Von Sammlern und Unbestechlichen in der Politik

Transparenz ist keine Stärke der Schweizer Politik. Darum bleibt oft unklar, wer wie grossen Einfluss auf wen ausübt. Zu dieser Intransparenz gehören auch die Interessenbindungen der Schweizer Parlamentsmitglieder als Gesamtes. Etwas Abhilfe schafft dieser Beitrag.

In wenigen Wochen will das Initiativkomitee «Unbestechlich für das Volk!» die von Lukas Reimann medial bereits angekündigte Volksinitiative «für die Offenlegung der Politiker-Einkünfte (Transparenz-Initiative)» lancieren.

Wie «bestechlich» oder «unbestechlich» die Mitglieder von National- und Ständerat tatsächlich sind, kann niemand so genau sagen. Bekannt sind einzig die Interessenbindungen von jedem einzelnen Ratsmitglied, da diese zur Offenlegung gesetzlich verpflichtet sind.

Zweifelhafte Angaben

Soweit, so gut. Die Interessenbindungen in Form einer Liste pro National- und Ständerat enthält jedoch zwei wesentliche Nachteile:

Erstens kontrollierte diese Liste niemand, denn das Parlamentsgesetz sieht auch keine Kontrolle vor. Die Ratsmitglieder können somit angeben, was sie wollen. Das beginnt schon beim Namen jener Organisation, mit welcher ein Parlamentarier etwas zu tun hat.

So gibt die Waadtländer SP-Nationalrätin Josiane Aubert beispielsweise an, Mitglied im Vorstand («comité») der «Fondation Hartmann» zu sein. Gemäss Handelsregister heisst diese Stiftung jedoch «Milton Ray Hartmann-Stiftung» – und Aubert ist nicht Vorstandsmitglied, sondern Stiftungsrätin.

Auch der SP-Nationalrat Hans Stöckli aus dem Kanton Bern hat Mühe mit den richtigen Angaben. Er sitzt im Stiftungsrat der Schweizerischen Pfadistiftung und bezeichnet diese nicht etwa als Stiftung, sondern als Verein.

Der St. Galler SVP-Nationalrat Elmar Bigger gibt etwa an, im Verein «IG Milchbauern Ostschweiz» eine Präsidenten-Funktion wahrzunehmen. Doch um welches Gremium es sich handelt – höchstwahrscheinlich ist der Vorstand gemeint – gibt er nicht an.

Für den «Schafzuchtverein» gibt er korrekterweise an, Präsident des Vorstands dieses Vereins zu sein. Nur: Um welchen Schafzuchtverein handelt es sich eigentlich?

Ähnliche Fragen stellen sich bei seinem jurassischen Parteikollegen Dominique Baettig. Bei der «Societé de tir pistolet» ist er Präsident. Um einen Verein scheint es sich dabei nicht zu handeln, da keine Rechtsform angegeben wurde. Vor allem aber bleibt offen, von welcher Schiessgesellschaft er denn nun Präsident ist.

So ähnlich ist es mit vielen Angaben: Sie enthalten manchmal nicht einmal eine Ortschaft, womit nicht klar ist, was damit genau gemeint ist. Oder haben Sie schon einmal von den Vereinen «Jugend ohne Drogen», «Parc Adula» oder «Suisse-Sole» gehört?

Die zitierten Fälle verstehen sich als Beispiele. Wer genau hinschaut, erkennt schnell weitere und wird sich fragen, wozu diese Liste dient, wenn letzten Endes doch nicht mehr bekannt ist als eine vage, falsche oder fehlende Angabe. Vor allem aber dürfte sich man einer fragen, weshalb Ratsmitgliedern dieser gesetzlichen Pflicht so «schluddrig» nachkommen.

Fehlende Gesamtschau

Der zweite Nachteil der fraglichen Listen liegt darin, dass sie keine Zusammenfassungen erlauben. Es sind nur die einzelnen Ratsmitglieder abgebildet, nicht aber die Parteien oder Fraktionen.

Welche Partei oder Fraktion wie viele Interessenbindungen vereint, bleibt unbekannt – bis heute. In der Augenreiberei hat man sich nämlich die Mühe gemacht, diese beiden Listen einmal als Gesamtes oder im zusammenfassenden Sinne zu analysieren.

