Das Ergebnis der Wahlen vom vergangenen Sonntag kann vielseitig interpretiert werden. Was in jedem Fall gewonnen hat, ist die Vielfalt der parteipolitischen Zusammensetzung. Das spricht dafür, (wieder) konstruktiv miteinander zusammenarbeiten zu müssen.
Man kann es durchspielen, wie man will: Eine wirkliche Gewinner-Partei gibt es an diesen Wahlen nicht. Gewiss, die glp und die BDP haben «massiv» Sitze gewonnen. Doch es sind zu wenige, als dass diese alleine zu Sachthemen oder bei Wahlen den Ton angeben könnten.
Neue Mehrheiten gesucht
Man könnte sogar sagen, dass das Parlament noch etwas schweizerischer geworden ist: Niemand hat eine dominante Mehrheit. Vielmehr ist das Zusammenspannen mit anderen um zu einer Mehrheit zu gelangen noch etwas wichtiger geworden.
Verschiedentlich war am Wahlsonntag zu hören, dass dies das Politisieren schwieriger machen würde. Das kann man durchaus so sehen. Andererseits wird dadurch auch das Risiko geringer, dass eine Sache gutgeheissen oder bachab geschickt wird, weil ein oder zwei grosse Blöcke sich unisono für oder gegen diese Sache verhalten. Nun wird es dafür vermehrt mehrere Blöcke brauchen.
Das verlangt von allen, wieder vermehrt aufeinander zuzugehen. Das grosse Risiko liegt dabei darin, dass dies nicht geschieht und es in der Folge kaum zu Entscheiden kommt. Allerdings sind alle nun unter Zugzwang, den nach den Wahlen ist vor den Wahlen:
SP
Die SP hat zwar einen Sitz dazu gewonnen, verliert aber dennoch an Wähleranteilen. Sie wird in Zukunft die vermeintlichen «Sorgen» der Bevölkerung ernster nehmen müssen. Diese mögen vielleicht von anderen «herbeiplakatiert» worden sein. Dennoch gelang es ihr nicht, viele bisherige SP-Wählende vom Gegenteil zu überzeugen oder davon zu überzeugen, dass man ein Thema ebenfalls ernst nimmt (Stichwort Zuwanderung).
Grüne
Die Grünen wurden gewissermassen zum Opfer des eigenen Erfolgs. Hatten sie früher ständig darauf zu pochen, auch im wirtschaftlichen Umfeld etwas «grüner» zu denken, gehört dies heute zu jedem fortschrittlichen Unternehmen. Dieses Umdenken in der Wirtschaft hat diese Partei irgendwie verschlafen oder unterschätzt, weshalb der Partei noch immer das Image anhaftet, gegen statt für die Wirtschaft zu sein, ganz im Gegensatz zu den Grünliberalen.
Mit dem Aufkommen der Grünliberalen wird es für die Grünen so lange nicht einfacher, wie die Wirtschaft weiterhin das dominante Element unserer Gesellschaft bildet. Es wird für diese Partei noch schwieriger werden, weiterhin einen Platz zwischen der SP und den Grünliberalen zu finden. Eine Auflösung der Partei durch eine Aufspaltung hin zu den beiden genannten Parteien wird wohl in naher Zukunft kein Tabu-Thema mehr sein…
Mit Hinblick bereits auf die Wahlen 2015 können es sich die Grünen nicht leisten, in den nächsten vier Jahren als «Verhinderer» da zu stehen, schon gar nicht in Wirtschaftsfragen. Sie werden darum zwangsläufig mitarbeiten müssen.
Grünliberale
Die Grünliberalen werden nun beweisen müssen, dass sie tatsächlich grün und liberal sind. Gelingt ihnen dies nicht, wandern ihre Wähler wieder nach links und rechts ab. Es ist davon auszugehen, dass es zahlreiche Themen geben wird, in denen diese Partei eine nicht unumstrittene Position einnimmt: Den einen wird sie zu grün sein, den anderen zu wirtschaftsfreundlich. Die goldene Mitte zu finden ist für die glp nicht einfach, schon gar nicht, weil sie diese mit anderen anpeilen muss, was häufig zu Kompromissen pro oder contra grün oder wirtschaftsfreundlich führen kann.
CVP
Die CVP wird so schnell wie möglich ihr Profil schärfen müssen. Als Mitte-Partei hätte sie ähnlich wie die beiden anderen Mitte-Parteien BDP und glp gewinnen können. Ihr gelang es jedoch nicht, sich thematisch von den anderen abzuheben. Man weiss nicht, woran man bei der CVP ist. Es wird darum eine Gratwanderung sein, einerseits klarer Position zu beziehen ohne andererseits andere zu vergraulen, insbesondere Wählende, welche man soeben an andere Parteien verloren hat.
