Zuger Attentat nach zehn Jahren

Morgen Dienstag jährt sich das Zuger Attentat zum zehnte Mal. Hat man daraus irgendwelche Lehren gezogen und falls ja, welche?

Am Vormittag des 27. Septembers 2001, rund zwei Wochen nach den Anschlägen in New York, betrat Friedrich Leibacher den Zuger Ratssaal. Nebst mehreren Waffen trug er auch eine selbstgebastelte Bombe bei sich.

Einseitiges Bild

Was dann geschah, ist wohl nicht nur für Schweizer Verhältnisse ungeheuerlich: Er feuerte über 90 Schüsse auf Regierungsräte, Kantonsräte und anwesende Journalisten ab und zündete schliesslich auch die mitgebrachte Bombe.

Drei Regierungsräte und elf Kantonsräte verloren ihr Leben, 18 Ratsmitglieder und anwesende Journalisten überlebten zum Teil schwer verletzt und sind vermutlich noch heute traumatisiert. Leibacher selbst erlag dem sich selbst zugefügten Kopfschuss.

Gemäss weit verbreiteten Darstellungen soll ein Streit mit den Zugerland Verkehrs- betrieben zu dieser Bluttat geführt haben. 1998 hatte er einen Buschauffeur nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einer Waffe bedroht, worauf die Verkehrsbetriebe Anzeige erstatteten und Recht bekamen.

Anschliessend soll es durch Leibacher zu einer Flut an Beschwerden, Strafanzeigen und Rekursen gekommen sein. Im Zuge dieser zunehmend frustrierenden Situation – Leibacher blitzte bei allen angegangenen Behörden immer wieder ab – soll er das Attentat gegen die «Zuger Mafia» geplant und schliesslich ausgeführt haben.

Der Schlussbericht des Untersuchungsrichteramts des Kantons Zug enthält keine Details über seinen «Kampf» gegen die Behörden. Dafür listet er detailliert alle seine aktenkundigen Vergehen auf.

Diese zeichnen das Bild eines Mannes, der seit seiner Pubertät ein Autoritätsproblem gehabt haben soll. 1956, Leibacher war gerade einmal 12 Jahre alt, kam es zu einer ersten «Sicherheitsinhaftierung». Ein Jahr später, nachdem er mit einem Luftgewehr herumgeschossen hatte, wird er ins Knutwiler Erziehungs- und Beobachtungsheim St. Georg eingewiesen.

Unstetes Leben

Drei Jahre später, mit 16, wird er psychiatrisch als «nicht ungefährlicher Psychopath» bezeichnet. Zehn Jahre später – und einige Vergehen mehr – liegt bereits das nächste psychiatrische Gutachten vor.

Verfahren gab es gegen den gelernten Kellner mit einem Abschluss der zürcherischen Handeslmaturität einige, wiederholt auch wegen unzüchtigen Handlungen mit Kindern. Was aus diesen Verfahren geworden ist und aus wessen Gründen sie allenfalls eingestellt wurden, lässt der Schlussbericht offen.

Verurteilungen werden jedenfalls nur wenige aufgeführt, insbesondere wegen Verstössen gegen das Kriegsmaterialgesetz. In der Schweiz gab es hingegen keine Verurteilung, weil er einer Person etwas angetan haben soll.

In der Dominikanischen Republik wurde er hingegen 1993 wegen Gewalthandlungen gegen seine damals noch 16-jährige, dritte Ehefrau verhaftet (von einer Verurteilung steht wiederum nichts). Bereits ein Jahr zuvor heiratete er eine 16-Jährige, liess sich von ihr aber im selben Jahr wieder scheiden. Die erste 1988 geschlossene Ehe mit einer damals 32-jährigen Dominikanerin dauerte auch nur ein Jahr. Aus diesen Ehen sollen – entgegen den Angaben in der Wikipedia – zwei Töchter und ein Sohn hervorgegangen sein.

Ob diesem unsteten Leben – seine wirtschaftliche Situation über all die Jahre wurde hier wie einiges anderes auch, weggelassen – geht beinahe vergessen, dass über die ersten zwölf Jahre, also über die prägende Kindheit, nichts bekannt ist.

Wen jemand ein Autoritätsproblem hat, sich mit Minderjährigen verheiratet und angeblich einen starken Geltungsdrang hat, dann deutet vieles auf ein autoritäres Elternhaus hin. Nein, das ist keine psychologische Einschätzung, sondern nur eine Vermutung.

Nur Leibacher Schuld?

Tatsache ist aber, dass nie jemand Leibachers Kindheit und frühere Jugend aufgearbeitet hat. Zu dieser Jugend gehören auch «Erziehungsheime» der 1950er Jahre. Heime, die vor allem eines kannten: Kalte Zucht und Ordnung statt schützende und stützende Nestwärme.