Hier nun das Resultat dieser Analyse, welches auf den Stand per 22.05.2011 abstützt (Irrtum vorbehalten, alle Angaben ohne Gewähr). Darin noch nicht berücksichtigt ist der Wechsel von Adrian Amstutz in den Ständerat (der Ständerat zählt durch die Wahl von Simonetta Sommaruga in den Bundesrat darum nur 45 statt 46 Mitglieder), der Rücktritt von André Daguet und Norman Gobbi und der Eintritt von Thomas Fuchs, Corrado Pardini sowie Lorenzo Quadri als deren Nachfolger.

Das durchschnittliche Ratsmitglied

Die 245 Gewählten haben insgesamt 1857 Interessenbindungen angegeben, was durchschnittlich 7,6 Bindungen pro Ratsmitglied ausmacht.

Die nachfolgende Darstellung liefert die Details pro Rat:

Daraus ergeht, dass Ständeräte fast zwei Interessenbindungen mehr aufweisen als Nationalräte. Interessant ist auch die Verteilung über/unter dem Durchschnitt: Im Nationalrat liegen knapp 40 Prozent der Mitglieder über dem Durchschnitt von rund sieben Interessenbindungen und vereinen 70 Prozent aller Interessenbindungen auf sich.

Im Ständerat hält es sich die Waage: Gleich viele haben überdurchschnittlich viele oder unterdurchschnittlich wenige Interessenbindungen angegeben. Allerdings vereinen die Ratsmitglieder mit mehr als knapp 10 Interessenbindungen fast drei Viertel aller Bindungen auf sich.

Die «Unbestechlichen»

Es gibt sie aber noch, die Ratsmitglieder ganz ohne Interessenbindung. Die elf Betroffenen sitzen allesamt im Nationalrat:

Auffällig ist, dass sechs der elf Mitglieder der SVP-Fraktion angehören. Zu den «Hinterbänklern» gehören sie trotzdem nicht, kennt man viele von ihnen vor allem wegen ihrer markigen Worte aus den Medien. Ob sie damit etwas zu kompensieren versuchen oder ob sie gerade deswegen im Nationalrat sitzen?

Die eifrigsten «Sammler»

An dieser Stelle wäre beabsichtigt gewesen, die «Top10» der eifrigsten «Sammler» von Verwaltungsrats- oder sonstigen bindenden Mandaten aufzulisten. Doch so einfach ist das nicht, da es nach unten keine klare Grenze gibt. Darum werden nachfolgend jene bis und mit 15 Bindungen aufgelistet (National- und Ständerat gemischt):

(Zum Vergrössern anklicken)

Die Hintergründe für diese zahlreichen Mandate bleiben unbekannt. Allerdings kennt jeder die Binsenweisheit, dass mehr Engagements auch mehr Zeit beansprucht. Man kann sich darum fragen, wie seriöse die oben aufgeführten Personen – nebst ihrer hauptberuflichen Tätigkeit – ihre Parlamentstätigkeit wahrnehmen können.

Natürlich gibt es auch den Fall, bei dem die berufliche Tätigkeit mit der Anzahl Bindungen im Zusammenhang steht. So gibt etwa Kurt Fluri, der gleichzeitig Stadtpräsident von Solothurn ist, bei 11 Interessenbindungen an, dass es sich dabei um ein «Mandat als Vertreter(in) einer Behörde» handelt.

In anderen Orten wird schon die Ämterkumulation an sich in Frage gestellt oder gar verboten. Dass dies nicht unproblematisch ist, zeigt sich auch darin, dass sich kaum ein Exekutivmitglied einer Kommunalbehörde – davon sitzen zurzeit sieben im Nationalrat – sich nicht besonders hervor tut.

Die «angebundetsten» Fraktionen

Rein nominell summieren sich die Interessenbindungen pro Fraktion und Rat wie folgt:

(Zum Vergrössern anklicken)

Natürlich wird jetzt mancher aufschreien und sich sagen, dass die eine Fraktion doch mehr Mitglieder hat als die anderen, ergo ist es doch normal, dass diese auch mehr Interessenbindungen aufweist.

Aus diesem Grund wurden die Anzahl Interessenbindungen mit der Anzahl Sitze in den jeweiligen Räten in Bezug gesetzt. Daraus ergibt sich, dass die Mitglieder der viertstärkste Fraktion, die FDP-Liberale-Fraktion, sowohl im National- wie auch im Ständerat am meisten Interessenbindungen auf sich vereinen:

Wer einwenden möchte, dass die BDB ohnehin nur sechs Fraktionsmitglieder hat und deshalb diese Zahlen nicht sehr aussagekräftig sind, mag im Falle des Ständerats (nur ein BDB-Mitglied) recht haben. Alle, und nicht etwa nur ein BDB-Nationalsratsmitglied, welches den Durchschnitt nach oben drückt, haben zahlreiche Interessenbindungen angegeben.