BDP
Die BDP kann gar nicht anders, als auf andere zuzugehen. Nur als konstruktive Kraft – als welche sie sich auch immer gerne bezeichnet – wird es ihr gelingen, weitere Wählende rechts von der Mitte zu gewinnen. Das würde ihr auch erlauben, ihre bürgerliche Seite zu betonen.
Sollte sie jedoch auch Wählende links von der Mitte ansprechen wollen, wird sie sich im gleichen Clinch wie die CVP befinden. Da nicht ganz klar ist, in welche Richtung sich die FDP weiterentwickeln wird, tut sie gut daran, sich quasi alle Optionen offen zu halten, indem sie ebenfalls Hand zu Lösungen bietet statt stur auf der eigenen Position zu verharren.
FDP
Ähnlich wie die Grünen hat auch die FDP den aktuellen Trend zu mehr Ökologie verschlafen oder unterschätzt. Zudem fühlen sich immer mehr KMU weder durch die FDP noch durch die SVP vertreten. Wenn die FDP nicht bloss nur noch eine Vertreterin der grossen Wirtschafts(gewerbe)verbände und der Hochfinanz sein will, wird sie sich neu erfinden müssen.
Ein erster Schritt dazu wird der Rücktritt des müde wirkenden und nur knapp wiedergewählten Fulvio Pelli sein, Parteipräsident der FDP. Da nicht klar ist, was am Ende dieses Erneuerungsprozesses herauskommt – sofern die FDP diesen Weg überhaupt beschreitet – wird sie wohl auch versuchen müssen, mit allen möglichst gut auszukommen um sich keine Chancen zu vergeben.
SVP
Die SVP hat nun erfahren, dass ihr Stil und ihr Verhalten nicht nur Grenzen hat, sondern sich einige auch von ihr abgewandt haben. Das Rezept der Polarisierung scheint längerfristig nicht zu funktionieren. Wenn dem so ist, wird sie in vier Jahren noch mehr verlieren, sollte sie sich wie bisher verhalten.
Dass sie ihre Art des «Politisierens» ändert, ist wenig wahrscheinlich, zumal Christoph Blocher wieder in den Nationalrat einzieht. Die SVP ist mit ihm gross geworden und sie wird – sofern es innerhalb der SVP kein Loslösungsprozess von ihm gibt – mit ihm auch wieder an Gewicht verlieren. Aufmerksamen Beobachtern wird es nicht entgangen sein, dass der Mann von Herrliberg schon seit längerem nicht mehr den gleichen Kampfgeist aufzubringen vermag wie in früheren Jahren, was aufgrund seines Alters auch nicht überrascht. Überdruss an den immer gleichen Parolen und alternde Politiker sprechen nicht gerade für die SVP.
Doch sie kann tun, was sie will, sie wird kaum je das angepeilte Ziel von 30 Prozent Wähleranteil erreichen und auch halten können. Entweder poltert sie weiter so herum wie bisher und bietet wenig Hand zu konstruktiven Lösungen oder sie bietet Hand, was für bisherige Wählende als Nachgeben empfunden wird und diese dann beispielsweise in die Arme der EDU oder der Schweizer Demokraten laufen lässt.
Verhält sich die SVP wie bisher, werden keine ihrer Anliegen je durchkommen – auch nicht eine neue Ausschaffungsinitiative. Sie kommt eher auf einen grünen Zweig, wenn sie sich vor allem in der Form etwas gemässigter gibt, denn nur so kann sie auch Stimmende oder Wählende von anderen Parteien abholen.
Vielfältige Minderheiten
Das Abstimmungsergebnis ist vielleicht auch das Ergebnis des zunehmenden Individualismus in der Gesellschaft, so ganz nach dem Motto: Jedem seine eigene kleine Partei. Das ist nicht per se schlecht, schliesslich sind wir alle individuell und müssen bei den Wahlen auch schon Kompromisse eingehen – ausser wir könnten uns selber wählen.
Das Ergebnis entspricht auch der Vielfalt der Schweiz, in welcher ebenfalls Kompromisse eingegangen werden müssen um zu Lösungen zu gelangen. Es bleibt zu hoffen, dass durch die grössere Anzahl an nun bestätigten Minderheiten im Parlament auch der Minderheitenschutz wieder grössere Bedeutung erlangt.