Dies soll keine Verteidigungsrede für Friedrich Leibacher sein. Doch um den «Fall Leibacher» verstehen und – vor allem – um Lehren aus ihm ziehen zu können, reicht es nicht, bloss den Tathergang sekundengenau wiederzugeben.

Im Fall Leibacher scheint nämlich «das System» versagt zu haben, und zwar mindestens doppelt. Da wäre einerseits seine Jugend mit einer Einweisung in ein Erziehungsheim, das offensichtlich nichts brachte – bestimmt auch wegen den bereits angedeuteten «Erziehungsmethoden» der damaligen Zeit.

Was in seiner Kindheit genau ablief, bleibt ebenfalls unbekannt. Wenn aber ein Kind, so wie Leibacher ab 12 Jahren, wiederholt auffällig wird – Kinder ahmen normalerweise immer andere («Normale») nach – dann hat das einen Grund. Diesem scheint man nicht nachgegangen zu sein und/oder hat einfach weggeschaut.

Andererseits waren da die Behörden, welche offensichtlich zu «abgehoben» waren, um Leibacher verständlich sein Unrecht aufzeigen zu können. Dass er bereits in jungen Jahren als Querulant abgestempelt worden war, dürfte auch zu diesem behördlichen Verhalten geführt haben.

Zehn Jahre nach Leibachers Bluttat haben viele Parlamente in Sachen Sicherheit und Zugangskontrolle aufgerüstet. Ja, darin sind wir stark: Mit technischen Massnahmen psychologische Probleme mit gesamtgesellschaftlichem Hintergrund lösen wollen.

Aufrüstung für Behörden, Stillstand für Bürger

Die Kantonspolizei Bern verfügt, wie vermutlich auch einzelne andere Kantonspolizeikorps, über eine «Fachstelle Gewalt und Drohung». Sie kann von Behördenmitglieder angegangen werden, wenn eine Bürgerin oder ein Bürger «psychologisch auffällig» wird.

Im Zuge der Berichterstattung über den Fall des «renitenten Bieler Rentners» Peter Hans Kneubühl zeigte sich, dass vielen Behördenmitglieder diese Fachstelle gar nicht bekannt ist. Es gibt eine Feuerwehr, aber kaum jemand weiss etwas über deren Existenz.

Wie dem Bericht über den «Informationsaustausch der Verwaltungsstellen und Justizbehörden im Zusammenhang mit Peter Hans Kneubühl» vom Februar dieses Jahres zu entnehmen ist, wurden aber mindestens die Berner Regierungsstatthalter in den Jahren 2004 und 2005 eingehend über diese Fachstelle informiert und geschult. Andere Amtsstellen hätten hingegen keinen Anlass gesehen, mit dieser Fachstelle Kontakt aufzunehmen, woran der erwähnte Bericht schliesslich auch leise Kritik übt.

Vor allem aber wird mit der Existenz dieser Fachstelle deutlich, dass es – trotz eher geringer Bekanntheit – eine solche «psychologische Feuerwehr» braucht, wie auch die zwei damals porträtierten Stelleninhaber bestätigten. Das Phänomen «Behördenhasser» ist demnach nicht so selten wie viele vielleicht glauben.

Und: Wenn es nicht bloss eine Ausrede gewisser Behörden war, sondern man tatsächlich keinen Anlass sah, beim Fall Kneubühl die fragliche Fachstelle einzuschalten, dann zeigt sich darin, dass sich «psychologisch Auffällige» gut zu kaschieren wissen.

So scheint es auch bei jenem 35-jährigen Emmentaler gewesen zu sein, dem im Mai dieses Jahres die Zwangsräumung drohte. Er widersetzte sich dieser, indem er durch die Wohnungstüre Schüsse abgab, welche einen Polizisten töteten und einen zweiten verletzten. Auch er soll der Fachstelle Gewalt und Drohung nicht bekannt gewesen sein, obschon Hinweise auf eine nicht berechenbare Person deuteten.

Darum wäre es umso wichtiger, eine Ombudsstelle zu haben, damit auch solche, die sich unverstanden fühlen, eine Anlaufstelle haben und diese Ombudsstelle zwischen ihnen und den Amtsstellen vermitteln könnte. Nach dem Fall Leibacher entstanden solche Stellen, allerdings nur teilweise: Im Kanton Bern, dem zweitgrössten Kanton der Schweiz, gibt es bis heute keine…

Traurige Realität

Die jüngsten Fälle von Personen, welche sich den Behörden widersetzten, wie auch die Existenz einer Fachstelle Gewalt und Drohung, zeigen, dass sich nichts zum Besseren gewendet hat. Menschen, welche nicht vor Waffengewalt gegen Behörden zurückschrecken, sind eine Realität. Über die Häufigkeit ihres Auftretens ist nichts bekannt.

