Für einige scheint durch den Rückzug von Steve Jobs als Apple-CEO eine Welt unterzugehen. Er mag bei uns den Alltag einiger Menschen verändert habe. Die Welt hat er trotzdem nicht verändert, auch wenn das einige nun behaupten.
Haben Sie etwa ein iPhone, ein iPad, ein iPod, ein iBook, einen iMac oder eine andere Hard- oder Software aus dem Hause Apple? Falls ja, dann besorgen Sie sich doch schnellstmöglich eine Alternative, denn Apple ist dem Tode geweiht.
Grossartiges dank Unbekannten
Dies ist zumindest der Eindruck, den vor allem (aber nicht nur) gewisse Boulevard-Medien wegen des krankheitsbedingten Rücktritts des Apple-CEO Steve Jobs vermittelten. Der «Blick» stellt sogar die Frage, ob wegen dessen Rücktritt das iPhone 5 oder das iPad 3 nicht mehr herauskommen würden. Ob solch dümmlichen Fragen ist man versucht zu antworten: Nein, die kommen nicht mehr heraus, denn Steve Jobs kann den Schraubenzieher nicht mehr halten, um das Gehäuse zuzuschrauben…
Mit Figuren à la Steve Jobs, Bill Gates und anderen angeblich weitsichtigen und kreativen Köpfen ist das immer so eine Sache: Sie werden zu halben Göttern emporgehoben und zwar so sehr, das man meinen könnte, die Welt würde zusammenbrechen, sobald sie morgen nicht mehr im Dienst der ursprünglichen Sache stehen.
Dabei dürfte wohl immer eine unglaubliche Überschätzung der tatsächlichen Leistung dieser Figuren vorliegen. Sie mögen vielleicht als «Visionäre» gelten und auch solche sein. Doch die harte Knochenarbeit für die Umsetzung einer Idee oder Vision leisten andere, eher unbekannte Entwickler. Bedenkt man, dass Hard- und Software etwas vom Komplexesten ist, das unsere Zivilgesellschaft hervorgebracht hat, dann leisten die Entwickler sogar Grossartiges.
Aber eben: Das sind nicht die Steve Jobs oder Bill Gates, die Grossartiges geleistet haben. Selbst deren «Visionen» sind nichts Revolutionäres. Manches wurde – wenn man genau hinschaut – anderswo abgekupfert, aufgekauft oder entspricht kaum einem echten Bedürfnis – ausser man macht eines daraus…
Ihnen hoch anzurechnen ist jedoch ihr Talent in Sachen Vermarktung. Diese muss man allerdings sehr weit fassen, denn zu ihr gehört auch die oberflächliche Erscheinung der hervorgebrachten Produkte. Sie ist es, welche vielen Sand in die Augen streut.
So hinterlassen irgendwelche oberflächlichen Effekte einen so positiven Eindruck von einem Software-Produkt, dass die breite Masse der Nutzer übersieht, dass die jüngste Version nicht wirklich viel Neues beinhaltet.
Bewusst geförderte Vergötterung
Das Gleiche gilt natürlich auch im Hardware-Bereich, dem Spezialgebiet von Apple, bei dem die sichtbare Hardware selber schon so etwas wie ein Kunstobjekt darstellt, welches man ungetrübt mitten in seiner Wohnung aufstellen kann und nicht mehr unter einem Schreibtisch verstecken muss. Wichtige Komponenten des Innenleben selbst, wie etwa der Prozessor, stammen aber gar nicht von Apple…
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich wird nicht nur bloss heisse Ventilator-Luft verkauft. Natürlich gibt es auch die eine oder andere ganz nützliche Innovation. Und natürlich gibt es darunter auch vereinzelte Innovationen, welche erst dank Apple oder Microsoft den Durchbruch (nicht) geschafft haben, weil diese sie quasi zum Standard (oder auch nicht) erklärt haben.
Doch zwischen marketingmässig produziertem Schein und tatsächlichem Sein besteht ein relativ grosses Missverhältnis. Daran sind die jeweiligen Firmen und deren ehemaligen Chefs selber schuld.
Sie haben diese Entwicklung vorangetrieben. Sie sind immer vorne hin gestanden und haben die neusten «Innovationen» präsentiert. Sie haben der Öffentlichkeit Dinge als revolutionär verkauft, die je nach persönlicher Wertung gar nicht so revolutionär sind oder auf die eigentlich niemand gewartet hat. Sie haben es schliesslich selbst zugelassen, zu Halbgöttern hochstilisiert zu werden.
«Es zugelassen zu haben» heisst, die Medien und deren Vertreter genutzt oder gar benutzt zu haben, um nicht bloss nur ein neues Produkt, sondern auch (wieder einmal) sich selbst als Person ins Rampenlicht zu stellen.
So weitsichtig wie ein Steve Jobs oder ein Bill Gates sein sollen, hatten sie genau gewusst, dass sie sich damit erst recht zum Synonym ihres Unternehmens machen würden. Und sie dürften schon früher weitsichtig genug gewesen zu sein um zu wissen, dass viele – allen voran unkritische Medienvertreter – an deren Unternehmen und Innovationskraft zu zweifeln beginnen, sobald sich die Halbgötter zurückziehen würden.
Apple-Jünger zeigen Betroffenheit
Ob diesem Bild überrascht es darum nicht, wenn nun auch darüber berichtet wird, wie es dem kranken Halbgott Steve Jobs geht. Ganz im Sinne des Prinzips, wonach ein Bild mehr als tausend Worte aussage, sind viele schockiert über die Bilder des dünnen, ausgemergelten Steve Jobs, welche vorletzten Sonntag auch der «SonntagsBlick» veröffentlichte.
