Tickende Zeitbomben

Wenn Bomben nicht detonieren, kann dies auch Jahrzehnte später noch zu grossen materiellen Schäden, zum Tod sowie zur Verstümmelung unzähliger Menschen führen – egal ob in Koblenz, Laos oder im Libanon.

Über 60 Jahre lang lagen eine britische und eine amerikanische Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg im Rhein bei Koblenz. Erst der niedrige Wasserstand des Rheins der letzten Wochen führte schliesslich zu deren Entdeckung.

Kriegerische Hypotheken

Es waren nicht die ersten «Überbleibsel» aus längst vergangenen Zeiten – und es werden wohl auch nicht die letzten gewesen sein. Allerdings dürfte das Risiko, dass nicht detonierte Bomben doch noch hoch gehen, von Jahr zu Jahr grösser werden, denn der Zustand dieser Relikte wird immer schlechter, währenddem die Umwelteinflüsse wie Erschütterungen, Erdumwälzungen durch Abrisse und Neubauten usw. immer mehr werden.

Der Aufwand für die Bergung beziehungsweise Entschärfung war beispiellos. Mit 45‘000 Evakuierten wurde beinahe die halbe Stadt zum Verlassen ihres gewohnten Heims aufgefordert. Von «Geisterstadt» war gar die Rede.

Die psychische Belastung dürfte in Bezug auf den ungewissen Ausgang dieser Bergungsaktion auch nicht zu unterschätzen sein. Man stelle sich vor, es wäre tatsächlich noch zu einer Detonation gekommen, sodass viel Liebgewonnenes einfach weg wäre…

Doch dies ist nichts im Vergleich mit der Angst, dass da noch einige weitere Bomben unter Häusern oder in freier Natur «weilen». Wie viele es sind und wo sie zu suchen wären, weiss natürlich niemand.

Szenenwechsel: Voraussichtlich am Mittwoch Nachmittag berät der Nationalrat, ob die Schweiz das Übereinkommen zum Verbot von Streumunition ratifizieren und das Kriegsmaterialgesetz dementsprechend anpassen soll.

Gut zu wissen

Bild: Funktionsweise von Streumunition mit dem Muttergeschoss und den freigesetzten Tochtergeschossen.

Streumunition besteht aus einem so genannten Muttergeschoss, welches mittels Flugzeugen oder Artillerie über ein bestimmtes Gebiet gebracht wird. Noch in der Luft öffnet sich das Muttergeschoss, wodurch die Tochtergeschosse, auch Bomblets oder Submunition genannt, freigesetzt werden. Diese treffen folglich zerstreut auf dem Boden auf, was dieser Munition auch den Namen gab.

Die Schweiz verfügt ebenfalls über konventionelle Streumunition sowie einen kleinen Bestand an «intelligenten Geschossen» (SMart), welche ihr Ziel suchen. Beide können heute nur mittels Artillerie, insbesondere mittels Panzerhaubitzen M 109, abgefeuert werden. Die maximale Reichweite beträgt 30 Kilometer, was in etwa der Distanz Bern – Fribourg oder Zürich – Lenzburg entspricht.

Dieses Übereinkommen will Streumunition, wie sie etwa in Vietnam, Laos, im Irak, in Kuweit, in ex-Jugoslawien, in Afghanistan, im Libanon usw. zur Anwendung kam, verbieten.

Davon ausgenommen sind allerdings so genannte «intelligente Geschosse» (SMart). Gemeint sind damit Geschosse, welche ihr Ziel suchen, dadurch eine hohe Treffer-Wahrscheinlichkeit mit sich bringen und zudem zu weniger Blindgängern führen.

Denn genau diese Blindgänger sind – nebst dieser Waffe an sich – ein grosses Problem. Im Vietnamkrieg sollen gemäss Schätzungen bis zu 30 Prozent der so genannten Bomblets Blindgänger gewesen sein.

Leidtragende sind dabei vor allem die Zivilbevölkerung. Gemäss einer Untersuchung von 2006 durch Handicap International sollen 98 Prozent der Opfer von Streumunition Zivilpersonen sein. Insbesondere Kinder sehen in einem nicht detonierten, Tennisball grossen und am Boden liegenden Bomblet eher ein Spielzeug als eine Gefahr…

Das fragliche Übereinkommen sieht zudem (unter vielem anderen) vor, dass nach Ende eines Konflikts auch Informationen über die Orte des Abwurfs von Streumunition ausgetauscht werden sollen. Kämen nur «intelligente Geschosse» zur Anwendung, liessen sich auch einfacher jene Zonen eingrenzen, in denen sich mögliche Blindgänger befinden könnten. Allerdings: Diese modernen Geschosse sind teurer als die bisherigen…

Kollateralschäden vermeiden unwichtig?