Schliesslich zeigt sich weiter, dass Herr und Frau Schweizer gerne eine Auswahl haben und einen weniger scharfen Kontrast als nur scharz/weiss zwischen den politischen Meinungen wünschen. Das könnte auch im Abstimmungsverhalten der Gewählten zum Ausdruck kommen, indem der eine oder andere mehr seinem Gewissen als der Meinung der Mehrheit in der eigenen Fraktion folgt. Wir werden es sehen…
Die Mitte wird nun auf die Prüfung gestellt, wie sie zusammenarbeiten kann. Mir ist das eigentlich egal, denn wechselnde Mehrheiten ist nichts neues, und jeder soll seine Ansichten vertreten, und nicht nur gegen das sein, was der ander tut.
Dass die „profillosen“ „wischi-waschi“ Parteien sachlicher sind, ist damit eigentlich schon gesagt.
Dass die profilstarken Parteien wie zB. SVP und SP zu Konservatismus und Sturheit neigen, ist wohl keine Stärke.
die Vielfalt täuscht ….. die Mitte leigt näher zusammen, als sie wahrhaben will, mit dem Resultat, dass sie sich aufreibt, und in den beiden Polen befinden sich ein guter Teil, der eher der Mitte zugeordent gehört als zu den extremen Linken oder Rechten.
Es ist wohl Interesselosigkeit , dass sich die Leute nicht überlegen, welcher Partei sie zugetan sein wollen. Oder sie sind parteimüde.
Zählen tut ja das Sachgeschäft.
Die Vielfalt kann auch ein Zeichen dafür sein, dass eine grössere Umwälzung beginnt und die unzufriedenen sich für das kleinere Übel entscheiden. Die etablierten Parteien sind ideenlos und haben kein griffiges Programm für die sich abzeichnenden Veränderungen.
Wer kritisch und nicht gleichgültig ist, findet in keiner politischen Konstellation vernünftige Ansätze z.B. die Allmacht der Hochfinanz zu beschränken.
Junge Wähler gehen nicht zur Wahlurne weil sie keinen Sinn darin sehen und meinen es ändere sich eh nicht viel.
Gestern im Zug habe ich eine Wahl-Diskussion zwischen jungen Studenten mitgehört. Einer sagte: „wenn sich dadurch etwas ändern könnte, würde das Wählen verboten“.
Wie nervös die grossen Parteien sind, sieht man auch im Vorfeld des 2. Wahlgangs zum Berner Ständerat. Der BDP Vertreter Luginbühl ist in einer komfortablen Position, ist doch für viele der SVP Kandidat Amstutz einfach nicht wählbar und der Abstand zu Stöckli aus dem ersten Wahlgang nur gering. Die SVP fürchtet nun ein Näherrücken von Stöckli, nur so ist zu erklären, dass sie entgegen ihrer Haltung zur BDP, zähneknirschend eine Wahlemppfehlung für Luginbühl abgibt. (Ohne dabei natürlich die BDP zu nennen.)
Betrachtet man das ganze nicht durch die Parteibrille, so wäre eine Oberländer Doppelbesetzung im Ständerat eigentlich gegen eine (geographisch) breite Volksvertretung für den Kanton Bern. Und das bedeutete dann: Luginbühl (Oberland, mitte) / Stöckli (Seeland, links) oder noch extremer Amstutz (Oberland, rechts) / Stöckli (Seeland, links).
Und dann wäre da ja noch der mit rund 5000 Stimmen im ersten Wahlgang abgeschlagenen Josef Rothenfluh, der sich als Präsident der (im Januar aufgelösten) Lengnauer CVP mit der Mutterpartei überworfen hat und nun als Parteiloser aufs Stöckli schielt – nein, anders rum: Mit seiner Kandidatur den Bieler Kandidaten Hans Stöckli unterstützen will, denn „Die so wichtige zweite Linie auf dem Wahlzettel wird die Wahl entscheiden“. Hä? Wenn mir die beiden Oberländer nicht passen würden, dann bräuchte ich ja die zweite Linie gar nicht auszufüllen, oder? 😉
Aber zurück zur Parteienlandschaft: So oder so darf man gespannt sein, wie die „jungen neuen Kräfte“ sich in den nächsten vier Jahren profilieren und die in sie gesteckten Hoffnungen erfüllen können. 2015 ist dann wieder Wahl-, und somit Zahltag.
