Ein schwarzer Tag fürs Internet

Die Unterhaltungsindustrie stört sich an vermeintlichen Raubkopien und lässt gleich mit Kanonen auf Spatzen schiessen. Das wirft ganz viele Fragen über die mächtige Unterhaltungsindustrie, die Kanoniere und die Spatzen auf.

Am vergangenen Mittwoch wurde es im Internet etwas dunkler: Vor allem in den USA schalteten verschiedene grössere Websites, wie etwa die englischsprachige Ausgabe der Wikipedia, ihre üblichen Dienste während 24 Stunden ab.

Internationales Internet

Sie protestierten damit gegen die US-Gesetzesvorlagen mit den unverdächtigen Kürzel SOPA (im Repräsentantenhaus) und PIPA (im Senat). Diese sehen äusserst scharfe Massnahme gegen urheberrechtliche Verletzungen bei Filmen oder Musikstücken vor.

Um ein Zeichen zu setzen wurde es in der Augenreiberei zwar nicht dunkel, dafür wurde aber eine Netzsperre simuliert.

So wäre beispielsweise ein Link von diesem Blog zu einer Seite, auf welcher derartige urheberrechtlichen Verletzungen stattfänden, bereits eine strafbare Handlung. Würde sich dieses Blog auf einem US-amerikanischen Server befinden, wäre bei einem rechtlichen Verstoss sogar eine Abschaltung nicht ausgeschlossen.

Im US-Senat zeigten die Proteste immerhin eine erste Wirkung: Eine für morgen Dienstag geplante Vorabstimmung zu PIPA wurde bis auf Weiteres verschoben. Aber wie der Volksmund weiss: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben…

Nun könnte man meinen, uns gehe die nationale Gesetzgebung der USA nichts an, insofern wären wir davon ja nicht betroffen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn wir nutzen mehr Internet-Dienste «Made in USA» als wir uns bewusst sind.

Als Beispiele seien hier nur Facebook oder Twitter erwähnt. Diese Dienste dürften auf Servern laufen, welche sich irgendwo in den USA befinden und auf welche somit die US-Justiz Zugriff hätte.

Wenn Sie nun auf diesen Plattformen als Link die Adresse von megaupload.com verbreitet hätten, also von jener Plattform, welcher seit vergangenem Freitag die Verletzung von Urheberrecht vorgeworfen wird, dann hätten die bisher geplanten Gesetze den US-Behörden erlaubt, Facebook und Twitter quasi wegen Beihilfe zur Verletzung von Urheberrecht ohne Gerichtsverhandlung abzuschalten.

Totale Kontrolle – auf die eine oder andere Weise

Es kann wohl angenommen werden, dass diese beiden Internet-Giganten alles unternommen hätten, damit das nie geschehen wäre. Das heisst, dass sie wohl oder übel jede Status-Meldung und jeden Tweet nach gewissen Links hätten durchleuchten müssen, was zu einer totalen Kontrolle bis hin zu einer Art Zensur oder gar zu einem Ausschluss rechtsverletzender (oder auch nur «verlinkender») Benutzer aus Facebook oder Twitter geführt hätte.

Diese «gewissen Links» auf Websites mit Urheberrechtsverletzungen müssen natürlich vorgängig von jemandem definiert werden. Im Falle von megaupload.com wäre das sicherlich noch relativ einfach gewesen.

Doch wenn schon ein kleines Blog einmalig eine solche Verletzung begehen würde, wäre der Anspruch, alle Websites bei einem solchen rechtlichen Vergehen erfassen und definieren zu können, kaum realistisch.

Zudem kann ein Inhalt einer Website relativ rasch ändern. Wo heute noch keine Urheberrechtsverletzung vorliegt, kann dies morgen der Fall sein, womit ein schon viel früher gesetzter Link auf die fragliche Website plötzlich zu einer strafbaren Handlung wird. Schliesslich würde man dann wohl am besten gleich zu gar keiner Website mehr verlinken, was in Anbetracht der hohen Bedeutung von Links im Internet eine massive Einschränkung wäre.

