Heute vor vierzig Jahren durften die Frauen erstmals an einer Abstimmung teilnehmen. Gleiche Verhältnisse sind aber weder auf kantonaler noch auf nationaler Ebene geschaffen, wie eine Untersuchung der jeweiligen Parlamente zeigt.
Es brauchte lange, bis in der Schweiz auch die Frauen an die Urne zugelassen wurden. Bei einer Stimmbeteiligung von knapp 58 Prozent sagten am 7. Februar 1971 die Schweizer mit 65,7 Prozent endlich ja zur «Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts in eidgenössischen Angelegenheiten»
Eine Momentaufnahme
Am 6. Juni 1971, dem darauf folgenden Abstimmungstermin, war es dann soweit: Auch die Frauen konnten sich zu den zwei Abstimmungsvorlagen äussern. Es gingen damals allerdings nur knapp 38 Prozent an die Urne (neu zählten Männer wie Frauen dazu), was in etwa der tiefen Stimmbeteiligung von früheren Abstimmungen (als nur die Männer abstimmen durften) entsprach.
Ende Oktober 1971 standen die ersten National- und Ständeratswahlen an. Dabei wurden die ersten Frauen ins nationale Parlament gewählt.
In der Augenreiberei wollte man allerdings nicht wissen, wer damals gewählt wurde, sondern wie es aktuell mit dem Frauenanteil in den kantonalen und nationalen Parlamenten steht. Dazu wurden sämtliche 26 Kantonsparlamente und die beiden nationalen Kammern genauer unter die Lupe genommen.
National
67 der insgesamt 246 Sitze von National- und Ständerat werden von Frauen besetzt, was einem Anteil von 27,2 Prozent entspricht. Im Nationalrat sieht die Situation besser aus als im Ständerat:
Rat | Sitze | Anteil |
Nationalrat | 59 (von 200) | 29,5 Prozent |
Ständerat | 8 (von 46) | 17,4 Prozent |
Unter den Parteien gibt es jedoch grosse Unterschiede. Die nachfolgende Auflistung mit der Anzahl Sitze und deren Anteil über alle Sitze einer Partei zeigt nur die Parteien mit über zehn Sitzen in National- und Ständerat, da eine Auflistung bei kleinerer Sitzzahl kaum Sinn macht:
Partei | Sitze | Anteil |
CVP | 13 (von 44) | 29,5 Prozent |
FDP.Liberale | 11 (von 47) | 23,4 Prozent |
Grüne | 9 (von 22) | 40,9 Prozent |
SP | 22 (von 49) | 44,9 Prozent |
SVP | 5 (von 66) | 7,6 Prozent |
Kantonal
Üblicherweise beginnt eine politische Karriere «ganz unten» in den Gemeinden und findet dann vielleicht eine Fortsetzung auf kantonaler Ebene. Das heisst, was man auf nationaler Ebene vorfindet oder vorfinden wird ist das, was sich zuvor auf einer tieferen Stufe abzeichnete.
Die Rangliste des Frauenanteils in den kantonalen Parlamenten präsentiert sich wie folgt:
Kanton | Anz. Sitze | Frauen | Anteil | Männer | Anteil |
Basel-Landschaft | 90 | 37 | 41.1 % | 53 | 58.9 % |
Basel-Stadt | 100 | 35 | 35.0 % | 65 | 65.0 % |
Zürich | 180 | 59 | 32.8 % | 121 | 67.2 % |
Obwalden | 55 | 18 | 32.7 % | 37 | 67.3 % |
Genf | 100 | 31 | 31.0 % | 69 | 69.0 % |
Luzern | 120 | 37 | 30.8 % | 83 | 69.2 % |
Waadt | 150 | 46 | 30.7 % | 104 | 69.3 % |
Aargau | 140 | 40 | 28.6 % | 100 | 71.4 % |
Thurgau | 130 | 37 | 28.5 % | 93 | 71.5 % |
Bern | 160 | 45 | 28.1 % | 115 | 71.9 % |
Solothurn | 100 | 27 | 27.0 % | 73 | 73.0 % |
Neuenburg | 115 | 31 | 27.0 % | 84 | 73.0 % |
St. Gallen | 120 | 30 | 25.0 % | 90 | 75.0 % |
Freiburg | 110 | 25 | 22.7 % | 85 | 77.3 % |
Zug | 80 | 18 | 22.5 % | 62 | 77.5 % |
Appenzell-Innerrhoden | 49 | 11 | 22.4 % | 38 | 77.6 % |
Schwyz | 100 | 22 | 22.0 % | 78 | 78.0 % |
Graubünden | 119* | 25 | 21.0 % | 94 | 79.0 % |
Wallis | 130 | 26 | 20.0 % | 104 | 80.0 % |
Appenzell-Ausserrhoden | 65 | 12 | 18.5 % | 53 | 81.5 % |
Uri | 64 | 11 | 17.2 % | 53 | 82.8 % |
Nidwalden | 60 | 10 | 16.7 % | 50 | 83.3 % |
Schaffhausen | 60 | 10 | 16.7 % | 50 | 83.3 % |
Jura | 60 | 9 | 15.0 % | 51 | 85.0 % |
Tessin | 90 | 12 | 13.3 % | 57 | 63.3 % |
Glarus | 60 | 7 | 11.7 % | 53 | 88.3 % |
* Eine Vakanz, ansonsten 120 Sitze.