@ Raffnix
Sturheit kann man positiv auch als verlässlich bezeichnen, weil dann nämlich eine einmal eingenommene Position nicht im Wochen-Rythmus wieder geändert wird. Der mediale Druck führt allerdings häufig dazu, dass sich einige schon zu einer Sache äussern, bevor der Meinungsbildungsprozess bei den Betroffenen einigermassen vertieft werden konnte. Das führt dann schliesslich zu einem Zick-Zack-Kurs, den man auch bei den von Dir bezeichneten Profil-starken Parteien findet.
@ Dan
Warum lese ich zwischen Deinen Zeilen bloss das Wort „OccupyParadeplatz“? 😉
Vom Grundsatz her stimme ich Dir zu: Jede Umwälzung beginnt irgendwo im Kleinen, beginnend mit einer Abspaltung von etwas Grösserem, und weitet sich dann aus. Nur: Selbst in der Frage des Atomausstiegs, welche sowohl BDB als auch glp befürworten, hätte es das neue Parlament nicht gebraucht, da schon das alte (oder noch aktuelle) Parlament dem grundsätzlich zustimmte. Zudem erachte ich diese beiden Parteien nicht gerade als jene, welche sich als Vertreter neuer Ideen für eine sozial gerechteren Welt hervor tun, weshalb man gestern im „Club“ mit Geri Müller zwar einen Grüne-Vertreter, aber keinen BDB- oder glp-Vertreter sah.
@ Bobsmile
Zählst Du schon die Tage bis zu den Wahlen 2015? 🙂
Was die Chancen der verbleibenden SR-Kandidaten anbelangt, sehe ich im Moment nicht (mehr) durch. Ich muss mir das erst einmal ausführlich „durchdenken“. Trotzdem noch zwei Bemerkungen:
Stöckli würde ich eher als Mitte-links bezeichnen, was ihn auch für Mitte-Wählende wählbar macht.
Und: Der Berner Jura hat keinen Vertreter mehr im NR. Wenn jedoch Amstutz als SR gewählt würde, rutscht der (abgewählte) Jean-Pierre Graber wieder nach. Wählen die Bernjurassier nun eher Stöckli ins Stöckli, dem sie in Sachen Zweisprachigkeit einiges zu verdanken haben, oder eher Amstutz (der sich auf französisch nicht ausdrücken kann), damit sie wenigstens weiterhin im NR vertreten sein werden?
@dan
> Einer sagte: “wenn sich dadurch etwas ändern könnte, würde das Wählen verboten”.
Der hat wohl noch nicht verstanden, was der Souverän zu sagen hat. Es ist ein dummer Spruch, mehr nicht, eines Studenten unwürdig. Wenn alle so denken, ist das ein Fressen für jene, die das Heft gern selbst in der Hand hätten.
Der Kniefall der SVP vor der BDP in Sachen Amstutz/Luginbühl kann peinlicher nicht sein.
Einmal spricht sie von arithmetischer Konkordanz, dann von ungeteilter Standesstimme, dann wieder von Volkswahl des Bundesrats. Wenn sie aber damit konfrontiert wird, dass Frau Widmer in einer Umfrage ca. 70% des Volkes hinter sich hat, dann wird schlank darüber hinweggeredet (Bader in der Arena).
Ich wundere mich, dass überhaupt jemand diese Partei wählt.
Dass sie Probleme aufdeckt, muss ich ihr allerdings schon zugute halten. Würde sie sich auch so für Lösungen einsetzen, und dies noch in einem anständigen Tonfall, hätte sie sogar Achtung verdient.
@ Raffnix/Dan
Im Tessin haben zwei genau gleich viele Stimmen erhalten und Fulvio Pelli wurde auch nur mit einem Vorsprung von 58 Stimmen wiedergewählt. Solche „Zufälle“ (es gibt davon immer wieder welche) bestätigen, dass es auf jede Stimme ankommen kann.
@ Raffnix
Welche Probleme deckt denn die SVP auf?
jene, die schon aufgedeckt sind, aber von den anderen Parteien verdrängt werden.
z.B. eben die zu grosse Einwanderung ….
@ Raffnix
Um in der Schweiz bleiben zu können, braucht es entweder eine Arbeitsbewilligung oder muss ein EU-Bürger eine Anstellung nachweisen können. In beiden Fällen sind es die in der Schweiz „herrschenden“ Chefs, welche den ausländischen Staatsangehörigen eine Arbeit geben.
Darum greift es zu kurz, nur von einer „Masseneinwanderung“ zu reden, so als ob wir überrannt würden. Der Ball für weniger „Masseneinwanderung“ liegt somit in den Händen der Arbeitgeber, nicht bei den Ausländern selbst…
genau so denke ich auch …. und die Arbeitgeber sind häufig in der SVP …..