Am Montag beginnt die Winter-Session der eidgenössischen Räte. Weil der Kantöligeist wieder einmal gut funktioniert hat, werden aber noch lange nicht alle Gewählten ihren Sitz rechtzeitig in Beschlag nehmen können.
Seit diesem Sonntag stehen nun die Mitglieder des neuen Parlaments, National- und Ständerat, fest. Oder besser gesagt: Erst seit diesem Sonntag stehen sie fest, denn erst da wurde auch der zweite Ständeratssitz des Kantons Solothurn vergeben.
Langwieriger Prozess
Selbst diese Aussage ist nicht ganz richtig, denn mit den erst kürzlich gewählten Ständeräten, welche auch als Nationalräte gewählt wurden, rücken noch einige nach. Was einfach klingt, ist aber staatsrechtlich nicht so einfach.
Die gewählten Ständeräte müssen nämlich von den jeweiligen Kantonen dem Büro des Ständerats mitgeteilt werden. Gemäss dem Bericht des provisorischen Büros des Nationalrats (die jeweiligen Büros setzen sich aus gewählten National- oder Ständeräten zusammen) wurde die Wahl des St. Galler SP-Nationalrats Paul Rechsteiner zum Ständerat aber noch nicht bestätigt.
Der Solothurner CVP-Nationalrat Pirmin Bischof, er wurde erst diesen Sonntag zum Ständerat gewählt, dürfte ebenfalls seinen Sitz im Ständerat nicht schon am Montag mit dem ersten Sessionstag besetzen. Auch der Regierungsrat seines Kantons wird wohl noch ein Weilchen brauchen um dessen Wahl offiziell dem Ständerat mitteilen zu können.
Offen bleibt, ob in den beiden Kantonen allenfalls auch noch Beschwerde gegen die Wahl des einen oder anderen eingereicht wird. Sofern der Autor das Wahlrecht der beiden Kantone St. Gallen und Solothurn richtig verstanden hat, müssen die Wahlergebnisse zuerst vom jeweiligen Regierungsrat bestätigt werden.
Anschliessend werden sie im jeweiligen Amtsblatt publiziert. Für beide Kantone gilt, dass innert drei Tagen nach Publikation Beschwerde eingereicht werden kann. Innert welcher Frist diese behandelt werden muss, konnte nicht herausgefunden werden.
Im Kanton St. Gallen erscheint das Amtsblatt jeweils montags, weshalb Rechsteiners Wahl erst am Montag, 5. Dezember 2011, offiziell publiziert werden dürfte und womit die Frist für eine Beschwerde am Donnerstag abläuft. Frühestens am Freitag wird – sofern keine Beschwerde eintrifft – der St. Galler Regierungsrat dem Ständerat offiziell die Wahl des zweiten St. Galler Sitzes bestätigen können.
Im Kanton Solothurn erscheint das Amtsblatt jeweils freitags. Es wird dort darum wohl erst übernächste Woche werden – sofern niemand Beschwerde einreicht – bis Bischofs Wahl definitiv ist.
Ständerat eröffnet Nationalratssession
Diese Situation führt zu zwei verwaisten Sitzen im Ständerat für mindestens rund eine Woche. Selbst nach der offiziellen Bestätigung durch die jeweiligen Kantone können die beiden Nationalräte nicht einfach ihr Bündel packen und in den Ständeratssaal wechseln. Sie müssen dort zuerst vereidigt werden, und eine Vereidigung will zuerst traktandiert sein…
Zudem können durch diese Verzögerung nicht alle so wichtigen Sitze in den Kommissionen definitiv verteilt werden. Die späten Wahlen haben somit wenigstens indirekt und kurzzeitig auch Einfluss auf den regulären Parlamentsbetrieb.
Nach den Wahlen wird die Session des Nationalsrats jeweils vom Alterspräsidenten eröffnet, also von demjenigen Mitglied des Nationalrats, welches die längste ununterbrochene Amtsdauer aufweist. Haben mehrere Mitglieder die gleiche Amtsdauer, so hat der Ältere den Vorzug.
Für die 49. Legislaturperiode ist dies – Paul Rechsteiner. Es ist vermutlich ein Unikum, dass ausgerechnet ein gewählter (aber noch nicht bestätigter) Ständerat die Nationalratssession eröffnen wird!
Allerdings wird er nur bis zur offiziellen Wahl eines Nationalratspräsidenten, voraussichtlich wird dies Hansjörg Walter sein, über allen anderen thronen können. Anschliessend wird er sich wieder zu seinen Parteikollegen im Nationalratssaal gesellen müssen um dann in ein oder zwei Wochen definitiv in den Ständeratssaal wechseln zu dürfen. Wahrlich kein Sesselkleber, obschon er bereits vor vier Jahren Alterspräsident war…
Solothurner Gemächlichkeit
Die späten Wahlen in St. Gallen und Solothurn, aber auch in anderen Kantonen, dürfte vermutlich noch da oder dort zu Diskussionen führen. Zuständig sind für die Ständeratswahlen übrigens (im Gegensatz zu den Nationalratswahlen) die Kantone. Sie legen die Regeln und damit auch die Wahltermine für die Wahl «ihrer» Ständeräte fest.
Zu sicher schien man sich bisher in gewissen Kantonen zu sein, dass es nicht zu zweiten Wahlgängen kommt um den Wahlfahrplan dementsprechend anzulegen. Nebst dem Parlamentsbetrieb, der wie oben erwähnt darunter zu Beginn leidet, schaden sich die Kantone dadurch auch selber, können sie doch nicht rechtzeitig zwei Kantonsvertreter nach Bern entsenden.
Im Kanton Zürich wurde bekanntlich kein Ständerat im ersten Anlauf gewählt. Es läge daher durchaus im Rahmen des Möglichen, dass einmal ein Kanton überhaupt noch keinen Vertreter mit dem Beginn der neuen Session ins «Stöckli» schicken könnte.
Stutzig macht dies beim Blick auf alle Kantone: Die Kantone Schaffhausen, Thurgau und Waadt waren in der Lage, ihre zweiten Wahlgänge bereits für den 13. November, also drei Wochen nach dem ersten Termin, anzulegen. Die Berner brauchten eine Woche länger.
Die Kantone Aargau, St. Gallen, Schwyz, Uri und Zürich benötigten bereits fünf Wochen. Schon das kann, wie das Beispiel St. Gallen zeigt, zu spät sein. Unter Berücksichtigung der Fristen für die Publikation der Ergebnisse, der Eingabe von Wahlbeschwerden und der Behandlung dieser Beschwerden reicht die eine verbleibende Woche bis zur Eröffnung der Winter-Session einfach nicht.
Im Tessin kam es denn auch zu einer «Verzögerung», wenn auch betreffend Nationalrat. Dort musste schliesslich das Los über die Vergabe eines Sitzes entscheiden – und dies gleich zweimal. Genügend Zeit nach den Wahlen zu haben um derartige Ereignisse ordentlich abwickeln zu können, wäre sicher ratsam.
Und die Solothurner, sie stehen bevölkerungsmässig auf Platz 12 unter allen Kantonen, scheinen am längsten für einen zweiten Wahlgang ihrer Ständeräte zu brauchen. Wehe dem, der heute noch behauptet, die Berner wären immer die Langsamsten! 😉
Wie sind wir doch froh, dass bei den Ständeratswahlen der Kantönligeist immer noch gut funktioniert und darum jeder weiterhin meint, er hätte das bessere Wahlrecht als anderen Kantone…