Den Kanton Baselland an der Spitze vorzufinden, dürfte für viele ebenso überraschend sein wie die Tatsache, dass der Innerschweizer Kanton Obwalden einen höheren Frauenanteil aufweist als der ansonsten immer so fortschrittlich geltende Kanton Genf.
Überraschend ist auch das Ende der Tabelle: Der Kanton Glarus, welcher sich jüngst in Sachen Gemeindefusionen so fortschrittlich zeigte und welcher ebenfalls 1971 Ja sagte zum kantonalen Wahl- und Stimmrecht für Frauen, hat nur sieben Vertreterinnen im Landrat. Ihn haben selbst die beiden Appenzell überholt, welche sonst eher das Prädikat «frauenfeindlich» tragen (wobei auch in diesen beiden Kantonen der Frauenanteil tief ist).
Pro Partei
Über alle kantonalen Parlamente zeigt sich immer wieder das gleiche Bild: Einige Parteien haben keine «Berührungsängste», was Frauen anbelangt. Bei anderen scheinen die Frauen immer noch hinter den Kochherd zu gehören…
Weil die Tendenz für alle Parteien in allen Kantonen in etwa die gleiche ist, wird nachfolgend auch die Auflistung der Sitzanteile pro Partei und Geschlecht in Prozent über alle kantonalen Parlamente gezeigt:
Partei | Frauen | Männer |
Grüne/GB/ÖBS | 51.49 % | 48.51 % |
SP/JUSO/PSA/ALSH | 40.75 % | 59.25 % |
PdA/KPS | 33.33 % | 66.67 % |
glp | 32.69 % | 67.31 % |
Parteilos | 24.68 % | 75.32 % |
EVP | 24.44 % | 75.56 % |
FDP/JFDP/LDP/LPS | 23.88 % | 76.12 % |
CVP | 22.81 % | 77.19 % |
CSP | 21.05 % | 78.95 % |
BDB | 16.67 % | 83.33 % |
Mouvement Citoyens Genevois MCG | 11.76 % | 88.24 % |
SVP/JSVP | 11.74 % | 88.26 % |
Lega dei Ticinesi | 9.52 % | 90.48 % |
EDU | 6.67 % | 93.33 % |
SD | 0 % | 100 % |
SLB | 0 % | 100 % |
Kaum Veränderungen absehbar
Grosse Überraschungen liefert die oben stehende Auflistung nicht. Vielmehr widerspiegelt sie die Realität in Sachen Gleichstellung in der Wirtschaft: Jene, welche einen hohen Frauenanteil aufweisen, pochen ständig auf Gleichstellung. Aber jene, welche der Wirtschaft nahe stehen, weisen selber einen äusserst geringen Frauenanteil auf. Verwundert es da einen, wenn Frauen in der Wirtschaft nicht immer eine Gleichstellung vorfinden?
Über alle kantonalen Parlamente liegt der Frauenanteil übrigens lediglich bei 25,7 Prozent. Wenn nicht explizit Frauen dazu «gedrängt» werden, ins nationale Parlament nachzurücken, oder sollten sich keine Quereinsteigerinnen zur Wahl präsentieren, dann dürfte sich der Frauenanteil in Bern auch in den kommenden Wahlen vom Oktober kaum markant verändern.
