Schauprozesse der Moderne

Prozesse gegen bekannte Persönlichkeiten haben Hochsaison. Die Frage nach der Schuld oder der Unschuld ist zur Triebfeder für ein Schaulaufen vor den Medien geworden. Grundrechte werden dabei ziemlich mit den Füssen getreten.

Ricardo Lumengo, Jörg Kachelmann, Dominique Strauss-Kahn. Dies die Reihenfolge der Berichterstattung, wie sie in der gestrigen «Tagesschau» vorkam. So oder ähnlich dürfte sie sich auch in anderen Schweizer Medien wieder finden.

«Realityinfotainement»

Die drei Personen haben alle etwas Gemeinsames: Sie stehen oder standen alle vor Gericht und ihr Fall löste viel mediale Aufmerksamkeit aus. Der hauptsächliche Grund dieser medialen Aufmerksamkeit liegt weniger in dem, was sie getan oder nicht getan haben sollen, sondern vielmehr in ihrem Bekanntheitsgrad.

Sie haben aber noch etwas Gemeinsames: Es geht nicht bloss nur um reine Berichterstattung darüber, wie die Anklage lautet, was Zivilklärger, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gesagt oder wie ein Gericht schliesslich befunden hat.

Es geht um mehr. Die unzähligen TV-Serien, welche sich in amerikanischen Gerichtssälen abspielen, scheinen ebenso langweilig geworden zu sein wie die nachgespielten Fälle um Lug und Trug, welche Richterin Barbara Salesch oder Richter Alexander Hold zu beurteilen haben.

Bei dem, was heute über die TV-Geräte empfangen werden kann, geht es um Unterhaltung, Gerüchte, Mutmassungen, Expertenmeinungen und -gegenmeinungen und um ein kleines Bisschen Berichterstattung. Alles zusammen wird dann in eine Art Reality-Show verpackt.

Der bereits bekannte, aus Information und Entertainment kombinierte Begriff «Infotainement» reicht da nicht mehr aus. Treffender wäre «Realityinfotainement», wobei dieser Begriff den Quiz-Faktor noch ausser Acht lässt, also jenen Faktor, der uns Publikum mit den «Kandidaten» mitraten und mitfiebern lässt.

Die Berichterstattung über Anklagen gegen weit bekannte Persönlichkeiten ist darum zu einer neuen Art von Schauprozessen geworden. Dazu die allwissende Wikipedia:

Als Schauprozesse werden im Allgemeinen öffentliche Gerichtsverfahren bezeichnet, bei denen die Verurteilung des Beklagten bereits im Voraus feststeht.

Das öffentliche Gerichtsverfahren fand oder findet im Falle der drei Herren nicht mehr im Gerichtssaal statt, sondern vor allem in boulevardesken Medien, in welchen sie auch gleich im Voraus verurteilt werden und sei es nur, indem Fragen aufgeworfen werden, deren Charakter die Schuld oder Unschuld eines Kandidaten Angeklagten suggerieren. Die Unschuldsvermutung – sie gilt schliesslich nur für die Gerichte, nicht für die Medien.

Manchmal gezielt gesteuert

Trotzdem greift es zu kurz, in jedem dieser und weiterer Fälle mit dem Finger nur auf «die Medien» zu zeigen. Gerade weil es sich um bekannte Persönlichkeiten handelt, sind sie von der Öffentlichkeit und damit auch von der «öffentlichen Meinung» abhängig, weshalb sie in der Defensive und in einem Erklärungsnotstand sind.

So nutzt mancher angeklagte Promi die Medien um seine Version der Dinge zu schildern, währenddem die Vertreter der Anklage aus rechtlichen oder verhandlungstaktischen Gründen schweigen müssen. Fällt dann ein Urteil doch anders aus als jene Unschuldsversion, welche ein Promi die Öffentlichkeit glaubhaft wissen liess, dann wird nicht das Bild in Frage gestellt, welches der Promi verbreitete, sondern das Urteil des Gerichts.

Ähnliches geschieht, wenn Opfer sowie Zeugen der Anklage und der Verteidigung von gewissen Medien «unter die Lupe» genommen werden. Da werden Dinge ausgegraben, welche in der Sache vielleicht stimmen mögen, welche aber nur darauf abzielen, Opfer und Zeugen in der Öffentlichkeit als unglaubwürdig dar- oder gar blosszustellen. Auch in diesen Fällen fällt es vielen Aussenstehenden nach der Urteilsverkündung schwer zu verstehen, weshalb deren Aussage so und so stark gewichtet wurde.

Was bei solchen Prozessen auf der Strecke bleibt, ist die Würde des Menschen, einem an sich unantastbaren Menschen- und Grundrecht. Angesprochen sind dabei alle: Kläger oder mutmassliche Opfer, Beklagte oder mutmassliche Täter, Zeugen.

