Fähigkeitsausweis für Eltern?

Viele Dinge in der Schweiz dürfen nicht einfach so nach Belieben getan werden. Es gibt klare Vorgaben, wann wer wie jemand etwas zu tun hat. Doch einer der wichtigsten Bereiche für ein friedvolles Zusammenleben in unserer Gesellschaft fristet bis heute ein Mauerblümchendasein. Das liegt wohl auch daran, dass es ein Tabu-Thema ist.

In der Schweiz wird wenig zum Zufall überlassen. Vieles wird zum Teil bis ins kleinste Detail reglementiert. Gibt es doch etwas, das sich nur schwer reglementieren lässt oder das eine gewisse Unsicherheit mit sich bringt, findet sich bestimmt eine Einrichtung, bei welcher man sich gegen das entsprechende Risiko versichern kann.

Alltägliche Fähigkeitsausweise

Zu dieser Reglementierungspraxis gehört ebenfalls, dass gewisse Tätigkeit nur von Personen ausgeführt werden dürfen, welche über eine bestimmte Ausbildung verfügen. Auch damit sollen im Vornherein Risiken ausgeschlossen werden.

Als Beispiel: Nur wer über einen Führerausweis verfügt, darf auch ein Auto fahren. Das macht durchaus Sinn, geht es dabei doch darum, dass sich innerhalb eines gegebenen Raumes alle an gewisse Spielregeln halten, um so sich und andere nicht zu gefährden.

Es gibt auch Tätigkeiten, bei denen man eine bestimmte Ausbildung nachweisen können muss beziehungsweise wo eine solche obligatorisch ist, um sie überhaupt ausüben zu können.

Um beim Beispiel des Führerausweises zu bleiben: Nicht jeder, der ein Auto fahren darf, ist auch zum Führen eines Linienbusses berechtigt, obschon es rein mechanisch betracht keine grossen Unterschiede gibt, haben doch schliesslich beide mindestens vier Räder, ein Steuerrad, ein Gaspedal und Bremsen. 😉

Ähnliche Anforderungen finden sich auch häufig in Berufen im Nahrungsmittel- oder im medizinischen Bereich, wobei diese Aufzählung sicher nicht abschliessend ist.

Auf den Hund gekommen

Seit dem 1. September 2010 kann man nun auch nicht mehr nur einfach so einen Hund kaufen und diesen so halten, wie man will. Neue Hundehalter haben zuerst einen Theoriekurs abzulegen. Zudem müssen sie mit jedem neuen Hund ein Training absolvieren.

Auslöser dieser neuen Reglementierungspraxis waren Unfälle mit Hunden, bei denen das Verhalten des Hundes zu Verletzungen oder gar zum Tod von Menschen beziehungsweise von Kindern führte. Ähnlich wie beim Autofahren geht es also auch hier darum, dass sich innerhalb eines gegebenen Raumes alle an gewisse Spielregeln halten, um so sich und andere nicht zu gefährden.

Auf seiner Website weist das Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) die Kaufwilligen auf die unzähligen Folgen eines Hundekaufs hin:

Fragen Sie sich, ob sie bereit und fähig sind, ihrem Hund eine konsequente Erziehung zu geben. Das müssen Sie, denn sonst fehlen klare Regeln und der Hund kann in unserer dicht besiedelten Umwelt zum Problem werden.

Weiter findet sich auch der Hinweis, sich um seinen Hund für die nächsten 10 bis 15 Jahre kümmern zu müssen, dass damit täglich ausgiebige Spaziergänge verbunden sind oder dass der Anschaffungspreis sehr gering sei im Vergleich zu den regelmässigen Kosten fürs Futter.

Schliesslich weist das BVET auch noch auf den erwähnten Theoriekurs sowie aufs erwähnte Training hin, welche beide in der Tierschutzverordnung vorgeschrieben sind.

Menschen- statt Tierschutz

Darin zeigt sich allerdings auch ein gewisser Widerspruch: Die Tierschutzgesetzgebung hat nämlich zum Ziel, «die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen», wie es in Artikel 1 des Tierschutzgesetzes heisst.

Wenn jedoch Theoriekurse und Trainings verlangt werden, damit ein Hund «in unserer dicht besiedelten Umwelt» nicht zum Problem wird, hat das mehr mit dem Wohlergehen des Menschen und weniger mit dem des Tieres zu tun.

Und wenn wir noch genauer hinblicken, müssen wir uns eingestehen, dass diese Anforderungen an die Hundehalter nicht wegen den Hunden selber bestehen. Nicht der Hund ist das Problem, sondern dessen mangelnde Erziehung durch den Hundehalter, welche wegen unserer dicht besiedelten Umwelt notwendig ist.

Andernfalls verhalten sich Hunde eben so wie ihre Vorfahren, die Wölfe. Letztere sollen nach dem Willen des Nationalrats von letzter Woche nun etwas «grosszügiger» abgeschossen werden dürfen.

Dreht man den Spiess um, würde das bedeuten: Wenn Hunde sich wenigstens teilweise wie Wölfe verhalten, weil sie nicht entsprechend erzogen wurden, dann müssten sie eigentlich auch zum Abschuss freistehen…

Und der Mensch?

Wenn…

  • …für die Verwendung von bestimmten Objekten oder Gegenständen (wie beispielsweise ein Auto) der Besuch eines Kurses und das Bestehen einer Prüfung notwendig sind, um damit einen gewissen erzieherischen Effekt zu erzielen und nachzuweisen,
  • …fürs Halten eines Tieres ähnliche Massnahmen notwendig sind, um ebenfalls einen gewissen erzieherischen Effekt erzielen zu können und um die Ur-Instinkte des Tieres beherrschen zu können,
  • …beides dazu dient, andere innerhalb eines gegebenen Raums nicht zu gefährden,

warum gilt das dann nicht auch für uns Menschen? Warum braucht es fürs Kinderhaben keinen obligatorischen Elternkurs, zumal das Zusammentreffen Mensch-Mensch häufiger und wohl auch wichtiger ist als das Zusammentreffen Mensch-Hund?

In Ergänzung zur vorangegangenen, provokativen Frage sei nachfolgend der Text «Vor dem Kauf eines Hundes» des BVET für einmal auf Menschen angepasst:

Fragen Sie sich, ob sie bereit und fähig sind, ihrem Hund Kind eine konsequente Erziehung zu geben. Das müssen Sie, denn sonst fehlen klare Regeln und der Hund das Kind kann in unserer dicht besiedelten Umwelt zum Problem werden.

Und sind sie bereit, sich in den nächsten 10 bis 15 Jahren um ihren Hund ihr Kind zu kümmern? Dazu gehören ausgiebige tägliche Spaziergänge und ausgiebiges Spiel mit dem Hund Kind. Dazu gehört aber auch das Beobachten ihres Hundes Kindes, die Korrektur von problematischen Verhaltensweisen und die Pflege, wenn der Hund das Kind krank wird.

(…)

Leben Sie auch in so stabilen Verhältnissen, dass Sie einen Hund ein Kind voraussichtlich noch in 10 Jahren versorgen können? Was ist, wenn Sie umziehen? Was ist wenn sie eine andere Stellung annehmen, die ihnen weniger Zeit lässt?

