Parteifarbe vor Qualität – oder umgekehrt?

Von Belgien über Griechenland, Italien oder der Schweiz wird die Parteizugehörigkeit von Regierungsmitgliedern in jüngster Zeit zunehmend in Frage gestellt. Wäre das so schlimm, wenn die Ausführenden (Exekutive) Technokraten wären?

Knapp eineinhalb Jahre lang hatte Belgien keine Regierung mehr. Zwar war die alte, zurückgetretene Regierung um Yves Leterme während dieser Zeit weiterhin geschäftsführend tätig. Dennoch hatte dieses kleine Land mit grossen ethnischen Problemen trotz Regierungskrise relativ gut ohne politische Regierung funktioniert.

Ohne parteiideologische Scheuklappen

Seit rund einem Monat wird die Regierung in Griechenland von einem so genannten Technokraten angeführt, dem ehemaligen Vizepräsidenten der europäischen Zentralbank und parteilosen Loukas Papadimos. In Italien folgte nur wenige Tage später mit Mario Monti ebenfalls ein parteiloser Technokrat.

Ob den Schulden- und Währungskrisen in Europa (die Verwendung des Plurals erscheint an dieser Stelle inzwischen angebracht) geht gelegentlich vergessen, dass auch die USA ihre Hausaufgaben noch nicht gelöst haben. Sie erhöhen einfach die Ausgabenlimite.

Eine Antwort um die strukturellen Probleme zu lösen, welche schliesslich zu diesen Ausgaben führten, zeichnete sich bisher zwischen den Demokraten und den Republikanern nicht ab. Auch hier könnte man sich fragen: Würde eine (parteilose) Regierung ohne ideologische Vorbehalte die anstehenden Probleme schneller und besser lösen können?

In der Schweiz konnte man im Vorfeld der Erneuerungswahlen des Bundesrats betreffend Eveline Widmer-Schlumpf immer wieder hören, dass sie ihre Arbeit gut gemacht habe und darum wiedergewählt werden soll. Mit anderen Worten: Die Parteizugehörigkeit spielt hier plötzlich keine Rolle mehr. Die Qualität der Arbeit steht vor dem Parteibuch – ähnlich wie es in den genannten Ländern nun der Fall ist.

Natürlich sind solche Aussagen nicht immer ganz ernst zu nehmen – manchmal aber schon. Wäre Widmer-Schlumpf eine in der Sache umstrittene Finanzministerin, würde ihr Stuhl tatsächlich ernsthaft wackeln. Klagen über ihre Finanzkompetenz, ihre Führungsqualitäten oder über andere Aspekte des Bundesratseins konnte man jedoch in den letzten Monate kaum hören.

Parteifarbe sekundär

Überraschen tut das eigentlich nicht. Wer ein Exekutivamt übernimmt, hat sich parteipolitisch zurückzunehmen. Das gilt besonders fürs Bundesratsamt.

Schliesslich ist eine gewählte Person nicht bloss Bundesrat, Regierungsrat oder Gemeinderat für einen Teil der Bevölkerung, sondern für die gesamte Bevölkerung. Zudem lassen sich im Vielparteienland Schweiz auch keine Mehrheiten finden, wenn eine gewählte Person die eigene Parteilinie als Exektivmitglied vertritt.

Nehmen wir noch einen anderen Aspekt in die Wahl von Bundesräten rein: Die vermeintlich «offiziellen» Kandidaten. Die gibt es rein rechtlich gar nicht, ebenso wenig wie es eine Pflicht zur Durchführung von so genannten «Hearings» in den Bundeshausfraktionen gibt. Alle mit Stimm- und Wahlrecht in der Schweiz könnten ins Bundesratsamt gewählt werden.

Genau das ermöglichte es, dass vor vier Jahren Eveline Widmer-Schlumpf – sogar anstelle eines bisherigen, nicht zurückgetretenen Amtsinhabers – gewählt wurde. Doch auch in früheren Jahren kam es immer wieder vor, dass nicht die von den Parteien oder Fraktionen vorgeschlagenen «offiziellen» Kandidaten gewählt wurden, sondern andere, nicht selten auch ausserhalb des Bundeshauses tätige Personen.

In diesen Fällen wurde zwar die Parteifarbe respektiert, welche eine neu zu wählende Person haben sollte. Dennoch zeigte sich auch hier, dass die Qualitäten einer Person eine wichtige Rolle spielen und nach der «richtigen» Parteifarbe wohl das zweitwichtigste Kriterium sind. Wäre der Sitzanspruch einer Partei umstritten, könnten tatsächlich qualitative Kriterien entscheidend sein – so wie bei Widmer-Schlumpf.

Zudem relativiert die Wahl von «Aussenstehenden» die häufig gehörte Anforderung, dass angehende Bundesräte ein gutes Beziehungsnetz in Bern haben müssten. Zu viele Beispiele beweisen, dass es auch ohne geht.