Wohl auch deshalb, weil ein Website-Betreiber nie vollständig die «Lauterkeit» einer verlinkten Plattform kontrollieren kann, sahen die bisherigen Gesetzesvorlagen vor, dass nicht irgendwelche Website-Betreiber etwas kontrollieren sollten, sondern die Internet-Provider. Sie hätten die Datenpäckchen, welche durchs Internet geschickt werden, nach gewissen Mustern kontrollieren sollen, die auf Urheberrechtsverletzungen hindeuteten. Damit wären die Provider quasi von Briefträgern zu Polizisten des Datenverkehrs geworden.

Nicht zu unterschätzen sind die Kontrollmechanismen, welche dabei geschaffen worden wären. Sie hätten in den USA ganz bestimmt Begehrlichkeiten geweckt, um gleich auch noch nach anderen Mustern beispielsweise im «Kampf gegen den Terrorismus» eingesetzt zu werden.

Und: Auch all die gestürzten Machthaber in den nordafrikanisch-arabischen Ländern wären gewiss äusserst dankbar um solche Kontrollmechanismen gewesen, hätten sie so doch die Organisation des Widerstands gegen sie unterbinden oder wenigstens stören können…

Darum darf hier wohl zurecht die Warnung ausgesprochen werden: Wehret den Anfängen (eines absoluten Kontrollstaats)!

Der (tiefe) Preis steuert die Nachfrage

Natürlich ist dies kein Plädoyer für Raubkopien, also dass jemand um die Einnahmen für seine (künstlerische) Leistung geprellt wird. Nur: Wann ist das der Fall, wann kann man von Raubkopien sprechen und wann nicht?

Die mächtige Unterhaltungsindustrie der USA spricht davon, dass ihr viele Einnahmen wegen Raubkopien entgehen würden und nennt dabei auch Beträge. So ist beispielsweise im Falle von megaupload.com die Rede von einem Schaden von «mindestens 500 Mio. Dollar».

Die Richtigkeit dieser Aussage, wie auch jeder anderen Aussage über mögliche Einnahmeneinbussen bei anderen Websites, ist mehr als fraglich. Die Unterhaltungsindustrie geht höchstwahrscheinlich davon aus, dass ein Benutzer ein Werk auch dann noch herunterladen würde, wenn es nicht kostenlos oder zu einem günstigeren Preis zu haben wäre.

Doch wenn etwas nichts oder wesentlich weniger kostet als seitens der offiziellen Anbieter, greift noch schnell einmal jemand zu. Der Inhalt oder die Handlung eines Films, als Beispiel, gefällt einem vielleicht nicht ausreichend genug, um ihn auf dem offiziellen Weg zum offiziellen Preis zu kaufen. Aber wenn er schon so günstig zu haben ist, dann spielt das plötzlich keine so grosse Rolle mehr.

In diesem Fall von Raubkopien zu sprechen ist kaum zutreffend. Eine Raubkopie wäre es vom «moralischen Standpunkt» erst dann, wenn man ein Werk auch wirklich will und dieses dann bewusst (also mit Vorsatz) nicht über den offiziellen Weg zum offiziellen Preis einkaufen geht.

Eine klare Grenzen zwischen dem Kauf einer Sache, weil sie so günstig ist, die man aber nicht unbedingt will, und dem Kauf einer Sache, weil man sie will, kann kaum gezogen werden, auch nicht seitens US-Unterhaltungsindustrie.

Zu teure Preise

Selbst wenn die Aussagen der Unterhaltungsindustrie in Sachen Einnahmeneinbussen stimmen würden, stellen sich zahlreiche Fragen. Zu ihnen gehört die Frage, ob die heutigen Verkaufsmodelle dieser Industrie noch zeitgemäss sind oder ob sie nicht auch selbst ein Verschulden durch unzeitgemässe Modelle trifft.