…denn sie wissen nicht, was sie tun

Wenn diese Zeilen und die darin enthaltenen Fragen vor dem Kauf eines Hundes so wichtig sein sollen, warum findet man sie dann nirgends auf den Menschen beziehungsweise auf Kinder bezogen?

Es steht ausser Frage, dass sich sehr viele Paare den Schritt zum Elternwerden reiflich überlegen und dabei gerade solche Fragen wie oben diskutiert werden. Zu glauben, dass sich alle Paare vorgängig damit auseinandersetzen, wäre allerdings naiv.

Das «härzige» Bild täuscht, welches einige von anderen jungen Paaren mit einem Neugeboren haben, denn es verbirgt das nächtliche Geschrei, das regelmässige Windelnwechseln, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit oder generell die eingeschränkte Handlungsfreiheit.

Es verbirgt ebenso die aufzubringende Kraft, sollte ein Kind chronisch erkranken, die eigenwillige Entwicklung oder die intellektuellen Fähigkeiten eines Kindes, welche beide vielleicht nicht den Vorstellungen der Eltern entsprechen – um nur einige weitere Aspekte aufzuzeigen.

Die Folge davon sind überforderte Eltern, welche zum Beispiel mit Gleichgültigkeit, Vernachlässigung oder harten Strafen (inklusive physischer Gewalt) gegenüber ihren Kindern reagieren. Mit etwas Glück vermag das soziale Umfeld des älter werdenden oder älter gewordenen Kindes kompensieren, was die eigenen Eltern verpasst haben.

Elternsein ohne Fähigkeitsausweis

Besteht dieses Glück nicht, «entstehen» Zeitgenossen, welche Mühe haben, sich in unserer Gesellschaft zu Recht zu finden. Man mag sie auch als «Querulanten» oder als «Kinder mit einer schwierigen Kindheit» abtun, welche ähnlich eines unerzogenen Hundes oder eines Wolfes schneller den Reflexen des Ur-Instinkts nachgeben, was man dann wiederum als «unzivilisiertes Verhalten» etikettieren kann.

Es ist zu einfach, in diesen Fällen den Eltern einen Vorwurf zu machen. Wo können Eltern denn schon lernen, wie man Kindern so abstrakte Dinge wie Respekt oder Eigenverantwortung beibringt? Anhand der eigenen Erziehung, welche pro Elternteil anders verlaufen ist und an die sich vielleicht beide nicht mehr gerne zurückerinnern, sondern lieber weiter verdrängen?

Wo lernen Eltern, die Dinge wieder mit Kinderaugen sehen zu können, um die eigenen Kinder, ihre Bedürfnisse und ihr Verhalten besser verstehen zu können? Wo lernen Eltern, was für Erziehungsmethoden welche nachhaltige (positive wie negative) Wirkung bei Kindern und Jugendlichen hinterlässt?

Wo lernen Eltern, an wen sie sich wenden können, wenn sie selber mit den Kindern oder auch mit dem Ehepartner überfordert sind? Und wie schafft man ein Bewusstsein, sich ohne Scham an solche Stellen zu wenden?

Privatsache, aber…

Alle Aspekte, welche mit Kindern, deren Erziehung und deren Umgang im Zusammenhang stehen, gelten bis heute grundsätzlich als private Angelegenheit. Das soll auch weiterhin so bleiben.

Doch den Eltern soll als Unterstützung aufgezeigt werden, was sie womit erreichen und auslösen – oder eben nicht. Ihre so genannte Erziehungskompetenz soll so gestärkt werden, ohne ihnen aufzudrängen, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben.

In Deutschland gibt es inzwischen sogar Schulen, welche von beiden Elternteilen den Besuch verschiedener Kurse verlangen, da ansonsten der Sprössling abgewiesen wird. Auslöser dafür waren oftmals schlecht besuchte Elternabende. Die in der Folge eingeführte Kurspflicht hat das Bild komplett verändert, sodass die Eltern schliesslich sogar dankbar sind für diese erzieherische Unterstützung.

Doch obschon eine solche Kurspflicht in die richtige Richtung geht, ist sie am falschen Ort angesiedelt: Es darf nicht sein, dass erst aufgrund der Schulpflicht die Eltern quasi zum Besuch dieser Kurse gedrängt werden, denn Erziehung beginnt bekanntlich nicht erst ab dem ersten Schuljahr.

Hierzulande bestehen ebenfalls entsprechende Elternbildungsangebote zur Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehungsfunktion. Sie werden heute aber nur auf freiwilliger Basis belegt.

Keine Privatsache mehr

Ein Hund draussen auf dem Trottoir ist keine private Angelegenheit mehr, er befindet sich im öffentlichen Raum und hat sich entsprechend zu verhalten. Mit einem Kind ist das genau gleich.

Wenn Hundehalter schon obligatorische Kurse und Trainings besuchen müssen, um ihre Hunde besser zu verstehen und richtig erziehen zu können, dann sollten Elternbildungskurse für Eltern auch obligatorisch sein, unabhängig von der Schulpflicht erfolgen und staatlich unterstützt werden.

Denn damit liessen sich wohl viele später auftretende Konflikte vermeiden – sowohl bei den Hunden wie auch bei Menschen…

20 Antworten auf „Fähigkeitsausweis für Eltern?“

  1. Ich bin werdender Vater und unser Kind war kein Unfall sondern ein echtes Wunschkind. Es war sehr besonders, sich bewußt für ein Kind zu entscheiden. Vorraussetzung für uns beide für ein Kind war immer: Eine sehr gut funktionierende stabile Beziehung, genug finanzielle Mittel und ganz wichtig, die persönliche Reife. Wir sind beide mittlerweile Mitte 30 und es ist unser erstes Kind.

    Es gibt viele, die sehr verantwortungsvoll mit der Entscheidung ein Kind zu bekommen, umgehen, aber genauso viele, die sich nichts dabei denken und da bin ich jetzt endlich bei deinem Thema, dem Führerschein für Eltern bzw. einem Befähigungsausweis. Für alles Mögliche muss Mensch eine Prüfung oder eine Schulung ablegen, warum nicht auch, wenn man ein Kind bekommt? Für einen Elternführerschein war ich schon, lange bevor ich mich für unser Kind entschieden habe.

    Tolle Idee, den Hund bei den Fragen bei einer Hundeanschaffung mal mit dem Kind zu ersetzen.

    Mir kommt vor, das Thema Elternbildung wird von der Gesellschaft so wenig wie möglich angesprochen. Kinder bekommen kann natürlich jeder, dafür braucht es nur Sex. Das danach interessiert leider viel zu wenige. Wie kann es z.B. sein, dass man im TV Reality-Sendungen zeigt, in denen schwangere Mütter rauchen und trinken. Ein Thema, das mich eigentlich richtig aufregt.

    Wie auch immer: Danke für den interessanten Artikel. Ich arbeite bei der Väterseite http://www.freshdads.com mit, schau mal vorbei bei uns, würde uns freuen.
    Grüße Roman

  2. @ Roman
    Vielen Dank für Deine Zeilen und viel Glück für die kommende Zeit.

