Alle gegen Murdoch

Skandalös, was sich da die britische Zeitung «News of the World» mit ihren Abhöraktionen geleistet haben soll. Oder ist etwa einiges nur inszeniert? Und warum spricht niemand über den eigentlichen Skandal?

«Der Abhörskandal ist offenbar noch grösser als bisher angenommen.» Diesen Satz liest man so oder ähnlich in den letzten Tagen und Wochen häufig, wenn es um den so genannten «Abhörskandal» der inzwischen eingestellten «News of the World» des Medienmoguls Rupert Murdoch geht. Und weil der Skandal um dieses «Skandalblatt» grösser als bisher angenommen sein soll, spricht man inzwischen auch von einem «Abhör- und Bestechungsskandal.»

Orchestrierter «Skandal»?

Doch auch das greift vermutlich zu kurz und muss wohl noch mit dem Begriff «Unterlassungsskandal» erweitert werden, denn: Bereits vor ziemlich genau zwei Jahren vermeldete «The Guardian», dass «News of the World» angeblich bis zu 4000 Personen abgehört haben soll – und nicht bloss einige wenige Angehörige des britischen Königshauses, wie dies seit 2006 bekannt ist.

Nun ist «The Guardian» kein Revolverblatt, sondern eine seriöse Zeitung, welche derartige Anschuldigungen nicht leichtfertig äussert und welche sich bei diesen Äusserungen auf eine Quelle bei Scotland Yard berief.

Gerade deshalb ist es erstaunlich, dass die Londoner Polizei dieser Sache nicht ernsthafter nachging. Schliesslich ging und geht es nicht um eine Bagatelle, sondern um die Privatsphäre derer, die davon ohnehin wenig haben.

Und dennoch: Vieles bei dieser «Geschichte» macht stutzig. Da wäre zum Beispiel die Dynamik in Sachen abgehörter Sprachnachrichten:

Schon beinahe im Tages-Rhythmus wurde anfangs dieses Monats zuerst bekannt, dass die Sprachnachrichten eines ermordeten Mädchens abgehört worden seien, dann die eines getöteten britischen Soldaten und schliesslich noch jene der Opfer der Terroranschläge in der Londoner U-Bahn von 2005. So lauten zumindest die Anschuldigungen.

Jetzt, wo «News of the World» eingestellt ist, hört man von keinen weiteren schändlichen Taten dieser Art mehr – sofern sie tatsächlich stattgefunden haben. Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt mindestens zwei Gerichtsurteile, das letzte von Anfang Juni 2011, und ein pauschal geäussertes Eingeständnis vom April 2011 von «News of the World», welche bestätigen, dass es solche Abhöraktionen gab. Es geht hier also nicht darum, dies zu bestreiten.

Doch bei angeblich 4000 abgehörten Personen ist es doch erstaunlich, wie gewisse Medien anfangs Juli Schlag auf Schlag innert weniger Tagen über drei solcher Aktionen zu berichten wussten, dies obwohl der ganze Skandal aber schon seit 2006 schwellt und jetzt, wo es keine «News of the World» mehr gibt, plötzlich wieder Funkstille über weitere Abhöraktionen herrscht. Mission accomplished?

Viel Wind um wenig Fakten

Stutzig macht bei der Sache auch das Agieren, oder besser gesagt das Reagieren der (Murdoch-) Medien, der Politik und der Polizei. Sie alle reagieren lediglich auf Anschuldigungen. Fakten beziehungsweise Beweise fehlen.

Woher stammt eigentlich die Information, dass 4000 Personen – und nicht etwa nur 100 – abgehört worden seien? Wer führt hier Buch?

Woher nimmt man die personellen Ressourcen um so viele Personen (regelmässig?) abhören zu können? Glaubt wirklich jemand ernsthaft daran, dass man so viele Personen abhören kann, noch dazu angeblich mit externen Privatdetektiven, ohne dass andere davon nicht Wind bekämen?

Wie sollen die, die nicht zu einer Polizeibehörde gehören (also die anderen Medien), wissen, dass Unbefugte Sprachnachrichten abgehört und sogar gelöscht haben sollen?

Trotz fehlender Fakten hat das Köpferollen bereits begonnen. Ist das als Eingeständnis zu werten, wonach all das so stattgefunden haben soll, wie andere Medien nun darüber berichten?

Erstaunlich ist bei der Sache ebenfalls die Fixierung auf Rupert Murdoch: «Murdochs News Corp», «Murdoch-Vertraute», «Murdochs Darling», «die Nähe zu Murdoch», «ein anderes Murdoch-Blatt», «Murdoch-Medien», «Front gegen Murdoch», «Murdochs Entschuldigung», «Murdoch unterschlägt Beweise» (alles hier zu finden).

Um nochmals nicht missverstanden zu werden: Es geht hier nicht darum, Partei für einen Medienmogul zu ergreifen. Doch Murdoch ist in erster Linie «nur» der Besitzer verschiedener Medien, der nicht zuletzt mit dem Einsetzen einer Chefredaktion den Stil, den seine Medien zu verfolgen haben, vorgibt.

