Ein Maulkorb für die Umwelt-Anwälte

Der Nationalrat hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Eine Mehrheit des Nationalrats hat aber auch einem Vorstoss zugestimmt, wonach das Verbandsbescherderecht für Umweltverbände bei Energieprojekten einzuschränken sei. Damit wird quasi das Tafelsilber der Schweiz verscherbelt: Unsere so attraktiven Landschaften. Und damit wird auch die Meinung betoniert, dass ein Ausstieg nur auf Kosten der Umwelt gehen könne.

«Die Zeit drängt: Der ideologisch-motivierte Widerstand ist endlich einzustellen – es braucht hier einen klaren Tatbeweis anstelle von blossen Worten.» Mit diesen Worten begründete der Zürcher SVP-Nationalrat Hans Rutschmann seine Motion zur «Aufhebung des Verbandsbeschwerderechts bei Energieprojekten». Sie wurde gestern im Nationalrat mit 98 zu 87 Stimmen angenommen.

Unbegründete Sorge

Von der Antwort des Bundesrats wollte die Mehrheit des Nationalrats offensichtlich nichts wissen:

«Die im Jahr 2009 abgeschlossenen Beschwerdefälle betrafen drei Vorhaben im Bereich der erneuerbaren Energien, bei den im Jahr 2010 abgeschlossenen Fällen waren es sechs Vorhaben.»

Einen detaillierten Überblick über sämtliche Bauvorhaben scheint es nicht zu geben, es sollen sich aber um mehrere hundert handeln. Demgegenüber sind drei, oder auch sechs Beschwerden geradezu ein Klacks.

Doch nicht nur die Anzahl ist gering. Die Umweltverbände reichen offensichtlich zu Recht Beschwerde ein, wie der Bundesrat weiter zu den fraglichen drei beziehungsweise sechs Vorhaben schreibt:

«Keine dieser Beschwerden wurde abgewiesen. Diese Zahlen belegen, dass der Vorwurf, die Umweltorganisationen würden viele Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien verhindern, nicht gerechtfertigt ist.»

Schliesslich erinnert der Bundesrat auch wieder einmal daran, was mit dem Verbandsbeschwerderecht eigentlich bewirkt werden kann – oder auch nicht:

«Hinzu kommt, dass Organisationen Projekte nicht verhindern können. Sie können nur gerichtlich überprüfen lassen, ob ein Vorhaben das Umweltrecht einhält

Mit anderen Worten: Ein zukünftiger Bauherr beabsichtigt, zugunsten seiner eigenen Interessen bestehendes Recht zu missachten.

Ist es denn in dem Fall nicht richtig einzuschreiten? Stehen einige über dem Gesetz? Gilt der Rechtsstaat nicht mehr, in welchem man Gesetze anpasst, wenn sie nicht (mehr) stimmen, statt sie zu missachten?

Schliesslich sei noch ein letzter Punkt aus der Antwort wieder einmal betont:

«In den Fällen, in denen das Beschwerderecht eingesetzt wird, führt es oft dazu, dass ein Vorhaben in besserer Form realisiert wird.»

Damit sagt der Bundesrat indirekt auch: Erneuerbare Energien und Umweltschutz sind sich nicht gegenseitig im Weg. Es ist möglich, ein Projekt umzusetzen und dabei auch Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen.

Hans Rutschmann hat seine Motion just eine Woche nach diesem unsachgemässen «10vor10»-Beitrag eingereicht. Zufall? Wohl kaum, denn er bezieht sich in seiner Motionsbegründung ebenfalls auf die Erhöhung des Grimsel-Staudamms – vielleicht auch weil es gar nicht so viele andere Beispiele gibt…

Er wünscht sich, dass der ideologisch-motivierte Widerstand endlich eingestellt werde. Das ist gut. Besser wäre es, wenn er selber damit beginnen und sich auf Fakten verlassen würde, die er aus erster Hand erhält und nicht aufgrund von fragwürdigen TV-Beiträgen.

Wenig konstruktiv

Wenn diese Motion auch im Ständerat eine Mehrheit finden sollte, hat die Umwelt keinen Anwalt mehr, sobald es um «Energieprojekte» jeglicher Art geht. Statt auf dem Rechtsweg müssten dann Unstimmigkeiten durch Protestaktionen eingefordert werden.