    Anlässlich der letzten Session im Nationalrate wurde eine parlamentarische Initiative behandelt, wonach Mutterschaftsurlaub von Parlamentarierinnen neuerdings nicht mehr als unentschuldigte, sondern als entschuldigte Absenz gelten soll. Darüber hat dann vorgängig noch die Staatspolitische Kommission (!) beraten. Begründet wurde dies auch damit, weil sich das «negativ in den zahlreichen Parlamentarierratings» niederschlage.

    Das lässt erahnen, wie weit bisher das Parlament gedacht hatte (hoffentlich wird bloss nie eine Bundesrätin schwanger) und wo das Parlament die «Prioritäten» setzt… Unter diesen Gegegebenheiten wird es wohl noch lange Dauern, bis auch ein grösseres Verständnis für Fragen zur Elternbildung da ist. Mit einer Frauenmehrheit in der Regierung alleine ist es noch nicht getan.

    Vielleicht liegt das bisherige Desinteresse an diesem Thema aber auch daran, weil viele sofort befürchten, dass es darum gehe, eine uniforme Kindererziehung durchzuboxen, welche dann auch uniforme Kinder mit sich bringe, worum es hier aber ausdrücklich nicht gehen soll.

  3. Es gibt – wie du gesagt hast – Bereiche, in denen es von Vorteil ist, wenn derjenige der XY ausüben darf, eine entsprechende Ausbildung absolviert hat, beispielsweise in medizininischen Berufen.

    Ich persönlich finde allerdings, es gibt heute viel zu viele Leute mit Diplomen und zu wenige mit gesundem Menschenverstand. Und den kann man leider nicht lernen. Oder wäre das dann ein Anspruch, den Eltern beizubringen, wie sie ihre Kinder zu «gesundem Menschenverstand» erziehen?

    Dann könnte man eine Generation später auch die Hundekurse wieder abschaffen… 😉

  4. Alle Aspekte, welche mit Kindern, deren Erziehung und deren Umgang im Zusammenhang stehen, gelten bis heute grundsätzlich als private Angelegenheit.

    Ach ja? Wenn also Kinder den Eltern einfach weggenommen und in ein Heim gesteckt wurden, war das dann auch eine private Angelegenheit?

    Eher nicht und wenn wurde es per sofort die private Angelegenheit des Staates vertreten durch seine Behörden und nicht mehr die der Eltern, denen das Kind ja weggenommen wurde.

    Wer Eltern Kinder wegnimmt und in Heime steckt, der hat von mir aus gesehen, fortan auch die Verantwortung für alles. Wenn also dann wie bei mir ja geschehen, dann in diesem Heim Dinge passieren die die weitere Entwicklung ganz massiv negativ beeinflusst, tragen dafür automatisch all jene die da mitgewirkt haben die volle Verantwortung für alles was war und noch geschehen wird, denn je früher man ein Kind versiechet, desto langfristiger und langwieriger die Probleme!

    Schliesslich ist ja auch nicht der Hundehalter schuld, wenn sein Hund nach einem Besuch im Hundetraining plötzlich bissig ist und jeden angreift weil er beim Hundetraining malträtiert und brutal zusammengeschlagen wurde, oder?

    Doch die Realität sieht eben auch da wieder mal so aus, dass wenn alles gut lief waren es nicht die Eltern sondern die Massnahme war ja gut für das Kind, wenn es jedoch schief läuft wie bei mir, dann will jedoch niemand schuld sein und dann sind plötzlich wieder die Eltern schuld oder noch schlimmer das Kind war einfach selber schuld!

    Traurig doch bei uns scheinen eben Tiere besser geschützt zu sein als Kinder!?!

    Und bei mir hat es nun einfach dazu geführt, dass ich Behörden und den Staat hasse, denn ich habe erkannt wer die Verantwortlichen waren, nämlich die, die sich auch heute noch in Schweigen hüllen, die die am liebsten gar nichts mehr damit zu haben wollen und diejenigen die heute noch gewisse Akten nicht raus rücken, obwohl sogar Anwälte mehrmals darum gebeten haben usw.

    Ich heute bin ich eben auch einer dieser Wölfe oder besser eine Raubkatze, den Hunde mag ich nicht so, und am liebsten würden die mich wohl auch gerne einfach abschiessen… 😉

  5. @ Mia
    Zum Fehlen des GMV gibt es wohl mindestens zwei Gründe. Erstens geht es darum, irgendwelche Fälle en masse und quasi «industrialisiert» abzuhandeln, für welche absolute Ober- und Untergrenzen festgelegt werden. Was dazwischen liegt, ist weiss, was darüber oder darunter liegt, ist schwarz. Grau gibt es nicht und eine Einzelfallbehandlung auch nicht.

    Ein zweiter Grund könnte sein, dass jemand sehr unsicher ist, sich deshalb strikt an gewisse Vorgaben hält und sich Scheuklappen anlegt, so ganz nach dem Motto: Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss…

    Warum ist es möglich, dass man Menschen wie eine Sache auf einem Laufband «industriell» als Nummer abhandelt? Warum ist jemand unsicher?

    Ich denke, dass da die Erziehung hier sicher eine bedeutende Rolle spielt, denn nur eine Nummer zu sein und als solche behandelt zu werden ist auch Ausdruck mangelnden Respekts. Und wer unsicher ist, der wurde vielleicht zu wenig ermutigt, zu wenig gelobt, hat zu wenig Liebe und Anerkennung erhalten (sind sich die Eltern bewusst, wie wichtig das für ein Kind ist?).

    Insofern könnte eine bessere Unterstützung der Eltern (Stichwort: Stärkere Erziehungskompetenz) indirekt schon auch zu mehr GMV führen.

    @ Chris
    Wenn Kinder den Eltern weggenommen werden, dann geschieht das eben «zum Schutz und Wohle des Kindes». Wichtig erscheint mir die Frage: Wieso konnte es soweit kommen? Warum setzt man beim Kind an und nicht bei den Eltern? Und nein: Ich will damit nicht den Eltern die Schuld in die Schuhe schieben (das habe ich auch oben im Artikel nicht). Das würde ich erst dann tun, wenn Eltern sich zwar bewusst sind, was beispielsweise physische Gewalt für Auswirkungen auf ihr Kind hat und sie trotzdem physische Gewalt anwenden.

  6. Wenn Kinder den Eltern weggenommen werden, dann geschieht das eben «zum Schutz und Wohle des Kindes». Wichtig erscheint mir die Frage: Wieso konnte es soweit kommen?

    Es mag wohl auch Fälle geben wo es wirklich «zum Schutz und Wohle des Kindes» geschieht, doch dies ist eben nicht immer so.

    So war es bei nicht ganz so, zwar waren die Eltern gerade in der Scheidung und Vater war Alkoholiker und schlug Mutter, aber mich hat er nie geschlagen also gab es auch kein «zum Schutz und Wohle des Kindes».

