Missbräuche wegen Datenschutz-Regeln?

Eine Meldung des Bundesrats zum Thema Missbräuche bei den Sozialversicherungen wegen zu strikten Datenschutzregelungen wurde medial kaum beachtet. Viele dürften darum noch ein falsches Bild von der Sachlage haben.

Es geschah am 23. Dezember 2010, also unmittelbar bevor für viele die Weihnachts- und Neujahrsferien begannen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement informierte in einer Medienmitteilung über den Datenaustausch zwischen den Behörden.

Mediale Eindrücke

Zur Erinnerung: Verschiedentlich konnte in der Vergangenheit die Klage vernommen werden, dass ein zu strikter Datenschutz die Bekämpfung von Missbräuchen bei den Sozialversicherungen behindern würde. Man erhielt den Eindruck, dass die linke Behördenhand nicht wisse, was die rechte tue.

Als Folge davon reichte im Oktober 2007 der Luzerner CVP-Nationalrat Ruedi Lustenberger ein Postulat ein. Seine Forderung:

Der Datenschutz soll insbesondere in Bereichen gelockert werden, in denen die Gefahr des Missbrauchs beim Bezug von staatlichen Leistungen am grössten ist:
– Sozialhilfe,
– Einbürgerungen,
– Steuerwesen,
– Sozialversicherungen.

Er begründet seinen Vorstoss unter anderem mit dem, was wir über die Medien auch häufig zu hören bekamen:

Es wird festgestellt, dass sich die Fälle häufen, wo sich staatliche Stellen durch den Datenschutz gegenseitig behindern.

Das fragliche Postulat wurde angenommen, woraufhin das Bundesamt für Justiz ein privates Unternehmen mit einer Studie über die aktuelle Situation beauftragte. Untersucht wurde der Datenaustausch in drei Sozialversicherungen (IV, EL, ALV), in der Sozialhilfe, im Einbürgerungswesen sowie im Steuerrecht.

Gefragt wurde nach Hindernissen praktischer und rechtlicher Natur und danach, ob Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten bestehen, um den Datenaustausch zu erleichtern.

Das private Unternehmen stützte sich in seiner Studie auf die Analyse amtlicher Dokumente, auf Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern in den vier gewählten Tätigkeitsbereichen von Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden aus Basel-Stadt, Neuenburg und St. Gallen sowie auf die Auswertung schriftlicher Fragebögen.

Datenschutz kein Hindernis

Nun liegt das Ergebnis amtlich bestätigt vor: Auf 52 Seiten erläutert der Bundesrat in seinem Bericht, dass der Austausch zwischen den Behörden gut bis sehr gut funktioniere. Wer sich in diesen Bericht einliest, dem wird sogar schon fast schwindlig darüber, von wo nach wo überall Informationen eingeholt oder bereitgestellt werden.

Eindrücklich ist dabei auch, das alle betroffenen Behörden sich auf Informationen aus über 20 (!) verschiedenen Quellen abstützen, wobei vor allem das Einholen von Informationen bei Privaten (zum Beispiel Arbeitgebern) sich als schwierig gestalte.

Weiter ist zu jedem der untersuchten Bereiche sinngemäss das Gleiche zu lesen:

Bei der Identifizierung und bei der Überprüfung eines Missbrauchverdachts kommt dem Datenaustausch keine grosse Bedeutung zu. Für die Überprüfung des Verdachts spielen die Daten anderer Behörden eine untergeordnete Rolle.
Entscheidend für die Aufdeckung von Verdachtsfällen sind ein systematisches Vorgehen mit Checkliste und regelmässigen Revisionen.
(oder)
Entscheidend ist, dass die Mitarbeitenden Widersprüche im Dossier erkennen.

Tatsächlichen Handlungsbedarf gäbe es allerdings beim Personal. So scheint dieses relativ häufig darüber verunsichert zu sein, wann es welche Informationen einer anderen Behörde weitergeben und auf welche Weise es Informationen anfragen darf.

Zudem finde der Informationstausch vor allem zwischen den Gemeinde- und Kantonsbehörden statt, wofür der Bund nicht zuständig sei. Unbefriedigende Situationen müssten somit auf diesen Ebenen geklärt werden, so wie das im Kanton Bern auch nächste Woche im Rahmen der Revision des Sozialhilfegesetztes geschieht (ähnliche Vorhaben sind gemäss Bericht auch in den Kantonen Zürich und St. Gallen am Laufen).

Bundesrat geht weiter

Trotz dieses klaren Befunds lässt der Bundesrat nicht locker und geht einen Schritt weiter als es das Postulat fordert. Er hat nämlich festgestellt, dass sich ablauftechnisch einiges vereinfachen liesse.