Nehmen wir dazu ein konkretes und aktuelles Beispiel: Da Chris de Burgh ein «alter Hase» im Musikgeschäft und weltweit bekannt ist, da er also auf allen Verkaufskanälen zum «Standard-Programm» gehört, eignet sich sein aktuelles Album «Footsteps 2» mit 14 Musikstücken ausgezeichnet. Dazu die nachfolgende Online-Shop-, Form- und Preis-Aufstellung:

Online-Shop Form Preis**
exlibris.ch CD CHF 19.90
cede.ch CD CHF 23.90
citydisc.ch CD CHF 27.90
jpc.de CD CHF 17.99* (EUR 14.99)
amazon.de CD CHF 16.03* (EUR 13.36)
bol.de CD CHF 23.99* (EUR 19.99)
bol.ch CD CHF 19.90 (reduziert, statt CHF 29.90)
iTunes Store (CH) Download CHF 17.00
* Umrechnungskurs CHF – EUR: 1.20 ** Abfrage am 22.01.2012

 

In der Tabelle oben zeigen sich drei Dinge:

Erstens sind die Preisunterschiede innerhalb der Schweizer Anbieter frappant. Die acht Franken Unterschied zwischen exlibris.ch und citydisc.ch entsprechen immerhin 40 Prozent! Bei der nicht reduzierten Variante unter bol.ch sind es sogar mehr, denkbar ist allerdings auch, dass mit dem relativ hohen «Originalpreis» von 29 Franken 90 nur eine hohe Reduktion vorgegaukelt werden soll…

Die Preise oben zeigen zugleich, dass hier der freie Markt spielt. Aus Konsumentensicht spielt dieser aber auch bei Plattformen, welche Urheberrecht verletzten. Woher will der Konsument wissen, ob beispielsweise exlibris.ch nicht irgendwelche Raubkopien verkauft und darum so günstig ist? In der Folge bedeutet das, dass nicht die Konsumenten zu kontrollieren wären, wo sie was einkaufen (sie sind weder Detektive noch Juristen), sondern der Markt beziehungsweise die Anbieter.

Zweitens ist und bleibt die Schweiz eine Hochpreisinsel. cede.ch betreibt nur einen Versandhandel und sollte wegen tieferen Kosten eigentlich günstiger sein als Exlibris, welche auch eigene Geschäfte bei gleichen CD-Preisen betreibt. citydisc.ch – heute zu Orange gehörend, weshalb CDs ebenfalls im Rahmen der Orange-Läden gekauft werden können – hebt preislich sogar ganz ab und dies obschon die Rentabilität durch die Kombi-Nutzung (Telekommunikationsdienstleistungen, CDs) erhöht wird.

Drittens kostet dieses Album im Schweizer iTunes Store noch immer mehr als beim günstigsten Anbieter in Deutschland, amazon.de. Das heisst, obwohl das Brennen der CD, die Kosten fürs Material (CD-Rohling, CD-Hülle, Booklet), die Kosten für die Verteillogistik zu den Wiederverkäufern und die Kosten für Marketing-Aktivitäten zugunsten des Online-Shops wegfallen, kostet das Ganze in der Download-Variante immer noch mehr.

Dem wäre noch hinzuzufügen, dass die 17 Franken für 14 Stücke auszugeben sind. Das macht 1 Franken 21 pro Stück. Wer aber nur ein einzelnes Musikstück kaufen will, der bezahlt 1 Franken 60, also rund 30 Prozent mehr als beim Kauf des «Gesamtpakets». Rein technisch lässt sich diese grosse Differenz wohl kaum erklären, zumal auch das Datenvolumen fürs gesamte Album gegenüber einzelnen Titeln grösser ist.

Unter den genannten Voraussetzungen kann es nicht überraschen, wenn «der Markt» (das sind wir) dort einkauft, wo es am günstigsten ist, selbst wenn es sich um eine eher zweifelhafte Download-Website handelt. Die Unterhaltungsindustrie täte sich darum selber einen Gefallen, wenn sie ihre Preise so anpasst, dass Filme oder Musikstücke auch auf den rechtmässigen Kanälen wie ein Schnäppchen erscheinen und darum auch häufiger gekauft werden.

Liberales Schweizer Urheberrecht

Doch zurück zur Frage, wann von Raubkopien gesprochen werden kann. Eine «internationale Antwort» gibt es darauf nicht, oder anders formuliert: Jedes Land hat seine eigene Gesetzgebung, welche mehr oder weniger erlaubt.