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Von der Gründung des Bundesstaates bis zur Annahme des Frauenstimmrechts fanden 224 Abstimmungen statt (www.admin.ch). Die letzte Abstimmung trägt die Nummer 554. Das heisst, dass Schweizerfrauen zwar erst seit 40 Jahren abstimmen können, jedoch gab es auch weniger Abstimmungen, welche Frauen nicht mitreden durften.
Sie durften den UNO-Beitritt ablehnen (die Abstimmung über den Beitritt zum Völkerbund wurde 1920 auch ohne Schweizerfrauen angenommen), mindestens dreimal gegen die Mutterschaftsversicherung stimmen, die Verschärfung des Asylrechts fordern und 1979 das Wahlrecht für 18jährige verweigern (davon waren auch wieder Frauen betroffen).
Alles in allem ist die Politik der Schweiz seit 1971 nicht besser geworden.
@ Peter Vögeli
Es ging seinerzeit ja nicht darum, die Politik „besser“ zu machen, sondern gerechter, und zwar indem der anderen Hälfte der Bevölkerung das gleiche Recht zugestanden wurde. Es gab damals sogar Befürchtungen seitens der Männer, dass die Politik „schlechter“ würde.
Von der vor kurzem durchgeführten Abstimmung zur Waffenschutz-Initiative ist heute bekannt, dass vor allem die Frauen für diese Initiative stimmten. Es gibt also schon Themen, bei denen offensichtlich das Geschlecht eine Rolle spielt.
Das Ganze ist vielleicht auch ein Teufelskreis: Weil nur wenige Frauen in der Politik vertreten sind, interessieren sich viele Frauen auch weniger für Politik. Und weil sich weniger Frauen für die Politik interessieren, schaffen es nur wenige in die Politik. Zahlen darüber, wie hoch beispielsweise der Anteil an Männer und Frauen je nach Abstimmung oder Wahl ist, erfahren wir bekanntlich nie. Derartige Zahlen könnten diesen vermuteten Teufelskreis bestätigen.
@Titus
Wenn ich Ihre Antwort lese, habe ich das Gefühl, dass Sie meinen Beitrag vom 25. Juni nicht richtig verstanden haben. Damit wollte ich nur sagen, dass Schweizerfrauen erst seit 40 Jahren wählen dürfen. Aber in diesen 40 Jahren gab es mehr Abstimmungen (330) als von 1848 bis 1971 (224). Ausländerinnen haben in der Schweiz auch heute noch kein Stimmrecht, obwohl sie hier wohnen und Steuern bezahlen. Ist das etwa gerecht?
@ Peter Vögeli
Die Frage, die ich mir immer wieder stelle – und das nicht nur in Bezug auf die Frauen – ist, wie unabhängig tatsächlich gewählt wird bzw. von welchen Faktoren man/frau sich beeinflussen lässt. Ich vermute, dass insbesondere das familiäre Umfeld einen relativ grossen Einfluss auf die eigene Meinungsbildung hat, weil ich bis anhin schon häufig gehört haben, dass Frau und Mann der gleichen Partei angehören oder dass auch die Kinder (später als Erwachsene) der gleichen Partei beitreten wie jene der Eltern. Hingegen habe ich vom Gegenteil noch nie etwas gehört. So ähnlich kann es das natürlich auch ohne Parteizugehörigkeit geben.
Wenn dem so ist, dann erklärt das vielleicht auch, weshalb viele Frauen ähnlich stimmen wie die Männer – oder umgekehrt – selbst wenn eine Vorlage zum Nachteil des eigenen Geschlechts ist.
Nicht zu vergessen ist dabei die Rolle der Frau an sich im familiären Umfeld. Den Frauen anfangs 1970er Jahre das Wahl- und Stimmrecht zu geben, stellte sie zwar rechtlich auf die gleiche Ebene wie die Männer. Aber fand diese Gleichstellung auch innerhalb der politischen Diskussionen in den Familien statt? Ich denke, dass erst jetzt langsam eine erste Generation da ist, bei welcher Frauen und Männer in den Familien „auf gleicher Augenhöhe“ diskutieren.
Zum Ausländerstimmrecht: Das ist eine ganz andere, durchaus berechtigte Frage. Ich gehe darauf hier nicht ein, weil ich voraussichtlich einen separaten Artikel zu diesem Thema schreiben werde.