Dabei ist es gut möglich, dass er mit seinem Führungsstil und mit den von ihm oder seinen Vertrauten eingesetzten Chefredaktoren die eigenen Redaktoren so angetrieben hat, dass diese auf «dumme Ideen» kamen. Bei der aktuellen Fixierung auf Murdoch bekommt man aber den Eindruck, als ob er höchstpersönlich diese Abhöraktionen angeordnet und auch gleich noch sein Ohr fürs Mithören geliehen hätte.

Geht es eigentlich noch um den Abhörskandal oder geht es um einen Medienmogul, der einigen Briten zu mächtig geworden ist und durch die Übernahme der Aktienmehrheit des TV-Senders BSkyB noch hätte mächtiger werden sollte, weshalb – von wem auch immer – alle Hebel in Gang gesetzt wurden um genau dies zu verhindern?

Die Rechnung scheint aufgegangen zu sein. Vorerst. Der BSkyB-Deal platzte und dies obschon die «News of the World» als Bauernopfer herhalten musste. Zumindest sieht es heute danach aus, denn:

Das Argument des Image-Schadens zieht nicht. Murdoch und die «News of the World» hatten sich schon immer einen Deut um ihren Ruf geschert. Zudem wäre es nicht der erste Skandal um dieses Skandalblatt. Warum sollte es nun nach 168 Jahren wegen eines weiteren Skandals plötzlich eingestellt werden?

Interessant ist die Schätzung eines britischen Medienexperten, wonach dieses Blatt trotz seiner Grösse nur 50 Millionen Pfund (66 Millionen Schweizer Franken) Umsatz gemacht haben soll.

So gewinnorientiert wie man Murdoch kennt, hätte er auch so Grund genug gehabt, diesen Titel einzustellen oder als siebte Ausgabe ins täglich erscheinende Schwesterblatt «The Sun» zu integrieren – um wenigstens Kosten zu sparen. Aber mit einer 168-jährigen Tradition bricht man nicht so leicht, zu viele Leser würde man damit vor den Kopf stossen.

Zudem hätte er unter «normalen» Umständen nie so schnell und einfach ein Blatt einstellen können wie er dies nun gemacht hat. Selbst bei einer Integration in «The Sun» wäre es zu Entlassungen und einem entsprechenden Aufschrei bei Journalisten und Lesern gekommen.

Entrüstung ja, aber…

Es wäre darum gut möglich, dass ihm dieser Skandal gelegen kam um einen schon lange insgeheim gehegten, bisher unmöglich erscheinenden «Wunsch» umsetzen zu können. Und der Deal bezüglich BSkyB ist ja nur aufgeschoben, nicht aufgehoben…

Damit wären wir definitiv im Land der Mutmassungen und Verschwörungstherorien angekommen. Aber sind diese so abwegig, zumal ja sonst niemand kritisch die Vorgänge auf der Insel hinterfragt?

Dazu gehört auch die ganz reale Tatsache, dass vom eigentlichen Skandal niemand spricht: Dem Missbrauch einer technischen Möglichkeit, welche normalerweise für die Gewährleistung der Sicherheit für ein Land vorgesehen ist.

Andere abzuhören wäre nämlich den Polizeibehörden vorbehalten und dient eigentlich der Bekämpfung oder Verhinderung von Terrorismus oder anderen Straftaten, inklusive deren Aufklärung.

Dass sich hier nun ein privates Unternehmen diese Möglichkeit angeeignet hat, scheint niemanden wirklich zu stören. Es ist Rupert Murdoch und es ist die Bespitzelung von Opfern, die auf der Insel für Empörung sorgen und worüber hierzulande berichtet wird.

Wenn Datenschützer auf das Missbrauchspotential derartiger Möglichkeiten hinweisen, werden sie bestenfalls belächelt und schlimmstenfalls für paranoid gehalten. Doch genau dieser Missbrauch fand hier statt.

Keiner scheint diesen Missbrauch zu sehen. Keiner stellt folglich die Frage nach der Sicherheit dieser technischen Möglichkeit. Keiner entrüstet sich darüber, dass Privaten hier etwas ermöglicht wurde, das nur für staatliche Behörden vorgesehen ist.

Und wenn es möglich ist, dass sich eine Redaktion diese Möglichkeit verschafft, dann kann sich diese auch ein anderes x-beliebiges Unternehmen mit den nötigen finanziellen Mitteln erkaufen um die Konkurrenz auszuspionieren. Oder Medien plaudern nicht bloss Promi-Details aus, sondern sicherheitsrelevante Informationen der abgehörten Behörden. Oder Terroristen horchen die Sicherheitsbehörden aus. Oder…

Vielleicht ist mancher Hollywood-Streifen doch nicht so realitätsfremd, wie wir das immer glauben…

3 Antworten auf „Alle gegen Murdoch“

  1. Ich war die letzten zwei Wochen in Schottland – und somit hautnah dabei. Zwei Wochen lang gab es in den BBC news praktisch kein anderes Thema.

