Weniger Bürokratie, dafür mehr Nachhaltigkeit?

Die Wirtschaftsverbände haben sich gestern der Position der Umweltverbände angenähert. Die Befürchtungen um höhere Stromkosten sind hingegen unberechtigt, würde der Blick auch auf andere Kosten wie zum Beispiel die Regulierungskosten gerichtet werden.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der radioaktive Staub um Fukushima gelegt hatte und die AKW-Befürworter hierzulande es wieder wagen konnten, Partei für diese Form der Energiegewinnung zu melden.

Gestern traten die leitenden Figuren des Schweizerischen Gewerbeverbands sgv, der economiesuisse, des Swissmem, der SGCI Chemie Pharma Schweiz und der IG Energieintensive Branchen vor die Medien. Dabei gaben sie ein zwiespältiges Bild ab.

Gesinnungswandel

Denn: Diesen Wirtschaftsverbänden ist zwar die Versorgungssicherheit und günstiger Strom wichtig, was in der Vergangenheit für viele nur durch AKWs gewährleistet schien. Doch ein klares «Pro-AKW» wagte gestern niemand (mehr) zu äussern.

Die «Option Kernenergie» soll zwar nicht aufgeben werden. Doch immerhin sprach man bei der Kernenergie nur von einer Option und nicht von einer Forderung. Gefordert wurde lediglich eine Gesamtenergiestrategie:

«Solange keine überzeugende Gesamtenergiestrategie vorliegt, darf die Option Kernenergie nicht aufgegeben werden»

Zugleich waren auch Töne zu hören wie etwa:

«Eine vorzeitige Ausserbetriebnahme der bestehenden AKW aus politischen Gründen lehnt die Wirtschaft ab.»

Oder:

«Die Wirtschaft unterstützt die Sistierung der anstehenden Gesuche um Ersatzkernkraftkapazitäten. Eine Neubeurteilung muss rechtzeitig vorgenommen werden.»

Zusammen mit der Forderung um Versorgungssicherheit und günstigem Strom sowie der eher befürwortenden Haltung alternativer Energien kann der gestrige Auftritt in etwa so resümiert werden:

Uns ist egal, woher der Strom kommt, Hauptsache er fliesst ausreichend und bleibt weiterhin günstig, was mit einem sofortigen Atomstrom-Ausstieg nicht möglich ist.

Das ist gegenüber früheren Zeiten doch ein Fortschritt:

  • Von einem starren Festhalten an Atomstrom ist nicht (mehr) die Rede.
  • Ein Atomstrom-Ausstieg wird nicht kategorisch abgelehnt, er sollte aber in keinem Fall übereilt erfolgen.
  • Gegenüber den erneuerbaren Energien zeigt man sich offen.

Natürlich hätte das auch noch besser zugunsten eines AKW-Ausstiegs klingen können. Man hätte ja auch gänzlich der Atomenergie abschwören und voll auf erneuerbare Energien setzen können, womit man sich allerdings gegen die Strategie einiger wichtiger Verbandsmitglieder gestellt hätte…

Doch schon die gestern vertretene Position zeigt ein Umdenken selbst in den etablierten Wirtschaftskreisen. Und sie zeigt Unsicherheit und dies gleich im doppelten Sinne:

Einerseits ist man sich der Zustimmung der Bevölkerung für neue AKWs nicht mehr sicher, ergo distanziert man sicher eher von der Frage, woher denn genau der Strom der Zukunft kommen soll.

Andererseits spürt man, dass auch die Wirtschaftsverbände sich bis anhin nur wenig mit alternativen Energien beschäftigt haben. Es gäbe schon lange Alternativen, nur trug man bisher Scheuklappen, welche lediglich den Blick auf die Kühltürme von AKWs freigaben.

Stirnrunzeln löst auch die Forderung nach einer «überzeugende Gesamtenergiestrategie» aus. Warum wird erst heute, nach Fukushima, eine solche Strategie gefordert? Was ist mit bisherigen Papieren und politischen Entscheiden von Bund, Kantonen und Gemeinden?