Die jüngsten Fälle zeigen aber auch, dass kaum Lehren aus dem Fall Leibacher gezogen wurden. Die genannte Fachstelle, welche in kleineren Kantonen wohl kaum existiert, steht den Behördenmitgliedern zur Verfügung. Den von Amtsstellen un- oder missverstandenen Bürgern steht vielerorts aber gar keine Anlaufstelle zur Verfügung.

Und: Lehren ziehen kann man auch erst dann, wenn die Vergangenheit vollständig aufgearbeitet wurde. Das hat beim Fall Leibacher nie stattgefunden, insbesondere was seine Kindheit und Jugend anbelangt. Zu schnell wurde er in die Ecke eines Psychopathen gestellt, ohne dass je jemand danach gefragt hat, wie er zu dem wurde, was er war. Ob nun wenigstens aus den jüngsten Fällen Lehren gezogen werden?

 

4 Antworten auf „Zuger Attentat nach zehn Jahren“

  1. @ Titus
    Anfänglich traute ich meinen Augen nicht, als ich Deinen Beitrag las. Hat das wirklich Titus geschrieben, der über Leibacher’s Tat herzog ohne sich für die Hintergründe, das Weshalb und des Weswegens zu interessieren scheinte?
    Jetzt, nach diesem Beitrag fühle ich mich wohler, dachte ich doch, dass es sträflich sei, wenn ich schreibe, dass ich Leibacher’s Ohnmacht verstand.

    Rückgängig kann man diese Tat weiss Gott nicht mehr machen und um so lächerlicher ist es, wenn man nun stolz erwähnt, dass man eine Notfalltreppe intstalliert hat. Damit ist das Thema abgetan anstatt sie nach des Warums zu fragen, aber das hast Du bereits schon vermerkt.

    Zu Leibacher selbst hast auch Du oben geschrieben, dass er einen Buschauffeur mit der Pistole bedrohte. Ich hingegegen hab gehört, dass er Anzeige erstattete, weil ein Buschaufeur Alkoholiker sei und man den nicht weiter Leute transportieren lassen dürfe. Auch hab ich gehört, dass dem sein Chef von dieser Alkoholkrankheit wusste, ihn aber weiterhin eingestellt liess. Was stimmt, weiss ich nicht, denn ich kannte weder den einen noch den anderen. Wenn Leibacher hingegen richtig lag und die Stadt Zug alkoholkranke Buschauffeure beschäftigte, dann kann ich das Ungemach von Leibacher sehr gut verstehen.
    Das andere, dass ich noch hörte war, dass die Polizei wusste, dass er legal Waffen besass, dass die Polizei wusste, dass er jeweils eine Pistole im Handschuhfach seines Autos hatte. Keine Anhnung warum, aber vermutlich unterbeschäftigt holte die Polizei Leibacher immer mal gerne aus dem Verkehr um ihn auf den Posten zu bringen um die, stell ich mir nun mal vor, die Legalität seiner Waffe zu überprüfen.

    Das sind alles nur Dinge die ich hörte, ob sie stimmten weiss ich nicht.

    Seine Stimme dazu werden wir nicht mehr hören, aber eins ist gewiss, anstatt dass sich die Behörden nun hinter Glas vermauern, Anmeldestellen aufbauen, nur noch zu zweit „Kunden“ betreuen und eben Notfalltreppen einbauen, sollten sie vielleicht mal versuchen den Mensch als Mensch anzuschauen und nicht von ihrer Warte aus als Nummer. Sind es doch diejenigen Jobs die an Linke vergeben werden und von denen meint man doch, dass sie ihr Herz nicht an der Geldbörse haben.

  2. Und bezüglich unserer Behörden: Erinnere Dich an Micha, denk dran was Chris geschrieben hat.
    Das kann es doch nicht sein! Und immer werden mehr und mehr Beamte eingestellt. Und immer mehr und mehr weiss der eine nicht was der andere macht, lässt den Nichtsahnenden auf seinem Böckchen hocken, lässt im sein Salär einkassieren und stellt dafür einen der es vielleicht ahnen könnte ein und wir Trottel von Steuerzahler tilgen diese Saläre. Heisst es doch in den Stellenbewergungen, einen Hochschulabschluss gefällig und wie die sich selber auf den Füssen stehen, sollte bekannt sein. Würde der Bund und die Behörden mal Leute aus der Realität einstellen, solche die ihren Beruf von Grund auf gelernt haben und nicht solche vom Studierpult wegholen, so hätten wir vielleicht mal Arbeitskräfte bei denen die Arbeit und auch die Kraft sehbar ist, somit könnten wir einen grossen Teil an Steuergeldern für nichstnützige Angestellte sparen.

