Gastgeber SBB-Geist

Noch keine Woche nach Einführung der Billettpflicht will die SBB schon wissen, wie sich die Kunden daran halten. Zu den bisher geäusserten Motiven dieser Pflicht gibt es berechtigte Zweifel, denn von «Service- und Gastgeberrolle» fehlt jede Spur. Wie soll das auch möglich sein, wenn weiterhin der Eindruck dominiert, von Geistern gesteuert zu werden?

«Gerade zu Spitzenzeiten ist die Auslastung der Züge so hoch, dass die Zugbegleiter je länger je weniger alle Reisenden kontrollieren können.» Mit diesem Satz beginnt die gemeinsame Medienmitteilung des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) und der SBB von Mitte Juni 2011, welche über die Billettpflicht im Fernverkehr informierte.

Zum Narren gehalten?

Diese Pflicht gilt seit dem Fahrplan-Wechsel vom vergangenen Sonntag, 11. Dezember 2011. Und gestern, also noch keine Woche seit Einführung dieser Diskriminierungsform für technisch wenig begabte Menschen, ja gestern war in einer SDA-Meldung Folgendes zu lesen:

«Seit der Einführung der grundsätzlichen Billettpflicht in allen SBB-Zügen am vergangenen Wochenende wird in jedem zweiten Fernverkehrszug ein Passagier ohne gültiges Ticket erwischt.»

Mit anderen Worten: Die SBB beklagen, wegen zu vollen Zügen nicht mehr alle Reisenden kontrollieren zu können, aber sie sind in der Lage, nur schon wenige Tage nach der fraglichen Änderung eine Aussage über die Anzahl Reisenden machen zu können, die kein Billett Ticket hatten. Erstaunlich, wie man dies wissen kann, obwohl doch ansonsten keine Zeit für die Kontrolle der Reisenden da ist…

Verwundern tut aber auch noch etwas anderes: Gemäss Medienberichten wurde mit dem jüngsten Fahrplanwechsel die 30-minütige Strecke zwischen Bern und Biel von einer Interregio- zu einer Regioexpress-Verbindung herabgestuft. Das ist falsch.

Diese Strecke hatte im Fahrplan schon mindestens seit einem Jahr den «tieferen» Regioexpress-Status, wie jeder im Online-Fahrplan (rückwirkend) nachschlagen kann. Trotz dieser Herabstufung wurden die Reisenden weiterhin kontrolliert und dies obwohl der Regioexpress-Status dies normalerweise nicht erfordert.

Wenn sich dann die SBB beklagen, sie kämen gar nicht mehr dazu, alle Reisenden zu kontrollieren, dann ist es schon wunderlich, wenn dennoch auf gewissen Strecken Billette kontrolliert wurden, obwohl das gar nicht mehr erforderlich gewesen wäre.

Auch heute noch sind auf der besagten Strecke Zugbegleiter dabei, nur kontrollieren sie jetzt niemanden mehr. Man könnte auch sagen, dass erst jetzt diese Strecke in der Praxis (und nicht nur im theoretischen Fahrplan) zu einer Regioexpress-Strecke wurde.

Und wie schon vor dem jüngsten Fahrplan-Wechsel machen sich die Zugbegleiter weiterhin ziemlich rar. Das hat so gar nichts mit der «Service- und Gastgeberrolle» zu tun, welche ebenfalls in der Medienmitteilung von Mitte Juni 2011 als Grund für die Billettpflicht vorgeschoben wurde.

Fragwürdiges Aufwand-/Nutzen-Verhältnis

Irgendwie mag es da dann auch nicht mehr verwundern, wenn in absehbarer Zeit auf verschiedenen Strecken die Zugbegleiter ganz wegfallen sollen. Glaubt man diesem Bericht, sollen sie durch Videokameras und automatische Lautsprecher-Durchsagen ersetzt werden. Es lebe die «Blechkondukteure»!

Doch auch dafür zeichnen sich heute schon Widersprüche ab. So gibt es auf der S-Bahn-Linie zwischen Bern und Biel, welche von der BLS betrieben wird, bereits Videokameras und automatische Lautsprecher-Durchsagen. Dennoch geriet der Autor vor einer Woche in eine «BLS Nachtkontrolle» (so ähnlich wurde das über die Lautsprecher angekündigt). Gleich zu dritt durchforsteten diese die Reisenden nach 23 Uhr nach potentiellen Schwarzfahrern und/oder Vandalen (?).