Noch schlimmer: Eine Beschwerde führt ja nur zu einer richterlichen Überprüfung eines Vorhabens. Kein Beschwerderecht würde nicht einmal mehr erlauben, einen Missstand überprüfen zu lassen.

Es gälte die neue Regel: Wo kein Kläger mehr sein darf, da kein Richter. Das öffnet Tür und Tor für allerlei Projekte, welche das Umweltrecht missachten und wogegen sich kaum jemand wehren kann.

Mit dieser Motion wird einmal mehr schwarz-weiss gemalt. Eifrig wird das Bild gepflegt, wonach Umweltschutz und erneuerbare Energien sich gegenseitig widersprechen. Dass Einrichtungen und Anlagen für erneuerbare Energien aber nicht aus idealistischen Gründen erstellt werden, sondern um damit Geld zu verdienen und wobei jeglich Form von Einschränkung hinderlich ist, vergisst der Motionär ebenso wie die Mehrheit des Nationalrats.

Das Verbandsbeschwerderecht ist ein demokratisches Mittel. Dieses einzuschränken bedeutet, auch ein Stück Demokratie abzubauen. Das ist umso bedauerlicher, als dass die Mehrheit des Nationalrats dies noch unterstützt.

Sinnvoller wäre es gewesen, den gerichtlichen Prozess für derartige Bauvorhaben zu beschleunigen. An langen Wartezeiten haben alle Beteiligten kein Interesse.

Doch weil die fragliche Motion eben auch ideologisch motiviert war, stand eine konstruktive Lösung der Problematik gar nicht im Zentrum. Darum fehlt auch ein ganzheitlicher Ansatz, der die Hunderte von privaten Einsprechern miteinschliesst. Und genau darum werden auch in Zukunft weiterhin viele Projekte blockiert sein – selbst wenn diese Motion durchkommen würde.

Potentiell geopfertes «Tafelsilber»

Wenn den Umweltverbänden ihr Beschwerderecht bei «Energieprojekten» genommen würde, könnten Landschaften wie diese praktisch widerstandslos und aus rein ideologischen Gründen zum Opfer fallen:

(Quelle)

(Quelle)

(Quelle)

(Quelle)

(Quelle)

(Quelle)

(Quelle)

Ist es das Wert? Soll den Umwelt-Anwälten tatsächlich ein Maulkorb verpasst werden, nur damit um jeden Preis ein Vorhaben mit kommerziellen Absichten umgesetzt werden kann?

Wäre es nicht sinnvoller, nebst mehr Energieeffizienz beispielsweise auf Dächern von bewohnten Gebieten im grossen Stil Solar- oder Photovoltaik-Anlagen zu installieren statt für kleine Einzelprojekte fernab der Stromverbraucher die Landschaft zu verschandeln?

2 Antworten auf „Ein Maulkorb für die Umwelt-Anwälte“

  1. Es ist nicht die Frage, ob es besser wäre, sondern ob es reicht!

    Und diese Frage haben wir leider selbst provoziert, indem wir immer die falsche partei wählten, und gleichzeitig knüpfen uns die Importeure (wie bei den Medis) gewaltig Kohle ab.
    Schaut nur mal, was z.B. in DE eine Solarzelle kostet, und die gleiche bei uns!

  2. dijenige Partei, die keine Alternativenergien wollen, weil es angeblich nicht reicht, verstehe ich nicht so ganz.
    Auch wenn wir nur 20% mit Alternativenergien holen können, ist es doch breits eine gute Sache!
    “ AKW kann man nur schon dadurch sparen, indem man die von der Stromlobby hochgelobten Elektrospeicherheizungen durch Wärempumpen ersetzt. Und die Effizienz der Geräte bringt über die nächsten 20 Jahre auch was. Fehlt nur noch das Gesetz, dass nur die effizientesten Geräte eingesetzt werden dürfen. Da hat die Wirtschaft sicher was dagegen, denn die wollen ja keinen Technologieschub, sondern abzocken. Und 10% bringt es, wenn die SVP-nahen KMU keine Ausländer mehr einstellt …. die SVP produzieren nämlich die Überfremdung selber!

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.