Diese Bilder, wie auch bereits schon die Ankündigung seines Rückzugs, haben online einige Leserkommentare generiert, was wiederum auch zeigt, dass das Thema bewegt. Zum Beispiel R. B. zur Rückzugsankündigung:
Apple=Steve Jobs, Steve Jobs=Apple. Eine einfache Gleichung. Nun nehme man Steve Jobs weg, dann steht da Apple=0. Bleibt zu hoffen, dass dem nicht so ist. Die Vergangenheit hat allerdings schon gezeigt, was passiert, wenn Jobs kürzer tritt. Apple scheint eine Firma zu sein, wo keiner der Mitarbeiter dem Patron das Wasser nur annähernd reichen kann. Alle Gute für Steve Jobs in jedem Fall.
Oder F. R zu den «erschütternden Bilder von Steve Jobs»:
Steve Jobs, bitte kämpfen Sie um sich! Nur mit Menschen wie Ihnen werden Maschinen zu unseren Freunden… Das erste mal das Blick die richtigen Worte findet. Er ist es, der die Welt für immer verändert hat. Danke, Steve!
Die Welt verändert?
Menschen, so ausgemergelt wie Steve Jobs, haben die Ringier-Medien in den letzten Tagen und Wochen verschiedene gezeigt. Es sind mindestens so erschütternde Bilder. Anlass dafür ist die Hungersnot in Somalia. Anzahl Leser-Kommentare bei diesen Somalia-Artikeln: 0 (in Worten: Null).
Mit anderen Worten: Wenn es um den angeblich kreativen Kopf jenes Mannes geht, der in unseren Breitengraden viele Spielereien auf den Markt gebracht hat, dann ist die Betroffenheit gross. Wenn es aber um die wirklich ernsthaften Dinge geht, nämlich eine ausreichende Ernährung für alle Menschen, dann vermag das kaum jemanden zu einem Kommentar zu bewegen.
Das Zufallsprinzip bei Werbeeinblendungen auf Internet-Sites will es, dass Artikel über Hungersnöte noch mehr verdeutlichen, in was für unterschiedlichen Welten (und Wahrnehmungen) wir leben. So kann es vorkommen, dass unmittelbar unter dem Titel «300‘000 Kindern in Ostafrika droht der Hungertod» der Migros-Preiskracher der Woche mit aus Neuseeland importiertem Hirsch-Pfeffer eingeblendet wird:
Oder es erscheint unterhalb des fraglichen Artikels Werbung für einen «Mückenkiller» (in manchen ärmeren Regionen der Welt wäre man schon um ein Moskitonetz dankbar) oder fürs «Abnehmen ohne Hunger»…
Wie ging das doch gleich?
Ach ja: «Er ist es, der die Welt für immer verändert hat». Wie verblendet doch die Sicht in unseren iPhone-isierten Industrieländern ist…
Krank machende Herstellung
Zu dieser Verblendung gehört auch das Krebsleiden von Steve Jobs. Wie jede andere Krankheit bei jedem anderen Menschen ist auch diese Erkrankung zweifellos bedauerlich. Selber scheint Apple aber kein Unschuldslamm zu sein beziehungsweise trägt selber eine Mitschuld dafür, dass dort, wo die eleganten Kunstobjekte hergestellt werden, Menschen und Umwelt grossen Verschmutzungen mit entsprechenden Folgen ausgesetzt sind.
Darüber hat zum Beispiel vor drei Wochen «10vor10» berichtet. Auch die NZZ hat kürzlich das Thema erwähnt, obschon man dort auch schon eine fragwürdige Sicht zu haben scheint, da man von «Problemen mit Umweltaktivisten» spricht statt von «Umweltproblemen» (ausser man nehme die Position der chinesischen Regierung ein).
Überraschen tut das nicht. China, einem Apple-Herstellerland, ist der wirtschaftliche Aufstieg wichtiger als das Einhalten von Normen für den Schutz von Mensch und Umwelt. Das betrifft elektronische Geräte wie Computer genauso wie Kinderspielzeug, welches mit krebserregenden Materialien belastet ist.
In Cupertino, am Hauptsitz von Apple, wüsste man das – und zwar nicht erst seit Greenpeace schon seit einiger Zeit den Finger auf dieses Thema legt. Darum ziehen auch die immer wieder gleichen Phrasen aus dem Hause Apple nicht mehr, wonach man die Zulieferer zur Einhaltung gewisser Normen verpflichten würde. Die jüngsten Berichte aus einem Land, aus dem man nicht so leicht kritische Berichte nach aussen tragen kann, malen ein anderes, in einigen Fällen gewiss auch ein krebserregendes Bild…
Aber hey: Was kümmert uns die Gesundheit der anderen? Viel wichtiger ist doch, dass der in Kalifornien mutmasslich abhanden gekommene Prototyp des iPhone 5 wieder auftaucht, damit wir auch in Zukunft den Kopf nicht in den Sand, sondern in die jüngsten Apps stecken können und so den Eindruck erhalten, die Welt hätte sich für immer verändert.
Wenn doch bloss Steve wieder gesund würde, damit in Zukunft nicht plötzlich eine iCloud unseren Himmel verdunkeln lässt…
Ähnliche Blog-Beiträge zum Thema
- Thinkabout (29.08.2011):
«Steve Jobs und das öffentliche Interesse»
Die Verherrlichung von Steve Jobs ist ebenso primitiv wie Niedermachung die von Bill Gates.
Wer das tut, will sich ja lediglich identifizieren, ohne selbst je bedeutend gewesen zu sein, oder er hat Komplexe.
Tatsache ist ja nujr, dass sie beide auf Kosten der Mitarbeiter bereichern.