Nie mehr so günstigen AKW-Strom

Eine der grössten Herausforderung und eine der grössten Sorgen der Wirtschaftsverbände bei einem möglichen, vollständigen Wechsel zu alternativen Energien ist die Frage nach dem Strompreis.

So meinte gestern etwa Gerold Bührer, Präsident von economiesuisse:

«Steigen die Strompreise lediglich um 30 Prozent (etwa drei Rappen pro Kilowattstunde), bewirkt dies allein für die Industrie Mehrkosten von über einer halben Milliarde Franken pro Jahr. Arbeitsplatzabbau und Verlagerungen energieintensiver Betriebe wären die weiteren Folgen. Für die gesamte Wirtschaft würden die Kosten schätzungsweise um gegen eine Milliarde Franken steigen.»

Alternative Energien werden häufig als teuer verschrieen, währenddem AKWs günstigen Strom produzieren würden. Dahinter verbirgt sich vor allem ein Fehler: Man stützt sich auf die Vergangenheit ab.

Durch die Massenproduktion von Elementen für die Gewinnung erneuerbarer Energien sank und sinkt auch weiterhin deren Preis. Zugleich sind vor allem die Sicherheitsanforderungen an neue AKWs gestiegen – nach Fukushima sowieso – was deren Gestehungspreis verteuert.

Oder vereinfacht ausgedrückt: Strom würde selbst mit neuen AKWs teurer werden, währenddem die erneuerbaren Energien nur noch günstiger und ertragreicher werden können.

Zudem fehlt bei AKWs die nötige Kostenwahrheit. Das zeigt sich deutlich beim japanischen AKW-Betreiber Tepco, welcher kürzlich eine kräftige Finanzspritze vom Staat erhielt um die Katastrophenopfer entschädigen zu können und um deswegen nicht Konkurs zu gehen. Unbekannt bleiben schliesslich auch die tatsächlichen Kosten für die Endlagerung der radioaktiven Abfälle, welche heute nur vermutet werden und höher ausfallen können, als bisher angenommen.

Darum wird «die Wirtschaft» in jedem Fall mit höheren Strompreisen rechnen müssen, sollte sie weiterhin auf AKWs setzen wollen. Damit rechnen auch die Umweltverbände, wenngleich sie «nur» von 20 bis 25 Prozent sprechen, was dank mehr Energieeffizienz aber nicht aufs Portemonnaie jedes Einzelnen schlägt.

Relative Mehrkosten

Doch gehen wir einmal von der angesprochenen Strompreis-Steigerung von 30 Prozent aus. Eine halbe oder eine Milliarde Mehrkosten klingt auf den ersten Moment durchaus beeindruckend. Ist es das auch?

Der Schweizerische Gewerbeverband (sgv), welcher gestern auch vor die Medien trat, rechnete vor einem Jahr in einem Grundlagenpapier vor, dass allein in den Bereichen Arbeitsrecht, Sozialversicherungen und Lebensmittelhygiene jährlich 4 Milliarden Franken Regulierungskosten anfallen würden. Hochgerechnet auf die gesamte Wirtschaft rechnet er mit «Bürokratiekosten» von jährlich insgesamt 50 Milliarden Franken oder 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Darum fordert er eine Reduktion der Regulierungskosten um netto 20 Prozent beziehungsweise um 10 Milliarden bis ins Jahr 2018 – und unterstützt wohl auch deshalb die Volksinitiative «Bürokratie-Stopp» der FDP.Die Liberalen.

Wenn Verfahren und Kontrollen, die Erhebung oder die Verarbeitung von Daten, das Ausfüllen von Formularen, das Sich-Informieren über oder die Umsetzung von neue Regulierungen jährlich 50 Milliarden Franken an Kosten verursachen, dann erscheint eine halbe oder eine ganze Milliarde Franken nicht mehr als so viel.

Vor allem aber bietet dieser Regulierungsbereich eine gute Kompensationsmöglichkeit gegen teureren Strom: Mit etwas weniger Bürokratie könnten die erwarteten Mehrkosten für einen Wechsel zu erneuerbaren Energien leicht abgefedert werden.