    Der Hauptgrund waren angeblich Probleme in der Schulklasse, ich störe den Unterricht und langweile mich hiess es.

    Nun, dann ging es plötzlich schnell, es hiess es gäbe keine freien geeignete Klasse für mich und einfach eine Klasse überspringen läge auch nicht drin, die Eltern versuchten mich in einer Steinerschule unterzukriegen, doch da gab es auch keine freien Plätze mehr und für eine Privatschule fehlte das Geld, gleichzeitig ermahnte man aber eben meine Eltern, dass ich eben in eine Klasse müsse!

    Tja, ist eben blöd wenn es keine geeignete Klasse gibt und die gleichzeitig Druck machen, dass ich in die Schule müsse bzw. eben jetzt, sofort in eine Klasse muss?! Ich meine, was soll das? Wenn es keine freien gibt, dann gibt es eben grad keine!

    Aber nein, die Spirale drehte sich schnell weiter, plötzlich war das mit der fehlenden geeigneten Klasse vergessen, plötzlich stand die Familiensituation im Vordergrund.

    Vater säuft Alk, Vater schlägt Mutter, Scheidung im Gange, beide Eltern arbeiten – plötzlich hiess es, die Familiensituation sei schuld an allem und nicht mehr die Hochbegabung, ich sei ein sensibler hiess es und dass man mich vor dieser schwierigen Situation zuhause schützen müsse, ich darunter leiden würde und ich zum Kinderpsychologischer Dienst müsse blah blah blah und dann war ich plötzlich ganz schnell weg von zu Hause!

    Den Eltern sagte man es sei ein Schulheim und dass ich ja irgendwo in die Schule müsse! In Realität war es alles andere aber sicher kein Schulheim, denn die meisten dort waren echt kriminell, nur schon das der Typ mit dem ich das Zimmer teilen musste, dort war weil er seinen eigenen Bruder im Bett angezündet hatte, sagt alles. Und dann war ich da auch noch der jüngste(9j) von allen!

    Was die anderen so alles auf dem Kerbholz hatten weiss ich nicht, aber die wollten ja nicht mal die Akten des einen Täters raus rücken, die anders als meine eigenen Akten komischerweise nicht vernichtet wurden?! Schon klar warum, meine hat man verschwinden lassen und seine rückt man nicht raus, weil der zu 99% wohl wegen ähnlichen Delikten wie das was der mit mir machte überhaupt in diesem Heim war, was denn sonst?!

    Und eben nach dem was dann eben in diesem Drecksheim alles lief, hätte die Situation zuhause noch hundert mal schlimmer sein können, es wäre trotzdem immer noch tausendmal besser bei den Eltern gewesen als dort!

    Und die Leiter dort waren selber total überfordert, kein Wunder wenn praktisch jeden Tag irgendeiner mit einem Messer auf Praktikanten und Leiter los ging oder bedrohte… Ich hab nicht nur einmal erlebt, wie Erwachsene geflüchtet sind, aus dem Fenster raus und eine ganze Meute mit Messern und was weiss ich alles rannte hinter denen nach… Meistens kamen die nicht mehr wieder, gab viele Wechsel dort…

    Nun mag sein, dass es heute anders ist, hoffentlich, aber damals in den 80er ging das wohl ganz schnell und vor allem ohne jeglichen Menschenverstand! Doch man hört ja auch heute noch solche Geschichten, glaube also nicht wirklich daran, dass sich da wirklich viel geändert hat…

    Da läuft eben vieles unter «zum Schutz und Wohle des Kindes» was leider das pure Gegenteil ist! 🙁

  7. Hm, interessanter Artikel! Bevor ich darauf eingehe, ein paar Worte zu mir. Ich bin 30 Jahre alt und mittlerweile Vater von zwei Söhnen (2.5 und 1 Jahr alt). Beides waren Wunschkinder und die Entscheidung war wohl überlegt. Ausserdem sind wir in der glücklichen Lage, dass meine Frau nicht arbeiten muss.
    Als meine Frau schwanger war, haben wir nie Geburtsvorbereitungskurse besucht, wie (fast) alle anderen und trotzdem gingen beide Geburten zügig und ohne Komplikationen über die Bühne. Wir haben nie Elternbildungskurse besucht (und werden das auch nie) und trotzdem bin ich überzeugt, dass meine Kinder eine gute Erziehung bekommen.
    Ich halte nichts von einem sogenannten „Elternführerschein“. Wo soll denn das bitte hin führen? Nur noch „gut verdienende“ dürfen Kinder haben, damit sie diesen alles bieten können?
    Ausserdem ist das meiner Meinung nach nicht ganz zu Ende gedacht. Was geschieht mit Eltern, die solche Pflichtkurse nicht besuchen? Werden denen die Kinder weggenommen? Oder werden diese gleich zwangssterilisiert? Oder landet man im Gefängnis?
    Ich glaube nämlich, dass der Mensch von Grund auf in der Lage ist, Kinder zu haben und diese zu erziehen. Anders als bei einem Hund. Ein Hund funktioniert nicht wie ein Mensch. Das ist vielen nicht bewusst und deshalb gibt es Probleme. Insofern habe ich etwas Mühe mit dem Vergleich.
    Versteht mich nicht falsch, ich finds wichtig, dass es so viel Unterstützung wie möglich für alle Eltern gibt, die sie benötigen. Aber diese Unterstützung soll a) für jeden verfügbar und b) freiwillig sein.
    Der Trend zu Normkindern auf Ritalin, die Frühenglisch und unzählige Babykurse besucht haben, damit sie einen (unwesentlichen) Vorsprung auf die anderen Kinder haben, beängstigt mich. Ich persönlich werde meine Kinder so lange wie möglich und so oft es geht einfach Kinder sein lassen.
    Ausserdem glaube ich, ähnlich wie bei den Hunden, dass solche Pflichtkurse nichts bringen. Die Leute, die ihrem Kind/Hund sowieso eine anständige Erziehung bieten, hätten diese Kurse ja nicht nötig. Und die, die solche Kurse nötig hätten, schaffen es trotzdem irgendwie die Erziehung ihres Kindes/Hundes zu versauen.

    PS: Ein grossartiger Blog, übrigens. Bin schon lange Mitleser, dies ist aber mein erster Kommentar 😉

  8. @ Chris
    Traurig. Schade, hatte man die «Problemlösung» bei Dir gesucht statt dass man sich gefragt hätte, warum denn der Vater trinkt und wie man ihn zum Entzug hätte motivieren können.

    @ Gerry
    Endlich eine Gegenstimme! 🙂 Ich hatte eigentlich schon lange mit einem Sturm der Entrüstung bei diesem Thema gerechnet.

    Die Schwierigkeit bei diesem Thema bzw. bei einer allfälligen Forderung um irgendeinen obligatorischen Elternkurs liegt im Fehlen konkreter Zahlen, also z. B. wie viele Eltern sich überfordert fühlen.

    Sicher ist, dass es sie gibt, die überforderten Eltern. Ob es sie nicht auch früher schon gegeben hatte, nur hatte damals niemand davon gesprochen, kann ich nicht beurteilen. Letzten Endes spielt das aber auch keine Rolle, denn nur weil früher Eltern schon überfordert waren heisst das ja nicht automatisch, dass man heute deswegen nichts dagegen unternehmen könne.