Wem verpflichtet?

Gewiss wird nun der eine oder andere einwenden, dass eine Aktiengesellschaft doch etwas anderes sei als ein Verein oder eine Stiftung, schliesslich sei eine Aktiengesellschaft beispielsweise gewinnorientiert. Die Rechtsform allein besagt allerdings nichts über den eigentlich Zweck oder die wirtschaftliche Ausrichtung aus.

So kann auch ein Verein (dazu gehören auch die Verbände) gewinnorientiert sein. Darum wurde an dieser Stelle darauf verzichtet, hierzu eine weitere Auswertung vorzunehmen.

Sich nur auf die Aktiengesellschaften zu konzentrieren mit der Absicht, im Sinne der eingangs erwähnten Initiative zu erfahren, welche Ratsmitglieder noch als Verwaltungsrat etwas «dazu verdienen», würde nicht viel aussagen, denn auch Stiftungsratsmitglieder, Vorstandsmitglieder von Verbänden (Vereine) usw. entschädigen die Mitglieder ihres Führungsgremiums.

Um nicht missverstanden zu werden: Eine Interessenbindung ist nicht per se etwas Schlechtes. Wer in einem Vorstand eines Vereins sitzt, erhält dabei Einblicke, die er oder sie in die parlamentarische Arbeit einfliessen lassen kann.

Problematisch ist hingegen die Anzahl Bindungen. Hier kommen berechtigte Zweifel auf, wie seriös ein Ratsmitglied neben seiner beruflichen Tätigkeit seiner parlamentarischen Tätigkeit nachgehen kann.

Es kommen auch Zweifel deshalb auf, weil diese «Nebeneinkünfte», welche viele Ratsmitglieder auch ihrem Status als Ratsmitglied verdanken, die Einkünfte für die normale berufliche oder parlamentarische Tätigkeit übersteigen können.

Ist da dann ein so genannter Volksvertreter noch seinen Wählerinnen oder Wählern oder nicht eher seinen anderen «Geldgebern» verpflichtet und vertritt mehr Partikularinteressen statt die Interessen des Volkes?

Am kommenden 23. Oktober stehen die nationalen Wahlen an. Viele der bisherigen Ratsmitglieder stellen sich zur Wiederwahl. Es wäre eine gute Gelegenheit, genau hinzuschauen, wen man mit welchen Interessenbindungen nach Bern für weitere vier Jahre wählt…

________________________________________________________________________

Verwendete Abkürzungen:
NR = Nationalrat, SR = Ständerat, AG = Aktiengesellschaft, EG = Einfache Gesellschaft, EidgKomm = Eidgenössische Kommission, Gen. = Genossenschaft, GmbH = Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Komm. = Kommission, KommG = Kommanditgesellschaft, Stift. = Stiftung, Ve. = Verein

8 Antworten auf „Von Sammlern und Unbestechlichen in der Politik“

  1. Wieder mal verständlich zusammengetragen, Titus.
    Chapeaux!

    Die 56(!) Bindungen von Paul-André Roux (CVP) zeigen entweder in Richtung Workoholic, oder aber die Mandate sind reine Repräsentationshülsen, was bei einem Walliser (achtung Klischee) früher oder später auf die Leber schlägt.

    Ich kenne Herrn Roux nicht, aber sein Mandatsausweis via Homepage zeigt die Bandbreite des Interessenbereichs: Wein, Land(Privateigentum), Energie, Steuern.
    😉

    > Président de l’IVV (Interprofession de la Vigne et du Vin)
    > Président de la CIV (Chambre Immobilière Valaisanne)
    > Vice-président de la FRE (Fédération Romande de l’Energie)
    > Président de la commission fiscale de la CVCI

  2. @ Bobsmile
    Wenn ich es richtig gesehen und verstanden habe, verhilft er vor allem ausländischen Holdings, Sitz in der steuergünstigen Schweiz bzw. dem steuergünstigen Wallis zu nehmen. Verständlich, dass uns dann die EU wieder auf der Pelle sitzt von wegen „Steuerparadies“, wenn die Förderung dieses „Paradies“ bis ins Parlament reicht…

  3. vor kurzem hat die SVP noch gesagt, dass die Schweiz eine Steuerhölle ist…bis sie durch Steinbrück eines besseren belehrt wurde.
    Ja, manchmal verhilft ein SP-ler der SVP zum Meinungsumschwung.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.