Dies ist in jenen Fällen besonders fragwürdig, wo der Auftritt vor den Medien durch die Vertreter der Anklage (in den USA besonders auch der Staatsanwälte) oder der Verteidigung gezielt genutzt wird.

Das sind keine Vertreter von Staubsaugern, die zwar viel über die Saugkraft der von ihnen angebotenen Geräte wissen, aber ansonsten juristische Laien sind. Das sind ausgebildete Juristen, welche die Grund- und Menschenrechte besser als der Durchschnitt kennen sollten.

Nicht selten engagieren prominente Persönlichkeiten sogar noch so genannte «Star-Anwälte», welche aufgrund früherer Fälle auch den Umgang mit den Medien bestens kennen – und sich der Folgen ihrer aussergerichtlichen und medialen Auftritte bewusst sein sollten.

Unter dem Strich resultieren bei solchen Prozessen nicht selten nur Verlierer. Jemand mag zwar einen Prozess gewonnen und seine Unschuld verteidigt haben. Doch es bleiben Zweifel, weil einerseits das Fehlen von Beweisen noch kein Garant für die tatsächliche Unschuld ist und weil andererseits in der Öffentlichkeit durch Beteiligte und Medien vieles zu Recht oder zu Unrecht in Frage gestellt wurde.

Neue «Spielregeln» erforderlich

Auf die Verliererseite können aber nicht nur die Hauptdarsteller gehören. Wenn beispielsweise Zeugen in den Medien etwas unterstellt wird, werden sie nur schon Mühe haben, ihr privates Umfeld vom Gegenteil überzeugen zu können.

Das ist besonders perfide, weil sie erstens nicht auf der Anklagebank sitzen, sondern nur Zeuge sind und vor allem weil im privaten Umfeld nicht die Unschuldsvermutung gilt. Plötzlich sehen sich diese Personen dazu gedrängt, ihre Glaubwürdigkeit auch gegenüber Bekannten verteidigen zu müssen. Gelingt ihnen dies nicht, ernten sie zukünftig nicht bloss nur misstrauische Blicke, sondern auch Zurückweisung.

Das kann natürlich noch über das private Umfeld hinaus gehen. So kann auch der aktuelle Arbeitgeber eine Personen plötzlich unter einem anderen Licht sehen, sodass alles, was bisher kein Anlass zur Kritik gab, neuerdings argwöhnisch begutachtet wird.

Solche Verunglimpfungen von Zeugen, die die mutmasslichen Täter vielleicht nicht einmal persönlich kennen, sondern sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort sahen, können im Extremfall ganze Existenzen zerstören. Der rechtliche Kampf gegen solche Verunglimpfungen, den wohl kein Zeuge sucht, ist müssig, langatmig und schmerzvoll. Vor allem aber bringt er keine Freunde, Ehefrauen oder Arbeitsplätze mehr zurück, welche man zuvor verloren hatte.

Unter diesem Blickwinkel ist man sogar versucht, bei einer Straftat wegzuschauen oder sich nicht als Zeuge zu melden. Statt dass Recht geschaffen wird, bleibt dann das Unrecht bestehen – um nicht selber zum Opfer zu werden.

Wenn solche Prozesse prominenter Persönlichkeiten nicht weiter zu aussergerichtlichen Schauprozessen oder zu einer neuen Form von Unterhaltung verkommen sollen, wenn die Rechtsprechung weiterhin grossen Respekt geniessen soll und wenn es auch bei Promis möglich sein soll, dass Recht gesprochen werden kann, indem sich Zeugen melden und dabei nichts Schlimmes befürchten müssen, dann braucht es dringend (neue) Regeln was den öffentlichen Umgang mit allen Beteiligten bei solchen Prozesse anbelangt.

Alles andere untergräbt nicht nur die Würde vieler Beteiligter, sondern auch unser Rechtssystem.

8 Antworten auf „Schauprozesse der Moderne“

  1. Irgendwie sollte man den Vorgang um Strauss-Kahn schon etwas hinterfragen. Schon die heutige Aussage in den Medien, Strauss-Kahn sei unter Druck gesetzt worden, sein Amt abzugeben, kann ich nicht verstehen. Wie sollen Aussenstehende einen Häftling in Untersuchungshaft unter Druck setzen können?

    Dann würde ich auch noch fragen: Wem nützt der Skandal am meisten? Ein gekauftes Zimmermädchen, das sich anbietet – und dann im entscheidenden Moment davon rennt? – und der Konkurrent wäre aus dem Rennen.

  2. Gewagte Behauptung, Bruno, aber dieses Argument habe ich seinerzeit bei Lumengos Selbstdemontage auch in die Waagschale geworfen.
    Der Freispruch ist zwar eine Genugtuung, obwohl Berufung seitens Staatsanwalt droht, aber die Karriere und Glaubwürdigkeit Lumengos behält ihre Schlagseite.

