Verhindert die Pressefreiheit selbständiges Denken?

Durch Zensur soll der Umsturz von Regierungen verhindert werden. Aber steckt nicht auch im Gegenteil, der Pressefreiheit, etwas Gefährliches?

So genannte «Unrechtsregime» untersagen die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit. Sie wollen damit erreichen, dass das begangene Unrecht nicht weiter verbreitet wird. Dies könnte ansonsten die Bevölkerung noch zur Revolte motivieren.

Viel Unausgesprochenes (?)

Trotz Einschränkung der Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit in Tunesien und Ägypten waren die Meinungen über die eigene Regierung gemacht und weit verbreitet – und führten schliesslich zum Sturz der jeweiligen Regierungschefs. Auch in deren benachbarten Ländern macht sich Widerstand breit, obwohl auch dort diese Freiheiten nicht gelten.

Auf der anderen Seite haben wir Italien. Dieses kennt offiziell auch die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit. Dessen Regierungschef leistet sich einiges, was im restlichen Europa nur Kopfschütteln auslöst. Und dennoch hält er sich trotz unzähliger Misstrauensvoten an der Macht und wird nicht (auf dem politischen Weg) gestürzt.

Italien mag man als Sonder- oder Spezialfall oder als Extrembeispiel abtun, dies nicht zuletzt wegen des grossen Einflusses von Berlusconi auf die (eigenen und die staatlichen) Medien.

Aber tun wir nicht so, als ob es nicht auch in anderen europäischen Ländern, einschliesslich der Schweiz, Absprachen und Abkommen zwischen Regierenden und «den Medien» gäbe um die Verbreitung einer Information zu verhindern – oder um wenigstens zu versuchen sie zu verhindern.

Der ehemalige Vizekanzler und Bundesratssprecher Achille Casanova sagte kürzlich in einem Interview:

Als ich Anfang der 60er-Jahre in Bern als Journalist zu arbeiten begann, erzählten die Bundesräte den Journalisten sehr viel, auch interne Dinge, aber man verwendete sie nicht direkt, man respektierte die Vertraulichkeit. Früher schrieben die Journalisten viel weniger, als sie wussten.

Man kann das «respektieren der Vertraulichkeit» nennen. In einigen Fällen ging es wohl aber auch um mehr, nämlich dem gezielten Verschweigen von Informationen aus patriotischen oder anderen Gründen. Wie es heute so läuft, schilderte letzte Woche eindrücklich Nick Lüthi in der Medienwoche in Zusammenhang mit der Ernennung von Matthias Ramsauer zum neuen Staatssekretär von Bundesrätin Simonetta Sommaruga.

Falsche Sicherheit

Da haben wir nun einerseits die Bevölkerung verschiedener Staaten einschliesslich deren Medienschaffenden, denen es so gut wie untersagt ist, eine eigene Meinung zu haben und falls doch, sie auf keinen Fall zu äussern und zu verbreiten.

Und auf der anderen Seite haben wir die Bevölkerung zahlreicher europäischer Staaten, welche alle die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit kennen und denen durch Mitwirkung von Medienschaffenden trotzdem gewisse Informationen vorenthalten bleiben (was uns natürlich nicht gesagt wird).

Deshalb fragt man sich in der Augenreiberei:

  • Führt in Ländern ohne Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit die Ungewissheit darüber, ob einem alles gesagt wird, nicht dazu, dass die Menschen vermehrt selbständig nachdenken und sich so selber einen Reim auf die (offensichtlichen) Ungereimtheiten machen?
  • Und führt die Gewissheit darüber, dass wir in unseren Breitengraden die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit kennen, nicht dazu, dass wir allzu leicht glauben, uns würde immer alles gesagt?
  • Ist letzten Endes die Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit nicht auch eine Gefahr für eine aufgeklärte Gesellschaft, weil wir uns in einer falschen Sicherheit wähnen und glauben, «irgendjemand» würde uns dann schon «die Wahrheit» erzählen?

Wer oder was garantiert uns, dass es diesen «Irgendjemand» gibt und er oder sie uns immer alles erzählen werden?