Der Datenaustausch erfolge langsam und harzig, heisst es denn auch mehrfach im Bericht. Über die Ursache besagt Letzterer nichts. Doch da die vier untersuchten Bereiche von kommunalen, kantonalen oder eidgenössischen Stellen betrieben werden, kann man sich ausdenken, dass hier der Föderalismus einer schnelleren Auskunftserteilung im Wege steht.

Darum soll nun weiter geprüft werden, ob nicht «eine Datenbank auf Bundesebene mit einem fakultativen Online-Zugriff für die Behörden der kantonalen Sozialhilfe aufgebaut werden soll und welche finanziellen Auswirkungen sich daraus für den Bund und die Kantone ergeben».

Zudem wird geprüft, ob man verschiedenen Behörden nicht ebenfalls Zugang zu gewissen Datenbanken geben kann, darf und soll. Schliesslich wird ebenfalls geprüft, ob gewisse Behörden von anderen Behörden nicht aktiv über gewisse Vorgänge informiert werden sollen (so genannte Spontanhinweise aufgrund von Verdachtsmomenten).

Das in diesem Kontext behandelte Thema Datenaustausch ist grundsätzlich vor allem aus zwei Gründen heikel: Der Datenschutz einerseits und die Bekämpfung von Missbräuchen bei den Sozialversicherungen andererseits. Beide sind häufig mit viel Emotionen verbunden, nicht zuletzt auch weil diese Themen in der Vergangenheit häufig auch durch die Medien aufgebauscht wurden.

Verschlafene Berichterstattung

Gerade deshalb ist es unverständlich, dass die eingangs erwähnte Medienmitteilung von vielen Medien praktisch unbeachtet blieb. Ausgerechnet der «Blick» aus dem baldigen Unterhaltungskonzern Ringier wies darauf hin und publizierte mehr oder weniger das, was in der Medienmitteilung steht.

Weder bei den Newsnetz-Medien (Tages-Anzeiger, Berner Zeitung, Bund usw.) noch in der NZZ ist darüber auch nur ein einziges Wort zu finden. Erst am 6. Januar berichtete Schweizer Radio DRS (SR DRS) darüber, dies jedoch in einer völlig verzerrten Version.

So ist darin bei weitem nichts mehr über «den Datenaustausch zwischen den Behörden funktioniere grundsätzlich gut» zu vernehmen oder dass der Datenschutz per se kein Problem darstelle. Eher das Gegenteil ist der Fall:

Währenddem im Bericht mehrfach betont wird, dass man an der Selbstdeklaration der Gesuchssteller und damit am Vertrauensprinzip festhalten wolle, übertitelte SR DRS online einen Abschnitt mit «Selbstdeklaration mit Nachteilen». Davon ist im Bericht des Bundesrats nichts zu lesen, was so auch Dieter Biedermann vom Bundesamt für Justiz nicht am Radio aussagte.

Ohnehin liegt das Schwergewicht dieses Artikels auf der «Zentraldatenbank für Sozialversicherungen» und auf «Datenschutzfragen» und weniger auf der eigentlichen Feststellung, dass die bestehenden Datenschutzregelungen nicht als Behinderung bei der Bekämpfung von Missbräuchen im Bereich der Sozialversicherungen (unter anderem) empfunden wird.

Das Schweizer Fernsehen hat das Ganze genau gleich verschlafen. Ebenfalls wie SR DRS berichtete (kopierte) SF Tagesschau (nur) online über die «Entdeckung» von SR DRS, ohne jedoch Bezug auf die ursprüngliche Meldung des Bundesrats zu nehmen.

Gefährliche Agentur-Abhängigkeit?

An der Dreikönigstagung, an welcher sich die Crème de la Crème der Medienbranche alljährlich trifft, liess angeblich Norbert Neininger, Verleger und Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten» verlauten, dass Blogs, Facebook und Twitter nie Nachrichtenagenturen ersetzen könnten.

Das war und ist auch nicht die Absicht derartiger Plattformen. Aber offensichtlich scheinen die etablierten Medien ziemlich aufgeschmissen zu sein wenn einmal eine Medienmitteilung kurz vor Weihnachten von niemandem geringerem als dem Bundesrat nicht über den Äther der Schweizerische Depeschenagentur (sda) läuft. Und die, die im Nachhinein darüber berichteten, haben dies auch nur sehr oberflächlich getan und ohne zum Kern der ursprünglichen Botschaft zu gelangen.

Wie viel derartiger Meldungen wohl sonst noch an uns vorbei gehen? – fragt man sich in einem Blog, denn in den etablierten Medien ist diese Frage ohnehin tabu…

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