    Und man darf eben eines nicht vergessen, diese Anklagen geschehen nicht aus reiner Berechnung Dritter, die Protagonisten tragen eben primär ihr (naives) Scherflein dazu bei. Ein Nachgeben der Möglichkeit, seine Macht zu (miss)brauchen, und schon kann die Sache nach hinten los gehen.
    Gemäss den einschlägigen „Medienpsychologen und -experten“ kein seltenes Problem unter Leuten an der Spitze unserer Gesellschaft.

  3. Die Medien haben nicht das Wohl der Kunden im sinn, sondern wollen ihr geschäft machen.
    Auch in der Industrie zum Beispiel ist es genau gleich. Nur gibt es dort die produktehaftpflicht. Wer Schrott liefert, wird zur kasse gebeten. Bei den Banken hapert es da ein bisschen, und bei den Medien ist das Produkt meist so unkenntlich schwammig, dass die Informationen sehr kurzlebig sind.

  4. @ Bruno
    Gewiss ruft vieles Fragen auf. Das mit dem „sei unter Druck gesetzt worden“ ist aber eben genau eines dieser Gerüchte, welches jemand in die Welt gesetzt hat (wer das war, danach fragt niemand) und uns schliesslich nicht viel darüber sagt, was tatsächlich Sache ist oder war. Es bleibt uns bei all diesen Prozessen wirklich nur die Möglichkeit, abzuwarten, was die Untersuchungsbehörden herausfinden und die Gerichte entsprechend würdigen.

    @ Bobsmile
    Der Fall Lumengo zeigt eben auch noch etwas anderes: Die Unverhältnismässigkeit der ganzen Angelegenheit. Wenn nun beispielsweise hunderte solcher Wahllisten aufgetaucht wären, dann könnte man ihm zweifellos betrügerische Absichten vorwerfen.

    Aber bei 44, wovon einige noch ungültig waren, kann davon kaum die Rede sein. Allerdings: Es ist schon klar, dass ein Gericht nicht eine eigene Messlatte anfertigen kann. Für dieses gilt schon ein einziger von Lumengo ausgefüllter Wahlzettel (ausser seinem eigenen) als Wahlfälschung, obschon auch in dem Fall eine Anklage ziemlich unverhältnismässig wäre.

    Siehe auch den Kommentar von Quantensprung in diesem Beitrag betreffend „Erkaufte Stimmen“.

    @ Raffnix
    Du meinst, es bräuchte künftig einen Beipackzettel fürs Konsumieren von Medien? 😉

  5. Medien brauchen Käufer oder Klickvieh. Selbst ehemals seriöse Zeitungen springen auf diesem Zug auf. Das führt dann im Online Tages-Anzeiger (der sich selber eigentlich ernst nimmt) zu Schlagzeilen wie: „Er liebt Sex, na und?“ Kommt dazu, was an einer anderen Stelle in deinem Blog diskutiert wurde: Medien wollen sogenannte „Primeurs“, das heisst, sie wollen die ersten sein mit einer Meldung. Dabei bleiben Recherche und Augenmass immer häufiger auf der Strecke. Hauptsache, man brüllt als erster eine Behauptung in den Raum. Wenn sie dann nicht stimmt: Tja, Pech gehabt.

  6. @Titus
    Du hast wohl falsch verstanden! Nicht der Kunde(Konsument) ist hier in der Pflicht, sondern der Produzent. (Die Medien selber sind ja nur der Beipackzettel, das Produkt ist das, was sie im Hirn der Konsumenten auslösen)

    Bei all dem Getöse um DSK muss man immer fein säuberlich trennen: vermutl.Täter (Macht, Selbstverherrlichung), Opfer, Medien.

    Natürlich könnte man versucht sein, eine Verschwörung zu vermuten. Das widersricht nicht der Tatsache, dass eine Schicht Menschen sich mehr Rechte erlaubt als erlaubt ist. Leider wird zu spät reagiert.

  7. Eine treffende Analyse. Das Erschreckende ist der Aspekt der Vorverurteilung. Selbst wenn die Gerichte am Ende die prominenten Angeklagten für „nicht schuldig“ erklären sollten, sind sie gesellschaftlich erledigt. Beispiel: Der ehemalige Pro7-Moderator Andreas Türk, der fälschlicherweise der Vergewaltigung bezichtigt und angeklagt wurde. Trotz Freispruch war seine TV-Karriere beendet.

    http://newsbloggers.ch/2011/05/23/strauss-kahn-schuldig-bei-verdacht/

  8. @hristoph
    auch ein “nicht schuldig“ resp. Freispruch heisst nicht unbedingt, dass die Tat nicht begangen wurde. Sondern lediglich, dass die Tat nicht nachweisbar ist.

    Das ist besonders für das Opfer belastend. Drum rate ich jedem Opfer, verspätete Notwehr zu üben!
    Für einen Nichtschuldigen sind solche Anklagen natürlich ebenso belastend.

    Dass eine Vorverurteilung schlecht ist, ist ja nicht zu bezweifeln. Soll mal einer gegen die Medien klagen, das ist wohl aussichtslos.

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