Parteizugehörigkeit: Mehr Schaden als Nutzen?

Weiter sassen anfänglich noch zu wenige BDP-Parteimitglieder im Parlament um eine eigene Fraktion gründen zu können. Damit stünde Widmer-Schlumpf im Parlament ziemlich isoliert da, hiess es damals, so als ob man meinen könnte, dass nur via der eigenen Fraktion Gespräche zwischen Regierungs- und Parlamentsmitgliedern stattfinden würden.

Auch das hat etwas von einem Mythos und lässt zudem ausser acht, wie oft schon andere Bundesratsmitgliedern im Parlament von ihrer eigenen Fraktion im Regen stehen gelassen wurden. So eindeutig sind die Vor- und Nachteile einer Vernetzung im Falle einer Fraktionszugehörigkeit also nicht.

Dass selbst angeblich gut und ausserhalb der eigenen Fraktion vernetzte Bundesräte manchmal von der eigenen Fraktion nicht unterstützt werden, hat mit dem vorgängigen Schritt zu tun: In den Kommissionen entstehen mehrheitsfähige Kompromisse und Lösungen, und dort werden die Meinungen mehr oder weniger abschliessend gemacht und nach aussen getragen. Dabei spielt wiederum die Parteifarbe eines Bundesrats eine nebensächliche Rolle.

Man kann oder muss sich darum ernsthaft fragen, ob die Parteizugehörigkeit eines Bundesratsmitglieds noch eine Rolle spielt und falls ja, welche Rolle sie zu spielen hat. Eine zu starke Liaison zwischen Bundesratsamt und Partei(politik), das hat der Fall Blocher gezeigt, wird seitens Parlament auf jeden Fall abgestraft. Das zeigt sich ebenfalls im politischen Alltag bei Vorlagen, welche zu wenig möglichst allen Anliegen entgegen kommt und damit nicht mehrheitsfähig ist.

Zur genannten Frage gehört auch die Frage, ob die Parteizugehörigkeit von Exekutivmitgliedern letzten Endes nicht (zunehmend) ein Hemmschuh für die Wahl der besten und klügsten Köpfen des Landes ist. Durch die Wahl der «Zweitbesten» können zeitintensive Leerläufe mit ungelösten Problemen entstehen, sodass vielleicht auch die Schweiz bald besser von Technokraten regiert werden muss oder müsste.

Solange die Stimm- und Wahlgremien, also das Stimmvolk gegenüber dem Parlament und das Parlament gegenüber der Regierung, den Grundton angibt, wäre das vielleicht nicht die dümmste Alternative. Dann wären wir vielleicht auch die leidigen Diskussionen darüber los, was denn nun eigentlich Konkordanz bedeute…

10 Antworten auf „Parteifarbe vor Qualität – oder umgekehrt?“

  1. @ John Peer
    Besten Dank für den interessanten Artikel. Bei der Wahl des Titels hatte der Autor vermutlich ungewollt eine Analogie zum so genannten „Extremismus der Mitte“ gemacht…

    Zur Sache selbst: Prinzipienlosigkeit birgt sicher gewisse Gefahren. Andererseits kann auch Prinzipienreiterei zu blockierenden Situation führen, insbesondere dann, wenn alle dem Prinzip folgen, keinen Millimeter von den eigenen Prinzipien abrücken zu wollen… Immer in allen Fällen (den eigenen) Prinzipien zu folgen hat ebenfalls etwas Extremistisches.

    Ich würde darum Prinzipien als Richtlinien sehen, von denen man auch einmal abweichen kann. Die Schwierigkeit liegt dann allerdings darin, die eigene Glaubwürdigkeit nicht in Frage zu stellen, wenn man einmal von einem Prinzip abweicht.

  2. Vielleicht kann man die Dichotomie damit lösen, dass man sich zwei Stufen von Prinzipien vorstellt: Primäre, die man keinenfalls brechen würde, und sekundäre, wo ein gewisser Spielraum besteht. Auch im Zusammenhang mit der Kommunikation von Wahlversprechen sehr relevant.

    Andererseits stellt sich aus liberaler Seite (also von einem Standpunkt aus, der das uneingeschränkte Recht auf Leib, Eigentum und Vertragsfreiheit als Ausgangssituation sieht) natürlich bei vielen „Patt-Situationen“ die Frage, ob man wirklich dazu verpflichtet ist, von seinen Prinzipien abzurücken, um nicht als „extrem“ zu gelten, wenn man doch aus einer freiheitlich-naturrechtlichen Perspektive argumentiert. Der Verdacht des Extremismus und die Beweislast der Sinnhaftigkeit des jeweiligen Vorhabens lastet so betrachtet (bei jedem politischen Ziel, das über Schutz von Leib, Leben, Vertrag und Eigentum hinausgeht) ungleich schwerer auf dem Agent, der mittels Zwang und Steuerung von oben den „natürlichen Lauf“ der Dinge beeinflussen und kontrollieren will.