7 Antworten auf „Verhindert die Pressefreiheit selbständiges Denken?“

  1. Nun, die Meinungsäusserungsfreiheit sagt nur, das alles gesagt werden darf. Sie sagt aber nicht, war gesagt werden muss. Letzteres muss wiederum mit Gesetzen geregelt werden. Aktuelles Beispiel ist die Parteienfinanzierung. Aber, darüber können wir ja diskutieren.

  2. @ Tinu
    Dem kann ich auch zustimmen.

    Aber führt der Glaube, dass alles gesagt werden darf, nicht dazu, dass nicht mehr alles gesagt wird, weil jeder glaubt, dass alles gesagt werde oder gesagt worden sei (den Satz muss ich mir glaube ich einrahmen… 🙂 )?

    Und, um noch einen Schritt weiter zu gehen: Führt dieser Glaube nicht auch dazu, dass wir selber gar nicht mehr über den Wahrheitsgehalt dessen nachdenken, was man uns sagt oder was man uns nicht sagt, was wir aber nur nach einigem Nachdenken feststellen würden (wenn wir es denn täten)?

  3. Sobald du dir deine Satz gebührend eingerahmt hast … möchte ich deinen leichten Anflug von Paranoia damit nähren, indem ich die Kürze meines ersten Statements damit erkläre, dass ich schon etwas müde war. In Wirklichkeit war ich in der Formulierung beinahe soweit, ein Geheimnis zu verraten 😉
    Aber – halbwegs ernsthaft – geht dein Artikel nicht ein bisschen in die Richtung, dass man keiner Aussage trauen darf. Irgendetwas unausgesprochenes ist immer. Wenn du es noch nicht gelesen hast, kann ich dir dazu das „Foucaultsche Pendel“ von Umberto Eco empfehlen. Dort geht es darum, nichts so zu lassen, wie es ist, sondern immer ein Geheimnis dahinter zu vermuten.

  4. @ Tinu
    Im Wesentlichen spreche ich unsere Leichtgläubigkeit an. Pauschal ausgedrückt, gilt für viele grundsätzlich:
    Wir glauben, was man uns berichtet.
    Wir glauben, dass das Berichtete vollständig ist.
    Wir glauben, dass immer über alles berichtet wird, was vorfällt.
    Und in allen drei Fällen: Wir haben keinen Grund, das (Nicht-)Berichtete zu hinterfragen.

    Ich habe oben die Meinung vertreten, dass dies viele deshalb glauben, weil wir Meinungsäusserungs- und Pressefreiheit haben, so ganz nach dem Motto: Man kann und darf ja bei uns alles sagen, ergo ist alles wahr, vollständig und wird ausgesprochen.

    Natürlich werden hier zwei Dinge vermischt. Aber wer macht diese Vermischung nicht?

  5. Guter Punkt! Ich beobachte bei mir selbst immer wieder wie ich häufig „denkfaul“ bin und davon ausgehe, dass schon mehr oder weniger die Wahrheit gesagt werde. Dabei gäbe es doch fast täglich zig Gegenbeispiele… Deshalb klingt deine These in meinen Ohren ziemlich vernünftig und zeigt mir, dass ich mich ein wenig an der Nase nehmen und kritischer werden sollte

  6. Die Presse verhindert gar nichts, hingegen wird man falsch oder zumindest nur teilinformiert bis aktiv angelogen, wer im Fokus ist, der wird bis von Rufmord bis zu Rufmord zur Schnecke gemacht, ohne dass die Presse zur Rechenschaft gezogen wird.
    In Sachen Politik wird nichts hinterfragt, sonst hätten wir die Unternehmenssteuerreform nicht, die sogannten Fachleute sind in den Medien gar nicht vorhanden.
    Ansonst wird schlecht bis gar nicht recherchiert, sondern abgeschrieben, was gerade mainstream ist. Und jene Presse, die sich permanent gegen den mainstream stell, mach das gleiche, nur eben umgekehrt.

    Man höre dazu das Referat von Ueli Maurer am Verlegerkongress!

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