Der Ständerat hatte sich bereits Mitte September dieses Jahres für die Ratifizierung des genannten Abkommens ausgesprochen. Aus der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats regt sich nun allerdings Widerstand.

Mit 13 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen beantragt diese Kommission dem Nationalrat, dem Abkommen nicht beizutreten. In der Medienmitteilung heisst es dazu:

Gemäss der Mehrheit der Kommission wurden die Konsequenzen einer Ratifikation des Übereinkommens auf die Schweizer Armee bislang zu wenig beachtet. So würde eine Ratifikation des Übereinkommens die Schweiz mit ihrer Verteidigungsarmee benachteiligen und ihre Verteidigungsfähigkeit übermässig schwächen.
(…)
Da die Schweizer Armee Streumunition nur im Verteidigungsfall und nur auf Schweizer Hoheitsgebiet einsetzen würde, wird die internationale Gemeinschaft durch den Bestand der Streumunition der Schweizer Armee keinesfalls gefährdet.

Wie der Botschaft des Bundesrats zur fraglichen Vorlage zu entnehmen ist, wird tatsächlich der grösste Teil der heute vorhandenen Streumunition vernichtet werden müssen. Davon zu sprechen, dass die Konsequenzen auf die Schweizer Armee nicht berücksichtigt worden wäre, ist darum falsch.

Es kann dieser Botschaft sogar entnommen werden, was für technische Anpassungen notwendig wären um ganz auf die «intelligenteren», zielsuchenden und treffsicheren Geschosse zu setzen. Diese sind denn auch die Antwort des Bundesrats auf die Vernichtung der «dummen» Geschosse: Es soll nicht keine Streumunition mehr geben, aber eben intelligentere. Diese sind gemäss Übereinkommen auch zulässig.

Umrüstung im Eigeninteresse

Zwar hat die Mehrheit der Kommission durchaus Recht wenn sie sagt, dass Streumunition nur auf Schweizer Hoheitsgebiet zum Einsatz käme und die internationale Gemeinschaft dadurch nicht gefährdet wäre. Aber das bedeutet umgekehrt, dass erst recht die Schweizer Bevölkerung davon gefährdet wäre.

Der Bundesrat weisst denn auch in seiner Botschaft wiederholt darauf hin, dass die Schweiz ein dicht besiedeltes Land sei:

Die unmittelbaren humanitären Auswirkungen der Streumunition während eines Angriffs liegen bei deren fehlender Zielgenauigkeit. Da diese Waffe für den Einsatz gegen mehrere individuelle Ziele in einem bestimmten Gebiet vorgesehen ist, wirkt sie in einem Zielgebiet von der Grösse bis zu mehreren Fussballfeldern, in welchem mehrere hundert Submunitionen explodieren können. Dabei ist regelmässig auch die Zivilbevölkerung betroffen, insbesondere wenn Streumunition in besiedeltem Gebiet oder in dessen Nähe eingesetzt wird.

Darum: Wenn wir nach einem militärischen Konflikt nicht wie in Koblenz über Jahrzehnte befürchtet wollen, dass da noch «irgendwo» solche Bomblets herumliegen, haben wir grösstes Interesse daran, der «dummen», konventionellen Streumunition zu entsagen und – wenn es denn sein muss – sich ausschliesslich mit der moderneren und intelligenteren Variante auszurüsten.

Und wir haben ein ebenso grosses Interesse daran, dass dem die anderen Staaten, insbesondere die angreifenden Staaten, folgen. Denn, wie schon gesagt: 98 Prozent der Streumunitionsopfer dürften (Schweizer) Zivilpersonen sein…

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Eine Antwort auf „Tickende Zeitbomben“

  1. Streumunition ist einfach nur pervers. Es gibt keinen einzigen, vernünftigen Grund solche Vernichtungswaffen auch nur zu lagern. Egal ob „dumm“ oder „intelligent.“

    Die Schweiz muss endlich einsehen, dass es hier nur um Machtinteressen und Geld der Ewiggestrigen geht.
    Genauso wie das Gezwänge für neue Kampfflugzeuge. Das hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun und ist Mumpitz.

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