Damit bestätigt indirekt ein Unternehmen des öffentlichen Verkehrs, was wir bei Anwendung des gesunden Menschenverstands sowie schon lange wissen: Mit rein technische Mitteln kann man die Reisenden nicht kontrollieren, weder in Bezug auf ihr Billett noch in Bezug auf ihr Verhalten im Zug.

Derartige Kontrollen dürfte es darum auch bei den SBB geben, sobald sie Zugbegleiter abbauen. Ob sich das lohnt, darf bezweifelt werden:

  • Üblicherweise gilt Arbeit nach 22 Uhr als Nachtarbeit, welche für die Arbeitgeber teurer ist (Zuschlag für Nachtarbeit). Gerade weil die SBB & Co. ihre Züge zunehmend sich selbst überlassen, müssen dann, wenn doch kontrolliert wird, gleich mindestens drei Leute aufmarschieren. Handelt es sich dabei gar um Bahnpolizisten, dürften diese kaum billiger sein als «normale» Zugbegleiter.
  • Hinzu kommen die technischen Massnahmen wie etwa Videoüberwachung, welche nicht nur gekauft, sondern auch unterhalten werden müssen.
  • Schliesslich kommt es trotz diesen Massnahmen vor allem da zu Sachbeschädigungen, wo die Täter sich unbeobachtet fühlen – oder wo sie sich zu vermummen wissen. Diese Kosten tragen schliesslich wiederum die Reisenden.

Wäre es da letzten Endes nicht günstiger, weiterhin auf allen grösseren Distanzen permanent Präsenz mittels Zugbegleitern zu markieren?

Geister-Unternehmen

Nicht zu vergessen: Der Image-Verlust, den SBB & Co. durch den Wegfall des Sicherheitsgefühls erleiden, kann nur schwer beziffert werden. Es erscheint aber zunehmend plausibel, dass viele abends auf den Zug verzichten, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen. Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs sägen somit am eigenen Ast…

Und: Nicht nur die Züge sind immer häufiger verwaist. Die Bahnhöfe sind es auch. «Verwaist» heisst in diesem Fall, als Reisenden keine Ansprechperson mehr zu haben.

Wer nun glaubt, dass das nur für abgelegene Bahnhöfe auf dem Land gilt, der irrt. Selbst im zweitgrössten Bahnhof der Schweiz, in Bern, findet man beispielsweise abends um neun Uhr niemanden mehr, an den man sich wenden könnte, und sei es nur wegen einer Auskunft.

Wie von «Geisterhand» scheint irgend jemand in einem dunklen Kämmerlein die Bahnhöfe zu betreiben und die Züge zu steuern. Das nennt sich dann: «Konzentration auf die Gastgeber- und Servicerolle».

Und weil wir Reisenden nicht mehr von Menschen, sondern offensichtlich von Geistern gesteuert werden, fehlt auch jegliche sachliche Grundlage, welche die zunehmende «Vergeisterung» rechtfertigt.

Oder haben Sie schon einmal irgendwelche Zahlen gesehen, welche den Nutzen von Videoüberwachung (zum Beispiel durch einen Rückgang des Vandalismus) rechtfertigen? Oder ob die Gesamtrechnung mit weniger Zugbegleitern und Bahnhofspersonal, dafür aber mehr technischen Massnahmen, mehr Personal wenn spätabends kontrolliert wird und mehr Vandalismus wegen verwaister Züge und Bahnhöfe, aufgeht?

Na wenn man sich da nicht von allen guten Geistern verlassen fühlt…

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11 Antworten auf „Gastgeber SBB-Geist“

  1. Mein Gedächtnis kann mich täuschen, aber wurden nicht schon vor der Einführung der S-Bahn viele Regionallinien auf Selbstbedienung umgestellt. Auch Biel-Bern. Die S-Bahn ist es auf jeden Fall. Was du erlebt hast war nicht anderes als eine Ticketkontrolle, wie sie auch in den Stadtbussen stattfinden.
    Bei Einführung des Halbstundentaktes hat man ja spasseshalber auch von der S-Bahn Schweiz gesprochen. Tatsächlich werde auch die Intercity-Züge vorwiegend von Berufspendlern benutzt. Abgesehen von internationalen Verbindungen brauche wohl nur noch wenige Linien einen „Gastgeber“.