    Sicher ist auch, dass «unerzogene» Kinder, Jugendliche oder gar Erwachsene (ja, davon gibt es auch einige), welche sich z. B. ablässig oder respektlos gegenüber anderen verhalten, uns alle etwas angehen, weil wir schliesslich alle davon direkt oder indirekt betroffen sind oder sein können. Irgendwann werden wahrscheinlich auch Deine Kinder mit ihnen in Kontakt kommen. Und irgendwann werden diese Kinder erwachsen sein und sich dann vielleicht nicht viel anders benehmen.

    Die Frage ist nun, ob es eine Möglichkeit gibt, damit (noch) mehr Eltern ihre Erziehungspflicht auch «kindergerecht» wahrnehmen.

    Ich glaube nicht daran, dass die Freiwilligkeit ausreicht und wage sogar die Behauptung, dass nur ein kleiner Teil an überforderter Eltern sich erstens die Überforderung eingesteht und zweitens auch von sich aus Hilfe aufsucht. Dem weitaus grösseren Teil ist das nach meiner Einschätzung zu unangenehm, da die betroffenen Eltern ein solches Elternkurs-Angebot vielfach auch als ein Eingeständnis von Schwäche verstehen – also «wursteln» sie lieber in ihrer Erziehung irgendwie weiter und verschlimmern dadurch die Situation noch weiter…

    Wenn – als Alternative zu einem obligatorischen Kurs für alle – ein solcher Elternkurs nur dort obligatorisch sein soll, wo er für nötig erachtet wird, wie unterscheidet man dann, wann er bei wem nötig wäre? Das dürfte eine sehr heikle Aufgabe sein…

    Ich würde einen solchen Elternkurs aber auch nicht zu eng sehen. Wenn beispielsweise nur schon einmal jährlich je sämtliche Väter und je sämtliche Mütter einander über ihre Erfahrungen und Probleme mit ihren Sprösslingen berichten würden und da dann auch eine fachkundige Person dabei wäre, die bei Bedarf mit einem guten Rat helfen könnte, wäre wohl schon etwas erreicht (sind nicht manchmal alle Eltern mal etwas ratlos und wären um einen guten Rat dankbar?).

  9. Wo soll denn das bitte hin führen? Nur noch “gut verdienende” dürfen Kinder haben, damit sie diesen alles bieten können?

    Genau, denn indirekt ist das ja schon der Fall, denn Kinder von nicht so gut verdienenden Eltern sind von Anfang an ein bisschen benachteiligt, manchmal läuft das sehr subtil manchmal auch ganz offen ab.

    Auch die Kinder selber bemerken, wer gut verdienende Eltern hat und wer nicht und diese Tatsache bekommen die Betroffenen nicht selten zu spüren und werden schikaniert.

    Es gibt ja zbs. Schulen wo man dies mittels Schuluniformen zu verhindern versucht, eben in dem alle die selben haben und so schon mal verhindert wird, dass die einen die neuste und teuerste Mode anhaben und so sofort klar ist wer welche Eltern hat, das Problem ist also bekannt.

    Doch in der Schweiz ist das ja kein Thema, genauso wenig wie, dass gewisse Eltern Mühe haben all die „kleinen“ Dinge zu bezahlen, die alle so verlangt werden. Das fängt bei Büchern an und hört irgendwo bei privatem Zusatzunterricht auf.

    Es wird zwar immer gesagt jeder habe die gleichen Chancen, doch das eine Lüge und nur eine Illusion, die Chancenungleichheit fängt bereits vor dem ersten Schulbesuch an!

    Und einige dieser Ungerechtigkeiten sind besonders übel, wie zbs. Fälle bei denen gut verdienende Eltern auch noch Mitglied in der Schulpflege sind und dann über Beziehungen dafür sorgen, dass ihre Sprösslinge in die besten Klassen kommen und auch noch so grosse Probleme weggewischt werden, wohingegen teils lächerliche Dinge bei Kindern von normal verdienenden Eltern ohne Vitamin B, dann schon ausreichen die Kinder zu versetzen oder schlimmeres.

    Ich habe so einen Fall miterlebt in Volketswil, da war die Mutter von dem in der Schulpflege und hatte gute Kontakte zu allen Lehrern, und das ganze färbte auch auf das Kind ab, der konnte sich alles erlauben und tat es auch, ohne das ein Lehrer es gewagt hätte aufzumucken, aber wehe andere, vor allem eben solche von nicht so gut verdienende haben sich ein hundertstel davon erlaubt, da hagelte es dann Sanktionen bis zum geht nicht mehr!

    Klar könnte man nun sagen, am Ende schadet so was ja nur wieder dem Kind, weil die Realität später dann eben womöglich nicht mehr so aussieht, trotzdem finde ich solche Dinge sind ungerecht!

    So oder so haben reiche Eltern mehr Möglichkeiten, im Notfall steckt man das Kind halt in eine Privatschule, alles kein Problem.

    Ich bin mir sicher, wären meine Eltern damals gut verdienend gewesen, niemals wäre ich in dieses Heim gekommen, selbst dann nicht wenn es zu Hause zehn mal schlimmer zu und her gegangen wäre!

    Ach und gleich noch ein Fall der vor paar Jahren Schlagzeilen machte, dann aber wieder in der Versenkung verschwand; Es wurden sogar schon extra Aufnahmeprüfungen angepasst, damit Kinder von gut verdienenden es einfacher haben bzw. eben 100% durchkommen und sie gleichzeitig für Kinder von normal verdienenden Eltern zu erschweren, damit nicht zu viele von „denen“ durchkommen!

    Es ging also da gar nicht darum, dass die guten durchkommen, sondern das möglichst viele von den gut verdienenden durchkommen, das flog dann eben auf als ein Lehrer damit zur Presse ging, aber schon paar Tage danach sprach niemand mehr davon.

    Die Chancenungleichheit fängt also bereits früh an und hat nichts mit der Intelligenz der Kinder zu tun, sondern hängt nur davon ab wie gut die Eltern verdienen…

    Ich finde, da ist es ja eigentlich nur noch ein kleiner Schritt dazu, bis dann überhaupt nur noch gut verdienende Kinder haben dürfen…

    So ein Fähigkeitsausweis wäre da genau richtig, ist ja kein Problem dafür zu sorgen, dass dann halt nur die gut verdienende einen solchen bekommen, alle anderen bekommen aus was für Gründen auch immer eben einfach keinen – Problem gelöst!