Das lässt sich auch kombinieren: Die Umweltverbände wünschen sich eine Lenkungsabgabe, welche zu weniger Energieverbrauch führen soll. Das bietet eine gute Gelegenheit, heutige «bürokratische» Abgaben durch ein einfacheres System zu ersetzen. So wäre dem Anliegen um weniger Bürokratie genauso Rechnung getragen wie der Sorge der Wirtschaft bezüglich höheren Kosten.

Wenn doch Politik nur nicht immer so kompliziert wäre…

5 Antworten auf „Weniger Bürokratie, dafür mehr Nachhaltigkeit?“

  1. Ich habe hingeguckt und wieder weggeguckt. Es ist wie bei den Banken. Regulieren? Nur, wenn es nicht weh tut. Also, lieber nicht. Da war mir gestern sogar zum ersten Mal die Wetterfee auf dem Dach symphatisch, weil sie wenigstens sagte, was ich denke: blablablablabla…

  2. Was sind die Mehrkosten und Katastrophenkosten, wenn ein AKW hops geht? der Staat natürlich, immerhin konnte sich die AKW-betreiber die Versicherungskosten sparen, und dadurch den Strom verbilligen, und so konkurrenzfähig bleiben gegenüber den altenativen Energien, die Vollkosten ausweisen müssen.
    Und wer ersetzt die Energie, die dann nicht mehr vorhanden ist?
    Und wo wohnen die Evakuierten bei einem Gau? Wer entschädigt die Wirtschaft, die teilweise zusammenbricht?

  3. @ Alice
    Yep, die Wirtschaftsverbände sind vor allem auf ihre eigenen Vorteile aus. Ein soziales Gewissen (oder etwas in der Art) brauchen sie nicht. Darum verschlucke ich mich auch immer wieder, wenn ich von deren Repräsentanten das Argument „gefährdet Arbeitsplätze“ höre…

    @ Raffnix
    Schon allein der Sarkophag in Tschernobyl zeigt, dass dafür die landeseigenen Mittel nicht unbedingt aufgebracht werden können. Die Folgekosten für einen Sarkophag, die Entschädigung der Anwohner usw. werden auch in Japan enorm sein.

  4. @titus
    Der Sakophag könnte natürlich sehr leicht mit landeseigenen Mitteln saniert werden (Oel usw.).
    Aber warum sollten sie, wenn mit ein bisschen Druck auch fremde Mittel fliessen?

    Dein Verschlucker bei “gefährdet Arbeitsplätze” passiert mir, wenn ich „höhere Stromkosten“ höre.
    Bei einer Vollkostenrechnung würde wohl nie ein AKW gebaut worden sein.

  5. wie nun zu erfahren ist, soll der Ausstieg und Umstieg langfristig sogar billiger sein als das Festhalten an AKW’s. (erstaunlich, wie weise gewisse Leute auf einmal prognostizieren).

    Tatsache ist doch einfach, dass fast verbrecherisch die AKW-Mängel vertuscht und die Instandhaltung unterlassen wurden.
    Da ist jedes Vertrauen in diese Art Leute fehl am Platz.

    Das schleimige Gelabbere von G.Bührer und co. in Ehren, es zählen lediglich die Fakten. Und die Fakten sind ganz einfach:
    Sofort zaubern wir keine erschöpfliche Menge Alternativenergie her, weil die gleichen Leute esie verhindert haben.
    Also: Die bestehenden AKW’s subito sicher machen, und gleichzeitig mit Hochdruck die Alternative Energie aufbauen.
    Es gibt eine grosse Menge Gesuche, und mit wenigen Vorschriften wird jedes Hausdach oder Fassade zum Strom-oder Wärmeliefrant.
    Und parallel das Stromnetz ausbauen!
    Alles Sachen, die längst bekannt sind!
    Wählt FDP und SVP, dann bleibt alles beim alten! Und die Strahlen sind euch sicher!

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