  2. Es macht tatsächlich den Eindruck, als Fahrgast nur noch als Material und als Zahl in irgend einer Statistik behandelt zu werden. SBB als DIENSTleisutngs-Unternehmen gibt es offenbar nicht mehr.

    Noch ein Punkt: Zugbegleiter werden abgebaut und die ganze Verantwortung und Abfertigung einer einzigen Person – dem Lokführer – übertragen, als hätte der bei diesem satten Fahrplan nicht schon genügend zu tun. Und wenn dann was schief läuft, „darf“ er natürlich dann an der ganzen Misere Schuld sein.

    Nein, in der Teppichetage der SBB weht offenbar ein sehr merkwürdiger Geist.

  3. @ Tinu
    Falls ich mich ungenau ausdrückte: Bei der S-Bahn bemängle ich nicht die Billettkontrolle. Ich ziehe dieses Beispiel nur heran um aufzuzeigen, dass man es trotz automatischer Durchsagen und trotz Videoüberwachung (welche angeblich bald die Zugbegleiter ersetzen sollen) bei der BLS für nötig hält, weiterhin zu kontrollieren.

    Ob dieses neue Kontroll-Regime aus einer Kombination von technischen Massnahmen, spezialisierten Kontrolleuren, zu später (und lohnmässig teurer) Stunde und mindestens zu dritt (personalintensiv) unter dem Strich günstiger ausfällt, stelle ich in Frage. Die Tatsache, dass bis heute auch die SBB keine Zahlen veröffentlichen, deutet eher darauf hin, dass man etwas zu verstecken hat. Am plausibelsten erscheint es mir, dass selbst die SBB nur eine Kostenverlagerung feststellen kann (von reinen Personalkosten für die Zugbegleiter hin zu Kosten, welche aus den genannten Kombi-Massnahmen + in Kauf genommenen Sachbeschädigungen entstehen) – nur scheint das vielleicht niemand zugeben zu wollen.

    Zur Selbstkontrolle (nicht „Selbstbedienung“, wie Du schreibst 🙂 : Ich habe mir auch die Frage gestellt, worin der Unterschied zwischen S-Bahn/Regionalzügen und „Schnellzügen“ (sofern man diesen Begriff noch verwenden darf) besteht. Ich denke, es macht schon einen Unterschied, ob ein Zug alle paar Minuten anhält, Menschen ein- und aussteigen und man einen Zug auch relativ schnell verlassen kann oder ob man quasi während 10, 20 oder mehr Minuten „eingesperrt“ ist und einer möglichen Gefahr nicht entfliehen kann – ausser man zieht auf offener Strecke die Notbremse.

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  5. Aha, im zweiten Anlauf funktioniert Kommentieren. Schade, mein eigentlicher Kommentar ging hopps, nachdem im ersten Anlauf eine Fehlermeldung bezüglich Cookies- und JavaScript erschienen war …

  6. Mein erwähnter Kommentar im zweiten Anlauf … aber natürlich nicht mehr das Original, das ging verloren.

  7. Vielleicht wollte Martin demonstrieren, wie man sich fühlt, wenn nach 21:00 in einem unbegleiteten Regioexpress von Bern nach Biel die rauschende Durchsage ertönt: „Lorem ipsum …“
    Man versteht eben nur Bahnhof. 😉

  8. @ Bobsmile
    Ich dachte eher, das sei die Ausrede, welche sich Martin vielleicht zurecht gelegt hat, sollte er einmal ohne Billett in einem Zug erwischt werden. 😉

  9. @ Martin
    Ich wüsste nicht, was ich reparieren soll a) aufgrund einer vagen Einzelmeldung und b) weil Du ja offensichtlich doch Kommentare abschicken kannst. Es gibt einfach zu viele Variablen (Deine Einstellungen; serverseitige, kurze Ausfälle gewisser Dienste, WordPress- bzw. Plugin-Einstellungen usw.)

    Da mir Ähnliches in anderen Blogs auch schon widerfahren ist, habe ich mir schon lange angewöhnt, vor dem Abschicken eines Kommentars alles zu markieren (Ctrl./cmd + A) und zwischenzuspeichern (Ctrl/cmd + C). Das erspart viel ungewollten Ärger…

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