    Aber zum Glück ist ja Intelligenz nicht vom Geld abhängig… 😉

  10. Ich war vor 18 Jahren eine dieser überforderten Mütter (obwohl unsere Kinder gewollt waren und wir wussten, dass es nicht einfach sein würde). Ich schien die Einzige zu sein, die mit einem Säugling zu Hause war, der kaum schlief und viel weinte; alle anderen Kinder schienen Wonneproppen zu sein. Zur Mütterberatung zu gehen war für mich ein Spiessrutenlaufen. Lauter glückliche Gesichter bei den Müttern, Du-musst-was-falsch-machen-Blicke bei den Beraterinnen. Ich ging auf dem Zahnfleisch, fühlte mich als Versagerin. Zum Glück war meine Mutter sehr pragmatisch. „Ihr wart auch so“, sagte sie zu mir (meinte damit mich und meine Brüder) – und unterstützte mich. Als ich nach ungefähr einem halben Jahr endlich eine andere Mutter traf, die sich ebenfalls fragte, ob sie wirklich Kinder haben sollte, weil sie in permanenter Überforderung lebte, habe ich vor Freude fast geheult.
    Zwei Jahre später kam Frau Tochter auf die Welt. Ein Brüll- und Schreikind. 18 Monate lang. Bis zu 11 Stunden pro Tag. Im Alter von neun Monaten tagsüber nicht mehr geschlafen. Ich weiss seither, dass man die eigenen Grenzen SEHR weit überschreiten kann. Man hält viel mehr aus, als man glaubt. Ich kam durch diese Zeit, weil ich beim ersten Kind gelernt hatte, dass es Menschen gibt, die mich verstehen, die mir das brüllende Bündel für ein paar Stunden abgenommen haben. Und weil ich für mich wusste, dass es absolut normal war, Phasen zu haben, in denen es einfach unmöglich war, das zu fühlen, was man „Mutterliebe“ nennt – und man seine Kinder trotzdem lieben kann.
    Kein Elternkurs der Welt kann einen auf so etwas vorbereiten. Mein Mann und ich haben das Elternsein sehr pragmatisch angegangen, wussten um die negativen Seiten – und trotzdem sind wir überrollt worden, von dem, was auf uns zukam. Geholfen haben uns nicht die Ratgeber (völlig sinn- und nutzlos angesichts eines dauerbrüllenden Kindes), sondern unser persönliches Umfeld, das unsere Erschöpfung verstanden hat. Genau hier müsste man ansetzen:

    – Das Tabu brechen, dass Kinder immer herzig, wonneproppig und niedlich sind. Wenn es einen Song gibt, bei dem mir schlecht wird, dann ist es „Kinder an die Macht“ von Grönemeyer.

    Dass man als Eltern zu seiner Überforderung stehen kann ohne diese ich-weiss-gar-nicht-was-ihr-habt-Kommentare.

    – Dass wir kompetente Anflaufstellen haben, an die wir uns wenden können (ich erinnere mich an ein Telefonat mit der Elternberatung, nach dem ich heulend zusammengebrochen bin, weil mir eine Frau, die wahrscheinlich nicht einmal Kinder hatte, genau den nutzlosen Stuss erzählte, den ich schon längst in Ratgebern gelesen hatte).

    Bei uns war es die Kleinkindphase, die enorm schwierig war. Frau Tochter wurde mit 18 Monaten innerhalb eines Monats zu einem absoluten Glückskäferchen – und seither geht es uns einfach nur prima, so prima, dass ich mir oft wünschte, wir hätten vier Kinder (wobei ich nicht weiss, wie ich nochmals solche zwei Kleinkindphasen überlebt hätte).

    Was ich häufig erlebe (nicht selber):
    – Dass Eltern keine Grenzen setzen, keinen Raum schaffen, in dem die Kinder wissen: das ist mein Freiraum, in dem ich mich bewegen kann, dort sind die Grenzen.
    – Dass Eltern inkonsequent bis zum Bach runter sind, und weil die Kinder das sehr schnell merken und ausnützen, dann bald einmal die Kinder bestimmen, wo es langgeht. Und die Eltern sich das dann so schönreden: „ich gebe meinem Kind halt die Verantwortung für sein Tun.“ (einem Kind, das noch nicht weiss, was das ist und wie man damit umgeht)
    – Dass Kinder keine Kinder mehr sein dürfen, sondern Projekte ihrer Eltern sind.
    – Dass Eltern nicht mehr Eltern, sondern Kumpels und Freundinnen sein wollen. Das sind wir aber nicht. Wir haben die Verantwortung für die Erziehung unserer Kinder – und das kann manchmal in Arbeit ausarten, bei er man sich total mies fühlt. Ein weiser Satz meiner Mutter geht so: „Nein sagen ist viel schwieriger als Ja sagen.“

    Ob da Elternkurse helfen? Schwierige Frage. Für wen? Durch wen organisiert? Mir gefällt die Idee von Selbsthilfegruppen. Nur: Gehen da dann wirklich die hin, die wirklich profitieren würden?

    Was ich weiss: Erziehung ist vor allem in den ersten Jahren extrem wichtig. Wenn die Kinder erst mal 10, 11 oder 12 sind, wird es sehr, sehr schwierig, Verbocktes wieder gutzumachen.

  11. Ein paar Nachsätze:

    Bei mir war es ein „Weiss-gar-nicht-was-die-hat.“
    Bei Chris wahrscheinlich ein „Ist-ja-klar-bei-Leuten-wie-denen.“
    Dann gibt’s noch das „Logisch-wenn-die-karrieregeile-Mutter-arbeiten-geht.“
    Oder das „Typisch-verwöhntes-Einzelkind-Göre.“
    Oder das „Warum-haben-die-auch-gleich-vier-Stück-ist-ja-krank?“
    Oder das „Wenn-man-kein-Geld-hat-soll-man-auch-keine-Kinder-in-die-Welt-stellen.“

    Solche Stempel werden von jenen Menschen auf andere gedrückt, die selber die Norm sein wollen, die sich auf diese Weise bestätigen müssen, normal zu sein. Der Regelfall muss die Problemlosigkeit sein; wer Probleme hat, ist selber schuld. Hinter dieser Fassade des „Regelfalls“ verbergen sich Abgründe, die sich die Eltern entweder schönreden oder nicht sehen wollen. Dieses „Mein-Kind-tut-so-was-nicht“-Syndrom. Weil: Wenn es das wirklich täte, dann wäre man ja nicht mehr der Regelfall, sondern gehörte zu den Gestempelten. Dabei sind Kinder einfach Menschen. Wunderbar. Aber manchmal auch grausam, ungerecht, manipulierend – genau wie alle anderen Menschen auch. Wer sich diese Realität vor Augen hält, hat sich schon die Hälfte eines Erziehungskurses gespart 🙂

  12. @ Alice
    Gut, hattest Du damals eine Mutter, welche die Bodenhaftung nicht verloren hatte. Aber wer hat das heute noch?

