biel schon gebracht?
Einige Befürworter der Initiative stossen sich weiter auch am Freibetrag von 4’400 Franken. Die Stadtregierungsmitglieder seien schliesslich für ein Vollamt bezahlt, da gehe es nicht an, dass diese trotzdem noch für dieses zweite Mandate, welches zeitlich zu Lasten des Vollamtes gehe, etwas verdienen würden.
Ein Doppelmandat führe dazu, dass eines – oder gar beide Mandate nur halbherzig wahrgenommen und dass auch Interessenkonflikte nicht ausgeschlossen werden können.
Schliesslich wird noch das Argument aufgeführt, dass eine Verteilung der Mandate auf mehrere Personen demokratischer sei und für junge Leute und Frauen bessere Chancen böten.
Fehlende inhaltliche Diskussion
Soweit die Ausgangslage. Eine inhaltliche Diskussion fand bis anhin kaum statt. Wenn darüber diskutiert oder geschrieben wird, dann spürt man zwischen den Zeilen mit mehr oder weniger abgedroschenen Argumenten förmlich, dass es weniger um die Besorgnis geht, dass ein zweites Mandat nicht mit einem Vollamt vereinbar sei.
Vielmehr drückt unterschwellig eine Abneigung gegen die etablierten Lokalpolitiker durch, so als ob man ihnen eins auswischen wolle, indem man ihnen in Zukunft die Flügel ihres angeblichen «Machthungers» stutzt.
Das Argument der Befürworter, vollamtliche Stadtregierungsmitglieder hätten sich gefälligst auch zu 100 Prozent für ihr Amt einzusetzen, klingt vordergründig zwar plausibel. Zugleich hat bis heute aber noch kein Befürworter aufzählen können, welches städtische Dossier denn aufgrund der Doppelmandate gelitten haben soll.
Es geht dabei vergessen, dass Stadtregierungsmitglieder nicht 24 Stunden am Tag im Dienste der Stadt stehen, sondern dass auch sie Anrecht auf Freizeit haben. Wenn diese sich dafür entscheiden, ihre freie Zeit noch für ein anderes politisches Mandat zu verwenden, dann verdient das eigentlich Respekt.
Das klingt vielleicht im ersten Moment als fadenscheiniges Argument. Wer mag sich denn schon in der Freizeit noch mit einem anderen Mandat auseinandersetzen?
Doch genau das ist der Regelfall bei all jenen, die «nur» in einem lokalen Parlament sitzen: Währenddem sie tagsüber einer vollzeitlichen Tätigkeit nachgehen, sind sie abends häufig noch «Hobby-Politiker» (das ist nicht abwertend zu verstehen).
Wenn es also diesen «Hobby-Politiker» möglich ist, neben ihrer Haupttätigkeit noch einer freiwilligen Nebentätigkeit nachzugehen, warum soll das nicht auch für vollamtliche Mandatsträger möglich sein?
Auch das Argument, die heutigen Doppelmandatträger würden für die Stadt wenig bringen, ist ziemlich pauschal und damit auch ziemlich schwach. Denn: Was gerade auf der Traktandenliste des «höheren» Parlaments steht, bestimmen ja nicht sie.
Wenn also zurzeit nichts ansteht, das die eigene Stadt betrifft, kann man ihnen dies sicher nicht zum Vorwurf machen. Zudem geht vergessen, dass die Tätigkeit als Parlamentsmitglied nicht nur das Präsentsein während den Sessionen beinhaltet, sondern auch das Mitwirken in Kommissionen, Organen und Delegationen. Was in diesen Gremien auch zugunsten der eigenen Stadt alles diskutiert wird, ist oftmals nicht öffentlich einsehbar.
Die Initiative greift zu kurz
Vielfach geht es auch nur darum, in den verschiedenen Gremien präsent zu sein, um an der Quelle zu sein beziehungsweise Dinge aus erster Hand zu erfahren (und nicht über die Medien oder sonstige Umwege) und um gegebenenfalls rechtzeitig zugunsten der eigenen Stadt intervenieren zu können.
Zudem greift die Initiative im Hauptanliegen, dem Verfügbarsein für nur eine Sache, ganz einfach zu kurz. Denn: Sich um die Verfügbarkeit von Stadtregierungsmitgliedern zu sorgen, ist zwar löblich. Aber wie steht es eigentlich mit den Parlamentariern?
Tatsache ist, dass mehrere Stadtparlamentarier ebenfalls im Kantonsparlament sitzen. Und nebenbei gehen die meisten auch noch einer Vollzeit-Tätigkeit nach und sind vielleicht noch Mitglied in zwei, drei oder mehreren Vorständen von irgendwelchen Vereinen.
Ämterkumulation ist nicht nur ein Phänomen, welches nur Exekutivpolitiker betrifft, es ist wahrscheinlich unter den Legislativpolitikern verbreiteter. Wenn man sich also Sorgen darum macht, ob jemand sich voll und ganz für nur eine Sache einsetzt, dann stellt sich diese Frage ganz allgemein.
Währenddem es Exekutivpolitikern in der Regel nicht gestattet ist, noch einer anderen Erwerbstätigkeit nachzugehen und währenddem man von ihnen weiss, dass sie noch in einem anderen politischen Gremium sitzen, wissen die Wählerinnen und Wählern von den «Hobby-Legislativpolitikern» häufig nicht, in was für Gremien – nicht politische Vereine und Verbände eingeschlossen – sie noch sitzen und welcher Zeitaufwand damit verbunden ist. Wie seriös nehmen diese ihre Parlamentarierfunktion wahr?
Deshalb ist es nicht sehr konsequent, nur nebenamtliche Doppelmandate bei Exekutivpolitikern in Frage zu stellen ohne nicht auch in Frage zu stellen, welche und wie viele Mandate Legislativpolitiker haben dürfen.
Und wir Wählerinnen und Wähler?
Schliesslich ist die Initiative auch eine Ohrfeige an die Wählerinnen und Wähler. Doppelmandate sind nämlich das Resultat ihres Wahlverhaltens. Wer somit die Doppelmandate kritisiert, kritisiert damit auch die Wahl der Wählerinnen und Wähler.
Zudem entspricht die fragliche Initiative einer Bevormundung. Die Wählerinnen und Wähler sollen sich mit einem Ja selber bevormunden. Ist das demokratischer, wenn man jemanden, den man für gut befindet, nicht mehr auch in ein Parlament schicken kann?
Sollte man es nicht den Wählenden von Fall zu Fall überlassen – so wie das heute der Fall ist – ob sie jemanden noch in ein anderes Gremium schicken wollen?
Was meinen Sie?
Sollen Mehrfachmandate für Politiker der Exekutive und/oder Legislative möglich sein? Soll es Einschränkungen geben und falls ja, welche?
Denken Sie dabei vielleicht an die politischen Mandatsträger in Ihrer Region, denn Ämterkumulation gibt es in allen Regionen…
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Finde ich klasse, wie du die fachtechnischen Ausdrücke mit verständlichen Termen ersetzt. Aber wenn die Stadtregierung UND der Stadtrat kommunale Exekutive sind, wer macht dann bei euch in Biel die Gesetze?
🙂
Ich bin gegen Bevormundung, wenn jemand sich die Zeit nimmt, sich für’s Gemeinwohl einzusetzen, warum soll man diese Person zurückbinden?
„Über den Haag“ politisieren öffnet Horizonte.
(Hach, wie pathetisch)
Das war nur ein Test um zu schauen, ob auch jemand das Kleingedruckte liesst… 😉 Ist korrigiert, besten Dank für den Hinweis!