    Zitat: „Woher stammt eigentlich die Information, dass 4000 Personen – und nicht etwa nur 100 – abgehört worden seien? Wer führt hier Buch?“
    Es hat zumindest in GB niemand behauptet, dass tatsächlich 4000 Personen abgehört worden sind. Man spricht immer von „möglichen“ 4000 Personen. Eine leitende Polizeibeamtin erklärte, dass man im Moment dabei sei, mögliche Betroffene auf dieser Liste der ca. 4000 Personen zu kontaktieren. Bis zum Zeitpunkt ihrer Aussage waren 117 Personen kontaktiert worden.

    Zitat: „Dazu gehört auch die ganz reale Tatsache, dass vom eigentlichen Skandal niemand spricht: Dem Missbrauch einer technischen Möglichkeit, welche normalerweise für die Gewährleistung der Sicherheit für ein Land vorgesehen ist.“
    Doch, das ist sehr wohl ein Thema. Zumindest in GB.

    Zitat: „Und wenn es möglich ist, dass sich eine Redaktion diese Möglichkeit verschafft, dann kann sich diese auch ein anderes x-beliebiges Unternehmen mit den nötigen finanziellen Mitteln erkaufen um die Konkurrenz auszuspionieren.“
    Scheint passiert zu sein. An mindestens zwei Unternehmen hat der Murdoch-Konzern ein Vermögen überwiesen. Eines davon war ein Konkurrenzunternehmen. Grundlos sind diese Zahlungen nicht erfolgt.

    Das Abhören ist nur ein Teil der fragwürdigen Methoden. Es wurden auch ganz gezielt „medical records“, also medizinische Unterlagen, „erschlichen“. Hugh Grant erklärte in einem Interview, er gehöre zu den Betroffenen und habe sich einem riesigen Konzern mit den besten Anwälten gegenüber gefunden. Zudem sei man als Berühmtheit nun mal mitten drin. Also hätte er der betreffenden Zeitung gesagt: „Zahlt 5000 Pfund an eine gemeinnützige Organisation – und gut ist.“ Die Zeitung zahlte keinen Cent.

    Das Timing ist in der Tat erstaunlich – es sieht wirklich so aus, als ob sich auf der Insel ein paar Mutige gesagt hätten, dass 100 Prozent Anteil an BskyB schlicht zu weit geht. Mutig muss man tatsächlich sein, denn Murdoch macht und zerstört Karrieren. Medienkommentatoren betonen denn auch immer wieder, dass endlich gesagt und ausgesprochen wurde, was hinter vorgehaltener Hand schon längst gesagt wurde, sich jedoch niemand zu sagen traute. Und es ist auch ganz klar, dass die Geschichte die Menschen erschüttert. Immer wieder hört man, dass das die Wende ist, die Wende sein muss.

  2. @ Alice
    Zum Missbrauch der technischen Möglichkeit des Abhörens: Online finde ich aktuell weder auf der Website der BBC noch des Guardian irgendwelche Artikel über den Missbrauch dieser Möglichkeit und die möglichen Folgen, wenn sie in falsche Hände gelangt. Dazu würde ich eigentlich mehrere Artikel erwarten – und ich kann nicht glauben, dass diese Diskussion bereits abgeschlossen ist.

    Der deutsche „Freitag“ scheint ebenso wenig diesen Punkt aufgeworfen zu haben wie der „Spiegel“, von den Schweizer Medien ganz zu schweigen… Ich kann nicht glauben, dass man uns über Jahre irgendwelche Terrorbedrohungen eintrichtern wollte, nun aber niemand sich die Frage stellt, wie einfach es offensichtlich ist, andere abzuhören? Ist die Frage, ob so etwas in der Schweiz oder in Deutschland auch möglich wäre, zu heikel? Oder sind einfach alle selbständig denkenden Medienleute (jene, die auch etwas ohne Reuters und SDA zu schreiben wissen) gerade in den Ferien? 🙄

    Ich bleibe dabei: Die Faktenlage ist so dünn, dass ich diesen Skandal für völlig aufgebläht halte, der aber bestens in die Saure-Gurken-Zeit passt… Das Einzige, das Murdoch tatsächlich etwas beunruhigen dürfte, ist die Eigendynamik, welche diese Sache angenommen und über GB hinaus reicht. Die Republikaner in den USA wie auch andere „Freunde“ in aller Welt (die von Murdochs Medien abhängig sind) werden aber schon dafür sorgen, dass er nicht zu hart angefasst wird…

  3. bei den Medien (wie auch AKW-betreibern, Banken usw.) darf man getrost vom Schlechtesten ausgehen. Die Wahrheit ist dann noch unvorstellbar schlimmer, das sehen wir in Fukushima, Mühleberg, Finanzkrise usw.) .

    da wird gelogen, was das Tuch hält. Und wenn es mal hart auf hart kommt, dann weiss der oberste chef mal gerade von nichts. Auch das deckt sich mit den Managern der AKW’s und der Banken! Darum gibts nur eins: Wer angeblich die Verantwortung trägt, aber von nichts weiss, der gehört dorthin, wo der Pfeffer wächst. Für mich ist der Ort dort, wo Saddam sich befindet.
    das gilt natürlicha uch für diejenigen, die alles wissen, und es trotzdem zugelassen oder getan haben.

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