    Ich denke, dass die höhere Mobilität heutzutage auch Ausdruck einer noch stärkeren «Entwurzelung» vom Elternhaus ist, dass also nicht mehr nur Arbeits- und Wohnort zunehmend weiter voneinander weg liegen, sondern eben auch die nächsten Verwandten. Der grössere Bedarf an KITAS unterstreicht das, denn man kann (oder will) seine Kinder nicht mehr einfach nur so bei den eigenen Eltern (also den Grosseltern) «abgeben». Und die Grosseltern möchten vielfach «noch was erleben» und nicht ständig mit Kinderhüten angebunden sein…

    Wir hatten es hier kürzlich auch über Medienkompetenz. Dies ist ein weiterer Stein für (noch) höhere Anforderungen an die Eltern. Ein anderer Stein ist das ständige Hämmern der Wirtschaft, welche viele Eltern dazu bringen, für ihre Kinder den von Gerry angesprochenen Vorsprung zu schaffen oder aus ihren Kindern «ein Projekt zu machen», wie Du das nanntest. Und wie jüngst zu vernehmen war, soll die internationale Pfadfinderbewegung sich mehr der Wirtschaft annähern…

    Es ist somit für Eltern generell sicher nicht mehr so einfach wie zu unserer Kinder- und Jugendzeit. Ich halte es für einen Fehler, diesen zunehmenden Druck von aussen in den Wind schlagen und zu glauben, die meisten Eltern kämen weiterhin alleine zurecht – und das Rad zurückdrehen können wir auch nicht.

    Irgendwie müssten wir doch ein gemeinsames Verständnis und Bewusstsein schaffen über bestimmte erzieherische Aspekte (z. B. das Grenzensetzen), damit es gar nicht erst zu solchen Nachsätzen kommt, wie von Dir oben aufgeführt und vor allem damit wir nicht 20 Jahre später die «Quittung» eines «grenzenlosen» Verhaltens erhalten…

    Vielleicht tun wir uns mit dem Thema Elternbildung aber auch deshalb so schwer, weil wir oftmals glauben, dass Menschen nach der obligarischen Schulzeit keine weitere Schulung mehr bräuchten. Warum werden nur Kinder und Jugendliche für eine gewisse Dauer zu einer bestimmten Schulung gezwungen, nicht aber Erwachsene? Ist es nicht vernünftig, wenn beispielsweise Automobilisten nach 10 Jahren wieder einmal geprüft werden sollen, weil sich die Strassenwelt inzwischen verändert hat? Und ist es da dann nicht auch vernünftig, Erwachsene (oder eben Eltern) in Bereichen oder zu Phänomenen zu schulen, die es vorher nicht gab? Wie wollen Eltern Medienkompetenz vermitteln, wenn sie selber nur knapp wissen, was eine E-Mail-Adresse ist?

  13. @titus:
    Du hast recht. Hörst du das ABER?

    ABER:

    Die „Regelfalleltern“ werden entweder denken, sie haben solche Kurse nicht nötig oder sie werden sich nicht trauen hinzugehen, weil sie sich damit als „Problemfall“ outen.
    Die „ist-ja-kein-wunder-bei-denen-Eltern“ werden sich nicht trauen, weil damit einmal mehr die Vorurteile gegen sie bestätigt werden.
    Bleiben jene wenigen, die sich sowieso mit intensiv mit Erziehungsfragen auseinandersetzen – und das sind die, die solche Kurse nicht am nötigsten hätten.

    Die Frage wäre also nicht, ob es solche Elternkurse braucht, sondern wie man die Eltern an solche Kurse lockt.

    Eine Möglichkeit: Obligatorische Elterngespräche ab dem Kindergartenalter, bei denen die Lehrkraft Fachpersonal beiziehen könnte. Damit wäre eine Sache mehr auf Lehrkräfte abgewälzt, die sowieso am Anschlag sind.

    Eine andere Möglichkeit: Regelmässige obligatorische Elternabende ohne Lehrkräfte, dafür mit Fachpersonal und Referenten. Das wäre immerhin ein Ansatz.

    Noch eine Möglichkeit: Schulprojektwochen, in die Eltern einbezogen werden (womit wir WIEDER bei den Lehrkräften sind).

    PS: Vielleicht sollten wir wirklich eine Partei gründen. Eine, die solche Projekte vorschlägt und umzusetzen versucht.

  14. @ Alice
    Darum spreche ich ja schon lange von einer obligatorischen Teilnahme (ob Kurse, Austausch- oder Selbsthilfegruppen oder etwas anderes sei für den Moment dahingestellt) bzw. betrachte es eher als schwierig, zwischen Deinen drei Kategorien zu selektionieren, um einige davon zu dispensieren… (Deine letzte Gruppe).

    P.S. Wer würde uns wohl wählen…? 😉

  15. Wow, so viel zu lesen, seit meinem Kommentar. Nun gut, ich nehme ein paar Aussagen auf um diese zu kommentieren.

    Die von Chris erwähnte Chancen(un)gleichheit: Du hast recht, es herrscht teilweise eine Chancenungleichheit und genau dagegen setze ich mich ein. Wenn eine alleinerziehende Mutter, arbeiten geht, aber trotzdem kaum Geld für die Bücher ihrer Kinder hat, dann läuft irgendwas schief. Sowas darf es nicht geben!

    Alice’s Geschichte: Interessant und ich freu mich für dich, dass du diese Zeit überstanden hast. Meine beiden Kinder waren bisher eigentlich problemlos und so kann ich es wohl nicht annähernd nachvollziehen, wie es mit einem «Schreibaby» ist. Ich bin da mit dir einer Meinung, dass man sich auf sowas nicht vorbereiten kann, umso wichtiger ist, wie du das ja auch gehabt hast, das soziale Umfeld.

    @Alice: Wie verstehst du die Aussage «sich intensiv mit Erziehungsfragen auseinandersetzen»? Ich bin der Meinung, dass man zum Eltern sein, nicht ein halbes Psychologie-Studium absolvieren muss. Ich finde es unnötig, ein ganzes Regal voll mit Erziehungsratgebern haben und sich selbst den Stress machen, alle diese Ratschläge auch umzusetzen. Das ist eher kontraproduktiv. Wie ich schon gesagt habe, ich glaube, dass jeder, der eine halbwegs vernünftige Erziehung genossen hat, ebenfalls im Stand ist, das weiterzugeben. Ich selber habe genau zwei solche Bücher: «Babyjahre» von Remo Largo und «Cool down» von Andrea Schafroth und Peter Schneider. Letzteres ist übrigens sehr empfehlenswert.

    Projekt «Kind»: Find ich wirklich schrecklich! Wie bereits gesagt, Kinder müssen eine Kindheit haben und diese ausleben können. Ich glaub einfach nicht, dass man mit diesen ganzen Baby-Bildungsangeboten den Kindern etwas gutes tut. Ich glaube ebenfalls nicht, dass man sich damit einen grossen Vorteil verschafft. Ich persönlich tendiere eher dazu, die Kinder dann während der Schulzeit entsprechend zu unterstützen (z.B. bei Problemen mit Hausaufgaben etc. und dabei mein ich NICHT die Hausaufgaben für die Kinder zu machen). Dabei ist mir natürlich auch bewusst, dass dies nicht in allen Familien möglich ist…

    @Titus: Ich bleibe dabei! 🙂 Auch wenn ich deine Ideen grundsätzlich nicht so schlecht finde, für Leute, die es benötigen, so sehe ich bei einem Obligatorium immer noch das Problem der Umsetzung. Ich bin überzeugt, dass sich sowas nie umsetzen lässt… So würde ich eher, wie Alice erwähnt hat, Anreize schaffen, dass Eltern, die überfordert sind, oder Probleme haben, solche Gelegenheiten wahrnehmen.