    Was mich zu dieser Aussage treibt, nebst Chris und Leibacher, ist in einem ganz anderem Zusammenhang meine Freundin Daisy. Kriegt die doch vom Steueramt eine Mahnung für eine Steuerrechnung aus dem 2010, die sie zwar bezahlte, aber das Steueramt scheinbar nicht erhielt. Also rief sie an. Wie wurde die doch „nicht angehört“ erzählte sie mir. Der Gipfel aber war, als ihr diese Steuerbeamtenfrau sagte, sie soll doch froh sein, da sie nun pensioniert ist, nicht mehr so viel Steuern zahlen müsse. und sie subito innert diesen 20 Tagen diese Mahnung zahlen müsste, eine Rechnung die sie bereits schon im Juli bezahlt und Unterlagen für diese Zahlung hat.
    Aber nun hol ich aus, weil das scheinbar dasSystem ist oder der Schein desjenigen.

    Sie rief ihren Steuerberater an und was meinte der: Sie solle doch diesen Steuerbetrag nochmals einzahlen, denn so günstig käme sie nicht mehr an Zinsen, zumal die Ende Jahr merken, dass sie doppelt eingezahlt hat. Und zu allem hätte sie keine Chance sich gegen den Staat aufzulehen, denn zu langwierig und es eh nichts bringt, da der Staat der Allmächtige.

    Doch warum ein zweites mal einzahlen, wenn man bereits bezahlt hat? Warum Dilletanten mit unseren Steuergeledern einstellen, wenn sie doch weniger im Leben stehen wie ein KV-Absolvent?

    Nun gut, was ich sagen wollte und das wären eigentlich die Worte von Daisy: „Als ich voller Wut dieser Steuerbeamtin das Telefon aufhängte, merkte ich, dass ich jeden verstehe der ausrastet und dazu zähle ich auch Leibacher.“

    Was mich selbst aber am meinsten erstaunt , nein, für mich eigentlich ganz natürlich ist, ist das Verständnis für solche Attentate, denn vermutlich wie bei Daisy und auch bei Chris, ist die Ohnmacht die dahintersteckt, eine Ohnmacht die durch Leute die nichts vom Fach verstehen, aber dennoch meinen sie wären befähigt, ausgelöst.

  3. @ Ate
    Nein, ich kann Leibachers Ohnmacht nicht verstehen, möchte sie aber gerne verstehen. Dafür reichen mir die spärlichen Informationen zu seinem Leben aber nicht.

    Und auch wenn ich nachvollziehen kann, dass man da oder dort Groll gegen die eine oder andere Behörde hegt, gibt es doch noch einen markanten Unterschied zwischen „sich aufregen“ und „zur Waffe greifen um zu töten“. Deiner Freundin Daisy kam es ja schliesslich auch nicht in den Sinn, ihr Gegenüber gleich umzubringen…

    Übrigens, die politische Einstellung ist kein Einstellungskriterium für Beamte…

  4. @Ate
    Vielleicht war es genau umgekehrt? Gemäss meinen Informationen war Leibacher wegen Kleinigkeiten aufsässig. Dass es sein Naturell nicht ertrug, auch mal sein Unrecht einzugsestehen, ist nicht die Schuld derjenigen, die unschuldig im Kugelhagel starben.

    Dass man mit Leibacher anders hätte umgehen sollen, ist wohl unbestritten.
    Versuche aber mal ,mit solche Leuten (die eigentlich zum Psychiater sollten) normal zu sprechen.

    Manchmal frage ich mich, warum scheinbar alle Beamten so schrecklich sein sollen. Ist es, weil sie so geboren wurden, oder weil sie immer mit schrecklichen Leuten zu tun haben, die alles immer besser wissen wollen? Ein guter Beamte hält sich zuerst mal an die gesetze, und wenn es mir nicht passt, dann gibt es gutschweizerische Mittel, sich zu wehren.

    Daisy ist leider (ebenfalls ?) an unkompetente Personen geraten. In einem solchen Fall gibt es nur die Möglichkeit, grobes Geschütz aufzufahren:
    – ganz eifach: Quittung des bezahlten Betrags einschicken
    – Anwalt einschalten
    – oder 100’000 einzahlen!

    Wenn dann immer noch einer ausrastet, dann gehört das leider auch zur Menschheit. jeder hat einen Tick. Die meisten der Ausraster sind nämlch grundlos.

    Übrigens liegt es im Naturell des Schweizers, sich furchtbar wichtig und alles persönlich zu nehmemn. Die meisten, die immer furchtbar über andere ausrufen, sind diejenigen, die selber nichts für Klarheit und Gradlinigkeit tun.

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