Das Schweizer Urheberrecht gilt als relativ liberal. Darum dürfen Private hierzulande auch problemlos Kopien zum «Eigengebrauch» anfertigen. Als «privat» gilt gemäss Gesetz der «Kreis von Personen, die unter sich eng verbunden sind, wie Verwandte oder Freunde» (endlich ein Grund, in Facebook möglichst viele «Freunde» zu haben 😉 ).

Zudem ist jeder Download von Musik erlaubt, der Upload jedoch untersagt. Wer also bei megaupload.com einkaufte, braucht nichts zu befürchten (Aber: Bei so genannten Peer-to-Peer-Tauschbörsen findet in der Regel auch ein Upload statt, darum Vorsicht!).

Möglich ist das auch deshalb, weil sowohl auf Leerträgern (beispielsweise CD-Rohlinge) wie auch auf Geräte-Leerträgern (wie etwa mp3-Player) bereits eine Abgabe erhoben wird, welche durch Organisationen wie die Suisa an die Künstler verteilt wird.

Als Konsument stellt sich vielmehr die Frage, ob man insgesamt nicht zu viel bezahlt, weil eine «Einzel-Abrechnung» nicht möglich ist. Wer also ein Musikstück irgendwo herunterlädt, dieses auf den mp3-Player lädt und dazu noch eine CD fürs Auto brennt, zahlt indirekt zuviel. Dass hier die Unterhaltungsindustrie in gewisser Weise die Konsumenten ausraubt, interessiert diese aber nicht…

Prioritäten richtig setzen

Überraschend bei den beiden fraglichen US-Gesetzesvorlagen ist nicht nur die Schärfe der Massnahmen, welche vorgesehen sind (oder waren). Es ist auch die Prioritätensetzung.

Kopierte Filme oder Musikstücke mögen da oder dort die Einnahmen einer Industrie mindern, welche reine Luxusgüter mit immer höheren Ausgaben produziert. Die Künstler selbst sind dabei nicht einmal die grossen Profiteure, sondern die Konzerne.

Wesentlich gravierender sind hingegen Raubkopien oder Nachahmerprodukte von Alltagsgütern (die Grenze zwischen Kopiertem und Nachgeahmtem ist oftmals fliessend). Sie werden nicht selten in China produziert, einem Land also, in dem sehr vieles kontrolliert wird und absichtlich erstellte Raubkopien oder Nachahmerprodukte kaum unentdeckt bleiben dürften – also im Wissen der Regierung produziert werden.

Solche «Produkte» führen nicht nur zu Einbussen, welche die Existenz ganz «normale» Arbeitsplätze gefährdet, sondern sie sind im Falle von technischen Geräten unter Umständen sogar noch gefährlich für die Anwender selbst.

Lebensbedrohlich können auch medizinische Nachahmerprodukte sein (nicht zu verwechseln mit den «offiziellen» Generikas), die eine Wirkung vorgaukeln, die sie nicht haben und vor allem dort Abnehmer finden, wo Medikamente teuer sind oder häufig gebraucht werden, also eine relativ hohe Bedeutung für die Konsumenten haben.

Wenn also gegen die unrechtmässige Herstellung von Produkten vorgegangen werden will, dann wohl doch eher da, wo beispielsweise die Existenz rechtschaffener Mitarbeiter industrieller Kleinbetriebe und die Gesundheit von Konsumenten gefährdet ist – und nicht da, wo auch heute noch ein paar wenige Auserlesene Millionen verdienen, weil die Preise zu hoch sind.

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3 Antworten auf „Ein schwarzer Tag fürs Internet“

  1. Nimmt man das Modell des freien Marktes, (was natürlich absurd und absolut vereinfacht ist aber doch manchmal lustig ist) sollten die Unternehmen Ihre Produkte immer zum Preis ihrer Grenzkosten anbieten. Bei einem Online Download, bei dem ein zusätzlicher Download die Kosten um 0 Steigt ( Grenzkosten = 0) müsste das Produkt für 0 CHF angeboten werden um eine „effiziente Allokation“ herbeizuführen. Auch wenn dieses Modell absolut lächerliche voraussetzungen hat, ist es doch erstaunlich, wie teuer onlinedownloads sind…

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