  16. @Gerry:

    Zu den Ratgebern: Wenn ein Kind 18 Monate lang mehr oder weniger nur schreit, niemand weiss warum, dann hängt man sich an jeden Strohhalm – auch wenn es nur ein weiterer untauglicher Ratgeber ist 😉 Vor allem, wenn Sohnemann in der gleichen Zeit jeden Morgen um fünf hellwach ist und nicht daran denkt, wieder einzuschlafen. Ich habe knapp zwei Jahre lang mit drei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht gelebt. (Die Fotos von damals sprechen Bände).

    Zu der Auseinandersetzung mit der Erziehung: Dazu gehört für mich der Austausch mit dem Ehepartner. Hat man ungefähr dieselben Ansichten? Wie möchte man erziehen? Wo setzt man Grenzen und warum und was macht man, wenn die Kinder sie überschreiten? Dazu braucht es kein Studium, sondern den Willen zur Kommunikation. Später, wenn die Kinder etwas älter sind, kann man sie in diese Diskussionen mit einbeziehen. Meine Erfahrung: Wenn man die richtigen Grundsteine legt, geht es nachher schon fast von selbst. Ich empfinde das Erziehen schon seit Jahren mehrheitlich als eine leichtfüssige, lockere Angelegenheit. Selbst die Pubertät von Frau Tochter haben wir recht locker hinbekommen (ich mehr als mein Mann).

    Zum Projekt Kind: Da sind wir uns völlig einig. Wir haben unseren Kindern immer Zeit gelassen, sich selber zu entwickeln. Sind nicht in Panik ausgebrochen, wenn sie länger gebraucht haben (Frau Tochter bequemte sich irgendwann im Alter von 20 Monaten, endlich die Beine zu gebrauchen, um zu gehen – reden konnte sie da schon längst). Schulisch haben wir sie begleitet, aber nicht forciert „gefördert“. Auch da brauchte Frau Tochter länger: Sie absolvierte eine Ehrenrunde auf der Realstufe und wechselte dann nach einem Jahr in die Sekundarschule. Ganz wichtig: Es gibt einen Druck von anderen Eltern, es gibt den sozialen Druck („Realschule? Ach, du meine Güte! Das arme Kind!“). Als Eltern gilt es zum Schutz der Kinder, diesen Druck auszuhalten, ihm gelassen entgegenzuwirken. Mittlerweile sind beide Kinder in der Lehre. Sie lernen das, was sie lernen wollten, ohne Rücksicht auf sozialen Status des Berufs. Ich liebe sie beide von ganzem Herzen, finde beide wunderbar und bin – so richtig Mutter – total stolz auf sie.

  17. Was mich an der ganzen Sache noch beschäftigt: Wer sagt denn, dass das was der „Staat“ für die „richtige“ Erziehung hält, das auch im Einzelfall wirklich ist?
    Dadurch kann man Menschen auch ganz schön in die eine oder andere Richtung manipulieren (siehe zB. DDR).

    Zudem gibt es ja mittlerweile schon sehr viele Hilfsangebote (ok. wahrscheinlich auf dem Land weniger als in der Stadt) und ich frage mich manchmal, ob das alles die Menschen nicht irgendwie auch etwas «unselbständig» macht. Ob dieses grosse Angebot, so wichtig es ist, nicht auch irgendwann dazu führt, dass sich Menschen selbst überhaupt nichts mehr zutrauen ohne sogenannt «fachliche Hilfe».

  18. @Alice: Danke für deine Ausführungen. Mir gefällt deine Einstellung. Den von dir erwähnten sozialen Druck zur Schulbildung hab ich selber erlebt und mir geschworen, dass ich das meinen Kindern nicht antun werde.

  19. @ Gerry
    Ich bleibe auch dabei! 😉

    Du hast selber zwei Bücher erwähnt, ja sogar empfohlen. Versteh‘ das bitte nicht als Vorwurf, aber das zeigt eben auch, dass selbst Du der Auffassung bist, dass deren Inhalte auch andere Eltern lesen sollten. Aber eben nur «sollten», weil es dafür heute keine Pflicht gibt.

    Wie wäre es, diese beiden Werke zur Pflichtlektüre für Eltern mit einer anschliessender Besprechung pro Thema/Kapitel an drei Abenden in kleinen Paar-Gruppen zu machen? Dabei würde auch diskutiert, was einige als gut und andere als schlecht in den darin vertretenen Ansichten finden. Und als Anreiz: Wer dabei war, kann auf der nächsten Steuererklärung CHF 6’000 vom Einkommen abziehen…

    @ Mia
    Es geht mir nicht ums «wie erziehe ich richtig?», sondern vor allem um die Auseinandersetzung seitens Eltern mit der Erziehung, der Erziehungsfunktion, den möglichen Methoden und vor allem den möglichen Auswirkungen.

    Es geht auch darum, den Horizont etwas zu öffnen, weil wir dazu neigen, die eigene Erziehung als Massstab zu nehmen. Uns mag vielleicht die eine oder andere «ausgerutschte Hand» damals nicht geschadet haben. Aber das eigene Kind ist eine andere, vielleicht sensiblere Persönlichkeit, welche so etwas nicht gleich taff wegsteckt.

    Ähnlich ist es mit dem Thema Freiräume: «Wir durften damals…» oder «wir durften damals auch nicht…» mochte für uns stimmen, für die eigenen Kinder aber vielleicht nicht. Sie brauchen vielleicht mehr Freiräumen oder wollen vielleicht auch gar nicht mehr Freiräume. Hier geht es nicht darum zu sagen, dies und das darf ein Kind, sondern es ginge darum, aufzuzeigen, dass es herauszufinden gilt, wo wieviele Freiräume geschafft werden können oder müssen.

    Oder: Wir wurden damals andauernd geknuddelt und das mochte für uns so stimmen. Den eigenen Kindern ist das aber vielleicht zu viel – oder umgekehrt. Auch hier geht es nicht darum zu sagen, wie viel es sein soll, sondern dass es darum geht, SELBER herauszufinden, wo das richtige Mass liegt, um weder zu vernachlässigen noch zu erdrücken.

    Und nicht zu vergessen: Wir kennen aus der eigenen Kindheit nur das, was wir auch selber erlebten. Was es bei Dir oder mir zu Hause nie gab (aus was für Gründen auch immer), kennen wir nicht und können wir auch nicht weitergeben.

  20. @Gerry: Ich habe die Besprechungen zu „Cool down» gelesen und gedacht: ENDLICH! ENDLICH, ENDLICH, ENDLICH ein vernünftiger Ratgeber. Ich glaube, den hätte ich gekauft (bei mir ist’s zu spät … meine Kinder werden erwachsen).

    @titus: Ja, genau, darum soll es gehen, um eine Auseinandersetzung mit der Erziehung. Ich finde, treffender als du hätte man das nicht beschreiben können.

    Und: Die Idee mit den 6000 Franken ist GENIAL!!! Du solltest tatsächlich Politiker werden 🙂

    Alice

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