Die Präsidenten der grössten politischen Parteien in der Schweiz betonen immer wieder, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht dumm seien. Für ganz mündig halten sie sie dann aber doch auch wieder nicht.
Es gehört wohl zu den wichtigsten Aufgaben eines Parteipräsidenten, sich über eine Sache zu äussern, sobald er dazu von einem Medienvertreter gefragt wird. Diese Gelegenheit gilt es immer zu nutzen, denn selten ist Publizität so billig zu haben wie eben dann, wenn man ungewollt gefragt wird.
Das geschieht manchmal vor einer Abstimmung und damit mitten im Abstimmungskampf. Vielfach werden sie jedoch auch nach einer Abstimmung über ihre Interpretation der Ergebnisse zu einer Abstimmung befragt.
Unausgesprochene Botschaften
In beiden Fällen haben sich die Parteipräsidenten inzwischen angewöhnt, von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zu sprechen. Sie tun das nicht auf irgendeine Weise, sondern versuchen dabei möglichst zu schmeicheln.
Das klingt vor einer Abstimmung dann etwa so: «Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind nicht so dumm um auf diese Initiative der Linken / Bürgerlichen / SVP / usw. hereinzufallen.»
Nach der Abstimmung vernimmt man sinngemäss ähnliches: «Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger waren intelligent genug um die Initiative der Linken / Bürgerlichen / SVP / usw. abzulehnen/anzunehmen.»
Derartige Töne konnte man auch vor und nach der Abstimmung (in der so genannten «Elefanten-Runde») vom vergangenen Wochenende wieder hören. Sie klingen auf den ersten Moment normal, vielleicht auch weil wir uns inzwischen an sie gewöhnt haben.
Erst wenn man sie sich ein zweites Mal durch den Kopf gehen lässt, merkt man, dass dahinter noch eine andere Botschaft steckt, vergleichbar mit dem Slogan der SVP für die kommenden Wahlen im Herbst: «Schweizer wählen SVP».
Die andere Botschaft liegt hier darin, dass wer nicht SVP wählt, folglich nur ein Un-Schweizer oder ein Nicht-Schweizer oder – passend bei der SVP – nur ein halber Schweizer sein kann. Oder am besten gleich ein Ausländer und dazu noch ein krimineller, denn die SVP nicht zu wählen ist ein krimineller Akt – könnte man manchmal fast meinen…
Auch die Aussagen der Parteipräsidenten beinhalten manchmal noch eine andere Botschaft: «Nicht so dumm zu sein» um für oder gegen eine Sache zu stimmen sagt auch aus, dass die, die anders stimmen wollen, dumm sind. Und wer möchte schon gerne für dumm gehalten werden?
Aussagen nach der Abstimmung im Sinne von «waren intelligent genug» besagen wiederum, dass es offensichtlich einige Menschen unter uns gibt, die nicht intelligent genug waren um fürs «Richtige» gestimmt zu haben.
Für dumm verkaufen
Wenn etwas dumm ist, dann ist es die Verwendung dieses Dumm-/Intelligent-Schemas als subtil angewendetes Argument im Abstimmungskampf («wenn Du nicht dumm sein willst, dann stimmst Du für x oder y»).
Und wenn etwas wirklich dumm ist, dann ist es die Tatsache, dass überhaupt Worte wie «dumm», «blöd», «intelligent», «weise» usw. für die Betitelung des Votums der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger genannt werden. Dadurch wird nämlich unterschwellig die Mündigkeit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in Frage gestellt.
Das kann man zwar tun. Nur betonen immer alle Parteipräsidenten eben genau das Gegenteil, also dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mündig wären. Wenn die Parteipräsidenten allerdings wirklich glaubten, was sie sagen, müssten sie gar nicht erst solche Begriffe ins Spiel bringen.
Sie tun es trotzdem, weil sie selber nicht an die eigenen Worte glauben. Verübeln kann man ihnen das nicht, denn wir wissen schliesslich alle, dass nicht alle Menschen mit dem gleichen Mass an Intelligenz ausgestattet wurden. Dafür kann auch niemand etwas.
Problematisch wird es dann, wenn die Parteienvertreter sich diesen unterschiedlichen Grad an Intelligenz zu nutze machen wollen und Argumente auftischen, die einer kritischen Prüfung nicht standhalten, mit denen sie aber dennoch versuchen, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zu überzeugen.
Lautes Brüllen, ständiges Wiederholen der immer gleichen Parolen, Anschuldigungen gegenüber anderen, Anfeindungen gegenüber solchen, die keine Lobby haben, sich gegebenenfalls als Opfer oder Dauer-Unterlegene darstellen und dergleichen könnten in eine solchen Situation helfen, schwache Argumente wett zu machen.
Aber so etwas kommt in der heilen Schweiz nicht vor, in welcher selbst die schweizerischste aller schweizerischsten Parteien niemanden ausgrenzt und stattdessen respektvoll mit Andersdenkenden und Anderswählenden umgeht.
Hier sind ja glücklicherweise alle Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gleich mündig…
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- Alice Gabathuler (14.02.2011) :
«schweiz, schweizer, am schweizerischsten»
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Ich mag diese Reden auch fast gar nicht mehr hören. Bei rechtskonservativen Wählern mag ich zum Beispiel das Schweiz-Bild nicht, das sie verbeiten, mit dem sie sich identifizieren, für mich aber eher Leere bedeutet. Manchmal, nach einer Abstimmung, bin ich dann auch wütend über diese Leute. Hab einfach genug vom nationalistischen Mief, den die verbreiten. Da zieht man sich dann gerne in die privaten Kreise in einer Stadt zurück.
@ Ursula Schüpbach
…oder man unternimmt etwas dagegen…
… oder hört den einfach nicht mehr hin, wenn Parteipräsidenten worthülsen.
@ Muger
Und worüber soll ich dann schreiben? 😉
Eine Checkliste zur Sprechblasenproduktio von Abstimmungsverlierer gibt es bei Lupe
http://swiss-lupe.blogspot.com/2007/03/checkliste-abstimmungsniederlage.html
die für Gewinner ist da:
http://swiss-lupe.blogspot.com/2007/03/checkliste-abstimmungssieg.html
@ Kikri
Ich kannte diese beiden Beiträge zwar bereits schon, hatte sie aber wieder vergessen. Vielen Dank fürs Erinnern.
P.S. Deine Blog-URL hinter Deinem Namen ist falsch. Soll ich Dir helfen, Dich wieder daran zu erinnern? 😉