Einige Redewendungen sind ganz amüsant und treffen auch zu. Andere wiederum schaukeln etwas Falsches vor.
Bestimmt kennen auch Sie die Redewendung des berühmten «Tropfens auf den heissen Stein.» Im Klartext meint sie, dass sich etwas nicht lohne, weil es verdampfen würde wie ein Tropfen, der auf einen heissen Stein fällt – also lässt man es besser sein.
Aber stimmt das tatsächlich? Bewirkt ein Tropfen auf dem heissen Stein wirklich nichts?
Etwas Physik
Betrachtet man diese Redewendung wortwörtlich, dann fällt der Tropfen nicht ohne Wirkung auf den heissen Stein. Es geschieht nämlich etwas: Der Tropfen wird in Dampf umgewandelt.
Und weil Dampf flüchtig ist, nimmt man ihn von blossem Auge nicht oder nur für kurze Zeit wahr. Würde man hingegen die relative Luftfeuchtigkeit messen, so könnte man dessen Präsenz nachweisen – je nach Raumgrösse und Sensibilität der Messgeräte. Der fragliche Tropfen verschwindet also nicht.
Es geschieht aber noch etwas anderes: Damit sich ein Tropfen in Dampf verwandeln kann, ist Energie notwendig. Damit wären wir beim heissen Stein, von welchem er, der Tropfen, schliesslich diese Energie bekommt.
Soweit, so gut. Bei diesem Umwandlungsprozess entzieht aber der Tropfen dem heissen Stein auch Energie. Mit ebenfalls entsprechend sensiblen Messgeräten könnte man wenigstens eine klitzekleine Abkühlung des Steins nachweisen. Wie viel der Tropfen dem Stein an Wärme beziehungsweise Energie entzieht, ist eine Frage der Grösse und der Wärme von Stein und Tropfen.
Gemäss Redewendung reicht dieser eine Tropfen allerdings nicht aus, um dem Stein so viel Energie zu entziehen, dass dieser gleich warm oder gleich kalt wird wie die umliegende Lufttemperatur. Aber er entzieht ihm Energie, das ist gewiss.
Warum nun diese Physikstunde an dieser Stelle?
Alltägliche Reaktionen
Bekanntlich verwenden wir diese Redewendung weniger in der Physik, dafür umso mehr im Alltag. Dabei ist die Reaktion des Tropfens auf dem heissen Stein im Alltag – so die hier vertretene These – die gleiche wie in der Physik.
Konkret: Wenn wir manchmal den Eindruck haben, eine Handlung würde nur einem Tropfen auf einem heissen Stein entsprechen, ergo lohne sich diese Handlung nicht, dann stimmt das einfach nicht.
Zwar mag die Reaktion auf eine Handlung als «verdampft» und visuell in Luft aufgelöst erscheinen. Aber sie entzieht dem Zielobjekt unserer Handlung, dem «heissen Stein», eben doch auch Energie.
Wie in der Natur vermag ein Tropfen einen heissen Stein nicht abzukühlen. Fällt hingegen ein Gewitter mit einer ganzen Reihe von Tropfen, ist das der Fall.
Im Alltag wissen wir aber oftmals nichts von den anderen «Tropfen». Klar ist hingegen, dass es mehrere braucht um das Ziel zu erreichen. Darum wäre es fatal, in Unkenntnis der Existenz der anderen Tropfen selber nicht einen Tropfen auf einen heissen Stein fallen zu lassen.
Ungewiss ist auch die Hitze des Steins und dessen wahre Grösse. Sie symbolisieren die Standhaftigkeit einer gewissen Sache. Für einen lauwarmen Kieselstein braucht es für eine Abkühlung weniger Tropfen als für einen heissen Stein in der Grösse eines Golfballs.
Weil auch unklar ist, wie gross und warm der fragliche Stein ist, also mit wie viel Widerstand zu rechnen ist um das Ziel zu erreichen, wäre es auch hierzu fatal, aufs Fallenlassen eines Tropfens zu verzichten.
Nie wirkungslos
Jede Massenbewegung, egal ob es sich um eine protestierende oder um eine friedvolle handelt, die ein bestimmtes Ziel verfolgt (die Abkühlung des Steins), hat mit einem einzigen Tropfen begonnen. Je grösser diese Bewegung ist und je kleiner der Widerstand (Wärme) sein wird, desto eher ist ihr Erfolg beschieden.
Noch ein Punkt: Der heisse Stein muss auch mit einem gewissen Mass an Ungewissheit leben. Er weiss nämlich nicht, wie viele Tropfen fallen und wie kalt diese sein werden. Je kälter sie sind, desto grösser der Wirkungsgrad bezüglich Abkühlung.
Darum: Vergessen Sie das Glaubensmuster «ich kann ja eh nichts bewirken.» Es gibt zu viele Unbekannte auf beiden Seiten um realistisch einschätzen zu können, ob eine Handlung wirklich nichts bewirkt. Manchmal bewirken wir mehr, als man uns wissen lässt.
Lassen Sie deshalb (weiterhin) den ersten Tropfen fallen. Oder lassen Sie einen von vielen Tropfen fallen, vielleicht ist es nicht der einzige. Sie bewirken immer etwas, selbst dann, wenn der Tropfen nur verdampft, aber nicht verschwindet, sondern sich nur umwandelt.
Und sollte der Stein erkaltet sein und sich trotzdem nichts bewegen, dann wissen Sie ja: Steter Tropfen höhlt den Stein.. 😉
Eine Antwort auf „Nur ein Tropfen“