  3. Ja, das sind gute Ueberlegungen. Aber die Schweiz hat das zum grossen Teil schon. Besonders bei schwachen Bundesräten, da regiert nämlich effektiv die dahinter liegende Administration, die sich vielfach nicht aus Bürokraten -, sondern aus gewieften Technokraten zusammensetzt…

  4. @ John Peer
    Wer dem Prinzip folgt, Prinzipien folgen zu wollen, widerspricht sich selber, wenn er quasi nach Muss- und Kann-Prinzipien handelt. Zudem könnte sich bald die Frage nach Vielleicht-Prinzipien oder einer andersartigen dritten, vierten usw. Stufe stellen.

    Da sich die Welt laufend verändert, kann ich mir vorstellen, dass selbst bei nur einer Stufe von Prinzipien es falsch wäre, um jeden Preis auf diesen zu beharren. Das soll nicht heissen, dass man sich wie ein Fähnchen im Wind verhalten soll. Doch der Zeitgeist kann sich auch so verändern, dass ein Nicht-Abrücken von den eigenen Prinzipien gesamthaft nicht vorteilhaft wäre. Vielleicht liegt auch darin die „Lösung“:

    Nach Prinzipien zu leben: Ja, aber diese laufend (und ohne Druck von aussen) auch ständig hinterfragen und wo nötig anpassen.

    Zum zweiten Teil: Diese Frage ist sicher berechtigt. Hingegen nimmt nicht jeder eine liberale Sichtweise ein, weshalb ein Nicht-Abrücken falsch verstanden werden kann.

    @ Bruno
    Dass es heute schon Technikraten gibt (und ich verstehe diese nicht per se als etwas Schlechtes), ist unbestritten. Die Frage ist nur: Werden diese auch von einem Technokraten im Auftrag des Parlaments geführt (als einem, der etwas von der Sache versteht) oder von Politiker (der von einer Sache oftmals nur deren obere „Schichten“ kennt).

  5. Ich bin zwar noch nicht so alt, um mich daran zu erinnern, wie es „früher“ war. Mir scheint aber, dass die ganze Frage der Parteizugehörigkeit eines Bundesrats erst mit Bundesrat Blocher ein Problem geworden ist. Und nun, wo Blochers Einfluss zurückzugehen scheint, scheint auch wieder mehr und mehr Sachpolitik statt Parteipolitik den Bundesrat zu dominieren. So nehme ich es zumindest wahr.

  6. @Pascal
    Ich nehme wahr, dass die Parteizugehörigkeit wichtig ist, weil so jeder Dummkopf wählbar werden soll.

    Mit Blocher wurde jedoch kein Dummkopf gewählt, aber einer, der für dieses Amt nicht tauglich ist.

    Warum sonst müsste er denn jetzt via Referenden und Initiativen das anstossen, was er als Bundesrat hätte schlank erledigen können?

  7. @ Pascal
    Das liegt wohl auch daran, weil sich die parteipolitische Zusammensetzung des Parlaments verändert hatte. Der bisherige „Junior-Partner“ SVP mit nur einem Sitz hat heute (und hatte im 2003) berechtigten Grund für zwei Sitze. Doch Konkordanz bedeutet mehr als bloss eine arithmetische Verteilung der Bundesratssitze. Ich komme darauf noch in einem separaten Beitrag zurück.

    @ Raffnix
    Überschätze die Rolle der Bundesräte nicht.

    1. Referenden und Initiativen tangieren die Verfassung. Die kann nur das Volk ändern.
    2. Gesetze können nur vom Parlament erlassen werden. Bei der Ausgestaltung eines Gesetzes (oder einer Gesetzesänderung) mag zwar ein einzelner Bundesrat einigen Einfluss haben. Aber erstens müssen solche Vorlagen zuerst vom Gesamtbundesrat verabschiedet werden. Und zweitens sitzen im Parlament auch nicht nur „Dummköpfe“, die eine zu extreme LInks- oder Rechtstendenz einer Vorlage (des Gesamtbundesrats) nicht durchschauen würden.
    3. Schliesslich sind es die Parlamentarier, welche bestimmen, was der Bundesrat im Rahmen von Verordnungen selber erlassen kann.

    Darum haut das mit dem „schlank erledigen“ nicht ganz hin. Unser System ist bewusst darauf ausgelegt, dass niemand zu viel Macht hat. Es braucht Mehrheiten, aber die kommen nicht zustande, wenn man nur rumpoltert, so wie das in den letzten Jahren von dieser politischen Seite inzwischen zum „courant normale“ gehörte…

  8. Kennt ihr übrigens den Unterschied zwischen smart und SVP? … nein … die SVP ist nicht das Gegenteil, aber der Smart hat 2 Sitze.

  9. @Bruno

    Der Witz kursiert derzeit überall.
    Ich habe aber eine neue Auflösung des Rätsels:
    Es gibt keinen, beide werden links überholt … 🙂

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